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Titel: Frankreich: Regierung möchte das Land auf „Wettbewerbsfähigkeit“ trimmen
Datum: 15. November 2012 um 9:36 Uhr
Rubrik: „Lohnnebenkosten“, Länderberichte, Wettbewerbsfähigkeit
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Politische und gewerkschaftliche Reaktionen darauf.
Unterdessen macht auch Deutschlands Spitze Druck auf Frankreich: „Berlin à Paris: Achtung!“
Am Dienstag, den 06. November 12 beschloss die französische Regierung offiziell, welche praktischen Schlussfolgerungen sie aus dem – am Vortag vorgelegten – Bericht von Kommissionspräsident Louis Gallois ziehen wird. Ein Teil der Gewerkschaften erklärt sich beunruhigt, das Arbeitgeberlager eher zufrieden, die oppositionelle Rechte drängelt und hat noch nicht genug (während die extreme Rechte sich in Sozialdemagogie übt). Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon möchte den Bericht und seine Vorschläge gern komplett auf den Müll werfen. Unterdessen wurden erste praktische Konsequenzen angekündigt… Von Bernard Schmid[*]
„Schock“ oder eher „Pakt“ für die Wettbewerbsfähigkeit?
Mit seiner Glatze sieht er ein bisschen aus wie der Kommissar Kojak: Louis Gallois, der frühere Chef der französischen Bahngesellschaft SNCF sowie frühere Direktor des Flugzeugbauers EADS. Unter der Regierung von Präsident François Hollande übte er nun eine andere Funktion aus: An der Spitze einer einschlägigen Kommission arbeitete er einen Untersuchungsbericht zum Thema „Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit französischer Unternehmen“ aus. Auf den 06. November – vergangenen Dienstag – war er angekündigt wurden, am Nachmittag des Montag (05.11.12) lag er vor. Anlässlich eines Regierungsseminars am Dienstagvormittag beschloss das französische Kabinett, welche praktischen Folgen es den Vorschlägen des Untersuchungsberichts geben möchte.
Unterdessen berichtete die Onlinezeitung Médiapart, in Wirklichkeit übernehme der Rapport weitgehend Vorschläge des Arbeitgeberlagers, und der Vizepräsident der Kommission – welcher der konservativ-wirtschaftsliberalen Rechtsoppositionspartei UMP angehört – habe dessen Standpunkte oft eins zu eins in den Kommissionsbericht einfließen lassen. (Vgl. hier)
(Den Gesamttext der „Untersuchungs“ergebnisse findet man bspw. hier [PDF – 3.6 MB] )
Seinen Bericht hatte Louis Gallois in 22 Vorschläge gegliedert, deren Philosophie er auf den zusammenfassenden Begriff des „choc de compétitivité“ oder „Schocks für die Wettbewerbsfähigkeit“ brachte. Bereits einige Tage zuvor hatte Präsident François Hollande jedoch angekündigt, statt eines „Schocks“ ziehe er lieber einen „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“ vor. Darauf antwortete wiederum Louis Gallos, er wolle gleichermaßen einen „Schock“, einen „Pakt“ und darüber hinaus „Patriotismus“ seitens aller sozialen und wirtschaftlichen Akteure. Dabei handelte es sich jedoch alles in allem lediglich um eine Methodenfrage: „Rosskur oder sanftere Methode?“ (wie ,Le Monde‘ bei Erscheinen des Rapports fragte), während das Ziel allenthalben feststeht: Angesichts der drastischen Senkung von „Lohnkosten“ und „Lohnnebenkosten“ beim Konkurrenten Deutschland dürfte man da nicht hinterher hinken.
Eingedenk der durchaus vorhandenen politischen Risiken versuchte der amtierende Staatspräsident, die anstehenden Maßnahmen und die mit ihnen verbundenen Einschnitte herunterzukochen. Allgemein wurde Hollande deswegen in vielen Medien als politischer Feigling dargestellt, der die Herausforderung nun auszusitzen gedenke – ein Beispiel unter ihnen vielen: Die Wochenzeitung Le Canard enchaîné (31. Oktober 12) zeichnete Hollande, wie er die Kabinettssitzung auf einem mehrbändigen Werk sitzend eröffnet. Es soll den Untersuchungsbericht symbolisieren.
