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Titel: Zur „nachhaltigen Finanzpolitik“ Oswald Metzgers von Karl Mai

Datum: 21. Januar 2005 um 14:46 Uhr
Rubrik: Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Finanzpolitik, Steuern und Abgaben, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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Einige Widersprüche und Lücken neoliberaler Defizitdogmatik

Zum Jahresbeginn 2005 bietet Herr Oswald Metzger (als „Distinguished Fellow“) im DIW-Wochenbericht Nr. 1-2/2005, S. 33 ff. seine Sichtweise auf die „Nachhaltigkeit“ in der Finanzpolitik an. Dies gibt eine weitere Gelegenheit, sich kritisch mit seinen vorgetragenen Argumenten auseinanderzusetzen. Im Folgenden hierzu einige Aspekte und Hinweise aus anti-neoliberaler Sicht speziell zu diesem o. g. Artikel.

Anfangs ist zu beachten, dass Metzger keine direkte Definition von „Nachhaltigkeit“ in der Finanzpolitik gibt. Eine Rekapitulation der diesbezüglichen definitorischen Ansätze des SVR unterbleibt (Siehe Punkt 5). Nach der üblichen Feststellung steigender Verschuldung wird lediglich bemerkt: „Neue Schulden dienen vornehmlich dazu, die Zinsen für alte Kredite zu bezahlen.“ Dies ist zwar eine Umschreibung der „Zinsfalle“, trifft aber nicht den Kern der Zweckbestimmung solcher Kredite. Im Unterschied zum geltenden Haushaltsrecht, wonach Neuverschuldung lediglich in Höhe der jährlichen öffentlichen Investitionen zulässig ist – wäre eine Bestimmung „Zinsen für alte Kredite zu zahlen“, eine völlig anders motivierte Zweckbindung. Es ist also nicht etwas so, dass wegen der Zinszahlungen immer noch zusätzliche Kredite aufgenommen werden dürften, und zwar entgegen dem Haushaltsrecht.

Dies ist wichtig festzustellen, denn die auch im Kern von Metzger verfochtene Politik des „Null-Defizits“ schließt die durch Schulden finanzierten öffentlichen Investitionen direkt logisch aus, was zwangsläufig deren Finanzierung durch Steuereinnahmen einfordert. Leider lassen die negativen Wirkungen der bisherigen Steuersenkungen keine ausreichende Finanzierung der öffentlichen Infrastruktur mehr zu – ein Dilemma, das Oswald Metzger unter dem Paradigma von beschworener „Nachhaltigkeit“ begräbt.

Fallen kreditfinanzierte Infrastrukturinvestitionen weg, dann können also nach geltendem Haushaltsrecht auch keine neuen Schulden für weitere hohe Zinszahlungen aufgenommen werden, die noch fortgesetzt für den Gesamtschuldenstand gezahlt werden müssten. Diesen besonderen Aspekt der „Zinsfalle“ übergeht Oswald Metzger geflissentlich. Am Ende stehen doppelte Regelbelastungen aus Steuerzahlungen an: für Infrastruktur und für Zinsen. Sie verwandeln sich in eine dreifache Belastung, sobald mit einer echten Tilgung der gesamten Schuldsumme begonnen wird.

Tritt dieser Fall echter dreifacher Belastung ein, dann würden jährlich durch den Staatssektor nicht nur keine neuen Kredite aus den riesigen Geldersparnissen der privaten Haushalte zinspflichtig gebunden, sondern aus dem Staatssektor mit Steuern getilgte Milliardenbeträge der bisherigen Kreditgläubiger neu in den globalen Finanzmarkt hineingepumpt.

1. Zur Einnahmeseite des Haushalts

Zur Einnahmeseite hat Oswald Metzger nicht viel zu erklären, denn er gibt keine ausführliche Analyse der chronischen überdurchschnittlichen Einnahmeschwächen der öffentlichen Haushalte Deutschlands im Kontext zu den Stichworten “hohe Steuersenkungen“, „hohe Arbeitslosigkeit“ und „abgabenschwache Niedrigstlohnbereiche“. Die hierdurch bedingten Mindereinnahmen werden nicht quantifiziert abgeschätzt und in ihren bisherigen Auswirkungen ebenso wenig bewertet. Metzger trennt die Haushalte der Ebenen der Gebietskörperschaften nicht von derjenigen der staatlichen Sozialversicherung analytisch ab. Dies verhindert eine begründete Sicht auf die steuerliche Finanzierung von Sozialleistungen durch den Bund.
Damit verwischt Metzger die unterschiedlichen Folgen der Einnahmenpolitik im föderalen System und in den Kassen des Sozialsystems.
Das verbaut ihm außerdem die kritische Sicht auf einen übernationalen Vergleich bei den staatlichen Quoten von Steuern, Sozialabgaben und sämtlichen Sozialleistungen – dem er sich generell entzieht.

