Titel: Der Anruf des CSU-Sprechers beim ZDF wirkt wie ein Paravent, hinter dem sich Schlimmeres verbirgt. Und auch nicht neu.
Fordernde und kritisierende Anrufe von Politikern und ihren Zuarbeitern bei Fernsehsendern sind schlimm, aber sie sind üblich. Der Chefredakteur des ZDF berichtete mir schon Ende der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts, dass er regelmäßig vom Generalsekretär der CDU mit Kritik behelligt würde und sich über die damalige Zurückhaltung der SPD wunderte. Also, so neu ist nicht, was der CSU-Sprecher versucht hat. Noch wichtiger: die anderen Einflussnahmen auf die ideologische Linie, auf einzelne Inhalte, auf Sendungen und Sendewochen, auf Talkshows, auf die Auswahl der Gäste und des Publikums sind viel schlimmer. Die Dauer-PR, also die Integration von Public Relations-Journalisten in den Reaktionen wie auch der ausgeprägte Kampagnenjournalismus einer Reihe von Redaktionen stellt die Anrufe der Sprecher von CSU Politikern weit in den Schatten. Albrecht Müller.
Zu Ihrer Information vorweg der Hinweis auf einige wenige Beiträge zum Thema. In der Anlage finden Sie eine Auswahl – von der Süddeutschen Zeitung über die FAZ bis zur Bild-Zeitung.
Damit keine Missverständnisse aufkommen, wiederhole ich: Was da von CSU-Seite geschah, ist schlimm. Ich will nur anregen, dass Sie sich den Blick auf noch gravierendere Vorgänge nicht verstellen lassen. Einige davon liste ich nacheinander auf, stichwortartig und ohne Gewichtung:
- Personalpolitik und personelle Verflechtung mit ideologisch eindeutig ausgerichteten Organisationen
Die Union und mit ihr rechtskonservative, der Wirtschaft nahestehende Gruppen und Einrichtungen haben Einfluss auf die Personalpolitik der öffentlich-rechtlichen Sender. Wichtige Positionen beim ZDF, beim WDR, beim Bayerischen Rundfunk, beim MDR und Deutschlandfunk, beim SWR u.a.m. sind vom konservativen, der neoliberalen Ideologie zugeneigten Personen besetzt. Es gibt kaum noch Personen in wichtigen Funktionen, die den abhängig Arbeitenden und den Gewerkschaften nahe stehen. Wenn nach ungeschriebenen Gesetzen die SPD Einfluss auf die Personalentscheidungen hatte, dann hat sie sich für eher konservativ gewirkte Personen entschieden. Ein Musterbeispiel ist Peter Frey auf dem Sessel des Chefredakteurs des ZDF. Er ist ein netter Kerl, aber zum Beispiel hammerhart gegen jede politische Alternative links von Frau Merkel. Peter Frey ist seit 2006 Fellow der Bertelsmann Gründung CAP. Der stellvertretende ZDF-Chefredakteur Elmar Theveßen, also Peter Freys Stellvertreter, ist verlässlich rechtskonservativ verortet. Liese für andere Sender beispielhafte „Mischung“ zeigt, dass die Personalpolitik um vieles nachhaltiger wirkt als noch so viele Telefonanrufe.
- PR
Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sender in Diensten von Public Relations und Public Relations-Agenturen stehen, wissen wir nicht. Aber wir wissen, dass die Verflechtung groß ist. Es ist ja auch außerordentlich lukrativ für Journalistinnen und Journalisten, nebenher für Verbände und Unternehmen zu arbeiten. Schließlich bekommt man dafür nicht nur Geld. Man wird auch mit Informationen bestückt. Wer für die Pharmaindustrie arbeitet oder für die Versicherungswirtschaft, der hat auch Zugang zu den Daten dieser Wirtschaftszweige und ist schon deshalb schneller und oft auch besser informiert, als der Kollege ohne Public Relations Verbindung und –Auftrag. Mir begegnete diese Verknüpfung schon Ende der Sechzigerjahre des letzten Jahrhunderts, als ich davon erfuhr, dass ein bedeutender Wirtschaftsjournalist der Bonner Szene viel mehr über Aufträge von Verbänden, Sparkassen und Unternehmen verdiente als durch seine redaktionelle Arbeit. Im Spätherbst 1969 war ich mit dem Phänomen konfrontiert, dass ein Agenturjournalist für einfache Humantouch-Geschichten zu Gunsten einer Partei im Bundestagswahlkampf 1969 innerhalb von maximal neun Monaten über eine halbe Million DM verdiente.
