Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “Mehr” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (WL/JB)
- Dirk Hierschel – Reichtum verpflichtet
- Armutsgefährdung in den meisten Bundesländern gestiegen
- Neue Ideen, bitte!
- Auf dem Weg in die Altersarmut
- Die Finanzaufsicht komplexer Märkte – ein Frisbee-Spiel
- ESM-Urteil
- Technokratie, Nährboden des Euroskeptizismus
- Portugal – Troika bietet Atempause… für härteren Sparkurs
- USA: Daten der Schande 2011
- Gemeinschaftswährung mit Kreislaufkollaps
- Borken hat mehr Babys als Bochum
- Erfolg für die Gewerkschaften: Europäische Kommission zieht „Monti II“-Vorschlag zurück
- Tom Schimmeck – Und nun?
- Stuttgarter Autoren-Melange
- The economics behind the killings of South African mine workers
- Zu guter Letzt: Piratensalat
- Das Allerletzte: Unfassbar!
Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.
- Dirk Hierschel – Reichtum verpflichtet
Die Gewerkschaft ver.di hat zusammen mit Sozialverbänden und Nichtregierungsorganisationen eine Debatte über neue Reichensteuern angestoßen. In Zeiten hoher Staatsschulden will ver.di Reiche stärker besteuern um die öffentliche Armut zu lindern Im Mittelpunkt steht die Forderung nach einer Vermögensabgabe
Neben Zustimmung gibt es auch Kritik Die Gewerkschaften würden über das Ziel hinausschießen schrieb auch diese Zeitung. Eine Vermögensabgabe schröpfe in Wirklichkeit nicht die Reichen sondern den Mittelstand. So würden Leistungsträger bestraft und die Wirtschaft beschädigt. Was ist dran an dieser Kritik?
Quelle: ZEIT [PDF – 165 KB]
passend dazu: Jetzt Millionäre kräftig besteuern
Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zum ESM und Fiskalpakt wird die kräftige Besteuerung von Millionären und Milliardären immer drängender. Andernfalls drohen über Jahre hinweg massive Sozialkürzungen. Aber, der Reihe nach.
In der öffentlichen Debatte stehen die Auflagen für den ESM, den europäischen „Rettungsschirm“, im Vordergrund. Die Richter in Karlsruhe halten den ESM nur für verfassungsgemäß wenn völkerrechtlich geregelt wird, dass der deutsche Anteil von 190 Milliarden Euro nicht überschritten werden kann. Außerdem muss eine umfassende Unterrichtung des Bundestages und Bundesrates gewährleistet sein. Dies ist ein eindeutiger Gewinn für die Demokratie und insofern hat sich der Gang nach Karlsruhe für DIE LINKE gelohnt. Allerdings ist der Erfolg sehr begrenzt. Denn der ESM wird Hilfsgelder nur vergeben mit scharfen sozialen Auflagen, die wie im Falle Griechenlands zu brutalen sozialen Verschlechterungen führen und das Land ökonomisch noch weiter in den Abgrund treiben. Weiterhin werden vor allem Banken gerettet ohne die wirklichen Ursachen der Eurokrise anzugehen.
Quelle: Michael Schlecht
- Armutsgefährdung in den meisten Bundesländern gestiegen
Die Armutsgefährdung der Menschen lag im Jahr 2011 in den meisten Bundesländern über dem Niveau des Jahres 2010. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) weiter mitteilt, hatten Bremen mit 22,3 % und Mecklenburg-Vorpommern mit 22,2 % bundesweit die höchsten Armutsgefährdungsquoten.
In Mecklenburg-Vorpommern ging die Armutsgefährdungsquote um 0,2 %-Punkte auf 22,2 % leicht zurück. Daneben konnte nur Thüringen einen Rückgang der Quote gegenüber dem Vorjahr erreichen (– 0,9 %-Punkte auf 16,7 %). Beide Länder haben damit den kontinuierlichen Rückgang der letzten Jahre fortgesetzt und erreichten im Jahr 2011 jeweils den bisher niedrigsten Wert der Armutsgefährdung. Demgegenüber gab es in Berlin (21,1 %) und in Nordrhein-Westfalen (16,6 %) durch beständige Anstiege der Armutsgefährdung seit dem Jahr 2006 jeweils einen neuen Höchststand. Berlin wies im Jahr 2011 zudem die höchste Veränderungsrate von + 1,9 %-Punkten gegenüber dem Vorjahr aus.