Die „halbherzigen“ Steuerreformen werden offenbar in dem Sinne moniert, dass dadurch höhere Einnahmen stärker als erforderlich behindert worden sind – hier unterstellt Metzger höhere Einnahmen durch noch niedrigere Steuern. Darin gipfelt sein steuerliches Credo, für das er keine überzeugenden empirischen Beweise erbringen könnte. Er spricht generell von „ausgehöhlten“ Bemessungsgrundlagen für direkte Steuern, ohne hierfür hinreichende Angaben oder krasse Beispiele zu erbringen, die den Unternehmenssektor bloßstellen könnten. Öffentlicher Widerstand gegen einen weitreichenden Wegfall von umfangreichen Steuervergünstigungen insbesondere für Unternehmen – ohne Berücksichtigung von damit bewirkten Lenkungseffekten – muss letztlich tolerabel erscheinen, solange man die sozialen und Vermögensdifferenzierungen als deren Folge ablehnt.

Metzger spricht von „hohen tariflichen Belastungen der Einkommen und Gewinne“ und fordert, „die Einkommen gleichmäßiger zu belasten.“ Hier fehlt aber jeglicher übernationaler Vergleich der Steuerbelastungen. Für Deutschland von zu hohen effektiven Gewinnsteuern zu sprechen, wäre angesichts der statistischen Datenlage im internationalen Vergleich unhaltbar. [1] Tarifliche Gewinnsteuersätze bilden bekanntlich nur einen „Rahmen“, der bei zahlreichen Steuervergünstigungen gleichsam vorgetäuscht wird. [2]

Als Gegenfinanzierung für weitere Senkungen der direkten Abgaben plädiert Metzger für eine Heraufsetzung der Mehrwertsteuer. Hierzu fehlen aber geschätzte Angaben zum erreichbaren zusätzlichen Einnahmenpotenzial für den Fiskus. Auch über differenzierte soziale Wirkungen wird nichts ausgesagt. Unklar bleibt ferner, ob damit der Wettlauf der EU-Staaten um die niedrigsten direkten Steuern absehbar gestoppt werden könnte.

Nebulös erscheint daher die Formulierung von der „angemessenen Steuerfinanzierung des Staates“, die nirgendwo aus seinen Pflichten und Aufgaben abgeleitet wird. Insbesondere fehlt hier die Brücke zur „angemessenen“ Finanzierung von Erhaltung und Erweiterung der Infrastruktur, die eine erstrangige staatliche Aufgabe darstellt und nach einem Erreichen des „Null-Defizits“ besonders kritisch wird.

Man gewinnt daher den Eindruck, dass die magere oder sekundäre Behandlung bzw. die Vernachlässigung der Einnahmeseite der öffentlichen Haushalte allein deswegen von Oswald Metzger betrieben wird, weil dies ansonsten den essentiellen Widerspruch in der neoliberalen Sichtweise auf die derzeitige Haushaltsfinanzierung erhellen würde: den Widerspruch zwischen Steuersenkungsmanie und selbst verschuldeten fehlenden Steuereinnahmen. Demgemäß übt Metzger auch keinerlei Kritik an der Intention der bisherigen gescheiterten Steuersenkungspolitik von Hans Eichel.

Typisch für die neoliberale „Spar-Haushalt“-Demagogie ist das Ausklammern der Potenziale für die Wachstumsraten des BIP, der Beschäftigung und der resultierenden Staatseinnahmen von Steuern und Sozialabgaben – als Leitlinie für die Einnahmeseite des öffentlichen Haushalts. Demographischer Strukturwandel und hohe Arbeitslosigkeit werden in isolierender und einseitiger Betrachtung allein als Ursache für steigende Defizite verortet. Lohneinkommen und Sozialleistungen werden bevorzugt dem Zwang zur primären Defizitbeseitigung der öffentlichen Haushalte unterworfen.

Die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivitätsraten und ihre Verknüpfung mit den Steigerungen der nominellen und realen Arbeitseinkommen ist für Metzger kein Thema, so dass auch die künftigen Belastungen durch variable Sozialbeitragssätze nicht prognostisch bewertet werden könnten. Änderungen des Kreises der staatlichen SV-Pflichtversicherten und der SV-Beitragsbemessungsgrenzen werden nicht konkret diskutiert.

Selbstverständlich bedeuten meine vorstehenden kritischen Bemerkungen nicht, dass Metzger alle Aspekte der Einnahmeseite der Haushalte im DIW-Beitrag ausführlich erörtern sollte, jedoch selbst ein konzeptioneller Überblick über die wesentlichen Einflussfaktoren fehlt. Insgesamt entfernt sich Metzger damit weit von jeder komplexen, realistisch determinierten Sichtweise auf die Einnahmeseite in der Finanzstrategie.

2. Zur Ausgabeseite der öffentlichen Haushalte

Wenn man von den Potenzialen der Einnahmeseite absieht, müssen die anwachsenden Ausgaben der öffentlichen Haushalte ohne zusätzliche „Kostendämpfung“ bedrohlich erscheinen – jedenfalls lässt sich dies leicht suggerieren. Metzger bezieht sich lediglich auf die Ausgabenentwicklung des Bundeshaushalts, der bekanntlich nur einen Teil der öffentlichen Ausgaben (ca. 40 %) umfasst. Eine wirksame Konsolidierungspolitik betrifft aber den Gesamthaushalt, d.h. die unterschiedliche Situation der Länder- und Gemeindehaushalte darf man nicht überspielen – eine unzulässige Einschränkung unter dem Aspekt von „nachhaltiger“ Finanzpolitik. Damit umgeht er elegant die negativen Folgen der bisherigen Steuersenkungen für die Haushalte von Bund und unteren Gebietskörperschaften.

