Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (JK/JB)
Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:
- Bahn will über Stuttgart 21 neu verhandeln
- Rohstoff-Roulette
- Karl Whelan: Olli’s Follies – Is Debate About Fiscal Multipliers Unhelpful?
- Steuern und Menschenrechte
- Europa: Auf die Sparpolitik folgt die Rezession
- Amazon
- Commerzbank-Chef Blessing: Jo, es macht noch Spaß
- Wie viel Inflation kommt auf uns zu?
- Peter Grottian: Attac hat Angst
- Falsche Manager in den Kliniken
- Ecuador – Correa feiert klaren Sieg
- Die neue Mitte im südlichen Norden
- Das Prinzip der Willkür
- Journalisten und Eliten: Wieviel Distanz muss sein, wieviel Nähe ist nötig?
- Lesetipp: Die neue Umverteilung: Soziale Ungleichheit in Deutschland
- zu guter Letzt: Lego startet neue Serie “Gescheiterte deutsche Großprojekte”
Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.
- Bahn will über Stuttgart 21 neu verhandeln
Im Streit um Stuttgart 21 erhöht die Deutsche Bahn den Druck auf ihre Partner. Das Unternehmen hat die sogenannte Sprechklausel gezogen – und will nun neu über die Mehrkosten in Milliardenhöhe verhandeln. […]
Die Regelung im Finanzierungsvertrag für das Bahnprojekt zum Thema Kostenüberschreitung ist denkbar mager. In Paragraf acht, Absatz vier des Vertrags steht: “Im Fall weiterer Kostensteigerungen nehmen die Eisenbahninfrastrukturunternehmen und das Land Gespräche auf.” Die Projektpartner interpretieren diesen Passus jedoch sehr unterschiedlich, bislang wollen sich weder Stadt noch Land an weiteren Kosten beteiligen.
Sollten die Partner weiter die Beteiligung an den Mehrkosten verweigern, könnte die Bahn vor Gericht ziehen. Bislang hatte die Bahn allerdings betont, den Konflikt nicht gerichtlich lösen zu wollen. […]
Der frühere Schlichter im Streit um Stuttgart 21, Heiner Geißler, sprach sich am Montag für eine Fertigstellung des Bahnhofs aus. Die steigenden Kosten seien ein “lösbares Problem”, sagte Geißler. “Ich finde, für ein solches Projekt muss das Geld da sein.”
Quelle: SPIEGEL Online
Anmerkungen Albrecht Müller:
- Die Ankündigung der Deutschen Bahn AG, mit den Projektpartnern über die Beteiligung an den Mehrkosten verhandeln zu wollen, bringt vielleicht Licht in ein seltsames Gehabe des Projektpartners Landesregierung, insbesondere des Ministerpräsidenten Kretschmann und Verkehrsministers Hermann. Sie haben auf die dem Land gesetzten Finanzierungsgrenzen hingewiesen. Aber sie sagten bisher nie: da diese Kostengrenze offensichtlich nicht zu halten ist, sollte man das Projekt beerdigen. – Jetzt wird es spannend: Vermutlich werden sie, dem Koalitionspartner SPD folgend, sagen: Jetzt sind wir zu Neuverhandlungen mit der Bahn verpflichtet, auch über die zusätzliche finanzielle Beteiligung von Land und Stadt. Wenn sie wollten, könnten sie sich auch anders entscheiden. Mal sehen.
- Auf Dr. Heiner Geißler ist Verlass: im Zweifel entscheidet sich der Schlichter für die Parteiraison. Der CDU und vor allem ihrer Kanzlerin Merkel droht wegen der Festlegung auf das Großprojekt Stuttgart 21 im Wahlkampf Ungemach, wenn das Projekt beendet wird. Also erklärt Geißler das Weiterbauen zum einzig gangbaren Weg. Er weiß (!), dass die steigenden Kosten ein lösbares Problem sind. Und er weiß auch, dass für ein solches Projekt das Geld da sein muss. – Diese Erkenntnisse sind ein bemerkenswertes Nebenprodukt der Schlichtung. – An dieser Stelle sei daran erinnert, dass für den Bau des Schnellen Brüters in Kalkar zum Zeitpunkt des Abbruchs 1991 schon 7 Milliarden DM, also weit über 3 Milliarden €, verbaut worden waren. Für andere Projekte, gilt wenn auch mit geringerer Dimension ähnliches: Transrapid, Wackersdorf, die bemannten Weltraumfahrt zum Beispiel. – Da die entscheidenden Instanzen und Personen im Entscheidungsprozess für solche Großprojekte regelmäßig durch Unterschätzung der Kosten und durch die Übertreibung der Bedeutung der Projekte („Einbindung Stuttgarts in die Transeuropäische Magistrale von Paris bis Bratislava“) betrogen werden und man zu Beginn der Realisierung eines solchen Projektes durchaus schlauer geworden sein kann, ist der Abbruch oft sowohl ehrlicher als auch billiger.
