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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Interview mit Prof. James K. Galbraith – Teil 1
Datum: 7. Januar 2013 um 9:08 Uhr
Rubrik: Interviews, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich: Redaktion
“Es muss einen Wandel der Betrachtungsweise geben, und wenn dieser Wandel – das ist jetzt der wichtige Punkt – irgendeinen Einfluss auf die Situation Europas haben soll, dann muss er von Deutschland ausgehen. Davon sind die Deutschen weit entfernt, aber aus dieser Richtung muss der Wandel kommen. Denn der Rest Europas und die betroffenen Staaten können protestieren oder sogar Widerstand leisten, aber die Änderung des Diskussionsklimas und der Perspektive kann nicht von den schwachen Ländern ausgehen. Und unglücklicherweise gibt es auch keinen Hinweis darauf, dass sie aus Frankreich kommen wird.“ So hat es mir Prof. James K. Galbraith am 6. Dezember 2012 bei unserem Gespräch am Rande des Kurswechsel-Kongresses der IG-Metall in Berlin erklärt. Von Roger Strassburg
Und er hat recht: Ein Wandel in der Krisenpolitik kann nur stattfinden, wenn er von Deutschland ausgeht. Dass sich die Begeisterung der Deutschen für einen Wandel in Richtung mehr Solidarität mit den Krisenländer in Grenzen hält, ist nicht schwer nachzuvollziehen, denn sie sind mehrfach in den letzten Jahren zu Solidarität aufgefordert worden. Das verstehen die Deutschen als Aufforderung, sie für die vermeintlichen oder teilweise auch tatsächlichen „Sünden“ anderer Länder zahlen zu lassen. Dann sehen sie im Fernsehen oder lesen sie in der Zeitung, wie sie unter anderem auch noch als „Nazis“ beschimpft werden. Und Medien und Politik verstärken dieses Bild.
Was meint James Galbraith dazu?
„In Deutschland sind sich die Menschen meines Erachtens nicht wirklich im Klaren darüber, was an ihren südlichen Grenzen vor sich geht. Und was der deutschen Öffentlichkeit als Rettung von Griechenland oder Spanien präsentiert wurde, ist natürlich in Wirklichkeit die Rettung der Banken, die nach Griechenland oder Spanien Geld verliehen haben. Ich würde nicht sagen, dass es überhaupt keine Unterstützung für die jeweiligen Volkswirtschaften ist, aber sie ist so gestaltet, dass es mit diesen Volkswirtschaften weiterhin bergab gehen wird. Letzten Endes ist es eine Art strafende Unterstützung. Und das Problem ist, dass die Institutionen, die die Infrastruktur einer entwickelten Wirtschaft darstellen, bis zu dem Punkt in Mitleidenschaft gezogen wurden, an dem sie nicht mehr funktionieren, oder dass sie jedenfalls in bestimmten Fällen ernsthaft beschädigt wurden“.
„Was ich immer über die griechische Situation sage – und das betrifft nicht einmal nur Griechenland – ist folgendes: Diese Dynamik hat einen Endzustand, für den es ein Modell gibt. Und dieses Modell heißt Jugoslawien. Eine Abwärtsspirale, die zu einer Explosion von Gewalt führt. Und Gewalt ist etwas, das sehr plötzlich ins Spiel kommen kann, es geht dann sehr unsauber zu, und Gewalt kann auch provoziert werden. Sobald Sie Gruppierungen haben, die die Macht und den Einfluss von Gewalt verstehen, wird die Sache sehr schwer kontrollierbar.“
Was wäre denn der richtige Weg?
„Schulden, die nicht bezahlt werden können, werden nicht bezahlt. Je früher man die Last dieser Schulden aufhebt, desto besser. Als nächstes, es braucht in der gesamten Euro-Zone stabilisierende Institutionen von der gleichen Art, wie es sie schon lange innerhalb der nordeuropäischen Länder gibt. Eine europaweite Arbeitslosenversicherung wäre eine gute Idee, denn sie läuft darauf hinaus, dass diejenigen, die am unmittelbarsten von der Krise betroffen sind, direkt unterstützt werden, unabhängig davon, wo sie leben. Und da diese Menschen zu einem großen Teil in den verschuldeten Staaten leben, würde es helfen, die jeweiligen Volkswirtschaften zu stabilisieren. Es kommt die Frage auf, wer letztlich dafür bezahlen wird. Auf diese Weise wird Kaufkraft erzeugt. Es werden Ressourcen absorbiert, vor allem die Arbeitskraft von Arbeitslosen, und so bewegt man sich von der unproduktiven auf die produktive Seite. So wird das bezahlt. Es wird bezahlt durch Arbeit, die ansonsten nicht geleistet werden würde. Leute, die bisher nicht beschäftigt waren, etwas Sinnvolles tun, tun etwas für andere, die nun genug Kaufkraft haben, um sich das leisten zu können. Ich habe einmal vorgeschlagen, in gleicher Weise mit den Renten zu verfahren, und ich würde das gleiche Prinzip auf die niedrigsten Lohnniveaus in der Europäischen Union anwenden.“
Das klingt für deutsche Ohren schrecklich keynesianisch…
„Ich habe in meinem Vortrag etwas Keynes vorgelesen, aus Die wirtschaftlichen Folgen des Friedensvertrages:
‘Wenn der europäische Bürgerkrieg damit endet, dass Frankreich und Italien ihre momentan siegreiche Macht missbrauchen, um Deutschland und Österreich-Ungarn zu zerstören, dann betreiben sie damit auch ihre eigene Zerstörung, denn sie sind durch verborgene seelische und wirtschaftliche Bande zutiefst und unauflöslich mit ihren Opfern verbunden.’
„Und dann gibt es weiter hinten in dem Buch noch einen Abschnitt, der folgendermaßen lautet: ‘Die Taktik, Deutschland für eine Generation zu Knechtschaft zu reduzieren, das Leben von Millionen Menschen zu entwürdigen und eine ganze Nation ihres Glücks zu berauben, sollte abscheulich und abstoßend sein – abscheulich und abstoßend! – selbst wenn es möglich wäre, selbst wenn es uns selbst bereicherte, selbst wenn man so nicht den Samen des Niedergangs des zivilisierten Lebens in Europa legte.’“
Das komplette Interview als PDF: Interview mit Prof. James Galbraith [PDF – 95 KB]
Schönen Dank unsere engagierten Leser C.P. und T.M. für die Übersetzung aus dem Englischen.
Das Originalinterview in englischer Sprache können Sie hier nachlesen:
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=15716