Die Rückkopplung der Haushaltsausgaben, insbesondere der investiven Verwendungen, zu den potenziellen oder zukünftigen Einnahmen bleibt ebenfalls ausgeblendet. Durch die negativen Wirkungen von fiskalischen Ausgabenkürzungen wird die mögliche Wachstumsrate gedrückt. Dabei zählt es zu den ökonomischen Binsenwahrheiten, dass die Entwicklung der öffentlichen Infrastruktur das erste Opfer einer forcierten deutschen Haushaltskonsolidierung bildet, wie auch längst statistisch nachweisbar ist.

2.1. „Vergangenheitskosten“

Auf der Bundesebene zieht Metzger die „aus der Vergangenheit resultierenden Ansprüche“ in Form der „Alterssicherung und Zinsen“ in einen Posten zusammen, der für 2004 einen Umfang von 255,6 Mrd. Euro erreichen und 54,7 % aller Ausgaben umfassen soll. Hierzu fehlen genaue Angaben über die inhaltlichen Posten. Jedoch ist klar, dass die Quellen für die Finanzierung dieser Posten unterschiedlich sind: die Alterssicherung wird überwiegend aus dem Haushalt der GRV abgedeckt, der sich überwiegend (zu 74 %) aus Sozialbeiträgen und aus Steuerzuschüssen (zu 26 %) [3] finanziert, zuzüglich der steuerlich finanzierten staatlichen Pensionen, während die Zinsausgaben immer aus laufenden Steuereinnahmen (bzw. aus jährlicher Neuverschuldung) gezahlt werden müssen. Diese unterschiedliche Determination erlaubt keine willkürliche Globalbetrachtung im Sinne von „Vergangenheitsansprüchen“, zumal die Zinsausgaben für die Gläubiger in die Kategorie „Einkommen aus Geldvermögen“ fallen und dem Gesetz der Zinseszinsen unterliegen.

Metzger deklariert nun abschreckend die Lasten der Alterssicherung als „nichts anderes als die massenhafte Verteilung ungedeckter Blankoschecks“, insofern der demographische Wandel den Anteil der Erwerbstätigen-Kohorten reduziert. Ganz offensichtlich übergeht er damit die Tatsache, dass die Kohorten von Jugendlichen ebenfalls relativ abnehmen werden, so dass sich hierdurch die künftigen Belastungen der Erwerbstätigen-Kohorten abmindern. Richtiger wäre also eine zeitliche Perspektivanalyse der Gesamtbelastung der Erwerbstätigen-Kohorten – wobei die realistische Variante eine Prognose der Einkommensentwicklung infolge der Produktivitätsentwicklung und der künftigen Erwerbsbeteiligung einschließen müsste.

Metzger hebt auf die Finanzierung der Versicherungssysteme „aus der laufenden Wertschöpfung der aktiven Erwerbsgeneration“ korrekt ab, sieht aber völlig davon ab, welche Steigerungen der realen Netto-Einkommen künftig erfolgen, die den nach dem Jahr 2020 höheren graduellen Gesamtbelastungen Erwerbstätiger kompensatorisch entgegenstehen. Damit entzieht sich Metzger der in letzter Zeit hierzu mehrfach geäußerten Gegenargumentation. [4]

2.2. Zur „impliziten“ Verschuldung

Neben der offiziellen Staatsverschuldung (1.411 Mrd. Euro per 30.6.2004) beruft sich Metzger auf eine „implizite Verschuldung“ von 5.700 Mrd. Euro lt. Angaben des SVR und folgert, dass somit die „wahre Verschuldung Deutschlands“ mit „mehr als dem Dreifachen der Jahreswirtschaftsleistung“ zu Buche schlägt. Große moralische Entrüstung Oswald Metzgers:

„Wir versündigen uns an den nachkommenden Generationen, weil wir deren Handlungsspielräume bereits heute verspielen.“

Hier ist jedoch nicht der Ort, die Berechnung des SVR zu verifizieren. Gemeint ist letztlich der angeblich verengte „Handlungsspielraum“ aus künftig zu hohen Staatsausgaben für die Altengenerationen.

Damit trägt Metzger das Problem in eine fiskalisch irrationale Dimension, weil ja erstens diese „implizite Verschuldung“ nicht aus finanzmarktfähigen Schuldtiteln besteht und insgesamt nicht irgendwie schlagartig getilgt werden müsste. Zweitens ist hierfür keine laufende Verzinsung erforderlich. Es handelt sich zunächst um künftige gesetzliche Versorgungsansprüche der noch lebenden Altenkohorten. Sie verteilen sich auf deren gesamte weitere Lebenszeit ratenweise. Sie müssen anteilig der immer aktuellen konsumierenden Versorgungsberechtigtenanzahl laufend aus dem jährlichen Volkseinkommen zur Auszahlung an die jeweiligen Rentnerkohorten gelangen, gedeckt durch Sozialabgaben (und private Altersversicherungen) sowie Steuereinnahmen.

