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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Die Kommerzialisierung aller Lebensbereiche, der Rückzug der öffentlichen Verantwortung und die neoliberale Indoktrination unserer „Eliten“. Ein nachgetragener Wochenrückblick.
Datum: 5. November 2012 um 15:25 Uhr
Rubrik: Lobbyismus und politische Korruption, Markt und Staat, Privatisierung, Verkehrspolitik
Verantwortlich: Albrecht Müller
Beim Rückblick auf die vergangene Woche sind mir Gemeinsamkeiten verschiedener Begebenheiten und Informationen aufgefallen. Sie zeigen, wie falsch die Weichen immer noch gestellt sind. Bisher kein Halten. Keine Besinnung. Der politische Einfluss kommerzieller Interessen scheint nicht zu bremsen zu sein. Sie haben auch die Hochbegabtenförderung der Studienstiftung des Deutschen Volkes erfasst. Siehe unten Ziffer 6. – Vielleicht fördert die Verknüpfung sehr verschiedener Ereignisse Ihren Widerstandswillen. Albrecht Müller.
Darüber haben die NachDenkSeiten am vergangenen Freitag berichtet
Was Autor Götz Eisenberg beschreibt, mag nach Nebensache klingen, ist es aber nicht. Am Beispiel der beabsichtigten Privatisierung des Marktes in Gießen wird sichtbar, wie primitiv die Marktgläubigkeit der herrschenden Ideologen ist: Leicht erkennbare positive und negative externe Effekte des scheinbar rationalen Marktgeschehens werden nicht beachtet.
Am skizzierten Beispiel Gießener Markt wird zudem die zentrale Rolle der systematisch betriebenen Verarmung der öffentliche Hände und des Rückzug der Gemeinschaft aus der Verantwortung sichtbar.
Beim um vieles größeren Ereignis der vergangenen Woche brachen die gleichen Symptome auf:
Wolkenkratzer ohne Stromversorgung. Im Feuer untergehende Umspannwerke. Kein annähernd ausreichender Schutz der U-Bahnen vor Überflutung. Das klingt surreal. Inwieweit der Sturm etwas mit der Klimaveränderung zu tun hat, würden wir gerne genauer wissen. Dass die Infrastruktur verlottert ist, dass rücksichtslos privatisiert und dereguliert wurde und die öffentliche Vorsorge für eine solche Naturkatastrophe mangelhaft ist, scheint gewiss. Auch hier hatte der verordnete Rückzug des Staates aus der Verantwortung und die systematische Verarmung die gewollte Hebelwirkung. Eine interessante Betrachtung dazu brachte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung am 4.11.:
Das Amerika des Louis Begley
Aufzeichnungen aus zwei Stürmen
Sandy ist für Millionen von New Yorkern eine Geschichte von zwei Städten: Uptown und Downtown. So wie die Präsidentschaftswahl die Geschichte von zwei Nationen erzählt: den Armen und den Reichen. …
Am vergangenen Freitag, den 2. November, billigte der Bundesrat ein Gesetz für die
Die Tagesschau berichtete:
„Freie Fahrt für Fernbusse quer durch Deutschland: Der Bundesrat stimmte einer Änderung des Personenbeförderungsgesetzes zu und hob damit eine Regelung auf, die die Bahn seit fast 80 Jahren auf Langstrecken vor Konkurrenz durch Busse schützte. Bislang war der Linienfernverkehr mit Bussen nur auf wenigen Strecken möglich – wenn ein Unternehmen nachweisen konnte, dass sein Angebot die Verkehrsverhältnisse verbessert und es nicht einfach nur ein Konkurrenzangebot zur Bahn darstellt.
Diese Vorgabe entfällt nun. Ab 1. Januar 2013 dürfen Busunternehmen Fernverbindungen anbieten – und dabei untereinander und auch mit dem Bahnverkehr konkurrieren. Einzige Einschränkung: Die Haltestellen müssen mindestens 50 Kilometer voneinander entfernt sein, so dass die Fernbusse dem öffentlich geförderten Nahverkehr keine Konkurrenz machen können.“
Das wird ein Geschäft für die großen Buskonzerne. Mittelständische Busunternehmer sind skeptisch. Ökologisch und verkehrspolitisch ist diese Entscheidung nicht zu verstehen. Um vieles vernünftiger wäre es, die Kapazitäten der Bahn zu erweitern und dort preiswertere Varianten des Fernverkehrs anzubieten. Die Lobby der Großkonzerne und wahrscheinlich auch der dahinter steckenden Finanzunternehmen einschließlich der Privatisierungsinteressenten haben sich wieder einmal durchgesetzt. Kein Halten. Schon gar keine Wende.