- Die Kosten des Projektes sind vermutlich auch deshalb um Hunderte von Millionen Euro unterschätzt, weil die bei Bürgerinnen und Bürgern, vor allem bei Reisenden der Bahn anfallenden Kosten nicht mit eingerechnet werden: die durch Verspätung und Umleitungen eintretenden Kosten der Pendler und der Stuttgarter, die ihren Bahnhof nutzen wollen; auch die Kosten von Reisenden, die bisher über Stuttgart weiterfuhren. Am vergangenen Samstag Vormittag war ich selbst Zeuge solcher vermutlich nicht berechneter Kosten: der Intercity von München nach Karlsruhe konnte den Hauptbahnhof Stuttgart nicht anfahren und wurde stattdessen über Plochingen und Esslingen durch Stuttgart hindurch und über Vaihingen/Enz und Bruchsal nach Karlsruhe weitergeführt. Die Reisenden, die nach Stuttgart Innenstadt wollten, mussten umsteigen, andere kamen in Karlsruhe verspätet an und hatten ihren Anschluss versäumt. – Das ist ein Fall von vermutlich Hunderttausenden ähnlichen Ereignissen, die während der – bisher nicht kalkulierbaren – Bauzeit von wahrscheinlich mindestens zehn Jahren eintreten. Kosten die bei Dritten anfallen und die in den bisherigen Gesamtkosten nicht enthalten sind.
- Rohstoff-Roulette
Knappe Industriemetalle wie Kupfer, Kobalt oder Titan sind heute die “Vitamine des technischen Fortschritts”. Teures Erdöl lässt die Energiepreise explodieren. Wetten auf Soja, Mais und Weizen treiben die Preise in die Höhe und fördern weltweit Hungersnöte.
Inzwischen gleicht der Rohstoffmarkt einem globalen Roulette, in dem durch Spekulation an der Preisschraube gedreht wird. Mächtige Rohstoffhändler und -produzenten spielen mit den Märkten, während rohstoffreiche Länder wie Papua-Neuguinea, die eigentlich vom Rohstoffboom profitieren sollten, in Armut und Chaos versinken.
Ist das Rohstoffspiel außer Kontrolle geraten? Peter Kreyslers Feature gibt Einblick in ein faszinierendes Milliardenspiel, das so lange gespielt wird, bis es heißt: Rien eine va plus – nichts geht mehr.
Quelle 1: Deutschlandfunk
Quelle 2: Die Sendung zum Nachhören als Podcast [Audio – mp3]
Anmerkung JK: Dazu aus der Sendung – Sieben der zwölf größten Schweizer Firmen sind mittlerweile Rohstoffkonzerne. Von 2002 bis 2012 ist der Gewinn der Schweizer Rohstofffirmen von 1 Milliarde auf 20 Milliarden explodiert. Das Bankgeheimnis, niedrige Steuern und politische Neutralität sind der Grund, warum die Schweiz zur Drehscheibe im Geschäft mit den Rohstoffen geworden ist.
Die Schweiz bietet zudem die Möglichkeit, Gewinne, die aus den Herkunftsländerngezogen werden, an ein Geflecht von Briefkastenfirmen in Luanda, London, Hongkong, den Bermudas oder Luxemburg abgabenfrei weiter zu reichen. Nach konservativen Schätzungen lassen sich durch derartige Steueroptimierungen jährlich rund 130 Milliarden US Dollar sparen. Das entspricht in etwa der gesamten weltweiten Entwicklungshilfe.
- Karl Whelan: Olli’s Follies – Is Debate About Fiscal Multipliers Unhelpful?