(„Jetzt haben wir den Gallois-Bericht behandelt, der auf der Tagesordnung stand“)
Quelle: Le Canard enchaîné
Tatsächlich hatten manche der Vorschläge es in sich. Zu seinen wichtigsten Punkt gehört, dass er einer Senkung der Staatsausgaben innerhalb von zwei Jahren um 20 Milliarden Euro jährlich – zusätzlich zu den durch die Regierung ohnehin geplanten zehn Milliarden – das Wort redet. Aber auch einer Senkung der Beiträge zu den Sozialkassen um 30 Milliarden (davon zwei Drittel zugunsten der Unternehmen und ein Drittel zugunsten der unmittelbaren Kaufkraft der Lohnabhängigen, was aber einem Ausfall an Einnahmen der Sozialkassen und damit potenziell einem Sinken ihrer Absicherung entspricht). Die Dimension entspricht haargenau dem, was 98 Wirtschaftsbosse am vorletzten Wochenende von der Titelseite der Sonntagszeitung Journal du Dimanche (JDD vom 21. Oktober 12) herab forderten.
Stattdessen sollen die Sozialkassen künftig durch Steuern statt durch Beiträge der Unternehmen finanziert werden, und zwar mittels einer Anhebung der Mehrwertsteuer (TVA), der – nicht einkommensproportionalen, sondern eine pauschale Pro-Kopf-Steuer (7,5 % auf die Einkünfte) darstellenden – „Allgemeinen Sozialabgabe“ (CSG) sowie der Ökosteuern.
Ach, von wegen Öko: Zur „Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit Frankreichs“ soll überall die Suche nach und Förderung von Schiefergas oder gaz de schiste genehmigt werden – vor wenigen Monaten stellte die alte Regierung diese ein, und auch die neue Regierung verbot es, weil es massive Widerstände dagegen in einigen Regierungen (Cevennen, Ardèche) gibt. Es genügt, sich vor Augen zu halten, wie ein Gutteil der nordamerikanischen Rocky Mountains verschandelt wurde, um sich den Horror der Förderung vorzustellen. Unternehmen sollen einen „Steuerkredit“ – also Steuersubventionen – erhalten, was ihre Kosten senken und sie also „wettbewerbsfähig“ machen soll – und der Staat soll Biotechnologien, die Forschung nach (weniger teuren) No-Name-Medikamenten sowie erneuerbare Energien zu Prioritäten erklären.
Um sich von gar zu weitreichenden Forderungen abzugrenzen und unter dem Druck der (mitregierenden) Grünen hat das Kabinett die Forderung nach Wiederaufnahme der Schiefergas-Suche vom Tisch gewischt: Es bleibt beim Verbot. Sicherlich wollte die Regierung nicht noch einen zweiten größeren „Ökokonflikt“ riskieren, nachdem derzeit ein heftiger Kampf um ein ebenso unsinniges wie ökologisch zerstörerisches Großprojekt tobt – den Bau des Flughafens von Notre-Dame-les-Landes, d.h. die Verlagerung des gesamten Flughafens von Nantes. Ein umweltzerstörerisches Projekt, das wohl insbesondere auch deswegen weiterbetrieben wird, weil der frühere Bürgermeister von Nantes – der diesen Vorhaben als Rathauschef vorantrieb – niemand anders ist als Premierminister Jean-Marc Ayrault. In der Region Nantes tobt deswegen ein heftiger Aufruhr, irgendwo zwischen Wyhl 1974 Und Startbahn West 1984 (nicht so sehr militant wie letzterer Widerstand). Eine zweite „Front“ gegenüber den ohnehin verärgerten Grünen, anderen UmweltschützerInnen und damit auch einem Teil des Bildungsbürgertums aufzumachen, erschien im Augenblick doch eher riskant.
Pro-Kopf- oder Konsumbesteuerung anheben? Oder perspektivisch beides…
In Wirklichkeit hat das Kabinett allerdings gar nicht so sehr gezögert & gezaudert, wie ihm aus Presse und politischer Klasse vorgeworfen wurde. Vielmehr übernahm es „quasi die Gesamtheit des Rapports“, um ihn sich zu eigen zu machen) Auch Louis Gallois selbst sah dies im Übrigen so, welcher der Regierung attestierte, sie habe „das Ausmaß des Problems erkannt/erfasst“, und die Kabinettspläne zur Umsetzung seines Rapports begrüßte; vgl. dazu hier und hier.
Übernommen hat die Regierung insbesondere die Vorschläge zum Transfer von Sozialbeiträgen der Unternehmen auf die Steuer. Derzeit noch tabu bleiben soll dabei die Pro-Kopf-Steuer CSG („Allgemeine Sozialabgabe“), Beschlüsse dazu könnten erst im kommenden Jahr 2013 folgen.