Damit wird die jährlich wirksame Last aus der „impliziten“ Verschuldung übersehbar und handhabbar, denn sie verteilt sich immer auf eine solche Anzahl von Jahren, die einem Jahrgangsspektrum des maximalen Rentenbezugszeitraumes ausgabenseitig zuzuordnen ist. In diesem Zeitraum fließen laufend neue SV-Einnahmen von späteren Rentnerkohorten in die GRV-Kasse, so dass die hierfür letztlich faktische Steuerlast sich aus den Salden der Jahrgangsdaten für Einnahmen und Ausgaben ergibt. Dies ist normal für ein Umlageverfahren in der Rentenfinanzierung mit staatlicher Garantie des Saldenausgleichs. Für die staatlichen Pensionen ist ohnehin der Steuerzahler von vornherein allein belastet.

Völlig unbemerkt übergeht Metzger die Konsumtion aus diesen Versorgungsansprüchen als Faktor der effektiven und künftigen Kaufkraftbildung und damit der Endnachfrage auf dem Markt – Rentnerkaufkraft als Wirtschaftsfaktor für das produzierte Marktangebot. Wachsende Arbeitsproduktivität bei ständig wachsendem BIP-Potential dürfte die Versorgungsansprüche der jeweiligen Altenkohorten auch künftig volkswirtschaftlich sicherstellen können – selbst wenn man von den späteren Möglichkeiten absieht, die reale Altenkonsumtionsrate zu optimieren. (Immerhin pflegen die Altengenerationen zunehmend Geld- und Sachvermögen zu vererben.) Darüber hinaus gilt, dass eine rein private Alterssicherung über den Kapitalmarkt nicht nur stark risikobehaftet ist, sondern gleichfalls darauf hinaus läuft, die Konsumtionsansprüche der Alten aus dem jährlichen materiellen Volkseinkommen abzudecken. Hierin besteht letztlich kein qualitativer Unterschied zum bisherigen SV-Umlageverfahren.

2.3. Eine üble Desinformation

Die manipulierende Darstellung Metzgers wird besonders deutlich in seiner Abbildung 2, wo er die „Sozialausgaben im Verhältnis zu den Steuereinnahmen des Bundes“ zeigt. Es ist von „Sozialausgaben“ die Rede, ohne dass hierfür eine erkennbare inhaltliche Abgrenzung erfolgt oder auf die gültige Abgrenzung der Sozialleistungen gemäß Statistik abgehoben wird. So steigt angeblich der „Anteil der für Sozialausgaben verwendeten Steuereinnahmen“ von über 40 % im Jahr 1992 bis über 60 % im Jahr 2004 an, d.h. es wird definitiv ausgesagt, dass bereits über 60 % aller Steuern für Sozialausgaben verwendet werden. Der „Anteil der für die gesetzliche Rentenversicherung (GRV) verwendeten Steuereinnahmen“ wird für 2004 bei 24 % ausgewiesen. Diese Darstellung ist irritierend bzw. schlichtweg falsch: Es geht sachlich um denjenigen Teil der Sozialausgaben, der aus Steuermitteln gezahlt wird; nicht aber darum zu bestimmen, welchen Anteil die Sozialausgaben an den Steuereinnahmen haben.

Im „Sozialkompass Europa“ (Ausgabe 2003) wurde für Deutschland im Jahre 2000 der staatliche Anteil aus Steuern an der Finanzierung aller Sozialleistungen mit 32,5 % benannt, im Durchschnitt der EU-15 lag er dagegen bei 35,8 %. [5] Im „Statistischen Taschenbuch“ für 2004 sind Angaben für das Jahr 2002 für sämtliche Sozialausgaben in Höhe von 697,53 Mrd. Euro ausgewiesen, wobei die staatlichen Zuweisungen 266,96 Mrd. Euro oder 38,26% der Gesamtsumme betragen. [6] Die Fiktion, dass 60 % der Steuern in Deutschland für Sozialleistungen ausgegeben werden, ist eine Fehlinterpretation von Oswald Metzger, die desinformiert.

Im EU-Vergleich beträgt die Sozialleistungsquote am BIP für das Jahr 2000 in den EU-15-Ländern 27,3 %, in Deutschland 29,5 % und in Frankreich 29,7 %. Es kann also auch von extrem hohen Sozialleistungen (relativ zum BIP) in Deutschland keine Rede sein.

2.4. Metzgers „Verschuldungsverbot“

Metzger:

»Ich plädiere für ein Verschuldungsverbot in der Verfassung, das nur eine Ausnahme kennt: In der Rezession können konjunkturbedingte Einnahmeausfälle und Mehrausgaben für den Arbeitsmarkt mit Überziehungskrediten aufgefangen werden, die aber über den Konjunkturzyklus hinweg wieder ausgeglichen werden müssen.«

Überziehungskredite sind auch staatliche Verschuldung, die erst von Metzger angeprangert und nunmehr wieder begrenzt befürwortet wird – offenbar geht es auch bei einem Neoliberalen nicht ohne staatliche Neuverschuldung ab.

