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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Hinweise des Tages
Datum: 24. Oktober 2012 um 8:52 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
Verantwortlich: Jens Berger
Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “Mehr” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (JB)
Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.
Anmerkung unseres Lesers J.S.: Der SPIEGEL wirft der EU-Methode zur Bestimmung von Armutsgefährdung wird Unsinnigkeit vor. Dazu sollte man die Methode erstmal verstehen. Die SPIEGFEL-Recherche ordnet nämlich Begriffe in die Armutsstatistik ein, die da gar nicht rein gehören, etwa das “Netto-Durchschnittseinkommen”. Laut SPIEGEL würde damit bestimmt, wer als von Armut bedroht gelte (“über weniger als 60 Prozent des *Netto-Durchschnittseinkommens* und gelten damit als von Armut bedroht”). Es geht aber um 60 % des (deutlich geringeren) *Mittleren Einkommens*. Die besondere Leistung der SPON Rechercheure: Sie behaupten, die Methode der Studie kritisieren zu können, obwohl sie gleichzeitig noch nicht mal von der zwei Sätze langen Zusammenfassung auf der Webseite der Stastistischen Bundesamtes richtig abschreiben können (“Die Armutsgefährdungsquote ist nach EU-Definition der Anteil der Personen, der mit weniger als 60% des *mittleren Einkommens* der gesamten Bevölkerung auskommen muss.”) Aber diese Argumentationsfigur (aus Unkenntnis?) kennen wir schon: Auch der Leiter des Hauptstadtstudios von BILD hatte schon mit falschen Begriffen (Durchschnittseinkommen anstatt Mittleres Einkommen) gegen den Armutsatlas des paritätischen Wohlfahrtsverband gewettert.
Wie schließlich der unsachliche SPIEGEL-Titel zu der durchaus richtigen Feststellung passt, dass unter bestimmten Lebensumständen, etwa in teuren Ballungsräumen auch Personen armutsgefährdet sein dürften, die knapp über den 952 Euro liegen, bleibt wohl das Geheimnis des Redakteurs vom Dienst.
Anmerkung unseres Lesers H.B.: Mit diesem Artikel hat sich der SPIEGEL selbst “untertroffen”. Entsprechend der Intention des Schreiberlings lautet der Titel “So wird Deutschland arm gerechnet”. Natürlich muss nicht extra erwähnt werden, dass in dem Geschreibsel munter von einem Durchschnittseinkommen gefaselt wird – wieder mal. Dass die Armut über einen Median ermittelt wird, ist dem Autor sicher völlig unbekannt.
Dann geht es an die “Entkräftung” der Armutskriterien: “8,5 Prozent der Deutschen verfügen zwar über weniger als 60 Prozent des bundesweiten Durchschnittseinkommens, haben aber einen Job und sagen von sich selbst, dass sie ihren Lebensstandard nicht aus Geldmangel einschränken müssen.”
Zum einen ist das “einschränken müssen” nicht gleichbedeutend mit der Armutsgrenze, zweitens hätte ich gern mal gewusst, woher der Autor weiß, dass diese Deutschen dass “von sich sagen”. Es ist wohl aus den Fingern gesogen, denn plötzlich lautet die Folgerung: “Diese Menschen fühlen sich also vermutlich keineswegs arm oder sozial ausgegrenzt”. FÜHLEN und VERMUTEN – Donnerwetter! Na, wenn das keine überzeugenden Gegenargumente sind.
Es kommt aber noch besser: Das Kriterium der Erwerbszeitquote von 20 Prozent wendet der Autor allen Ernstes auf Besitzer von Miethäusern an, die von den Mieteinnahmen leben. Die wären dann ja auch arm, so seine Folgerung.
Über soviel Chuzpe bleibt mir echt die Sprache weg. Ich hatte ja gar keine Ahnung, wie arm solche Immobilienbesitzer sind oder Millionenerben, die im Schweiße ihres Angesichts ihr Geld ausgeben oder anlegen müssen. Wie soll man schon darauf kommen, dass dieses Kriterium sich auf abhängige Beschäftigung bezieht?
Anmerkung unseres Lesers G.G.: Da beschwert sich eine Fußballmannschaft, dass der Platz so schlecht war und sie das Spiel verlor – und vergisst dabei, dass beide Mannschaften auf dem selben Platz gespielt haben. Achten Sie beim Lesen des Artikels mal auf die Argumentation bei dem Facharbeiter aus der strukturschwachen Region Vorpommern und bei dem Rumänen in Luxemburg. Einmal wird die Statistik dafür kritisiert, dass sie die Besonderheiten einer Region nicht berücksichtigt, ein anderes mal, weil sie genau das tut. Übrigens wäre auch die im Artikel genannte, für Deutschland viel bessere Quote von 9,1% Armutsgefährdeten nicht eben glorreich für “ausgerechnet eines der reichsten Länder der Welt und das wirtschaftliche Vorzeigeland Europas”.
Und noch etwas: “verfügen über weniger als 60 Prozent des Netto-Durchschnittseinkommens und gelten damit als von Armut bedroht.” – müsste es nicht das mittlere Einkommen und gerade nicht das Durchschnittseinkommen sein?
Ergänzende Anmerkung JB: Bezeichnend ist auch, dass ausgerechnet der mit seinem „Ökonomenaufruf“ bereits vor kurzem maximales Fremdschämpotential ausgelöst hat, bei dieser SPIEGEL-Story der Stichwortgeber ist. Kann es sein, dass auch der „große Statistik-Professor“ Krämer den Unterschied zwischen Durchschnitt und Median nicht kennt? Das wäre dann sogar noch peinlicher als seine vergangenen Ausflüge in die Welt der Volkswirtschaft.
Von Krämer stammt übrigens das kleine, durchaus unterhaltsame, Büchlein “So lügt man mit Statistik”. Sollte es irgendwann einmal eine Neuauflage geben, könnte sich Krämer samt des SPIEGEL-Artikels selbst als Fallbeispiel vorführen.
Anmerkung JK: Erschütternd, obwohl die neoliberale Ideologie mit der Finanzkrise als völlig desavouiert gilt, ist dieses Dogma in den Köpfen der deutschen Abgeordneten und Politiker tief verankert. Wenn man mehr “Wettbewerb” zwischen den Bundesländern will, will man dann, dass sich die gesellschaftlichen Verhältnisse ähnlich entwickeln wie aktuell in der EU? Welchen Vorteil erhofft man sich von einer noch stärkeren sozialen Polarisierung? Will man final etwa Verhältnisse wie in Italien, nur mit umgekehrten Vorzeichen, ein wohlhabender Süden gegen einen verarmten Osten oder Norden?
Anmerkung unseres Lesers J.A.: Was sind das für Kausalketten? Warum kann man die Konjunktur nicht durch höhere Binnennachfrage antreiben? Was überhaupt: sollen die Löhne gesenkt oder die Konjunktur angekurbelt werden (beides zusammen geht kaum)? Und wieso fällt das erst jetzt, nach zweieinhalb Jahren desaströser, von Merkel et al. verordneter Austeritätspolitik auf, obwohl das Problem doch (laut Artikel) “mindestens seit der Großen Depression” bekannt ist?
Anmerkung unseres Lesers E.J.: Jürgen Stark mag mit der EZB wegen derer – an deutschen Maßstäben gemessen – pragmatischer Geldpolitik über Kreuz liegen. Damit aber, dass Spanien bei Beantragung des Rettungsschirms das von Stark so genannte übliche „Vollprogramm“ nach Rezeptur des IWF absolvieren soll, vertritt Stark die wirtschaftspolitischen Auffassungen der EZB, die ihre Ankaufsgarantien für Staatsanleihen bekanntlich von der Erfüllung der berühmt-berüchtigten Konditionalität der IWF- (und daran anschließend der ESM-) Kreditprogramme abhängig macht. Dass der IWF bei der Gestaltung eines Spanienprogramms seinen bisherigen Austeritätskurs aufgeben wird, bleibt trotz positiver Ansätze seines wissenschaftlichen Dienstes nicht mehr als eine schwache Hoffnung. Spanien droht damit nicht nur zum „Markstein“ (vgl. Interviewfrage), sondern auch zum Schlussstein der europäischen Austeritätspolitik zu werden. Darum geht es in den nächsten Wochen.
Anmerkung Orlando Pascheit: Der Artikel im Handelsblatt bezieht sich auf einen Bloomberg-Artikel, der die Zahlen für das oberste Prozent aus einer anderen Quelle bezieht und den zu lesen für diejenigen sinvoll ist, die nicht die Zeit haben, sich den Bericht des U.S. Census Bureau (81 Seiten) zu Gemüte zu führen [PDF – 2.2 MB].
Anmerkung Orlando Pascheit: Man würde schon gerne einmal erfahren, wie die Bundesregierung die Niederschlagung des arabischen Frühlings in Bahrain war mit Hilfe saudischen Militärs bewertet. Oder gelten für Schiiten Menschenrechte und die Achtung grundlegender Werte weniger, weil globaler Feind? Betrachtet man die Bereitschaft Deutschlands, Leopard-Kampfpanzer an Saudi-Arabien zu liefern, genauer, so sollte man sich den geforderten Panzertyp einmal genauer anschauen. Der Leopard 2A7+ ist für sogenannte MOUT-Einsätze (Military Operations in Urban Terrain) also für den Häuserkampf geeignet – aber nicht nur. Er verfügt über eine Rundumsicht und kann auch rundum schießen (ohne den Turm zu bewegen), selbst in einem steilem Winkel nach oben. Sprengstoffhülsen kommen gegen Panzerabwehrwaffen wie die gefürchtete RPG-7 zum Einsatz und mit einem Räumschild können Hindernisse und Barrikaden aus dem Weg geräumt werden. Darauf zu vertrauen, dass der Leopard 2A7+ nur gegen den Iran zum Einsatz käme, ist reichlich naiv.
Passend dazu: Auslandseinsätze: De Maizière rechnet mit wachsender Zahl
“Als starkes Mitglied der internationalen Gemeinschaft wird Deutschland künftig eher häufiger gefragt werden, wenn es darum geht, Verantwortung zu übernehmen – auch militärisch”, sagte der CDU-Politiker gestern bei einer Bundeswehrtagung in Strausberg. Als vereintes Land mit einer der größten Volkswirtschaften der Welt habe Deutschland Verantwortung für Sicherheit und Stabilität in der Welt. “Wir werden gefragt, unser Einfluss ist erwünscht und anerkannt”, sagte er.
Quelle: taz
Anmerkung Orlando Pascheit: De Maizière gibt sich zwar einen seriöseren Anschein als zu Guttenberg, aber im Ergebnis lässt auch er von keiner Sachkenntnis getrübte Sprechblasen ab. Weder hat er der Kanzlerin zugehört, noch verfolgt er die strategische Ausrichtung der USA. Die Kanzlerin möchte lieber die Verantwortung in die Hände verlässlicher regionaler Verbündeter wie Saudi Arabien legen und bietet Waffen statt Soldaten. Die US-Regierung kann ihrer Wählerschaft keine Auslandseinsätze zumuten, zumal die letzten Einsätze folgenreich erfolglos blieben. Jeder Anfänger in West Point weiß, dass Karrieren in der Armee kaum aussichtsreich sind, da die Landstreitkräfte zusammengestrichen werden. Die US-Streitkräfte werden sich auf schnelle Eingreiftruppen und ferngesteuerte Luftwaffensysteme konzentrieren. Da möchte man sehen, wie Deutschland in fernen Landstrichen ohne die USA Verantwortung demonstriert.
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