Die rot-grün regierten Länder haben im Bundesrat zugestimmt. In kleinkarierter Manier haben sie sich nur darum gekümmert, dass der von Ihnen mitverantwortete und mitfinanzierte Nahverkehr durch die Fernbusse nicht beeinträchtigt wird. Deshalb mindestens 50 km Abstand zwischen den Haltestellen. Bringen die rot-grünen Ministerpräsidenten, bringt Kretschmann mit seiner grün-roten Koalition und Hannelore Kraft mit ihrer rot-grünen Koalition nichts Gescheiteres zu Wege?
Dann gab es am Sonntag, also am 4. November noch eine dazu passende Meldung:
Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) gerät wegen der Privatisierung von Autobahnen in die Kritik. Nach SPIEGEL-Informationen wirft der Bundesrechnungshof dem Ministerium vor, den privat finanzierten Ausbau und Betrieb der Straßen schönzurechnen.
…
Der Bundesrechnungshof mahnt in dieser Weise seit Anfang der Neunzigerjahre. Schon damals gab es ein Gutachten mit dem Ergebnis, dass Privatfinanzierung von Autobahnen und großen Straßenprojekten auf eine Verteuerung des Baus und des Unterhaltes hinausläuft.
Das macht nichts, so die herrschende Meinung der Verantwortlichen. Hauptsache es ist ein gutes Geschäft für die Freunde in der Finanzwirtschaft und in der Bauindustrie.
Diese Geschichte ist sehr lehrreich. Sie zeigt: die Tugend des Sparens findet dann ein Ende, wenn private Interessen bedient werden sollen. Das gilt hier wie auch bei der finanziellen Förderung der privaten Altersvorsorge. Diese Geschichte zeigt einmal mehr, dass wir uns um den Kernbestand unseres demokratischen Gemeinwesens Sorgen machen müssen.
Der Rückblick auf die letzte Woche wäre unvollständig ohne
Damit will ich mich nicht lange aufhalten. Auf den NachDenkSeiten stand schon viel dazu zu lesen. Nur soviel:
Die hohen Honorare sind ein Zeichen und ein Beleg für die Kommerzialisierung von Politikern. Wenn ein mittelmäßig begabter Politiker wie Steinbrück für eine Rede 15.000, 20.000 oder gar 25.000 € erhält, dann hat das mit der Bezahlung von rednerischer Leistung nichts mehr zu tun. Dieser Politiker ist – wie übrigens viele andere gerade auch bei der Union und FDP – ein Instrument des Kommerzes. Ihm wird damit für vergangene politische Entscheidungen und Arrangements gedankt. Und es wird auf ihn gesetzt, darauf, dass er künftig eine Rolle spielt, in der ihn die Einladenden oder die hinter ihnen stehenden Verbände und Gruppen brauchen.
Steinbrücks in den Medien zitierte Äußerung, seine Vertragspartner für die Reden hätten bei Abschluss noch nicht gewusst, dass er auch künftig in der Politik eine Rolle spielt, zeigt, dass der Mann noch nichts davon gehört hat, dass Investoren auch unter Unsicherheit in die Zukunft investieren, im konkreten Fall in die politische Zukunft Steinbrücks.
Am Freitag vergangener Woche erreichte uns NachDenkSeiten-Macher dann noch eine Mail eines NachDenkSeiten-Nutzers mit einer – aus meiner Sicht – spannende Nachricht. Sie betrifft:
Der NachDenkSeiten-Freund schickte uns das Programm der Studienstiftung des Deutschen Volkes für das Stipendiatentreffen in Singapur vom 15. bis 18. November 2012. Die Studienstiftung des deutschen Volkes ist eine Hochbegabtenförderung mit Sitz in Bonn, für die wir alle als Steuerzahler aufkommen. Wir tun dies im Vertrauen darauf, dass wir auf diese Weise unabhängig denkende, hoch begabte junge Menschen fördern und dass dies im Interesse unserer Gemeinschaft liegt. Andernfalls würde es ja keinen Sinn machen, öffentliches Geld in diese jungen Menschen zu investieren. Informationen zur Studienstiftung des Deutschen Volkes siehe hier und hier.
Das uns überlassene Programm [PDF – 262 KB] für den November 2012 wie auch die Liste der zwischen 2002 und 2010 [PDF – 20 KB] stattgefundenen Stipendiatentreffen einschließlich der dort genannten Sponsoren offenbaren ein ganz anderes Bild: diese Hochbegabten-Stiftung ist hochgradig kommerzialisiert. Sie hängt eng an der Wirtschaft und speziell an ausländischen Beratungsunternehmen dran.
18 Stipendiaten-Treffen zwischen April 2002 und November 2010 wurden von McKinsey mit bezahlt. McKinsey Vertreter begrüßen – wie das Programm für November 2012 zeigt – die Stipendiaten und bestücken auch die Liste der Vortragenden.
McKinsey ist wegen seiner Vernetzung und Machtfülle ein hoch problematisches Unternehmen. Darauf hat sogar SpiegelOnline am 09. Oktober 2012 aufmerksam gemacht:
Milliardenschweres Netzwerk
McKinsey ist überall
McKinsey unterhält ein globales Netz aus ehemaligen Mitarbeitern – und wird langsam unheimlich. Die Berater-Alumni sitzen in den Schaltzentralen von Unternehmen und Politik, bewegen Milliarden, steuern ganze Volkswirtschaften. Der Überblick. …
Neun der Stipendiatentreffen wurden von der Boston Consulting Group gesponsert, vier von Booz&Company. Siemens, Bertelsmann, Allianz und SAP waren ebenfalls vertreten. Aber die ausländischen Beratungsunternehmen dominierten die Sponsorenliste und dominieren vermutlich auch den Einfluss. Es ist davon auszugehen, dass diese ihre Unterstützung für die Studienstiftung des Deutschen Volkes für die Personalrekrutierung nutzen. Dafür spricht auch folgende Information:
Vor einigen Jahren durfte McKinsey unter den Stipendiaten eine Umfrage durchführen (um ein genaueres Bild über die Zusammensetzung/Eigenschaften der Stipendiaten zu gewinnen). Die Ergebnisse der Erhebung waren außer für McKinsey nur der Verwaltung der Studienstiftung einsehbar, nicht aber den Stipendiaten oder gar der Öffentlichkeit.
Die Studienstiftung geht ansonsten erstaunlich offen mit dem Einfluss der Wirtschaft und mit der Nutzung des Sponsoring für die Personalanwerbung um. Siehe hier, alles wörtlich:
Kooperationen / Unternehmen
Unternehmen werden Partner
Eine kleine, feine Form der Bewerbermesse – Kontaktseminare “Wirtschaft”
Kontaktseminare sind eine hervorragende Möglichkeit für Stipendiaten, ihre beruflichen Vorstellungen zu hinterfragen und gezielt Bewerbungsgespräche zu üben. Unternehmen können hoch qualifizierte Studierende kennen lernen und auf berufliche Perspektiven in ihrem Haus aufmerksam machen. Die Kontaktseminare “Wirtschaft” finden mindestens zweimal jährlich statt und werden von jeweils sechs Unternehmen verschiedener Branchen inhaltlich unterstützt.
Höhepunkte im Auslandsstudienjahr – Stipendiatentreffen im Ausland
Die Stipendiatentreffen – in Großbritannien, Osteuropa, Nordamerika, Ostasien und den romanischen Länder – führen alle Studienstiftler zusammen, die während eines Jahres im Ausland studieren. Auf ein Wochenende konzentriert sich hier das, was Studienstiftung ausmacht: Neugier und Freude, Austausch, Ideen und gemeinsame Aktivitäten sowie fachliche Arbeit auf hohem Niveau. Kooperierende Unternehmen sponsern die Treffen und gestalten sie mit.
….
Das riecht nach Karriere-Förderungsprogramm und Erweiterung eines internationalen Netzwerks. So ist die Studienstiftung des Deutschen Volkes mit Sicherheit nicht gedacht gewesen.
Man könnte sich jetzt noch wundern darüber, wieso Stipendiatentreffen einer deutschen hochbegabten Stiftung vornehmlich in Orten wie Barcelona, Singapur, Tokio, Boston, Krakau, Oxford, Paris, Montreal, Peking, Prag, London und anderen schönen Orten dieser Welt stattfinden. Das ist aber nicht die Hauptsache meiner Kritik. Diese zielt auf die selbstverständliche Kommerzialisierung dieser Einrichtung.
Deshalb war die Information über diese Gepflogenheiten, von denen jedenfalls ich bisher gar nichts wusste, der krönende Abschluss eines Rückblicks auf die vergangene Woche mit Schwerpunkt Kommerz, Privatisierung, Rückzug der öffentlichen Verantwortung.
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