Anheben möchte die Regierung dagegen die Mehrwertsteuer (TVA), und damit eine der sozial ungerechtesten Steuern, da diese – wie auch die Pro-Kopf-Pauschale – ebenfalls nicht einkommensproportional ausfällt, sondern auf gleiche Ausgaben bei einer Sozialhilfeempfängerin und einem Millionär in identischer Höhe ausfällt. Anteilsmäßig belastet die TVA dagegen untere Einkommensklassen stärker, da sie eine geringere Sparquote aufweisen – also weniger Prozent ihres Lohns oder Gehalts zurücklegen können – und stattdessen einen höheren Prozentanteil direkt ausgeben müssen.
Bislang weist das französische Steuersystem drei Stufen der Mehrwertsteuer auf: Einen „normalen“ Satz von 19,6 % (für die meisten Ausgaben), einen „mittleren“ Satz in Höhe von bislang 7 % (etwa bei Gastronomiepreisen oder Bau- und Renovierungskosten) sowie 5,5 % als geringsten Satz (für Grundbedarfsgüter, aber auch Bücher.
Jetzt plant die Regierung, zum 1. Januar 2014 die beiden erstgenannten Sätze anzuheben. Der „Hauptsatz“ soll von derzeit 19,6 % auf dann 20 Prozent klettern. Dies soll 3,3 Milliarden einbringen; zwar fällt der Anstieg prozentual nicht sehr stark aus, doch sind einige der höchsten Ausgaben – z.B. der Autokauf – davon betroffen. Weitere 3,8 Milliarden soll die Anhebung des „mittleren“ Satzes einbringen. Dieser soll relativ kräftig steigen: von derzeit 7 auf 10 Prozent. Dies wird vor allem bei den Gastronomiepreisen durchschlagen, wobei die Regierung damit argumentiert, dass bei Einführung der auf 7 % reduzierten Mehrwertsteuer in der Gastronomie (ab 2004 mit einigen Hindernissen durchgesetzt) das Gewerbe seine Versprechen – Senkung der Verbraucherpreise und/oder Einstellung zusätzlicher Arbeitskräfte – nicht eingehalten habe. „Im Gegenzug“ soll der unterste Satz der Mehrwertsteuer von derzeit 5,5 % als „soziale Geste“ auf 5,0 % abgesenkt werden. Dies soll den Verbraucher/inne/n rund 0,8 Milliarden Euro zurückgeben.
Durch diese – gestaffelte – Erhöhung der Mehrwertsteuer bricht François Hollande ein ziemlich zentrales Wahlversprechen (vgl. auch hier). Denn als sozialdemokratischer Präsidentschaftskandidat hatte Hollande gegen den Plan der Sarkozy-Regierung Front gemacht, welche ab dem 1. Oktober 2012 den „Hauptsatz“ der Mehrwertsteuer (von 19,6 % auf dann 21 Prozent) anheben wollte – die Erhöhung wurde nach dem Regierungswechsel im Mai/Juni d.J. annulliert. Die zuvor oppositionelle Sozialdemokratie hatte dabei stets den unsozialen Charakter der Konsumbesteuerung betont. Nun muss sie es sich gefallen lassen, dass ihr mindestens Inkonsequenz, wenn nicht eine offene Lüge entgegen gehalten wird.
Unter anderem durch die sich einmal mehr in Sozialdemagogie übende Rechtsextreme Marine Le Pen, die bereits mehrfach in Interviews gegen die geplante Mehrwertsteuer-Erhöhung quer schoss (Dabei wohlweislich verschweigend, dass ihre eigene Partei – der Front National – in den 1980er noch die Mehrwertsteuer glatt verdoppeln wollte, um die zu den Einkünften proportionale Lohn- und Einkommenssteuer völlig abzuschaffen.) Hingegen monierte die konservativ-wirtschaftsliberale Rechte den angeblich unzureichenden Charakter der Regierungsbeschlüsse, welche Jean-François Copé (Generalsekretär der UMP) als „lächerlich“ bezeichnete.
Der frühere Präsidentschaftskandidat der „Linksfront“ (französische KP und eine Linksabspaltung der Sozialdemokratie), jean-Luc Mélenchon, er empfiehlt wiederum den Weg à la poubelle – „in den Mülleimer“ – für sämtliche Vorschläge von Kojak/ Galloi.