Olli Rehn is the European Commissioner for economics. Olli has spent much of his time in recent years telling everyone that Europe’s austerity policies were working and the Eurozone economy was just about to turn the corner. In reality, the Eurozone has been in recession since the third quarter of 2011 and the recession appears to be deepening: Eurostat this week reported a decline of 0.6 percent in real GDP in the final quarter of 2012.
This week, Olli sent a letter to the EU’s finance ministers and other luminaries including IMF managing director Christine Lagarde. So what was on Olli’s mind? Concern about the ongoing slump? Worries about record high unemployment? No. It turns out Olli is worried that IMF economists are doing research on fiscal multipliers. […]
Olli isn’t happy that this research has been released. His letter says that this debate »has not been helpful and has risked to erode the confidence that we have painstakingly built up over the past years in numerous late-night meetings.«
Even leaving aside the medieval prince aspects of these comments (“Galileo needs to stop undermining confidence in the Ptolemaic system”) can Olli really believe that Europe’s finance ministers have been building up confidence while the economy languishes in recession? […]
n terms of who to believe here, you can choose to trust Olli the Confidence Man who believes debate about fiscal policy is unhelpful or the IMF’s chief economist who also happens to be the world’s tenth best economics researcher. I know who my money is on.
Quelle: Forbes
- Steuern und Menschenrechte
Fiskalpolitik – und damit auch Steuerpolitik – ist eines der wichtigsten Steuerungsinstrumente von Regierungen. Die tatsächlichen Prioritäten der Politik zeigen sich in Budgets und Steuergesetzen oft deutlicher als in Deklarationen und Aktionsprogrammen. Auch spiegelt die Fiskalpolitik einer Regierung den politischen Einfluss bestimmter Interessensgruppen wider: Werden Verteidigungs- oder Sozialetats erhöht? Wer erhält Steuererleichterungen und wie werden sie kompensiert? Antworten auf diese Fragen entscheiden darüber, ob Regierungen Ihren internationalen und nationalen Verpflichtungen nachkommen oder möglicherweise unter dem Vorwand haushaltspolitischer Sachzwänge davon abweichen. Zu den wichtigsten Verpflichtungen der Regierungen gehören die Achtung, der Schutz und die Gewährleistung der Menschenrechte, inklusive der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte. Es ist daher notwendig zu untersuchen, welche Auswirkungen die Steuerpolitik auf die Einhaltung und Verwirklichung dieser Rechte hat.
Quelle: blog steuergerechtigkeit
- Europa: Auf die Sparpolitik folgt die Rezession
Auch in Deutschland verschlechtern sich die wirtschaftlichen Aussichten. Im letzten Quartal ist die Wirtschaftsleistung im Vergleich zum Vorjahr gesunken. Die europäische Sparpolitik sorgt dafür, dass Importe aus Deutschland weniger nachgefragt werden. Die Sparfalle schnappt zu.
Quelle: DGB
- Amazon
- Ursula Engelen-Kefer: Amazon und die Verantwortung der Politik
Die Aufregung in Politik und Gesellschaft über die skandalösen Arbeits- und Lebensbedingungen der Leiharbeitnehmer in den Logistikzentren des Versand-Monopolisten Amazon ist groß. Tausende von in- und ausländischen Beschäftigten müssen nicht nur zu Dumpinglöhnen arbeiten, sondern werden wie Sklaven gehalten. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen fordert die lückenlose Aufklärung. Amazon hat sich bereits von dem als rechtsradikal gebrandmarkten Sicherheitsunternehmen zur “Rundum”- Überwachung der Beschäftigten getrennt.
Dies erinnert fatal an die gravierenden Missbräuche mit der Leiharbeit durch die inzwischen in Konkurs gegangene Drogeriekette Schlecker vor etwa drei Jahren. Schlecker hatte nach Schließung ganzer Filialen sowie Neueröffnung unter anderem Konzept tausende von Mitarbeitern durch eine Leiharbeitsagentur zu erheblich niedrigeren Löhnen und schlechteren Arbeitsbedingungen anheuern lassen. Auch damals war die öffentliche Empörung gewaltig.
