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Titel: TAFTA – eine weitere Hintertür für neoliberale Reformen

Datum: 22. Februar 2013 um 9:05 Uhr
Rubrik: Denkfehler Wirtschaftsdebatte, Globalisierung, Neoliberalismus und Monetarismus, Verbraucherschutz
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Das geplante Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU ist in aller Munde. US-Präsident Obama thematisierte die Transatlantic Free Trade Area (TAFTA) in seiner jüngsten Regierungserklärung und auch Angela Merkel und David Cameron konnten sich auf dem letzten EU-Gipfel kaum etwas Schöneres vorstellen, als mit den USA eine Freihandelszone zu gründen. Woher kommt dieser plötzliche Enthusiasmus? Die Idee einer transatlantischen Freihandelszone ist ein alter Hut und es ist mehr als unwahrscheinlich, dass die anstehenden Verhandlungen, die Mitte dieses Jahres beginnen sollen, je zu einem nennenswerten Ergebnis kommen. Die Verhandlungen zu TAFTA eignen sich jedoch hervorragend, um auf vielen politischen Ebenen sogenannte „Handelshemmnisse“ abzubauen. TAFTA ist somit wie eine Matroschka-Puppe. Man weiß nicht, was in ihr steckt. Von Jens Berger

Die Idee des Freihandels ist so alt wie der internationale Handel selbst. Teile der Wirtschaft haben kein Interesse daran, entweder im eigenen oder in einem anderen Land durch Zölle oder protektionistische Politik behindert zu werden. Andere Teile der Wirtschaft wollen hingegen durch Zölle und Protektionismus gegen die Konkurrenz aus dem Ausland geschützt werden – dazu zählt in Europa beispielsweise die Agrarwirtschaft. Freunde des Freihandels begründen den Abbau von Handelsschranken dabei immer wieder gerne mit dem Argument, Freihandel würde Wachstum schaffen. Doch dieses Argument ist in einer globalisierten Welt reichlich schräg und gilt streng genommen nur dann, wenn der Freihandel die eigene Seite deutlich gegenüber der anderen Seite bevorteilt. Bereits im ersten Semester lernt jeder Ökonomie-Student, dass sich das Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen nach der Formel BIP = C (Konsum) + I (Investitionen) + G (Staatsausgaben) + Ex (Exporte) – Im (Importe) berechnet. Der Freihandel lässt zwar die Summe der Exporte steigen, gleichzeitig steigt jedoch auch die Summe der Importe. Ein „faires“ Freihandelsabkommen, von dem beide Seiten gleichzeitig profitieren, ist somit wachstumsneutral. In der Praxis geht es auch selten um die absoluten Zahlen, sondern meist nur um Handelsströme. Wer in einer Freihandelszone ist, hat deutliche Vorteile gegenüber Mitbewerbern, die außerhalb dieser Freihandelszone sind. Es wird globale dadurch kein Wachstum geschaffen, es werden lediglich Handelsströme umgelenkt.

Schon heute spielen die Zölle fast keine Rolle mehr

Meist wird Freihandel mit dem Wegfall von Zollschranken assoziiert. Das ist generell auch nicht falsch, bei der Diskussion rund um TAFTA spielen die Zölle jedoch eine sehr untergeordnete Rolle. Im Schnitt fallen beim transatlantischen Handel gerade einmal drei Prozent für die Zölle an. Viele technische Produkte sind bereits heute zollfrei, jedoch gibt es nennenswerte Zölle auf Agrarprodukte. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass die Freunde eines Freihandelsabkommens ihre Wachstumshoffnungen auf Exportüberschüsse im Agrarsektor setzen. In Deutschland zählen neben dem Außen- und Großhandel vor allem die Industrielobbys mit ihrem verlängerten Arm in die CDU, CSU, FDP und SPD zu den großen Befürwortern von TAFTA. Und dabei geht es nicht um ein paar Prozent Zollgebühren.

Diesseits und jenseits des Atlantiks erhofft man sich, durch TAFTA Wettbewerbsvorteile gegenüber Konkurrenten aus anderen Regionen zu gewinnen – und hier spielt neben China auch Japan eine Rolle. Neben den eher geringen Vorteilen durch den Wegfall der Zollschranken geht es dabei vor allem um einheitliche Richtlinien. Für die europäische Pharma-Industrie wäre es beispielsweise ein großer Vorteil, wenn ihre Medikamente, die bereits nach der vergleichsweise laschen EU-Arzneimittelverordnung zugelassen wurden, ohne weitere Zulassungsverfahren durch die Food and Drug Administration auch in den USA vertrieben werden dürften. Es ist jedoch extrem unwahrscheinlich, dass die USA sich einem solchen Passus im Freihandelsabkommen beugen würden. Umgekehrt ist es kaum vorstellbar, dass die EU ihren Markt für Agrarprodukte aus den USA öffnet und beispielsweise ihre Richtlinien für „Genmais“, „Hormonrindfleisch“ und „Chlorhühner“ abschafft – nicht wegen des Verbraucherschutzes, der ohnehin nur klein geschrieben wird, sondern wegen der wirtschaftlichen Interessen der übermächtigen europäischen Agrarlobby.