Allerdings bildet der Ausgleich „über den Konjunkturzyklus hinweg“ immer ein operatives Problem, weil sich zumeist keine deutlichen zusätzlichen außerplanmäßigen Haushaltseinnahmen ermitteln lassen, um tatsächlich zu tilgen. Ab wann muss diese Tilgung wirksam einsetzen, ohne eine anspringende Konjunktur zu drosseln? Hier ergeben sich Fragen, die dereinst schon Karl Schiller in Bedrängnis brachten.

Jeder Finanzwissenschaftler wird sich hiernach fragen: was ist eigentlich neu an Metzgers Vorschlag? Sicherlich übergeht er die Verschuldung für staatliche Konjunkturprogramme und beschränkt sich auf die Arbeitsmarktseite. Aber damit ist auch klar, dass keinerlei Impulse für die Konjunktur durch diesen Vorschlag ausgelöst werden könnten. Aus neoliberaler Sichtweise Metzgers sollen sie überhaupt nicht ausgelöst werden.

Jedoch übergeht er auch die Verschuldung für Vorhaben der öffentlichen Infrastruktur im außerkonjunkturellen Sinne, was erhebliche negative Wachstumsimpulse auslösen muss.
Hier befindet er sich in Gegensatz zu jenen Volkswirtschaftlern, die vom Grunde her die öffentliche Verschuldung für die Infrastruktur akzeptieren. Aus Metzgers Sicht ist es offenbar kein Problem, wenn die üppig anwachsenden Geldvermögen auf den globalen Kapitalmarkt strömen, statt in die staatliche Finanzierung von vernachlässigten Infrastrukturen zu fließen, für die zunehmende Steuereinnahmen als Finanzierungsquelle ausbleiben.

Das reale Problem besteht ferner darin, den Eintritt einer Rezession für die nationale Wirtschaft exakter zu bestimmen, also den Grad des Wirtschaftsrückschlags und den Umfang notwendiger Maßnahmen auf dem Arbeitsmarkt rechtzeitig abzuschätzen. Gelingt dies nicht, ist mit Verzögerungen in der Reaktion des Staates zu rechnen, der seine operativen Maßnahmen-Finanzierungen erst präzisieren und einleiten muss. Die weitere Reaktion des Arbeitsmarktes selbst ist ohnehin nicht von diesen Maßnahmen abhängig, weil sie den Gütermarkt nicht direkt berühren, sondern nur eine soziale Pufferfunktion ausüben.

Klappt es aber nicht mit dem vorstehenden „Verfassungsverbot“, dann „wäre die vom DIW Berlin propagierte Festschreibung eines Ausgabenpfades in einem mehrjährigen Haushaltsgesetz“ die Alternative. Jedoch auch eine solche Lösung setzt dafür hinreichende Einnahmen voraus, die den „Ausgabenpfad“ weit überdecken müssten, um das primäre Defizit zurückzuführen, die Neuverschuldung zu reduzieren und letztendlich echte Überschüsse zu erreichen. Die Abstraktion vom realistischen Wachstumspfad ist fatal.

Damit ist die Ambivalenz von weiteren Steuersenkungen, gleichzeitigem Schuldenabbau und einem moderaten „Ausgabenpfad“ wirklich „nachhaltig“ evident. Dies bedeutet eine unwahrscheinliche „Gratwanderung“ für jeden Exponenten solcher Fiskalpolitik über Jahre hinweg, wie auch das Missgeschick von Hans Eichel zeigt.

Metzger impliziert permanente Strukturreformen als Voraussetzung für „Nachhaltigkeit“ und führt auch eine Reihe von Detail-Vorschlägen dazu auf, die hier nicht diskutiert werden sollen. Sie betreffen das Sozialversicherungssystem. Die nahe liegende Implikationen ausreichend hoher realer Wachstumsraten und resultierende hohe Steuereinnahmen dagegen werden von ihm nicht akzentuiert, weil er als Neoliberaler auf Steuersenkungen schwört, obwohl diese Politik bereits zuletzt auch in Deutschland gescheitert ist.

3. Zu volkswirtschaftlichen und sozialen Aspekten

3.1. Eine fragwürdige „Tendenz“

Oswald Metzger ist Entdecker eines wirtschaftlichen Zusammenhangs besonderer Art. Er schreibt: Die „steigenden Ausgaben für Zinsen, Pensionen und Sozialleistungen“ wachsen „künftig mit stärkerer Tendenz als das nominale Bruttoinlandprodukt“. Dies habe dann auch die Konsequenz, dass „ein auf Konsolidierung angelegter Ausgabenpfad für alle öffentlichen Haushalte, der z. B. halb so hoch definiert wird wie das nominale Bruttoinlandprodukt, ohne Strukturreformen“ komplexer Art „überhaupt nicht erreicht“ werden könnte.

Hier ist zunächst die These von der Tendenz selbst höchst fragwürdig, denn die Sozialausgaben, Pensionen und Zinsen steigen aus jeweils sachlich voneinander unabhängigen Gründen und insgesamt nicht logisch zwingend verknüpft mit dem BIP-Wachstum. Sie steigen daher auch nicht logisch zwingend schneller als das BIP-Wachstum, wenn man nicht besondere Sachverhalte impliziert. Ein solcher besonderer Sachverhalt wäre das tendenzielle Null-Wachstum des BIP oder eine langjährige Stagnation.