Quelle: Wirtschaft und Gesellschaft
- Amazon, das sind wir
Wie lange wird der Zorn auf Amazon anhalten? Einen Tag? Zwei Tage? Vielleicht drei? Eine Fernsehreportage über die miserablen Arbeitsbedingungen in den deutschen Logistikzentren des Onlinehändlers hat eine wahre Wut entfacht. Doch vermutlich wird sich die Aufregung sehr schnell wieder legen, werden die Kunden morgen schon wieder den Bestseller bei Amazon ordern oder den Laptop zum Schnäppchenpreis.
Die Menschen neigen nun mal dazu, es sich bequem zu machen, auch beim Einkaufen. Nicht viel nachdenken, auf den Preis schauen, auf den Bestellknopf drücken – fertig. Wo die Ware herkommt, unter welchen Bedingungen sie gefertigt, verpackt und geliefert wird, ist den meisten Kunden egal. Was zählt, ist der eigene Nutzen. Und der definiert sich in der Geiz-ist-geil-Welt eben über den Preis: möglichst billig.
Quelle: SZ
Anmerkung JK: Eigentlich müsste jeder wissen, dass es bei einem T-Shirt für 3,95 Euro nicht mit rechten Dingen zugehen kann. Aber was sind die Menschen, die billigste Produkte kaufen? Eiskalte, nutzenmaximierende Homines Oeconomici, einfach nur bequem und gedankenlos oder auch Menschen die auf Billigprodukte angewiesen sind, da sie durch die zunehmende soziale Polarisierung auch in den wohlhabenden Ländern , durch Niedriglöhne und prekäre Arbeitsverhältnisse gar nicht über die Ressourcen verfügen um sich teurere Güter zu kaufen? Und nun ist es ja nicht so, dass sich mit den Armen und Unterprivilegierten nicht auch noch Bombengeschäfte machen lassen, wie der spektakuläre Erfolg der Klamotten-Discounters Primark zeigt, der preislich noch unter H&M, Zara und anderen Billiganbietern rangiert. Und selbstverständlich befindet sich Primark im Besitz einer der reichsten Familie Großbritanniens.
- Commerzbank-Chef Blessing: Jo, es macht noch Spaß
Seit er im Mai 2008 Vorstandschef wurde, ist der Umbau von Deutschlands zweitgrößter Bank ein Dauerzustand. Erfolge sind ausgeblieben. Nun steht den 56000 Mitarbeitern eine weitere Rosskur bevor. Bis zum Jahr 2016 sollen bis zu 6000 Stellen abgebaut werden. „Um mich meiner besonderen Verantwortung zu stellen, habe ich auf den Bonus verzichtet“, sagte Blessing. Darüber habe er Müller schon im Dezember in Kenntnis gesetzt. Und der Aufsichtsratsvorsitzende dankte es ihm in der Pressemitteilung: „Das ist eine sehr ehrenwerte Entscheidung.“ Doch in Wirklichkeit kann sich Blessing über eine satte Gehaltserhöhung im vergangenen Jahr freuen. Bislang war sein Gehalt auf 500.000 Euro gedeckelt, weil die vom Staat in der Finanzkrise geleistete staatliche Kapitaleinlage von 16,4 Milliarden Euro nicht bedient worden war. Freiwillig verzichteten Blessing und die restlichen Vorstandsmitglieder für das Geschäftsjahr 2011 auf eine Anhebung, nachdem die staatliche Einlage auf 1,6 Milliarden Euro dank einer Kapitalerhöhung zurückgeführt worden war. Doch nun sind es wieder 1,3 Millionen Euro für den Vorstandschef. Da fällt es Blessing nicht schwer zu sagen: „Ein Nettogewinn von 6 Millionen Euro ist nicht so gut, dass er eine variable Vergütung rechtfertigt.“ Dabei fällt nur seine Erfolgsprämie für das zurückliegende Jahr weg. Seine acht Vorstandskollegen erhalten für das alles andere als erfolgreiche Jahr 2012 eine Prämie von jeweils 400.000 Euro, das sind 40 Prozent vom „Zielbonusvolumen“. Da die Aktionäre seit 2008 keine Dividende mehr erhalten haben und auch für das laufende Jahr eine Ausschüttung laut Blessing „sehr unwahrscheinlich“ ist, stellt sich die Frage, warum die acht Vorstandsmitglieder 40 Prozent und weitere Führungskräfte 50 Prozent vom „Zielbonus“ erhalten.