USA und EU – in Freihandelsfragen chronisch uneins

Wer denkt, dass die USA und die EU in Sachen Freihandel auf einer Wellenlänge liegen, täuscht sich gewaltig. Seit Ewigkeiten streiten sich die Lobbyisten beider Wirtschaftsräume bereits in den Verhandlungen zu den GATT- und später den WTO-Runden. Die aktuelle WTO-Runde mit dem Namen „Doha-Runde“ läuft nun schon seit 2001 und es ist heute unwahrscheinlicher denn je, dass sie jemals zu einem Ergebnis kommt. Anders als TAFTA ist die Doha-Runde kein bilateraler Ansatz, sondern ein globaler, der für alle 158 WTO-Mitglieder gilt und daher auch von allen Mitgliedern verhandelt wird. Die EU war in der Doha-Runde stets ein treibender Part, während neben China vor allem auch die USA immer wieder auf die Bremse drückten. Und nun sollen die beiden Wirtschaftsräume, die bei der Doha-Runde in zahlreichen Punkten meilenweit auseinander liegen, einen „großen Wurf“ bei TAFTA hinlegen, wie es Bundeswirtschaftsminister Rösler eben so nassforsch wie kompetenzfrei verkündet? Nicht nur die EU und die US-Regierung müssten TAFTA zustimmen, sondern auch das Europaparlament und jedes der 27 nationalen EU-Parlamente. Wer weiß, mit welchen Mitteln sich alleine die verschiedenen nationalen Agrarlobbys auf EU-Ebene bekämpfen, kann sich schwerlich vorstellen, dass es diesseits des Atlantiks ein einstimmiges Votum zu einem „großen Wurf“ in Sachen TAFTA kommen könnte. Und auch die USA sind natürlich nicht frei von Lobbyinteressen. Es ist kaum vorstellbar, dass der US-Kongress seine Zustimmung zu einem Handelsabkommen geben wird, das die Zollschranken für hochsubventionierte EU-Agrarprodukte aufhebt und den US-Farmern ernsthafte Konkurrenz entstehen lässt.

Und das ist alles auch gut so. Ein Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU ist überflüssig wie ein Kropf. Da es, wie erwähnt, kaum Zollschranken gibt, wird es bei den Verhandlungen vor allem um den sogenannten „Bürokratieabbau“ gehen. Die Bürokratie, die abgebaut werden soll, ist aber zum Nutzen der Gesellschaft. Die Amerikaner wollen zu Recht keine schlecht getesteten europäischen Arzneimittel und die Europäer wollen ebenfalls zu Recht keinen Genmais und kein Hormonrindfleisch. Die entscheidende Frage ist daher: Warum verhandelt man, wenn man ohnehin zu keinem Ergebnis kommt?

TRIPS, SOPA, ACTA – was steckt in TAFTA?

Die TAFTA-Verhandlungen sind erst einmal auf zwei Jahre angelegt. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass solche Verhandlungen auch mehrere Jahrzehnte dauern können – erst Recht, wenn sie so komplex sind, wie es bei den TAFTA-Verhandlungen zu erwarten ist. Unter dem Vorwand, diese oder jene Gesetzgebung sei „alternativlos“, da sie eine Grundvoraussetzung für ein TAFTA-Abkommen sei, kann unpopulären Gesetzen so das Label des „Sachzwangs“ verpasst werden. Was gehört dazu?

Es ist zu erwarten, dass über die TAFTA-Verhandlungen auch die Themen Verschärfung des Urheberrechts und Schutz geistigen Eigentums wieder auf den Tisch kommen. Die USA haben großes Interesse daran, dass die amerikanischen Rechte und Patente für immaterielle Güter wie multimediale Inhalte und Software in der EU gestärkt werden. Das TRIPS-Abkommen geht vielen Lobbyisten hier nicht weit genug. Akronyme wie SOPA und ACTA lassen erahnen, wohin die Reise geht. Aber auch in der materiellen Wirtschaft könnte TAFTA als Vorwand für eine weitere Deregulierung und Privatisierung genutzt werden. Überall dort, wo amerikanischen Unternehmen der unbehinderte Zugang zu den europäischen Märkten fehlt, könnte im Rahmen der TAFTA-Verhandlungen eine Deregulierung gefordert werden. Dies reicht von der Wasserversorgung über das Gesundheitssystem (z.B. beim britischen NHS) bis zum breiten Feld der Finanzmarktprodukte. Und hier sind es wohlgemerkt nicht nur die US-Unternehmen, die sich steigende Profite versprechen. Es geht vor allem darum, den Staat aus möglichst vielen Bereichen heraus zu drängen, Märkte zu deregulieren und die Privatisierung voranzutreiben. Es ist daher auch gar kein Wunder, dass TAFTA vor allem von Angela Merkel und David Cameron vorangetrieben wird und „Fipsi“ Rösler laut applaudiert. TAFTA hat in letzter Konsequenz alleine schon wegen der geringen Wahrscheinlichkeit, dass es jemals umgesetzt wird, wenig mit dem transatlantischen Handel zu tun. Es geht vielmehr darum, unpopuläre marktliberale Maßnahmen gegen den Willen der eigenen Bevölkerung umzusetzen.

TAFTA ist momentan nicht mehr als eine leere Hülle. Was TAFTA überhaupt beinhalten soll, wird sich erst während der Verhandlungen zeigen, die im Juni dieses Jahres beginnen. Man muss jedoch kein Prophet sein, um zu erahnen, welche „Reformen“ die europäische Seite im Schlepptau von TAFTA anstrebt. Schreibt der Fiskalpakt den europäischen Ländern eine neoliberale Finanzpolitik vor, könnte TAFTA die von Merkel und Co. gewünschte Ergänzung darstellen, um auch den neoliberalen Deregulierungstraum europaweit umzusetzen.


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