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Titel: „Wissenschaftsfreiheitsgesetz“ – Freiheit für wen?
Datum: 23. Oktober 2012 um 9:09 Uhr
Rubrik: Hochschulen und Wissenschaft, Markt und Staat, Privatisierung öffentlicher Leistungen
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Immer wenn sich der Staat und damit auch das demokratisch legitimierte Parlament aus ihrer Verantwortung zurückziehen, wird das von den Wirtschaftsliberalen „Freiheit“ genannt. So war das beim sog. Hochschul-„Freiheits“-Gesetz des FDP-Innovationsministers Pinkwart in Nordrhein-Westfalen, so ist es auch beim Wissenschafts-„Freiheits“-Gesetz der Bundesregierung [PDF – 229 KB].
Letztlich wird unter dem Freiheitsbegriff demokratische oder wissenschaftsinterne Steuerung durch anonyme, äußere Zwänge des Wettbewerbs ersetzt. Dafür werden unternehmerische Managementprinzipien eingeführt und damit die Macht der Führungsebene gestärkt. Im Falle des Wissenschafts-„Freiheits“-Gesetzes soll Wettbewerbssteuerung vor allem über frei aushandelbare Bezahlung der „Spitzenkräfte“ stattfinden. Von Wolfgang Lieb
Stärkt autoritative Leitung innovative Forschung?
Schon im ersten Satz der Beschlussempfehlung für diesen Gesetzentwurf der Bundesregierung geht es um die Anwerbung von sog. „Spitzenkräften“: „Wissenschaft und Forschung in Deutschland stehen in einem sich verschärfenden internationalen Wettbewerb um Spitzenkräfte“, heißt es da.
Im Sinne einer dem Unternehmensmanagement entlehnten Top-Down-Steuerung sollen – um den Gesetzen des Wettbewerbs Folge leisten zu können – „die Reaktions- und Steuerungsfähigkeit“ von außeruniversitären Wissenschaftseinrichtungen verbessert werden. Gerade so als ob autoritärer Durchgriff innovative Forschung stärken könnte.
Innovationsgeschehen findet doch gerade umgekehrt in einem „kollektiven Arbeitsprozess“ statt. „Neues entsteht nur, wenn der Mut zu abweichenden Ideen gefördert und Freiräume garantiert werden, in denen solche Ideen gefördert und Freiräume garantiert werden, in denen solche Ideen überhaupt entstehen können“ (Dörre/Neis, Das Dilemma der unternehmerischen Universität).
Statt mehr Wissenschaftsfreiheit für die einzelnen Wissenschaftler bringt das Gesetz also mehr Freiheit für die meist gar nicht mehr aktiv forschenden Instituts-Chefs.
Autonomie für die Führungsebene
Wie beim Hochschul-„Freiheits“-Gesetz NRW wird die wissenschaftliche „Autonomie“ – ein positiv besetzter Reizbegriff für alle Wissenschaftler und gerade auch für die Leitungsebene – als ein Prinzip der individuellen Wissenschaftsfreiheit des einzelnen Wissenschaftlers oder von Forschungsgruppen umgedeutet in eine „größtmögliche Autonomie der Einrichtungen“ und das bedeutet angesichts der Stärkung der Macht der Führungsebene zugunsten einer Stärkung autoritativer Leitungsebenen.
Statt also kooperative Forschungsprozesse, statt die unerlässliche Teamförmigkeit wissenschaftlichen Arbeitens oder die „professionskulturellen“ Bedingungen einer freien Wissenschaft (Dörre/Neis) zu stärken, wird bei uns die ohnehin stark ausgeprägte Hierarchie noch mehr gestärkt. Während – soweit ich das verfolgen kann – überall in der Welt gerade bei komplexen Forschungsvorhaben – (wie sollte es bei der zunehmenden Spezialisierung und Differenzierung der Wissenschaften auch anders sein) auf flache Hierarchien gesetzt wird, geht man in Deutschland den umgekehrten Weg.
Über eine Demokratisierung innerhalb der Forschungsinstitute und eine Verbesserung der auch in außeruniversitären Forschungseinrichtungen prekären Beschäftigungsverhältnisse (Zeitverträge, halbe Stellen), über die Einführung von Mindeststandards bei den Ausbildungs- und Arbeitsverträgen der wissenschaftlichen Mitarbeiter oder über die Forderung nach Personalentwicklungsplänen schweigt sich das Gesetz aus. Im Gegenteil, Stellenpläne sollen sogar obsolet werden.
Freiheit für wen?
Nichts gegen Globalhaushalte und die überjährige Übertragbarkeit von (staatlichen) Zuschüssen, nichts gegen mehr betriebswirtschaftliche Freiheit auch bei Baumaßnahmen für die außeruniversitären Forschungseinrichtungen – auch wenn der Bundesrechnungshof gegen fehlendes Controlling Bedenken erhoben hat. Diese Erleichterungen sind banal gegenüber der viel entscheidenderen Strukturentscheidung:
Die Wissenschaftsfreiheit der einzelnen Wissenschaftler in den außeruniversitären Forschungseinrichtungen wird eingeengt zugunsten der Freiheit und der Privilegierung [PDF – 166 KB] der leitenden „Spitzenforscher“ – wie sie sich auch immer als an der „Spitze“ der Forschung stehend ausgezeichnet haben mögen. Ihnen wird die Entscheidungsmacht zugewiesen, auf „aktuelle Entwicklungen flexibel zu reagieren“. Und „flexibel“ heißt, vorhandene Forschungsansätze einstellen oder zurückfahren und die Forschung am „internationalen Wettbewerb“ ausrichten zu können. Nicht der gesellschaftliche Bedarf, der gesellschaftliche Dialog oder die Forschungsrelevanz, nicht die Einschätzungen der „Scientific Community“ oder nicht einmal mehr das „Harnack-Prinzip des herausragenden, außergewöhnlichen Forschers (das Grundprinzip der Max-Planck-Gesellschaft) sollen also die Forschungsziele bestimmen, sondern der „internationale Wettbewerb“ soll steuern.
„Internationaler Wettbewerb“ – Was heißt das überhaupt?
Wettbewerb heißt doch, dass man mit anderen Wettbewerbern konkurriert und sie überholt. Wie stellt man fest, ob man im Wettbewerb bei der Forschung besteht – zumal wenn es sich um Grundlagenforschung handelt, wie das bei vielen außeruniversitären Forschungseinrichtungen ja der Fall ist. Misst man das an Hand von Forschungspreisen, an Hand von Zitationen in wissenschaftlichen Publikationen, an Hand von Einladungen zu Kongressen? Wird dabei nicht eher der Forschungs-Mainstream oder das Old-Boys-Network innerhalb der Wissenschaftsgemeinschaft gestärkt, als Innovation in der Forschung?
Neben der „Urteilskraft“ (Konrad Paul Liessmann, Theorie der Unbildung) der „Scientific Community“ über die Forschungsqualität gibt es nur eine einzige – allerdings nur quantitative – Messgröße für wettbewerblichen Erfolg von Forschung, nämlich die profitable Verwertung ihrer Ergebnisse in der Wirtschaft.
Wettbewerblicher Erfolg gemessen an den Gehaltsanreizen aus privaten Drittmitteln
Und genau daraufhin ist auch das Wissenschafts-„Freiheits“-Gesetz angelegt. Man will nicht nur die Entscheidungsmacht der „Spitzenkräfte“ stärken, sondern man will ihnen die Möglichkeit eröffnen, „Drittmittel aus nichtöffentlichen (also doch wohl privaten) Quellen für eine flexiblere Gehältergestaltung einzusetzen“. Gehaltsanreize für die „Spitzenkräfte“ von privaten Geldgebern – also wenn nicht von privaten Stiftungen, dann doch wohl aus der Wirtschaft – und das gepaart mit einer Stärkung ihrer Entscheidungsmacht, werden also künftig die Richtung der Forschungsinnovation bestimmen. Demokratische Gestaltungmöglichkeit der Forschungslandschaft oder über Forschungsrichtungen werden abgebaut, nicht einmal Zielvereinbarungen mit der Regierung oder Berichts- oder Rechenschaftspflichten gegenüber dem Parlament sind vorgesehen.
„Funktionelle Privatisierung“ der Forschung
Wir stoßen also einmal mehr auf das Phänomen der „funktionellen Privatisierung“ staatlich finanzierter Forschung. Das heißt, der Staat (oder der Steuerzahler) bezahlt im kommenden Jahr 4,6 Milliarden Euro an die außeruniversitären Forschungseinrichtungen, die „frei“ sind von Transparenz und Rechenschaftspflicht gegenüber ihrem öffentlichen Hauptgeldgeber und die private Wirtschaft lenkt durch Gehaltszuschüsse an die Leitungskräfte die Forschung. Billiger kann die Wirtschaft die Instrumentalisierung der Forschung für ihre Zwecke eigentlich nicht bekommen. Eine genial erdachte Hintertür für das Ziel der Ökonomisierung der Forschung!
Zementierung der Spaltung der Forschungslandschaft
Der Bund hat zwar aufgrund des mit der Föderalismusreform von 2006 eingeführten „Kooperationsverbotes“ kaum noch Möglichkeiten auf die in der Zuständigkeit der Länder liegenden Hochschulen und damit auf die Hochschulforschung einzuwirken, aber mit dem Wissenschafts-„Freiheits“-Gesetz wird die unsinnige und schädliche Spaltung zwischen außeruniversitärer und der Hochschulforschung eher noch weiter zementiert.
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