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Titel: Das arbeitgebernahe „Institut der Deutschen Wirtschaft“ (IW) betreibt mit einer neuen Arbeitskostenstatistik ziemlich plumpe Arbeitgeberpropaganda
Datum: 9. August 2006 um 16:03 Uhr
Rubrik: Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Lobbyorganisationen und interessengebundene Wissenschaft, Wettbewerbsfähigkeit
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Unter der Schlagzeile „Westdeutsche Arbeitskosten weltweit auf Rang drei” bringt der SPIEGEL einen Bericht über eine neue Studie des IW [PDF – 85 KB].
Mit durchschnittlich 27,87 Euro je Arbeitsstunde werde der Westen Deutschlands nur noch von Norwegen und Dänemark übertroffen. Die Kosten lägen über einem Drittel über dem Durchschnitt der Konkurrenzländer. Dass das IW sich mit solchen Statistiken eher als Propagandaagentur für seine Geldgeber einspannen lässt, als dass es Aufklärung betreibt, zeigt Joachim Jahnke.
Das IW bezeichnet die Arbeitskosten als „besonders wichtiger Indikator der internationalen Wettbewerbsfähigkeit“, das ergebe sich aus Unternehmerbefragungen. Die Wirtschafts-Wissenschaftler müssten eigentlich wissen, dass es im Standortwettbewerb nicht auf die Arbeitskosten allein an, sondern nur auf die Kombination mit der Produktivität ankommt, was dann die Lohnstückkosten ergibt. Beim Lohnstückkosten-Index liegt Deutschland aber an viertletzter Stelle und beim Zuwachs innerhalb der letzten 5 Jahre liegen wir sogar am Schluss.
Wie nichtssagend die Arbeitskosten für die Wettbewerbsfähigkeit sind, zeigt die am selben Tag vom Statistischen Bundesamt veröffentlichte Außenhandelsstatistik, wonach die Ausfuhren aus Deutschland – dem Land mit den weltweit höchsten Überschüssen – im ersten Halbjahr 2006 gegenüber dem Vorjahr noch einmal um knapp 13% gestiegen sind. Dabei werden doch nach Angaben des IW 87% der deutschen Exporte mit Industriewaren erzielt, wo die Arbeitskosten doch angeblich so wettbewerbsfeindlich sind.
Nicht ausgespart wird natürlich das übliche Lamento über die hohen Personalzusatzkosten. Da schneide Deutschland mit 78% des Direktentgeltes besonders schlecht ab. Dabei liegt Deutschland selbst in der Tabelle des IW allenfalls im unteren Mittelfeld. Acht Länder haben einen höheren Prozentsatz. Zwar wird erwähnt, dass in den skandinavischen Ländern die Personalzusatzkosten schon deswegen niedriger sein können, weil die sozialen Sicherungssysteme überwiegend steuerfinanziert sind, aber das hindert das IW nicht diese vermeintliche Horrorzahl in die Schlagzeilen zu setzen.
Es geht eben um Propaganda und nicht um Aufklärung.
Kommentar AM:
Was diese Statistik auch sagt: offenbar sind die Arbeitskosten nicht entscheidend. Die Länder mit den höchsten Arbeitskosten, also Norwegen und Dänemark sind wirtschaftlich, etwa beim Wachstum und bei der Beschäftigung auch besonders erfolgreich. Vom verarbeitenden Gewerbe Westdeutschlands, wo die Arbeiterstunde im Durchschnitt mit 27,87 € deutlich mehr kostet als in Ostdeutschland mit 17,37 €, kann man doch im Ernst nicht behaupten, dass es weniger wettbewerbsfähig sei als jenes in Ostdeutschland. Außerdem fällt ja wohl auf, dass drei der von SpiegelOnline genannten Länder mit niedrigeren Arbeitskosten, nämlich Italien, USA und Großbritannien, besondere, ja geradezu riesige Probleme mit ihrer Wettbewerbsfähigkeit haben. Alle drei Länder leiden unter hohen Leistungsbilanzdefiziten.
Man kann also die Studie des „Instituts der deutschen Wirtschaft“ auch gerade umgekehrt als Unterstützung für die These werten, dass die Länder mit hohen Entgelten für die Arbeit im Durchschnitt leistungsfähiger sind als jene mit niedrigen Arbeitskosten.
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