Damit wird auch klar, dass aus Metzgers Sicht das künftige BIP-Wachstum für Deutschland keine günstige Prognose haben kann. Er gibt sich nicht einmal die Mühe zu zeigen, dass das finanzwissenschaftliche Kriterium der „Tragfähigkeit“ der Haushaltslage bereits hinreichend in der Lehrbuch-Literatur beschrieben wurde und u. a. die reale Wachstumsrate als eine von mehreren entscheidenden Variablen zeigt. Es ist „die Gefahr einer instabilen Entwicklung um so wahrscheinlicher, je schwächer das reale BIP wächst“, vermerkt z. B. Prof. Cezanne. [7] Dazu trägt auch ein stetiges Absinken der öffentlichen Investitionen wesentlich bei. Auf aktuelle ausführliche Darstellungen zur Tragfähigkeit der staatlichen Verschuldung muss verwiesen werden. [8] Verkürzt sei hier lediglich erwähnt, dass diese Tragfähigkeit proportional der realen BIP-Wachstumsrate und der Verringerung der Primärdefizitrate sowie umgekehrt proportional der Höhe der Realzinsrate tendiert. Bei einer stabilen oder sinkenden Schuldenstandsquote am BIP wird die Tragfähigkeit bereits als erreicht betrachtet. Prof. Brümmerhoff folgert: „Das Problem ist demnach nicht die bestehende Verschuldung, sondern ein wachsender Anteil der Verschuldung am Bruttoinlandprodukt“. [9] Die Frage des problematischen Verhältnisses von üblicher „Tragfähigkeit“ zur begrifflichen „Nachhaltigkeit“ der Haushaltsfinanzierung wird jedoch bei Metzger ausgeklammert (siehe: Punkt 5).

Worauf es Metzger letztlich allein ankommt, ist: die neoliberale Zwangsvorstellung von den permanenten Strukturreformen fest in der Öffentlichkeit zu positionieren.

3.2. Zu den Arbeitskosten

Metzger spricht von „der arbeitsplatzvernichtenden Wirkung der hohen deutschen Arbeitskosten“ und erklärt, dass die „fatale Folge der hohen Arbeitskosten“ „eine signifikante Unterbeschäftigung im Bereich der Geringqualifizierten“ sei. Natürlich weiß jeder deutsche Volkswirtschaftler, dass die arbeitsplatzvernichtende Wirkung der Produktivitätsfortschritte und der Rationalisierungsinvestitionen auf einem globalen Wettbewerbsmarkt durch das Kriterium der Tendenz der relativen Höhe der konkurrierenden Profitraten, speziell auch der Lohnstückkostenentwicklung, ausgelöst wird, die ja bekanntlich die gesamten Arbeitskosten einschließen. Den im multifaktoriellen Sinne mitbeteiligten Arbeitskosten kommt hier nicht die logische Hauptrolle zu.

Außerdem ist völlig uneinsichtig, wieso gerade die Gruppe mit den niedrigsten Arbeitskosten – eben die Geringqualifizierten – auf dem Arbeitsmarkt gezielt marginalisiert werden sollten, wenn doch angeblich die deutschen Arbeitskosten generell „zu hoch“ sind. Die besonders hohen Arbeitskosten sind in der Gruppe der Hochqualifizierten zu suchen. In einem arbeitsteiligen Wertschöpfungsprozess kann man die Kooperation von Hoch- und Niedrigqualifizierten überhaupt nicht analytisch streng auf die Produktivität im Unternehmen aufgliedern. Es ist immer eine unternehmerische Entscheidung, ob Lohnkosten bei geringer oder bei den hoch qualifizierten Lohnempfängern „eingespart“ werden sollen. Entscheidend sind am Ende die Gesamtlohnkosten an der Wertschöpfung.

Im internationalen Vergleich zeigt sich kein signifikanter Zusammenhang von Höhe der Arbeitskosten und Umfang oder Dauer der Arbeitslosigkeit von Geringqualifizierten, den Metzger ausdrücklich unterstellt.

3.3. Zur Lohnspreizung

Nach Metzger wird die „Unterbeschäftigung im Bereich der Geringqualifizierten“ „begünstigt durch eine zu geringe Lohnspreizung in den Tarifverträgen und flankiert von zu hohen Sozialtransfers des Staates für Arbeitsfähige.“ Das läuft auf das Argument hinaus, je niedriger der Tariflohn für Geringqualifizierte, umso mehr Jobs sind im Angebot, und je niedriger die Sozialtransfers, umso höher ist die Nachfrage nach Billiglohnjobs. Hartz-IV lässt grüssen!

In Wirklichkeit ist das Angebot von Jobs für Geringqualifizierte nicht unabhängig von einer konkreten Funktion im unternehmerischen Wertschöpfungsprozess, bei Absicherung der technischen Ausrüstung für solche Arbeitsplätze oder der Möglichkeit ihrer effektiven Auslastung. Auch in diesem Punkte erweist sich Metzger als ein zu grob Vereinfachender.

4. Fazit: Metzgers Argumentationslinie

Die Nachzeichnung der Argumente Oswald Metzgers zeigt die Widersprüchlichkeit seiner Sicht auf die „Nachhaltigkeit der Finanzpolitik“, die er argumentativ begründen will. Typisch für seine hier erwiesene einseitige Sicht auf der Ausgabenseite ist die weitgehende Ausblendung einer differenzierteren Sicht auf der Einnahmeseite der öffentlichen Haushalte. Hier umgeht er u. a. die kritische Frage nach den Steuervergünstigungen und hohen Steuerentlastungen für die Gewinn- und Vermögenseinkommen sowie Unternehmen. Die „Nachhaltigkeit“ einer Konsolidierung der Haushalte wird ohne Bezug auf die Prognose des BIP-Wachstums vorwiegend aus der Ausgabenseite abgeleitet oder auf sie verschoben. Es fehlt eine Diskussion oder Rekapitulation der finanzwissenschaftlichen Kriterien für die Tragfähigkeit der öffentlichen Haushaltsverschuldung u. a. auch aus der aktuellen Lehrbuch-Literatur – kein „Ruhmesblatt“ für ein als „Distinguished Fellow“ angezeigten Autor der neoliberalen Extra-Klasse.

5. Nochmals zum Nachhaltigkeitsbegriff

Die wenig präzise Fassung von „Nachhaltigkeit“ bei Metzger zwingt dazu, auf die Aussagen des SVR zurückzukommen, um hierzu einige Feinheiten zu erkennen. Der SVR formulierte im „Jahresgutachten 2003/2004“ wie folgt:

»Auf europäischer Ebene ist die Nachhaltigkeit oder Tragfähigkeit der Finanzpolitik zur wichtigsten Leitlinie der Haushaltspolitik geworden. So verpflichtet Artikel 121 Absatz 1 EG-Vertrag die Mitgliedstaaten, „eine auf Dauer tragbare Finanzlage der öffentlichen Hand“ sicherzustellen. Die Beurteilung nachhaltiger öffentlicher Finanzen erfolgt dabei an Hand der Höhe der gesamtstaatlichen Finanzierungssalden oder Schuldenstände. Durch die Vermeidung übermäßiger Defizite im Sinne des Artikel 104 Absatz 1 EG-Vertrag mit den Referenzwerten von 3 vH als Obergrenze für die Defizitquote und 60 vH für die Schuldenstandsquote sowie durch die in der Entschließung des Europäischen Rates zum Stabilitäts- und Wachstumspakt enthaltene Vorgabe eines mittelfristigen Haushaltsausgleichs soll eine nachhaltige Finanzpolitik gesichert werden.«

Hiernach wird zunächst erkennbar, dass „Tragfähigkeit“ und „Nachhaltigkeit“ synonyme Ausdrücke sind, die nach EU-Recht inhaltlich gleichbedeutend rangieren. Die Tragfähigkeit signalisiert demnach einen jährlich gegebenen Zustand in der Einhaltung der vorstehend benannten Konvergenzkriterien. Mit einer solchen Interpretation will der SVR sich jedoch nicht abfinden, weil hierin immer nur die „explizite“ Staatsverschuldung berücksichtigt wird. Die Bedingungen für die künftigen Jahre mit ihren steuerlichen Gesamtbelastungen für den Staat sind hier nicht einbezogen. Diese in die Zukunft gerichteten, zu erwartenden steuerlichen Belastungen aus gegenwärtigen Haushaltsverpflichtungen (insbesondere der staatlichen Renten- und Pensionsverpflichtungen) sollen als „implizite“ Schulden verortet werden – ein durch die EU-Kriterien für die Verschuldung nicht mehr abgedecktes Verfahren. Der SVR verkündet hierzu seine Auffassung:

»Neben der expliziten staatlichen Verschuldung muss zusätzlich auch eine mögliche implizite Verschuldung berücksichtigt werden. Das Konzept der Tragfähigkeitslücke, das aus einer langfristigen Betrachtung der staatlichen Einnahme- und Ausgabenströme abgeleitet wird, beschreibt dann den notwendigen finanzpolitischen Handlungsbedarf zur Sicherstellung tragfähiger öffentlicher Haushalte. Unter Zugrundelegung plausibler Parameterwerte ergibt sich für Deutschland im Jahr 2002 eine erhebliche Tragfähigkeitslücke, die die Schuldenstandsquote um ein Mehrfaches übersteigt.«

Diese „in die Zukunft gerichteten Verpflichtungen des Staates“ insbesondere aus der Alterssicherung sind höchst unterschiedlich in den Staaten der EU vorhanden – hier fehlt jede Vereinheitlichung, die einen einheitlichen EU-Maßstab zur Begrenzung sinnvoll gestatten würde. Daher bedeutet diese inhaltliche Ausweitung des Begriffes „Nachhaltigkeit“ letztlich einen nationalen Alleingang des SVR bei der EU-weiten Konsolidierungsstrategie, der eine unwahrscheinlich harte und einseitige Verschärfung der „nachhaltigen“ Ausgabenpolitik einschließt. Unter diesen Vorzeichen des SVR sind daher rigorose Auswüchse einer staatlichen Konsolidierungspolitik vor allem im Sozialbereich gleichsam fachlich als „nachhaltig“ legitimiert.