Siehe dazu auch einen Beitrag in den NachDenkSeiten vom 11. November 2010.
„40 Prozent von allem, was man in den USA in den Zeitungen liest oder im Fernsehen sieht, ist von PR-Firmen im Auftrag ihrer Kunden geschrieben oder produziert worden. Die PR-Erzeugnisse werden in den freien Medienmarkt gedrückt von den über 200.000 Mitarbeitern der Public Relations Industrie.“
Das war die Aussage von John Stauber, dem damaligen Leiter von PR-Watch in einem Feature von Elise Fried und Peter Kreysler für den Deutschlandfunk/WDR vom 1.4.2003. Inzwischen ist es vermutlich noch schlimmer. (Das Manuskript der Sendung ist immer noch lesenswert. PDF siehe hier [PDF – 273.8 KB])
- Kampagnenjournalismus
Es ist nicht zu übersehen, dass auch die Öffentlich-rechtlichen Sender ZDF und ARD in Kampagnen der Meinungsmache eingebaut sind und ihrer Aufgabe, das Geschehen kritisch zu begleiten nicht gerecht werden. Ein herausragend gutes Beispiel dafür ist die Kampagne zum angeblich dramatischen demographischen Wandel und der angeblichen Notwendigkeit, privat vorzusorgen. In den einzelnen Sendern liefen reihenweise Sendungen dieser Art. Serien wurden angesetzt, um die Propaganda im Interesse der Versicherungskonzerne, der Banken und der Finanzdienstleister zu unterstützen. Dazu nur wenige Beispiele:
- Die Ausgliederung der Produktion wichtiger Sendungen der öffentlich-rechtlichen Sender in eigene private Gesellschaften, typisch die Talkshows.
Da gibt es zum Beispiel:
- Produktion “hart aber fair“
ist eine Gemeinschaftsproduktion der Produktionsfirmen “Ansager & Schnipselmann” (A&S) und klarlogo im Auftrag des WDR
- Vincent TV
ist die Produktionsgesellschaft von „Menschen bei Maischberger“
- CineCentrum
ist die Produktionsgesellschaft von Reinhold Beckmann
- Die Firma doc.station Medienproduktion GmbH
produziert die Talkshow von Maybritt Illner. Diese GmbH wurde im August 1999 gegründet und hat ihren Sitz in Hamburg. Einziger Gesellschafter ist die Firma ZDF-Enterprises aus Mainz.
- I&uTV
produziert Sendungen von Günther Jauch, und auch Sendungen für RTL und für Stern TV – Stern TV ist das Kind der Bertelsmann Gesellschaft Gruner & Jahr.
- Etc.
Mit der Auslagerung der Produktion ist de facto auch ein weiter Dispositionsspielraum in private Produktionsgesellschaften verlagert worden. Das kann die Themenauswahl bestimmen; es bestimmt mit Sicherheit die Auswahl der eingeladenen Gäste wie auch die Auswahl des applaudierenden Publikums.
Diese Konstellation öffnet die Talkshows für den Einfluss privater Interessen und ihrer PR Agenturen und dies ist bei weitem prägender für die Medien als noch so viele Anrufe von Pressesprechern der Parteien.
- Die einseitige Auswahl von Experten
Die Professoren Raffelhüschen, Rürup, Sinn, Straubhaar, Miegel, Hüther etc, von denen ausreichend bekannt ist, dass sie als Lobbyisten tätig sind oder dass sie sich schon gewaltig geirrt haben, werden auch von öffentlich-rechtlichen Medien immer wieder als „Experten“ geladen und auch so genannt, obwohl dies in den meisten Fällen eine grobe Unwahrheit darstellt. Besonders apart ist die auffallend häufige Beanspruchung des Direktors des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther. Er müsste seine Interessenabhängigkeit gar nicht hinter einem Professorentitel verstecken. Er wird trotzdem unentwegt als „Experte“ eingeladen. Das geht nur, weil die einschlägigen Medienmacher der Wirtschaft nahe stehen.
- Die Übernahme von Produktionen, die unter Lobby Einfluss stehen und auch von dort bezahlt wurden.
Bestes Beispiel aus der Vergangenheit ist die Produktion von Sozialstaats-kritischen Fernsehsendungen mit Unterstützung der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft durch Günter Ederer.