Quelle: FAZ
Anmerkung Orlando Pascheit: Der Bund ist immer noch zu 25 Prozent an der Commerzbank beteiligt und damit der wichtigste Aktionär, aber die Kritik selbst der Opposition fällt mager aus und geht über Vorwürfe wie “schlechter Stil” ( Carsten Sieling) kaum hinaus. Gestern wiesen die NDS auf einen Händler der Commerzbank hin, dem 2008 ein Bonus von 80 Mio. Euro zugesprochen wurde. Das mag sich, wie Anshu Jain Ende Januar betonte, nicht mehr wiederholen, aber das Beispiel Blessing zeigt, dass ein Mentalitätswandel nicht eingesetzt hat. Man holt das raus, was legal möglich ist. Da die Commerzbank mindestens die Hälfte der geleisteten Rekapitalisierungen zurückgezahlt hat, darf die Obergrenze für Vergütungen von 500.000 Euro überschritten werden – so das von CDU, CSU und FDP aufgelegte Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetz. Das macht Spaß!
- Wie viel Inflation kommt auf uns zu?
Gegen sinkende Wechselkurse ist wenig einzuwenden, solange sie das Nebenprodukt einer die Wirtschaft stimulierenden Politik und nicht Gegenstand gezielter Wechselkurspolitik sind. Dieses Ergebnis der Moskauer Tagung der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer hat in Marktkreisen wenig überrascht, aber zu unterschiedlichen Folgerungen geführt. In der Sicht mancher Kommentatoren hat damit die japanische Regierung gewissermassen grünes Licht erhalten, den Yen weiter zu schwächen. Andere erwarten ein Nachziehen anderer Länder und weisen darauf hin, dass stimulierende Massnahmen in der Praxis den gleichen Effekt hätten wie eine aktiv auf einen tieferen Wechselkurs gerichtete Politik. Praktisch alle grossen Notenbanken betrieben eine expansive Politik und wünschten eine schwächere Währung, auch wenn das mathematisch unmöglich sei, betont nicht nur Mike Shedlock von Sitka Pacific Capital Management. Gemeinsam haben die diversen Formen der expansiven Geldpolitik zur Stimulierung der Wirtschaft und gezielte Kursmanipulationen eine Verschärfung des Inflationspotenzials. Immer wieder wird in Marktkreisen vor der Gefahr einer heftigen, wenn nicht sogar ausser Kontrolle geratenden Inflation gewarnt. Durch die hohe Verschuldung der einzelnen Volkswirtschaften und den anhaltenden Deleveraging-Prozess bestehe diese Gefahr zwar nicht unmittelbar. Auf längere Sicht sei eine Inflation aber nahezu unvermeidbar, zumal es den an aufgeblasenen Bilanzen leidenden Notenbanken schwerfallen werde, eine wirkungsvolle Stabilitätspolitik durchzusetzen, ohne dabei heftige konjunkturelle Rückschläge hervorzurufen.
Quelle: NZZ
Anmerkung Orlando Pascheit: Natürlich gekört es zu den Klassikern der Mainstreamökonomie, dass zwischen der Ausweitung der Geldmenge und einer steigenden Inflation ein kausaler Zusammenhang bestünde. Zuletzt haben Luca Gattini, Huw Pill und Ludger Schuknecht in einem Arbeitspapier der Europäischen Zentralbank diesen Zusammenhang für eine Reihe von Industriestaaten und Schwellenländern zwischen 1960 und 2010 bestätigt gesehen, wenn auch mit einer beträchtlichen zeitlichen Verzögerung [PDF – 1.8 MB].
Es darf allerdings bezweifelt werden, ob dieser Zusammenhang auch für die Entwicklung seit Mitte der 80er Jahre gilt. Die Wahl des Zeitraums kann die Ergebnisse solcher Untersuchungen signifikant verändern. Immerhin räumen sie ein, dass man sich in der wissenschaftlichen Literatur nicht darüber einig sei, wie (!) sich die Ausweitung der Geldmenge auf die Preisentwicklung auswirkt. Auch wenn aktuell teure Rohstoffe auf die Inflation durchschlagen, da viele Preise in hohem Masse von den Rohstoffkosten abhängen, sind mittelfristig eher deflationären Tendenzen auszumachen, da sowohl der Privatsektor wie auch der Staat sparen. Das Produktionspotential bleibt unausgeschöpft und die Krisenmaßnahmen sorgen dafür, dass es so bleibt. Rein theoretisch ist mit der beobachteten monetären Expansion ein Inflationspotenzial verbunden, aber dazu müssten Konsumenten, Unternehmen und Anleger bzw. Spekulanten erst einmal wieder Kredite nachfragen wollen. Das so geschaffene Geld liegt derzeit bei den Notenbanken und Geschäftsbanken. Heute könnte an ehesten der von Gattini u.a. genannte Wirkungskanal einer Ausweitung der Geldmenge bzw. der dadurch begünstigten Kreditaufnahme durch Private hinsichtlich der Preisentwicklung von Immobilien beobachtet werden.
- Peter Grottian: Attac hat Angst
Ziviler Ungehorsam ist das Salz in der Suppe einer oft öden Demokratie. Es ist ein öffentlicher, gewaltloser, gewissensbasierter Akt des Ungehorsams, der auf demokratische Veränderungen ausgerichtet ist – mit der Konsequenz, möglicherweise bestraft zu werden. Ziviler Ungehorsam ist Ausdruck des plebiszitären Drucks derjenigen, die über keine privilegierten Einflussnahmen verfügen. Es ist die letzte Möglichkeit, Demokratiedefizite zu korrigieren, nachdem die klassischen demokratischen Wege versucht worden sind. Ohne zivilen Ungehorsam gäbe es keine Modernisierung von Demokratie, keine Frauen- und Ökologiebewegung, kein Gorleben, kein Dresden gegen Rechtsextremismus und keine Bewegung gegen Stuttgart 21. Ziviler Ungehorsam ist kein Schmuddelkind der Demokratie, sondern dessen Leuchtfeuer. Schaut man sich jedoch die Politikfelder an, auf denen der zivile Ungehorsam eine oder keine Rolle spielt, fallen deutliche Unterschiede auf. Beim Thema Arbeitslosigkeit und Armut bleibt es seit den für deutsche Verhältnisse eindrucksvollen Protesten von 2003 bis 2005 beunruhigend still. Politische Gruppen sind zerbrochen, im Westen mehr als im Osten. Und wer im Osten über zivilen Ungehorsam redet, erhält folgenlosen Beifall. Viele Betroffene prozessieren individuell gegen ihren Hartz-IV-Bescheid und wählen Die Linke. Aktive Resignation. Wenn mehr als eine Million Hartz-IV-Bezieher mit Sanktionskürzungen belegt werden, ist die Republik erstaunt, aber still. Nicht viel besser steht es mit den Protesten gegen die Finanzmarktindustrie und die Banken. Der Occupy-Aufbruch war in Deutschland eventorientiert, aber kopf- und konzeptlos. An den Blockupy-Demonstrationen 2012 in Frankfurt nahmen nur wenige Tausend Menschen teil. Auch das beeindruckend breite Bündnis Umfairteilen, das unter anderem von Gewerkschaften und Attac getragen wurde, hat mit zivilem Ungehorsam wenig am Hut. Man beließ es 2012 bei Forderungen, bei einem Kongress und einer abschließenden großen Demonstration. – Überhaupt Attac. Der Vollmundigkeit bezüglich des zivilen Ungehorsams stehen wenige Taten gegenüber: Banken besetzen, ein wenig, aber doch nicht wirklich – lieber Zeitungen verteilen und fröhliche Bankenwechselpartys veranstalten. Attac hat leider nur eine große Klappe und denkt eher daran, seinen Status der Gemeinnützigkeit zu bewahren, der durch Proteste gefährdet werden könnte, als an zivilen Ungehorsam. Es kann auch eine Politik der vollen Hosen geben. Die Ängste vor zivilem Ungehorsam sind verständlich und oft noch übermächtig. Aber sie passen nicht mehr so ganz zum berechtigten Zorn über viele gesellschaftliche Entwicklungen. Demokratie und ziviler Ungehorsam werden noch zu wenig zusammen gedacht. Da hilft nur: üben am geeigneten Objekt – und lernen, gelassen einen Strafbefehl wegen Besetzung einer Zockerbank auszuhalten.
Quelle: taz
- Falsche Manager in den Kliniken
Es war eine politische Entscheidung, dass Krankenhäuser wie Wurstfabriken von Managern geführt werden. Und ein großer Fehler. Immer häufiger bekommen Patienten Behandlungen empfohlen, die nicht ihnen, sondern den materiellen Interessen von Ärzten und von Kliniken dienen.
Laut einer Umfrage des Instituts Allenbach ist das Vertrauen der Bürger in das Gesundheitswesen in Deutschland so hoch wie lange nicht mehr. Wie passt das zusammen mit all den Medienberichten über die unzumutbar langen Wartelisten für nicht privat Versicherte bei Fachärzten, mit den Manipulationen bei der Verteilung von Spenderorganen, mit den Bonus-Verträgen von Chefärzten, die besser bezahlt werden, wenn sie öfter operieren, mit den unnötigen Operationen an Kniegelenken und Hüften – die Rate liegt um das Zwei- bis Dreifache höher als in vergleichbaren europäischen Ländern? Wie können die Patienten da zufrieden sein?
Als Kardiologe, der nur noch Patienten vor einer Entscheidung zur Herzkatheteruntersuchung oder anderen kardiologischen Eingriffen berät, erfahre ich fast täglich etwas anderes.
Immer mehr Patienten spüren, dass das, was ihnen empfohlen wird, oder auch wovon ihnen abgeraten wird, weniger mit ihrem Genesungswunsch als mit materiellen Interessen von Ärzten oder Kliniken zu tun haben könnte – meist zu Recht. Glücklicherweise wehren sich immer mehr Ärztinnen und Ärzte gegen die alltägliche Ökonomisierung ihrer Arbeit und wenden sich sogar Berufsverbände gegen die Vereinbarung von Zielgrößen für Eingriffe und Bonuszahlungen.
Quelle: FR
- Ecuador – Correa feiert klaren Sieg
Ecuadors Präsident Rafael Correa ist in der ersten Wahlrunde im Amt bestätigt worden. Der linksgerichtete Ökonom erhielt etwa 58 Prozent der Stimmen. Der 49-Jährige will die Medien stärker regulieren.
Correa erklärte sich umgehend zum Gewinner der Wahl. “Niemand kann diese Revolution stoppen”, rief er seinen jubelnden Anhängern von einem Balkon des Präsidentenpalasts in Quito aus zu. “Die Kolonialmächte geben nicht mehr den Ton an. Ihr könnt euch sicher sein, dass die Ecuadorianer diese Revolution kontrollieren.”
Correa konnte bei der ärmeren Bevölkerung mit Sozialprogrammen punkten. Er beschnitt dagegen die Macht großer Konzerne und Medienunternehmen. Er dürfte, wie seit seinem Machtantritt im Jahr 2007, die Sozialausgaben in dem südamerikanischen Land weiter erhöhen.
Quelle: SZ
Anmerkung JK: Man hat richtig gelesen, es gibt noch Regierungen, die die Sozialausgaben erhöhen wollen.
- Die neue Mitte im südlichen Norden
Im Süden jenes Nordlandes, das von den Südländern Europas ausgesaugt wird wie kein zweites, formieren sich innerdeutsche Südländer, die gegen die Verschwendungssucht und die Bummelei des deutschen Nordens aufbegehren. Was europäisch der Süden, ist innerdeutsch der Norden. Und so wettert als aufgeblasenes Paradebeispiel ein gewisser Südländer namens Söder europäisch gegen die Südländer, synchron er im Inneren die Nordländer als anreizlose Zone tituliert.
Dieser Süden, der innen nach Norden und außen nach Süden tritt, definiert sich letztlich als ein Zentrum der Geldverteilung, als Mitte zwischen faulem Süden und sich aushalten lassenden Norden. Dies ist auch so eine neue Mitte, die sich auftut. Die Mitte der Entsolidarisierung mit allen, die einer Gemeinschaft “nicht für sich selbst sorgen” wollen.
Quelle: ad sinistram
- Das Prinzip der Willkür
ARD und ZDF werden mit dem Rundfunkbeitrag finanziert, der von allen Haushalten verlangt wird. Trotzdem haben die Sendungen im Netz ein Haltbarkeitsdatum. […]
2008 hat die Medienpolitik deshalb entschieden: ARD und ZDF müssen ihre Sendungen aus Funk und Fernsehen in „Verweildauerkonzepten“ in Kategorien einteilen, denen nur eine begrenzte Haltbarkeit im Digitalen zugesprochen wird. Unterhaltung unterliegt etwa fast flächendeckend der „7-Tage-Regel“. Wie lange das Publikum wiederum News, Dokus, Talks und Magazine nachschauen darf, ist höchst unterschiedlich – zwischen drei Monaten und mehreren Jahren ist hier alles möglich, je nach Sendung und Sender.
Einige Sendungen bekommen beispielsweise einen Bonus, wenn sie irgendwie regional verhaftet sind. Dann wieder widersprechen sich die Kataloge der einzelnen Sender. So geht beim NDR das Wissenschaftsmagazin „Logo“ nach nur einem halben Jahr offline, während bei 3sat Wissenschaftliches fünf Jahre lang im Digitalen verweilen darf. Bei den Verweildauerkonzepten greift bisweilen eben das Prinzip „Willkür“ um sich.
Quelle: taz
- Journalisten und Eliten: Wieviel Distanz muss sein, wieviel Nähe ist nötig?
Journalisten: kritische, unbestechliche Kontrolleure der Mächtigen? Einer neuen Studie zufolge trifft das nicht zu. Spitzenjournalisten sind demnach zu eng mit denen verbandelt, die sie beobachten sollen. Wir sprechen mit dem Autor der Studie.
Quelle 1: detektor.fm (Einleitungstext)
Quelle 2: detektor.fm (Interview) [Audio – mp3]
- Lesetipp: Die neue Umverteilung: Soziale Ungleichheit in Deutschland
Schwindelerregende Managergehälter am einen Ende der sozialen Stufenleiter – wachsende Kinderarmut und Hartz-IV-Tristesse am anderen. Die Schere öffnet sich, soviel ist klar. Hans-Ulrich Wehler, einer der renommiertesten deutschen Sozialhistoriker, wollte es etwas genauer wissen:
Wer kommt hierzulande nach oben, wer bleibt in der Regel stecken? Wie viel Vermögen haben wie viele? Wer wird gut versorgt, wenn er krank wird, wer ist schlecht dran? Wer heiratet wen? Wer wohnt wie? Verschärft sich die soziale Ungleichheit im Alter? Wie steht es um die Bildungschancen und die Rolle von Geschlecht, Herkunft, Religion, um das Verhältnis von West und Ost? Die Diagnose ist ernüchternd
Wehler, Hans-Ulrich
Die neue Umverteilung
Soziale Ungleichheit in Deutschland
2013. 192 S.
C.H.BECK ISBN 978-3-406-64386-6
Anmerkung JK: Einer der renommierteste Historiker Deutschlands moniert in diesem Buch die dramatisch soziale Polarisierung in der Bundesrepublik. Der Bundesregierung wird es egal sein.
Anmerkung AM: Ich empfehle aus langer Erfahrung Bücher dieses rechtskonservativen Sozialdemokraten nicht, auch nicht, wenn er plötzlich die Einkommensverteilung als Problem entdeckt. Übrigens soll sie sich seit Ende der 90er-Jahre verändert haben. Tatsächlich ist das schon viel länger her.
- zu guter Letzt: Lego startet neue Serie “Gescheiterte deutsche Großprojekte”
Der Spielzeughersteller Lego beweist wieder einmal, dass er auf der Höhe der Zeit ist. Heute stellte das dänische Unternehmen eine speziell auf den deutschen Markt zugeschnittene neue Serie vor. Unter dem Titel “Gescheiterte deutsche Großprojekte” können bald auch Kinder vergeblich versuchen, den Berliner Großflughafen BER, den unterirdischen Bahnhof Stuttgart21 sowie die Hamburger Elbphilharmonie zu bauen. […]
Zusätzlich zu den drei Grundboxen will Lego vierteljährlich Erweiterungsboxen (je 29,99 Euro) herausbringen, die Eltern ihrem Nachwuchs schon allein deswegen kaufen werden, damit die Anfangsinvestition nicht umsonst war. Doch obwohl die Erweiterungssets vielversprechend aussehen, lassen sie das Chaos durch zahlreiche Bauplanänderungen und weitere unpassende Teile nur noch größer werden.
Quelle: Der Postillon