Auch im Ost- und Westvergleich gibt es weiterhin deutliche Unterschiede bei den Armutsgefährdungsquoten. Hatten im Jahr 2011 im früheren Bundesgebiet (ohne Berlin) 14,0 % der Bevölkerung ein erhöhtes Armutsrisiko, waren in den neuen Ländern (einschließlich Berlin) 19,5 % der Menschen armutsgefährdet.
Diese Ergebnisse gehen aus aktuellen Berechnungen auf Basis des Mikrozensus für das Jahr 2011 hervor, die von den Statistischen Ämtern des Bundes und der Länder im Rahmen des Projekts „Sozialberichterstattung der amtlichen Statistik“ durchgeführt wurden. Gemäß der Definition der Europäischen Union gelten Menschen als armutsgefährdet, die mit weniger als 60 % des mittleren Einkommens (Median) der Gesamtbevölkerung auskommen müssen. Nach den Ergebnissen des Mikrozensus 2011 galten im Jahr 2011 Einpersonen-Haushalte mit einem monatlichen Einkommen von weniger als 848 Euro als armutsgefährdet. Die Grundlage der hier veröffentlichten Armutsgefährdung ist die Armutsgefährdungsschwelle auf Bundesebene (Bundesmedian), die für Bund und Länder einheitlich ist und somit einen regionalen Vergleich ermöglicht.
Diese und weitere Armuts- und Sozialindikatoren, zum Teil in tiefer regionaler Gliederung, sowie detaillierte methodische Erläuterungen zu den Datenquellen und den angewandten Berechnungsverfahren stehen im Internetangebot der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder zur Verfügung. Dort finden sich auch Armutsgefährdungsquoten, die auf Basis regional unterschiedlicher Armutsgefährdungsschwellen ermittelt wurden. Das Informationsangebot wird regelmäßig aktualisiert und weiterentwickelt.
Quelle: Statistisches Bundesamt
dazu: Kampf gegen Armut wichtiger als Wahlkampf
„Die anhaltend hohe Armut erfordert einen politischen Kurswechsel unabhängig von Wahlterminen.“ Das erklärte der Präsident der Volkssolidarität, Prof. Dr. Gunnar Winkler, am Donnerstag. Mit Blick auf die vom Statistischen Bundesamt gemeldete gestiegene Armutsgefährdungsquote sagte er: „Diese Zahlen belegen erneut, dass Armut für Millionen bittere Realität ist. Sie zeigen auch, dass in Ostdeutschland mehr Menschen davon bedroht bzw. betroffen sind.“
Die Zeit sei längst reif für einen Kurswechsel. Winkler erinnerte daran, dass Arbeitslosigkeit, Niedriglöhne, prekäre Beschäftigung und mangelhafte soziale Absicherung die Hauptursachen für Armut sind. Die Volkssolidarität fordere endlich spürbare Aktivitäten, um Armut zu bekämpfen. “Dazu gehören als dringende Maßnahmen unter anderem eine deutliche Erhöhung des Regelsatzes für Leistungen der Grundsicherung bei Langzeitarbeitslosigkeit, im Alter und bei Erwerbsminderung sowie ein eigener bedarfsgerechter Regelsatz für Kinder. Die für 2013 angekündigten acht Euro mehr reichen nicht aus. Gefordert sind außerdem Mindestlöhne, damit Arbeit wieder gerecht entlohnt wird. Das wäre auch ein Beitrag gegen die drohende Altersarmut für Millionen.”
Quelle: Vokssolidarität
- Neue Ideen, bitte!
StudentInnen aus zehn kritischen Hochschulgruppen drängen auf eine Wende in der Volkswirtschaftslehre.
Neue Ideen und neue Bücher sollen her.Vier Jahre nach der Pleite von Lehman Brothers merken nun auch die deutschen Ökonomen, dass es so nicht weitergehen kann. Bei ihrer Jahrestagung in Göttingen, gaben sich die 3.800 Mitglieder des Vereins für Socialpolitik (VfS), einen Ehrenkodex, der künftig ihre Finanzierungsquellen offenlegen soll. Vor allem junge Volkswirte beklagen aber noch ganz andere Missstände in ihrem Fach, das einer „geistigen Monokultur“ gleiche.