Die riesige Summe einer „impliziten Verschuldung“, die der Staat zwar künftig ratenweise tragen muss, die aber einer materiellen Verwendung laufend ansteigender Volumina der jährlichen Volkseinkommen entspricht, wird so zum erdrückenden Popanz hochstilisiert. Dies ist fachlich motivierte Angstpropaganda – während die Expansion von privaten reinen Geldvermögen und Zinseszinseinkommen unvermindert fortgesetzt und forciert wird.

Daher ist eine Deutung der Tragfähigkeit oder Nachhaltigkeit, wie mit den EWU-Kriterien juristisch vorgegeben oder aber wie ökonomisch seitens der wirtschaftswissenschaftlichen Lehrmeinung längst exakt bestimmbar ist, die einzig sachgerechte und international vergleichbare Interpretation. Allerdings sollte hierbei aus alternativer Sicht das Primat einer ökonomisch relevanten Bestimmung der nationalen Tragfähigkeit von Haushaltsverschuldung gelten. Die juristischen Kriterien sollen den ökonomischen Anforderungen entsprechend flexibilisiert werden.
Die als Schreckgespenst herangezogene „implizite“ Verschuldung gehört nicht in diesen Kontext und muss künftig weiter über den laufend durch SV-Einnahmen erhöhten Sozialhaushalt und seine steuerlichen Zuschüsse gesondert geregelt werden.

6. Zur Überwindung des neoliberalen Haushaltsdilemmas

Das von der rot-grünen Steuerpolitik konsequent herbeigeführte Dilemma aus den bekannten ambivalenten, ja kontradiktorisch wirkenden Maßnahmen von gleichzeitigen hohen Steuersenkungen, harten Kürzungen der Ausgaben und straffen Reduzierungen der laufenden Neuverschuldung muss vor allem dann rasch überwunden werden, wenn das stagnierende Wirtschaftswachstum den Zustrom von Haushaltseinnahmen drosselt oder verhindert. Ohne eine signifikante Erhöhung der stagnierenden Wachstumsraten kann der Staat nicht die Kriterien der Tragfähigkeit der Verschuldung erreichen – das Ziel besteht in einem stetigen echten „Herauswachsen aus dem Schuldendilemma“. Dies wird bei angemessen hoher und stabiler Steuerquote am BIP letztlich abgesichert.

Solange die Politik die divergierenden Ziele der Haushaltspolitik nicht aufgibt, wird es keine Überwindung des vorstehenden Dilemmas geben – das verhindern die Rückkopplungseffekte der ausgabenseitigen „Konsolidierungspolitik“ auf das Wachstum. Die Lösung besteht in der sofortigen Aussetzung weiterer „globaler“ Konsolidierungen auf der Haushaltsausgabenseite, der befristeten Lockerung der Neuverschuldung für investive Zwecke im Infrastrukturbereich, der Absicherung höherer und hinreichender Haushaltseinnahmen durch Steuern und Abgaben, Befürwortung einer produktivitätsorientierten Lohnpolitik der Tarifpartner sowie einer ergänzenden, wachstumsförderlichen Geld- und Zinspolitik durch die EZB. Diese makroökonomische Koordination ist längst überfällig und wird von kritischen Makroökonomen eingefordert.

Bei sprunghaft steigenden Unternehmensgewinnen trotz „Stagnationsphase“, wieder höheren Gewinnrücklagen und hohem Cash-Flow, wachsendem Exportüberschuss, ständig steigenden privaten Geldvermögen und hohem Geldkapitalexport ist der Ruf nach einer noch härteren Konsolidierung auf der Ausgabenseite der (Sozial-)Haushalte nichts anderes als unverhüllter „Klassenkampf von oben“ gegen die Masse der Einkommensschwachen und generell Sozialtranferabhängigen.


[«1] Vgl. hierzu Prof. Jarass, „Kapitalbesteuerung in Deutschland und in Europa“, Gutachten vom 3.11.2004

[«2] Vgl. hierzu: IfW Kiel, Arbeitspapier Nr. 1220 „Steuervergünstigungen in Deutschland“, August 2004

[«3] VDR, Rentenversicherung in Zahlen 2004, S. 12

[«4] Siehe hierzu u. a.: Prof. Dr. Christoph Butterwegge, „Zwischen der sozialen Wirklichkeit und ihrer öffentlichen Wahrnehmung liegen Welten“, Bemerkungen zum demografischen Wandel bzw. zur Notwendigkeit seiner Entdramatisierung anlässlich einer Anhörung im Hessischen Landtag am 10.11.2004. Dort ist die kritische Literatur umfangreicher nachgewiesen.

[«5] BMGS, „Sozialkompass Europa“, Ausgabe 2003, S. 13

[«6] BMSG, „Statistisches Taschenbuch 2004“, Tab. 7.3

[«7] Cezanne, „Allgemeine Volkswirtschaftslehre“, 5. Auflage 2002, S. 461

[«8] Clement/Terlau/Kiy, „Grundlagen der angewandten Makroökonomie“, Vahlen 2004, 3. Auflage, S. 550 f.f.; Heine/Herr, „Volkswirtschaftslehre“, Oldenbourg 1999, S. 523-527; Brümmerhoff, „Finanzwissenschaft“, Oldenbourg 2001, 8. Auflage , S. 605 ff.

[«9] Brümmerhoff, a.a.O., S. 607


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