Erste Widersprüche werden vorgetragen
Ganz Frankreich ist zur Notwendigkeit der „Wettbewerbsfähigkeit“ bekehrt. Ganz Gallien? Nein: Ein kleines Dorf von Unbelehrbaren… Hm, es wäre nicht völlig richtig, unsere heutige Geschichte so zu beginnen. Denn gar so klein ist das Dorf der Widerspenstigen nicht.
Sogar die zweite Regierungspartei neben der französischen Sozialdemokratie, die ,Europe Ecologie-Les Verts’ (Europa Ökologie-Die Grünen) – das zur Europaparlamentswahl 2009 gegründete Wahlbündnis aus Linksliberalen und Grünen – zeigt sich erzürnt. Die französische Ökopartei, welche noch nicht gar so verbürgerlicht ist wie die deutschen Grünen, überlegt sogar, ihren Platz in der Regierung in der Frage zu stellen. Dies erklärte am Freitag (9. November 12) ihr Spitzenpolitiker Jean-Vincent Placé. Bei ,Radio Classique’ sprach er in einem Interview davon, dass die jüngsten Regierungsbeschlüsse zur „Wettbewerbsfähigkeit“ in seinen Worten „sehr zugunsten der Unternehmen, ohne ökologische Gegenleistung“ ausfallen. Er fügte hinzu: „Wir fragen uns, was wir in dieser Regierung tun.“
Allerdings muss man berücksichtigen, dass Placé – der im französischen Senat sitzt, aber anders als seine Parteikollegin Cécile Duflot (Wohnungsbauministerin) nicht mit einem Plätzchen in der Regierung betraut wurde – aus eben diesem Gründe zürnt, und es ihm deswegen umso leichter fällt, die Kabinettsbeteiligung in Frage zu stellen… Karrierismus ist auch bei vielen französischen Grünen durchaus kein Fremdwort.
Allerdings sind nicht alle Reaktionen aus dem grün-linksliberalen Lager in der Sache besonders kritisch. So erklärte der Parteisekretär von Europe Écologie-Les Verts, Pascal Durand, am Vortag zwar, er sei reserviert gegenüber der geplanten Anhebung der Mehrwertsteuer – zeigte sich aber „eher einer Erhöhung der CSG zugeneigt.“ Diese „Allgemeine Sozialabgabe“ CSG ist eine nicht zum Einkommen proportionale Pro-Kopf-Steuer.
Sowohl die Mehrwertsteuer (TVA) als auch die CSG werden als Instrumente in Erwägung gezogen, um die Sozialkassen aufzufüllen. Denn diese werden sonst durch die Regierungsbeschlüsse vom Dienstag aufgrund von „Steuerkrediten“ für Unternehmen (also Subventionen in Gestalt von Steuerrückzahlungen oder -nachlässen für die Betriebe, welche progressiv ansteigen, um binnen drei Jahren Höhe eine von 20 Milliarden Euro jährlich zu erreichen, vgl. hier) geleert.
Besonders die geplante Anhebung der Konsumbesteuerung – unter eklatantem Bruch eines der Leitsätze im Wahlkampf von François Hollande – trifft auf eine starke Opposition in der Gesellschaft. Bei einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts CSA, welche am Dienstag und Mittwoch dieser Woche durchgeführt wurden, erklärten 62 Prozent der Befragten ihre Ablehnung. Unter den Angestellten und Arbeiter/inne/n erreichte diese Ablehnung 74 Prozent. Als einzige soziale Gruppe waren höhere Angestellte sowie Freiberufler dafür (zu 67 %), was auch damit zusammenhängt dürfte, dass proportional betrachtet ein niedrigerer Anteil ihres Einkommens in den unmittelbaren Konsum geht.
Ansonsten ergeben derzeit die Umfragen, dass die Regierungsbeschlüsse vom Dienstag unter den Anhänger/innen/ der konservativ-wirtschaftsliberalen Rechten erheblich besser aufgenommen werden, als in anderen politischen Lagern (Siehe auch eine detaillierte Auswertung der Antworten hier [PDF – 1.7 MB] – Und ein Blog bei der konservativ-wirtschaftsliberalen Tageszeitung ,Le Figaro’ sah in den Regierungsbeschlüssen sogar eine „göttliche Überraschung“ (sic).