- Die Vereinnahmung von Chefredakteuren durch Angela Merkel
Gelegentlich treffen sich Spitzenpolitiker mit den Chefredakteuren wichtiger Medien. Dagegen ist prinzipiell nichts einzuwenden – es sei denn, diese Chefredakteure lassen sich bei solchen Gelegenheiten „einkaufen“. Als solches muss man das Treffen der Bundeskanzlerin mit den Chefredakteuren wichtiger Medien wenige Tage nach der Rettung der HRE durch die Bundesregierung Ende September 2008 betrachten. Ich zitiere dazu aus seinem Beitrag von Jakob Augstein vom 22.7.2010:
„Merkels Einladung der Chefredakteure
Ein paar Monate zuvor, am 8. Oktober 2008, hatte es ein sonderbares Treffen gegeben, das in diesem Zusammenhang Erwähnung finden soll. Die Bundeskanzlerin hatte an jenem Tag die bedeutenden Chefredakteure der bedeutenden Medien eingeladen. Es war die Zeit, in die der Ausbruch der großen Finanzkrise fiel. Man findet keinen ausführlichen Bericht über dieses Treffen, der veröffentlicht worden wäre und überhaupt nur wenige Erwähnungen in den Archiven, nur hin und wieder einen Nebensatz, eine knappe Bemerkung. An einer Stelle liest man in dürren Worten, worum es an diesem Abend im Kanzleramt ging: Merkel bat die Journalisten, zurückhaltend über die Krise zu berichten und keine Panik zu schüren.
Sie haben sich daran gehalten, die Chefredakteure. Noch im Februar 2009, vier Monate später, wunderte sich die taz über die Medien: “Sie halten die Bürger bei Laune, auf dass diese stillhalten. Wie viel Geld bereits in die Banken gepumpt wurde, wie viele Milliarden Bürgschaftszusagen vergeben wurden (und wie viele Hartz-IV-Monats”löhne” das sind), das steht auch nicht in der Zeitung.
Die Süddeutsche vom 15. Januar beispielsweise versteckt die Mitteilung, dass die Hypo Real Estate zum vierten Mal in vier Monaten Milliarden Bargeld und Bürgschaften braucht, unter der Überschrift “Wenn Steinbrück an die Tür klopf”. Die Bild-Zeitung übrigens bekam sogar einen Preis dafür, dass sie so “verantwortungsvoll” berichtet habe. Einen Preis, der von Journalisten verliehen wurde.“
Im konkreten Fall hat Angela Merkel im Gespräch mit den Chefredakteuren nicht nur erreicht, dass diese keine Panik in der Finanzkrise verbreiten. Sie hat auch erreicht, dass über die großen Skandale der unnötigen und teuren Rettung von IKB und HRE zum Beispiel bis heute weit gehend geschwiegen wird. Ein Beitrag im Berliner Tagesspiegel über die mit über 100 Milliarden € für die HRE Geretteten wurde anschließend nicht weiter ausgewertet, obwohl er sehr viel mehr gab. Auch das ist ein Ergebnis der Einbindung der Chefredakteure.
- Die besondere Verbindung der Bundeskanzlerin zu wichtigen Medieneignern
Die Union braucht eigentlich keine Telefongespräche zwischen Parteisprechern und Redakteuren der verschiedenen Medien. Angela Merkel ist eng vernetzt mit den Spitzen der Medienkonzerne (Liz Mohn, Friede Springer) und den Redaktionen der öffentlich-rechtlichen Sender…
- Verabredetes Schweigen über die politische Konkurrenz
Offenbar gibt es so etwas wie konkludentes Handeln bei den Medien, also unausgesprochen einvernehmliches Agieren. Das aus meiner Sicht beste Beispiel dafür ist die systematische Stigmatisierung und immer mehr auch das Verschweigen von Aktionen der Linkspartei. Die deutschen Medien haben offensichtlich mehrheitlich entschieden, dass es keine Koalition Links von Merkels Union geben soll. Also wird die Linkspartei totgeschwiegen, wenn es irgendwie geht wird die Möglichkeit einer Koalition aus SPD, Grünen und Linkspartei wie das Selbstverständlichste auf der Welt aus der Debatte verbannt. Dieses verschweigen muss nicht nur Sympathisanten der Linkspartei irritieren. Es irritiert auch all jene, für die das Leben der Demokratie eng mit der Möglichkeit von politischen Alternativen und damit von Wahlmöglichkeiten verbunden ist.
Anlage:
Das folgende sind die Überschriften und die Einführungen zu einigen wenigen Artikeln zur Affäre um den Pressesprecher der CSU. Zu Ihrer schnellen Information und ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit: