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Titel: Schavan: „Die angesehenste Bildungspolitikerin des Landes“ – Ein Meisterstück politischer Propaganda
Datum: 11. Februar 2013 um 9:15 Uhr
Rubrik: Bildungspolitik, einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte, Hochschulen und Wissenschaft, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Wenn es ums Selbstlob geht, ist Angela Merkel keine Übertreibung zu peinlich. Nachdem sie sich als Kanzlerin der „erfolgreichsten Regierung seit der Wiedervereinigung“ gepriesen hat, hat sie nun mit Annette Schavan rührselig als „die angesehenste Bildungspolitikerin des Landes“ aus dem Kabinett entlassen. Und ohne auch nur eine Sekunde über Schavans Bildungspolitik nachzusinnen, stimmen alle, von Gabriel, über Trittin bis zu Rösler, die CDU-Politiker sowieso in Merkels Lobeshymne ein. Die Medien überschlagen sich mit würdigenden Nachrufen.
Der unvermeidbare Rücktritt der Bildungsministerin wurde als politische Erfolgspropaganda inszeniert. Welche Erfolge hat Schavan der Bildung, der Wissenschaft oder der Forschung tatsächlich hinterlassen?
Wie kann Lob von den Grünen kommen, wo sich doch Schavan vehement für die Grüne Gentechnik eingesetzt hat [PDF – 458 KB]? Wie kann der Parteivorsitzende der SPD, Sigmar Gabriel, Schavan nachrufen, sie sei eine „ausgesprochen kluge Kollegin“, wo sie doch eine Befürworterin der Privatisierung der Bildungskosten ist?
Über die zurückgetretene Bildungsministerin redet fast der gesamte Blätterwald nur Gutes.
(Einige der wenigen Ausnahmen findet sich im Cicero)
Doch was sind die Erfolge von Frau Schavan?
Schavan sah in der Föderalismusreform, mit der ein Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern und die Allein-Kompetenz der Länder in Bildungsangelegenheiten in der Verfassung festgeschrieben und damit eine nationale Bildungsplanung komplett abgeschafft wurde, „neue Chancen für die Bildung“. Nachdem in der Bildungspolitik das vorhersehbare Chaos eingetreten ist, hat sie die Föderalismusreform als einen „Fehler“ bezeichnet. Ihre nachträglichen Vorstöße für eine Lockerung des Kooperationsverbots verliefen jedoch im Sande.
Nachdem Schavan als baden-württembergische Kultusministerin die Zuständigkeiten des Bundes in der Bildung maßgeblich mit ausgehebelt hatte, versuchte sie als Bundesministerin eine Umgehungsstrategie und wollte Bildung als eine „gesamtstaatliche Aufgabe“ über den Nebeneingang sogenannter „Bildungspartnerschaften“ zwischen Schulen und vor allem Unternehmen wieder zu etablieren. Das hat zwar in manchen Regionen zu einem größeren Einfluss einzelner Betriebe oder der Industrie- und Handelskammern auf die Schulen geführt, über bildungspolitische Erfolge hat man jedoch noch nichts gehört.
Schavan kämpfte bis zuletzt für das dreigliedrige Schulsystem und dabei vor allem für den Erhalt der Hauptschule. Erst als selbst die CDU in den Ländern, um überhaupt noch ein Schulangebot vor Ort aufrechterhalten zu können, für zweigliedrige Systeme eintrat, beugte sie sich den Sachzwängen.
Schavan stellte sich gegen die Wahlfreiheit zwischen Religions- und Ethikunterricht an den Berliner Schulen und unterstützte beim Volksbegehren die Bewegung „Pro Reli“. Die Berliner haben ihr eine Abfuhr erteilt, das Volksbegehren scheiterte.
Schavan war eine glühende Verfechterin des überstürzt und planlos durchgesetzten „Turbo-Abiturs“ und hat die sog. G8-Reform noch als Kultusministerin in Baden-Württemberg als Erste durchgezogen und als einen „Gewinn an persönlicher Freiheit für die Schüler“ gefeiert. Bis in die jüngste Zeit kritisiert sie die Länder, die wieder eine Wahlmöglichkeit schaffen wollen, das Abitur auch nach 9 Jahren abzulegen.
In der beruflichen Bildung, wo das Bundesbildungsministerium bei der Regelung der Ausbildung in den Betrieben als einem der letztverbliebenen Bildungsbereiche zuständig geblieben ist, hat Schavan außer den jahrelangen Schönrednereien des „Ausbildungspaktes“ kaum etwas anzubieten gehabt. Im letzten Jahr hatten 60.000 Jugendliche keinen betrieblichen Ausbildungsplatz bekommen und landeten in der Warteschleife. In diesem Übergangsbereich haben sich inzwischen knapp 300.000 junge Leute angestaut. Jeder dritte Jugendliche im Übergangsbereich mündet auch noch nach zwei Jahren nicht in eine Berufsausbildung ein. Auf 2,2 Millionen Menschen im Alter von 20 bis 34 Jahren hat sich bis zum Jahr 2011 die Zahl derjenigen erhöht, die keinen Berufsabschluss haben, das sind rund 15 Prozent dieser Altersgruppe. Die Quote der Ausbildungsbetriebe lag 2011 mit 22,5 Prozent auf dem tiefsten Stand seit 1999. Außer in jedem Jahr aufs Neue den „Ausbildungspakt“ zu rühmen, ist aber der Schavan nicht viel eingefallen. Wie die Warteschleifen im Übergangsbereich abgebaut werden könnten und welche Maßnahmen erforderlich wären um diesen „Dschungel“ zu lichten, darüber hat sich die Bildungsministerin stets ausgeschwiegen.
Schavan stellte als Baden-Württembergische Kultusministerin das BAföG in Frage, sobald es einen „attraktiven Markt der Bildungsfinanzierung gebe“. Deshalb zögerte sie auch als Bildungsministerin eine Verbesserung bei den BAföG-Sätzen hinaus und sperrte sich ständig gegen eine Anhebung der BAföG-Fördersätze. Erst als die Proteste hochschlugen war sie 2010 zu einer leichten Verbesserung bereit. Doch seither ist nichts mehr geschehen.
Statt mit einem besseren BAföG Jugendlichen aus Familien mit niedrigem Einkommen mehr Chancen für ein Hochschulstudium zu eröffnen, kam sie mit einem großspurig so genannten „Deutschlandstipendium“ für besonders leistungsstarke Studierende in Höhe von 300 Euro (!) im Monat. Das vom Bund und von privaten Firmen hälftig zu finanzierende Stipendium erwies sich als Flop. Statt der angekündigten 160.000 Studierenden, die davon profitieren sollten, waren es 2012 gerade einmal 11.000.
Das von Schavan noch im Koalitionsvertrag von Schwarz-Gelb angekündigte „Zukunftskonto“ für Bildung, mit dem Eltern, Großeltern oder Paten mit Blick auf die Kinder eine Art „Riester“-Förderung erhalten sollten, wurde in aller Stille beerdigt.
Schavans Vorschlag „Bundesuniversitäten“ zu gründen, scheiterte völlig zu Recht kläglich.
Schavan war eine eiserne Verfechterin von Studiengebühren. Mit der Wahlniederlage der CDU in Niedersachsen und dem erfolgreichen Volksbegehren in Bayern gegen Studiengebühren, dürfte die finanzielle Barriere gegen eine Studierentscheidung in der gesamten Republik endgültig beseitigt werden. Die Bevölkerungsmehrheit hat Schavan auch hier eine Absage erteilt.
Die Bologna-Reform sei ein großes internationales Projekt, das für Studierende große Chancen biete, meinte sie und schloss lange Zeit jegliche Korrektur selbst der gröbsten Unsinnigkeiten aus. Erst nach einem massenhaften „Bildungsstreik“ sah auch Schavan endlich „Korrekturbedarf“.
Die „angesehenste Bildungspolitikerin des Landes“ wurde nicht müde, die Schuld für die Misere im Schul- und Hochschulbereich von der Politik weg- und auf das mangelnde Engagement der Eltern oder (wie etwa bei der Bologna-„Reform“) auf die Professoren abzuschieben.
Der „Hochschulpakt“, mit dem das mit der Föderalismusreform eingeführte Verbot der direkten finanziellen Förderung der Hochschulen durch den Bund umgangen werden sollte, war von Anfang an viel zu knapp bemessen. Obwohl mit 490.000 Studienanfänger/innen im Wintersemester 2012/13 die Vorausberechnungen der Politik nun schon seit mehreren Jahren deutlich überschritten wurden und die Studierendenzahl mit 2,5 Millionen ein neues Allzeithoch erreicht hat, hat Schavan bis zum Ende ihrer Amtszeit keine Anstalten gemacht, der immer größer werdende Überlast der Hochschulen gerecht zu werden. Mindestens 3 Milliarden Euro wären erforderlich, um die steigende Nachfrage nach Studienplätzen einigermaßen auszugleichen.
Vor allem auch auf Betreiben von Annette Schavan hat die Kanzlerin im Herbst 2008 einen groß angekündigten „Bildungsgipfel“ nach Dresden einberufen. Die Bilanz nach 5 Jahren ist mehr als enttäuschend. Das Ressort von Schavan ist zwar nicht verantwortlich, dass der Ausbau der Kita-Plätze um 143.000 Plätze hinter dem vereinbarten Ziel liegt oder dass die Schulabbrecherquote bei weitem noch nicht halbiert ist. Doch die Bundesbildungsministerin ist maßgeblich mitverantwortlich, dass die „Bildungsrepublik Deutschland“ (Merkel) gemessen an der Wirtschaftskraft mit einem Anteil der Bildungsausgaben von 5,3 Prozent gemessen an seiner Wirtschaftskraft nach wie vor deutlich unterhalb des OECD-Durchschnitts von 6,3 Prozent und damit noch unter dem Stand von 1995 liegt. Um mit den Spitzenreitern in der OECD gleichzuziehen (Dänemark: 8,3 %; Norwegen und Schweden: 7,0 %) wären bis zu 90 Mrd. Euro mehr erforderlich – jährlich!
In kaum einem Bereich wird so viel gelogen, wie in der Bildungspolitik, sagt der Wiener Philosoph Konrade Paul Liessmann zu recht.
Bildungspolitisches Pathos ist das wichtigste Kennzeichen der Amtszeit von Annette Schavan als Ministerin, doch ihr Pathos war genauso hohl wie die Lobhudelei der Kanzlerin bei ihrem Ausscheiden aus dem Amt. Genauso mager wie die Bilanz der Bildungsministerin sieht auch die Bilanz der von Angela Merkel ausgerufenen „Bildungsrepublik Deutschland“ aus.
Um diese äußerst magere Bilanz zu verdecken, hat Merkel eine tränenselige Verabschiedung Schavans inszeniert, die offenbar ganz Deutschland zu Tränen rühren sollte. Nicht um nachzukarten, sondern um diese Inszenierung als Meisterstück der politischen Propaganda aufzudecken, sollten hier nur einige wenige Fakten über die Misserfolge und des Scheiterns der „angesehensten Bildungspolitikerin“ aufgezählt werden.
Merkel ist es mit dieser Inszenierung wieder einmal gelungen, ihr Scheitern sowohl mit ihren Ministern als auch mit ihrer Politik in einen (Schein-)Erfolg umzumünzen.
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