VWL-StudentInnen aus zehn kritischen Hochschulgruppen verfassten einen offenen Brief, in dem sie die Besetzung von 20 Prozent der Lehrstühle mit alternativen Ökonomen fordern. Grundsätzlich sollten abweichende Theorien, Methoden und Lehrbücher mehr Platz im Studium finden.
Volkswirte müssten mehr Kontakt zu anderen Disziplinen suchen und viel stärker ihre eigene Rolle und ihre Grundannahmen hinterfragen, so die Forderung. 60 Ökonomie-ProfessorInnen gehören zu den Erstunterzeichnern des Briefs. Auch sie kritisieren, die VWL habe vor lauter Mathe-Modellen ihren Kernauftrag vergessen, nämlich die Verteilung knapper Ressourcen für ein gutes Zusammenleben zu diskutieren.
Parallel zum Treffen des VfS, in dem die Wirtschaftswissenschaftler aus Deutschland, Österreich und er Schweiz organisiert sind, fand erstmals eine „Protesttagung“ statt. Ebenfalls in Göttingen diskutierten Hunderte mit Ökonomen wie Peter Bofinger und Heiner Flassbeck sowie dem ehemaligen Bundesfinanzminister Oskar Lafontaine (Die Linke) neue Ansätze in der VWL.
Quelle: taz
dazu: Richard Werner: Über die Notwendigkeit einer Reform der Volkswirtschaftslehre
Vortrag von Richard Werner (University of Southampton) bei der “Ersten Pluralistischen Ergänzungsveranstaltung zur Jahrestagung des Vereins für Socialpolitik” veranstaltet vom Arbeitskreis Real World Economics.
Quelle: AK Real World Economics via You Tube
- Auf dem Weg in die Altersarmut
Bilanz der Einführung der kapitalgedeckten Riester-Rente
Mit den Rentenreformen von 2001 und 2004 wurde ein grundsätzlicher Zielwechsel für die gesetzliche Rente eingeleitet: Von der Sicherung des Lebensstandards im Rentenalter hin zur Beitragssatzstabilität. So soll der Beitragssatz nur bis maximal 22 % im Jahr 2030 steigen. Ohne die Reformmaßnahmen würde sich der Beitragssatz dagegen bis zum Jahr 2030 auf etwa 26 % erhöhen (Dedring et al. 2010). Folglich wird angesichts der absehbaren demographischen Entwicklung das Rentenniveau schrittweise sinken (siehe Infobox 1). Darüber hinaus reduzieren weitere Maßnahmen, die sich nicht im Indikator Rentenniveau niederschlagen, die Rentenhöhe: So werden Ausbildungszeiten in der Regel nicht mehr anerkannt, Zeiten der Arbeitslosigkeit geringer bewertet, und es werden Abschläge bei vorzeitigem Rentenbezug vorgenommen. Das alles führt dazu, dass die gesetzliche
Rentenversicherung (GRV) künftig einen deutlich geringeren Teilbeitrag zu einem den Lebensstandard sichernden Alterseinkommen leistet.
Zum Ausgleich der starken Absenkung des Rentenniveaus sollen die Beschäftigten entweder betrieblich und/oder privat und ohne Arbeitgeberbeteiligung im Rahmen der neu eingeführten Riester-Rente vorsorgen, was in Abhängigkeit von Familienstand und Einkommen sowohl durch staatliche Zuschüsse als auch durch Steuererleichterungen gefördert wird. Darüber hinaus werden weiterhin private und betriebliche Vorsorgeaufwendungen durch die Absetzbarkeit bei der Einkommenssteuer und durch die Steuer- und Sozialversicherungsfreiheit bei der „Entgeltumwandlung“ gefördert.
Die wirtschafts- und sozialpolitischen Ziele dieser Reformen waren, die Kosten des gesetzlichen Rentensystems vor dem Hintergrund des demographischen Wandels zu reduzieren und die betriebliche Altersvorsorge verwendet. Dieser Teil wird direkt vom Bruttolohn abgezogen und mindert dadurch das steuer- und sozialversicherungspflichtige Einkommen und reduziert damit die Bemessungsgrundlage für die Rentenanpassung.
Lohnnebenkosten zu senken, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit, sowie Wachstum und Beschäftigung zu steigern. Zugleich sollte über die Einführung der kapitalgedeckten Riester-Rente eine ausreichende Alterssicherung gewährleistet werden. Mit dem Teilumstieg vom Umlageverfahren zur Kapitaldeckung erhoffte man sich, dass im Einklang mit internationalen Empfehlungen höhere Renditen als im Umlageverfahren zu erzielen seien
(World Bank 1994 und die spätere Relativierung durch Orszag und Stiglitz 1999).
