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Titel: Der Kelch (R)money ist gerade noch einmal an uns vorbeigegangen

Datum: 7. November 2012 um 9:01 Uhr
Rubrik: Neoliberalismus und Monetarismus, USA
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Ich weiß, dass man ein Land und schon gar nicht seine Menschen danach beurteilen darf, welche Regierung gewählt wird. Dann müsste ich auch an Deutschland mit 16 Jahren Helmut Kohl und nun schon seit über 7 Jahren mit Angela Merkel und 3 Jahren Schwarz-Gelb verzweifeln.
Natürlich bin auch ich von Barack Obamas bisheriger Regierungszeit enttäuscht – von Guantanamo angefangen, über die völkerrechtswidrigen Drohneneinsätze des „Friedensnobelpreisträgers“, bis hin, dass er letztlich auch nur ein Befehlsempfänger der Wall Street war und vieles andere mehr. Ich kann nachvollziehen, dass viele Amerikaner über Obama enttäuscht waren und angesichts der Wirtschaftsmisere und der hohen Arbeitslosigkeit bereit waren, wen auch immer als Amtsinhaber zu wählen.
Aber die Wählerinnen und Wähler, die (R)money wählten, haben ein Gesellschaftsbild, das widersprüchlicher zur europäischen Geistesgeschichte und politischen Kultur nicht sein könnte. Obama hält wenigstens den europäischen Gedanken an eine soziale Gesellschaft auch in Amerika am Leben. Von Wolfgang Lieb

Wer meint, es könnte uns in Deutschland egal sein, wer in Amerika regiert und welche gesellschaftlichen Kräfte die amerikanische Regierung unterstützen, der irrt gewaltig. Erinnert sei hier nur daran, dass der Neoliberalismus der „Reagonomics“ eine Ideologie war, die sich von Amerika aus auch in Deutschland durchgesetzt hat – mit all ihren Konsequenzen, von der Deregulierung des Bankensektors und des Arbeitsmarktes oder dem Wandel von der Marktwirtschaft zur Marktgesellschaft bis zur Herrschaft der Finanzwirtschaft.

Wir haben uns gerade in Deutschland schon viel zu sehr an diesen „american way of life“ angepasst, ja diesen Weg ein Stück weit sogar radikalisiert.

Die amerikanische Gesellschaft und mit ihr die Republikaner haben sich aber in den letzten Jahren dramatisch extremisiert und den politischen und gesellschaftlichen Diskurs derart verroht und manipuliert, dass einem nur noch Angst und Bange werden kann, wenn das auch in Europa Schule machen würde.

Umso weniger empfinde ich eine „Wertegemeinschaft“ mit einer Gesellschaft, bei der trotz der Mehrheit der Wahlmännerstimmen für Obama mehr als die Hälfte Bevölkerung,

  • unter Freiheit versteht als die Freiheit, dass jeder unter der Brücke schlafen darf,
  • keine Vorstellung von einer Gesellschaft hat, sondern bestenfalls auf individuelle Hilfe baut und die grundlegend staatsfeindlich ist,
  • sich um die ethnische Zerrissenheit und Spaltung der Gesellschaft nicht kümmert,
  • ihre ökonomische Schwäche ignoriert und ihr Selbstbewusstsein aus imperialen Kriegseinsätzen bezieht und einem naiven Nationalismus huldigt,
  • sich der Herrschaft des großen Geldes besinnungslos unterwirft,
  • soziale Sicherheit als „Kommunismus“ verteufelt,
  • soziale Probleme mit Repression und Gefängnis löst,
  • es zulässt, dass religiöse Eiferer und irrationale Fundamentalisten, wie die „Tea-Party-Bewegung“ eine Partei bestimmen können,
  • es hinnimmt, dass parteiische Sender wie etwa Fox News das Volk aufhetzen,
  • es zulässt, dass die Milliarden von Spendern eine Wahl entscheiden können,
  • die Brücken, Eisenbahnen, Straßen, die Infrastruktur verrotten lässt,
  • die Bildung mehr und mehr zu einer Frage des Geldbeutels macht und das Bildungsniveau innerhalb einer Gesellschaft so weit auseinanderklaffen lässt,
  • Rassismus nicht entgegentritt, sondern im Gegenteil anheizt,
  • die Todesstrafe nicht nur zulässt, sondern öffentlich zelebriert,
  • Waffenbesitz als Bürgerrecht betrachtet,
  • es hinnimmt, dass Wahlen so chaotisch verlaufen, wie wir es diese Nacht beobachten mussten.

Ich müsste noch viele andere Punkte aufzählen, wo ich die kulturellen Unterschiede und die unterschiedlichen Werte zur amerikanischen Mehrheitsgesellschaft festmachen könnte.

Wenn es sich bestätigen sollte, dass Obama die Wiederwahl geschafft hat, wenn es nicht noch juristische Anfechtungen gibt, dann wird es für ihn ein schwerer Gang.

Die Republikaner haben nach wie vor die Mehrheit im Repräsentantenhaus und selbst wenn die Demokraten im Senat die Mehrheit behalten, droht weiterhin eine politische Blockade.
Wenn Obama weiterhin versucht einen Konsens zwischen Republikanern und Demokraten zu finden – was nach den bisherigen Erfahrungen aussichtslos ist – und wenn er nicht seine Wählerbasis gegen diese Obstruktion der Konservativen mobilisieren kann, dann ist durch diese Wahl nichts gewonnen.

Dann werden die USA innen-, finanz- und wirtschaftspolitisch handlungsunfähig bleiben.


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