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Titel: Müssen Examensnoten vergleichbar sein?
Datum: 22. November 2012 um 8:20 Uhr
Rubrik: Hochschulen und Wissenschaft
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
98 Prozent der Biologen, und 97 Prozent der Psychologen sind gut oder sehr gut. Das kann doch nicht sein, sagt der Wissenschaftsrat, zumal nur sieben Prozent der Juristen im ersten Staatsexamen besser als befriedigend sind. Nur ein Prozent der Hochschulabsolventen schließt mit einer vier, also ausreichend ab. Wolfgang Marquardt, der Vorsitzende des Wissenschaftsrats spricht von einer Noteninflation und einer Aufweichung der Bewertungsstandards. Noten müssten untereinander vergleichbar sein, die Bewertungsmaßstäbe müssten auch zwischen den Hochschulen angeglichen werden. Warum zum Beispiel kann ein Germanistik-Student in Gießen mit einem Schnitt von 1,6 rechnen, an der Humboldt-Universität aber nur mit 2,2? Von Karl-Heinz Heinemann.
Komisch eigentlich, alle gehen davon aus, dass es nicht sein kann, dass die Examensleistungen wirklich besser geworden sind. Dabei war es doch ein Ziel der großen Bologna-Studienreform, mehr Studenten zu besseren Abschlüssen zu bringen und zugleich von Ort zu Ort eine größere Vielfalt im Studienangebot zuzulassen. Nun kommt genau das beim Vergleich der Examensnoten heraus, und niemand will es glauben. Ehrlich gesagt, ich auch nicht, weil ich auch nie an die Segnungen aus Bologna geglaubt habe.
Es ist nicht neu, dass Juristen nur zögerlich gute Noten geben, während man bei den Geisteswissenschaftlern leichter an eine eins Komma- Note kommt, ebenso übrigens wie in den harten Naturwissenschaften.
Jura ist ein Pauk-Fach mit großen Studentenmassen. Professoren verschanzen sich hinter einer Armada von Assistenten, die auch die Klausuren bewerten müssen. Ein persönlicher Kontakt zu den Studierenden ist selten. Und Juristische Fakultäten brüsten sich noch heute damit, wenn sie hohe Abbrecher- und Durchfallquoten haben . Die sehen sie als Nachweis ihrer Qualität an. Ganz anders etwa bei den Physikern. Da gibt es einen engeren Kontakt zwischen Professor und Student, weil der schon oft an Forschungsarbeiten mitmachen kann. Wer es dort – oder bei den Chemikern – bis zum Examen geschafft hat, der hat auch einen hohen Leistungsstandard bewiesen, sagen sich die dort gut bewertenden Professoren. Zumal es dort nicht so sehr aufs Diplom oder gar das Bachelor-Examen ankommt, denn für einen guten Berufseinstieg braucht man ohnehin die Promotion.
Die Psychologen werden ihre exorbitant guten Noten damit begründen, dass man ohnehin nur Studienbewerber mit einem Abiturdurchschnitt im oberen Einserbereich aufnimmt.
Aber es gibt noch eine andere Erklärung, und die ist in den letzten Jahren, nach der Einführung des gestuften Studiums besonders wichtig geworden: In Psychologie zum Beispiel entscheidet die Bachelor-Abschlussnote darüber, ob jemand einen der knappen Master-Studienplätze bekommt. Was ein Psychologe mit einem Bachelor-Examen auf dem Arbeitsmarkt anfangen kann, das wissen auch die meisten Psychologie-Professoren nicht. Und so ist es nur zu verständlich, dass sie ihren Bachelor-Absolventen nicht den Weg zum Master verbauen wollen.
Der enge Kontakt von Student und Professor, die Mitarbeit schon an Forschungsprojekten, das mag bei Naturwissenschaftlern eine Rolle spielen, aber das erklärt nicht den stetigen Aufwärtstrend bei den Examensnoten der Geisteswissenschaftler. Manche vermuten dahinter Gleichgültigkeit gegenüber den Studierenden – geben wir ihnen eine gute Note, dann lassen sie uns in Ruhe. Aber es kann auch Schuldbewusstsein gegenüber den Studenten sein: Professoren müssen Drittmittelanträge schreiben, sich gegenseitig begutachten, evaluieren und akkreditieren, ihre Reputation beziehen sie aus der Forschung, und den Publikationen, aber nicht aus der guten Lehre. 100 Studenten im Seminar, die können sie gar nicht mehr kennen, geschweige denn gut betreuen, oder sich gründlich mit ihren Examensarbeiten auseinandersetzen. Gerechte Benotung, was immer das sein soll, unter diesen Bedingungen ist sie nicht möglich. Da ist es schon fast ein Gebot der Fairness, die Studenten, die man nicht hinreichend begleiten und fördern kann, wenigstens nicht noch am Ende dafür zu bestrafen.
Und: was soll`s? Warum diese Aufregung über die guten Noten? Bei einem Test von Waschmaschinen oder Flachbildfernsehern sagt auch niemand, er sei ungerecht, wenn kein Produkt als Mangelhaft bewertet wurde. Denn da werden alle Geräte an vorgegebenen Standards gemessen. Noten müssen nicht nach der Gaußschen Normalverteilung vergeben werden, sondern sie sind ein Indikator dafür, ob der Benotete die vorgegebenen Ziele erreicht hat. Nicht mehr und nicht weniger. Nur: Die Maßstäbe für einen guten Lehrer, Juristen oder Mathematiker sind nicht so klar zu definieren wie für Flachbildfernseher. Mit der Bolognareform entwickeln sich die Anforderungen und die Inhalte der Studiengänge immer weiter auseinander. Ein Psychologe in Trier lernt etwas anderes als der in Köln. Beim Flachbildfernsehertest wird zwischen LCD- und Plasmabildschirmen unterschieden, aber die Trierer und Kölner Psychologen sollen über einen Leisten geschlagen werden? Wenn wir schon Vielfalt wollen, dann müssen wir auch anerkennen, dass nicht alle Leistungen eins zu eins vergleichbar sind.
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