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Titel: Die Defizite von Eliten in der Privatwirtschaft
Datum: 15. August 2006 um 11:10 Uhr
Rubrik: Ökonomie, Markt und Staat, Wertedebatte
Verantwortlich: Albrecht Müller
Wir haben sehr aufmerksame Nutzer. Einer, Günter Baigger, schrieb in diesen Tagen eine Mail über die mangelnde Effizienz der Privatwirtschaft, über die Vorherrschaft betriebswirtschaftlichen Denkens und die Geringschätzung der Naturwissenschaften, etc. Ein Fazit:
Meine negativen Befürchtungen über die Zukunft betreffen deshalb nicht mehr nur den Staat, sondern auch und noch mehr die Wirtschaft und die Gesellschaft als Ganzes. Ich sehe keinen Grund, warum unser Kapitalismus nicht auf die gleiche Weise scheitern kann wie die kommunistische Sowjetunion. Wichtigtuerische und bornierte Funktionäre, welche hier Manager heißen, Misswirtschaft, Bürokratie, Korruption, gefälschte Statistiken, all das haben wir auch in unserer Privatwirtschaft. Das kann dereinst wirklich Konkurrenznachteile gegenüber asiatischen Ländern auslösen.
Und hier der gesamte Text:
Die Defizite von Eliten im ökonomischen Bereich
Albrecht Müller hat unlängst das Buch ‘Machtwahn’ herausgegeben. Mit seiner fundierten Kritik an den derzeit in der Bundesrepublik herrschenden Eliten finde ich die Ausführungen von Müller hochinteressant. In einem Punkt würde ich die Akzente allerdings etwas anders setzen:
Die Eliten sind nicht nur innerhalb des Staates politisch korrupt und mittelmäßig bis unfähig. Dies trifft auch für die Privatwirtschaft zu. Ich habe sogar den Eindruck, dass es dort schlimmer zugeht. Vielleicht sind die staatlichen Eliten gerade deshalb schlechter geworden, weil sie sich an den Eliten der Privatwirtschaft orientiert haben (was ja immer in den Medien gefordert wurde). Ich hatte Ihnen seinerzeit den Mailwechsel über die Fernsehsendung von Günther Ederer gesandt, in welcher ein Vertreter der Versicherungswirtschaft nicht einmal vor groben Unwahrheiten über die Anlagerendite von Rentenversicherungsverträgen bei privaten Versicherungsgesellschaften zurückgeschreckt ist. Meine Kollegen und ich haben oft gerätselt, wieso die private Versicherungswirtschaft sich in Deutschland überhaupt darum bemüht, das Geschäft des Alterssparens an sich zu reißen. Die Riester-Rente war ja ein Flop nicht nur politisch, sondern auch für die private Versicherungswirtschaft. Bei Sparprozessen, welche sich über mehr als 50 Jahre erstrecken, liegt kurzfristiger Ertrag gar nicht drin. Außerdem zeigt das Schweizer Beispiel, dass die Versicherungswirtschaft nicht in der Lage ist, die berufliche Vorsorge, wo private Versicherungsgesellschaften von dem 600 Milliarden-Kuchen der Altersvorsorge rund 100 Milliarden übernommen haben, korrekt zu verwalten. Vielleicht propagieren Manager nur deshalb das private Alterssparen, weil sie so weit weg von der realen Arbeit sind, dass sie gar nicht mehr wissen, dass ihre Versicherungsgesellschaften dazu unfähig sind.
Andererseits gehört schon eine enorme Chuzpe dazu, den Leuten weiszumachen, die Versicherungsgesellschaften könnten die Altersvorsorge gut verwalten. Man bedenke nur, was verschiedene Schweizer Beispiele zeigen: Versicherungsgesellschaften haben unter Verletzung der Kongruenzanlageregeln Milliarden an der Börse verjubelt, und bereits versprochene Leistungen kürzen müssen.
Man mag einwenden, dass in der Versicherungsbranche spezielle Regeln herrschen, die Privatwirtschaft sei in anderen Branchen besser. Aber ist das eigentlich wahr? Das Trauerspiel um die einst florierende Mannesmann AG zeugt ja nicht gerade von Weitsicht der Manager in einem Nichtversicherungsbetrieb.
Oder nehmen wir die Einführung einer LKW-Maut in Deutschland. Man hat der Regierung Schröder immer Vorwürfe gemacht. Aber es waren doch Privatfirmen, welche ihre Verträge nicht einhalten konnten. Davon war aber nie die Rede. Die Vorwürfe gingen immer an die Regierung.
Weiteres Beispiel: Seit Dezember wickeln die Schweizer Bundesbahnen ihren Intercity-Verkehr zwischen Rothrist und Mattstetten auf einer Neubaustrecke ab.
Ursprünglich war geplant, dass die Züge dort ab Dezember 2004 mit Tempo 200 fahren sollten. Bis heute fahren sie mit Tempo 160, da die Softwarefirmen die für das elektronische Signalsystem erforderlichen Programme nicht liefern konnten. (Genauer, sie haben geliefert, aber es treten zu oft Fehler auf).
Und ebenfalls wegen Ungenügen bei der Software kann in Nürnberg eine neue U-Bahnlinie nicht in Betrieb genommen werden. Ein ehemaliger Ingenieur der Schweizer Firma BBC hat mir unlängst mitgeteilt, dass diese Firma früher von Ingenieuren geführt wurde. Damals florierte der Betrieb. Dann seien die Ökonomen gekommen, als erster der ehemalige Nationalbankpräsident Leutwiler. Dann kamen Barnevik und andere. Diese haben die Firma ruiniert. Heute ist die Firma trotz einer Fusion mit Asean nurmehr ein Schatten einstiger Grösse.
Diese Beispiele ließen sich weiter fortsetzen. Man mag nach den Ursachen fragen. Meine Hypothese ist folgende: Ökonomen werden falsch ausgebildet. Außerdem genießt die Ökonomie (genauer die Betriebswirtschaftslehre) in unserer Gesellschaft einen zu hohen Stellenwert. Fachliches Wissen in anderen Fächern wird demgegenüber gering geschätzt. Die Naturwissenschaften beispielsweise haben entgegen landläufigen Vorurteilen gar nicht mehr so viel Einfluss in unsere Gesellschaft. Die Naturwissenschaften werden ja zum großen Teil an den Universitäten betrieben, also an staatlichen Anstalten. Da der Forschungsbetrieb an den Universitäten nicht dem Klischee vom effizienten Markt und dem schwerfälligen Staat entspricht, werden die Erfolge in Naturwissenschaften und Technik in den Medien weitgehend ausgeblendet. Man vergleiche dazu den Umfang vom Wirtschaftsteil einer Zeitung und vom Wissenschaftsteil der gleichen Zeitung. Dies mag auch daran liegen, dass Forschungsresultate vor allem in Physik und Mathematik nur schwer vermittelbar sind. Fakt bleibt aber, dass wirtschaftliche Fragen lang und breit diskutiert werden, dass aber physikalische Zusammenhänge, welche für unser Zusammenleben viel wichtiger sind, total unbekannt sind. (Z.B. haben nur wenige Zeitungen fachlich kompetent ohne Emotionen über den Störfall im schwedischen Kernkraftwerk Forsmark berichtet).
Das erstaunt nicht: Die meisten Menschen haben überhaupt keine Vorstellung davon, was sich in unserer Forschung abspielt. Allenfalls Schlagworte wie “Singularität”, “Schwarzes Loch” oder “Fixpunkt” gelangen in die Öffentlichkeit, ohne dass auch nur eine Spur der dahinter stehenden Theorien mitgeteilt würde. Ökonomie wird demgegenüber permanent und in verführerisch leichter Form dargestellt. Jeder glaubt dann mitreden zu können.
Wirkliche fachliche Schwierigkeiten treten aber woanders auf. (Jeder Physiker oder Mathematiker kann sich in kürzester Zeit betriebswirtschaftliches Wissen aneignen, der umgekehrte findet selbst in beliebig langer Zeit fast nie statt).
Schwierigkeiten in Naturwissenschaften werden nicht beachtet und dann aufgrund der Nichtbeachtung als gering eingeschätzt. Diese Geringschätzung von fachlichen Leistungen findet heute tagtäglich in der Wirtschaft statt. Und, es geht weiter, fachliche Leistungen gelten in der Wirtschaft sogar dann nichts, wenn diese wichtig für ein Unternehmen wären. An der Spitze der Versicherungsgesellschaften stehen kaum Mathematiker sondern Betriebswirte, welche das notwendige Wissen aus zweiter Hand beziehen. “Geliehenes Wissen”, wie Albrecht Müller in seinem Buch ‘Machtwahn’ treffend schreibt.
Inzwischen sind wir so weit, dass Ökonomen der Wissenschaft vorschreiben, was sie tun soll. Forschung müsse sich rechnen, Forschung müsse vermehrt anwendungsorientiert sein. Dies führt dann zu einer Umkehrung des Leistungsprinzips. Ökonomen mit ihrer – jedenfalls heute – bescheidenen Ausbildung schreiben Naturwissenschaftlern mit ihrem viel größeren Wissen vor, was sie forschen müssen. Keiner stellt das in Frage, nicht einmal die Naturwissenschaftler selbst. Wie sollen die Naturwissenschaftler die unsinnigen Behauptungen über Renten in Frage stellen, wenn sie sich schon in ihrem eigenen Fachbereich von Ökonomen rumschubsen lassen.
Meine negativen Befürchtungen über die Zukunft betreffen deshalb nicht mehr nur den Staat, sondern auch und noch mehr die Wirtschaft und die Gesellschaft als Ganzes. Ich sehe keinen Grund, warum unser Kapitalismus nicht auf die gleiche Weise scheitern kann wie die kommunistische Sowjetunion. Wichtigtuerische und bornierte Funktionäre, welche hier Manager heißen, Misswirtschaft, Bürokratie, Korruption, gefälschte Statistiken, all das haben wir auch in unserer Privatwirtschaft. Das kann dereinst wirklich Konkurrenznachteile gegenüber asiatischen Ländern auslösen.
Wenn diese Überlegungen und Vermutungen zutreffen, erscheint es nicht mehr so überraschend, dass heutzutage kritische Überlegungen bezüglich unserer Wirtschaftspolitik keinen Widerhall finden. Die Ökonomie hat längst aufgehört eine Wissenschaft zu sein, sie ist zu einer pseudowissenschaftlich aufgemotzten Propaganda zu Gunsten herrschender Verhältnisse geworden. Das erscheint mir die tiefere Ursache auch für den geistigen Abbau bei staatlichen Eliten zu sein.
Mit freundlichen Grüssen
Günter Baigger
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