Auf gewerkschaftlicher Ebene zeigt sich die CGT mittlerweise ausdrücklich kritisch. Ihr künftig amtierender Generalsekretär (ab März 2013), Thierry Lepaon, erklärte die Regierungsbeschlüsse zur „Wettbewerbsfähigkeit“ am gestrigen Donnerstag im Namen des Gewerkschaftsverbands zum „politischen Fehler“. Während Premierminister Jean-Marc Ayrault behauptet, die neuen Geschenke an die Unternehmen schüfen „über 300.000 Arbeitsplätze bis 2017“) rechnete Lepaon vor, dies mache immerhin jährlich 70.000 Euro Subvention für die Unternehmen pro Arbeitsplatz. Da sei es doch günstiger, stattdessen in öffentliche Dienste zu investieren. Auch der bis im März 2013 noch amtierende, aktuelle CGT-Generalsekretär Bernard Thibault trug Kritik vor; zunächst eher verhalten, doch später bezeichnete er die Regierungspläne gar rundheraus als „unakzeptabel“. Dabei hatte Thibault noch im September dieses Jahres ausdrücklich erklärt, über die Frage(n) der Wettbewerbsfähigkeit könne man ja prinzipiell durchaus mit sich reden lassen.
Hingegen zeigte sich besonders der zweitstärkste Gewerkschaftsdachverband in Frankreich, die an der Spitze rechtssozialdemokratische CFDT – ihr neuer Generalsekretär Laurent Berger tritt sein Amt am 28. November 12 an -, weniger kritisch. Doch bei den CFDT-Funktionären dürfte ohnehin bereits in vielerlei Hinsicht Hopfen & Malz verloren sein.
Die Opposition gegen die sozial ungerechten Beschlüsse, die auf neue Geschenke für die Unternehmen hinauslaufen, wächst. Die Mehrheit im jetzigen Regierungskabinett sieht dies freilich anders. Es ist ja auch nur schlappe zwanzig Jahre her, dass noch jede Parlamentsmehrheit auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik daran arbeitet, zuvörderst die Produktionskosten für die Unternehmen und insbesondere die so genannten „Lohnnebenkosten“ zu senken…
Post scriptum: Kritik von Neoliberalismus-Kritiker/inne/n…
Und hier noch ein aktueller Hinweis auf einen Gegenbericht zum ,Rapport Gallois’, der den Regierungsbeschlüssen von vergangener Woche zugrunde liegt. Er wurde durch ATTAC und die neoliberalismus-kritische Stiftung Fondation Copernic publiziert (Hier sowie hier [PDF – 1.2 MB])
…Und Druck aus Deutschland
Aus ganz anderer Richtung wird Frankreich unterdessen mächtig unter Druck gesetzt: Seitens der deutschen Politik – namentlich der Umgebung von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble – setzte ein sehr lautes Nachdenken darüber ein, dass Frankreich angeblich der nächste „kranke Mann in Europa“ respektive Krisenkandidat (nach Griechenland und Spanien) sei.
Schäuble und Co. möchten Frankreich nunmehr, nach dem ,Rapport Gallois‘ – der diesen Nasen zufolge in die richtige Richtung geht, aber zu spät kommt und zu schüchtern bleibt – einen Rapport der deutschen ,Wirtschaftsweisen‘ verordnen. Diese sollen dem Problem auf den Grund gehen, das angeblich darin liege, dass Frankreich vor allem eine radikale „Reform des Arbeitsmarkts“ benötige. Sprich: Hartz IV-ähnliche Gesetze auch in Frankreich, dazu möglichst vielleicht noch einen Abbruch des bislang relativ schützend für die Arbeitskräfte wirkenden gesetzlichen Mindestlohns (SMIC)…
Zu diesen aktuellen Vorhaben vgl. hier; sowie die Titelstory der Tageszeitung ,Libération‘ vom Montag, den 12. November 12: „Berlin à Paris: Achtung!“
Anmerkung WL: Erinnert sich nicht manches an das Jahr 2003 unter der Regierung von Gerhard Schröder bei der Verkündung der Agenda 2010?
[«*] Bernard Schmid, geboren 1971, ist promovierter Jurist und freier Journalist. Er lebt seit 1995 in Paris. Er arbeitet für eine NGO gegen Rassismus. Er ist zudem Autor mehrerer Bücher, darunter „Algerien – Frontstaat im globalen Krieg?“, „Das koloniale Algerien“ und „Der Krieg und die Kritiker“, „Die arabische Revolution“.
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