Es ist aber mittlerweile fraglich, ob diese Ziele erreicht werden. Erste Bestandsaufnahmen der Rentenreformen und insbesondere der Riester-Rente zeigen, dass viele Versprechen bei weitem nicht eingelöst werden. Im Folgenden wird gezeigt, dass die kapitalgedeckte Rente keinesfalls geeignet ist, den Menschen ein sicheres Auskommen im Alter in Ergänzung zur gesetzlichen Rente zu garantieren.
Bleiben die Reformen unverändert in Kraft, werden erhebliche Teile der Erwerbsbevölkerung in Altersarmut gleiten.
Quelle: IMK Report [PDF – 1.2 MB]
- Die Finanzaufsicht komplexer Märkte – ein Frisbee-Spiel
Die Finanzkrise hat daran erinnert, wie abhängig die Weltwirtschaft von einem gut funktionierenden Bankensektor und stabilen Finanzmärkten ist. Davon sind wir zur Zeit weit entfernt.
Mit Basel III wird versucht, die Risiken einzudämmen, doch Beobachter äußern zunehmend Zweifel, ob die dort formulierten Regeln eine angemessene Antwort auf die anstehenden Herausforderungen sind. International viel Beachtung finden in diesem Zusammenhang die Arbeiten von Andrew Haldane (Executive Director for Financial Stability, Bank of England). Er vergleicht Ökosysteme und Finanzsystem und zeichnet ein Bild großer Banken, die als „super-spreader“ im Mittelpunkt weiter Netzwerke stehen. Ähnlich einem Virus sind diese Banken in der Lage, in einer Finanzkrise Ansteckung zu verbreiten. Auf sie sollte sich daher das Hauptaugenmerk der Finanzaufsicht richten.
Das Problem, das Haldane dabei sieht, ist der Grad der Komplexität des Systems. In seinem jüngst in Jackson Hole präsentierten Papier „The Dog and the Frisbee“ plädiert er für eine Vereinfachung der Basel III-Regeln, um dieser Komplexität Herr zu werden. In einem atemberaubenden Rundumschlag stellt er Verbindungen her zwischen den Grundzügen der Komplexitätstheorie, dem Bounded-Rationality-Ansatz von Herbert Simon und den Argumenten der Verhaltensökonomen Daniel Kahneman and Amos Tversky, und verweist auf Beispiele aus ganz unterschiedlichen Bereichen wie Sport und Medizin.
Sein Argument lautet: In komplexen Systemen benötigen Entscheidungsträger viel zu viele Informationen, um mit Feinsteuerung auf Fehlentwicklungen zu reagieren. Auch der Hund, der einen Frisbee fängt – ein durchaus komplexes Unterfangen, dessen Erfolg von einer Vielzahl von Einflüssen wie Geschwindigkeit und Windverhältnissen abhängt – , wendet nicht die Newtonschen Bewegungsgesetze an, sondern läuft, wie Untersuchungen gezeigt haben, instinktiv einer einfachen Verhaltensregel folgend dem Frisbee entgegen. Entsprechend erlauben einfache Regeln der Finanzaufsicht, Krisen unter Kontrolle zu bekommen.
Ob diese Sicht jedoch zutrifft, hängt unter anderem davon ab, was unter Komplexität zu verstehen ist.
Quelle: Carta
- ESM-Urteil
- Karlsruher Albernheiten
Die Verfassungsrichter sind sich treu geblieben. Mit dem Urteil zum Euro-Rettungsschirm ESM verfolgen sie ihre eingeschlagene Linie. Allerdings wirken die Auflagen in Teilen absurd. […]
Dass für diesen arg konstruierten Fall der deutsche Finanzminister nach der Logik des Zustimmungsgesetzes ohnehin den Bundestag befragen müsste, ignorieren die Richter. Sie sagen lieber noch einmal: Bei einer Erhöhung der Risiken muss der Bundestag zustimmen. Sie stellen die Bundestagsabgeordneten so als Trottel dar, die im Zweifel nicht selbst aufpassen können.
Während die Richter den Abgeordneten keine ordentliche Vertragslektüre zutrauen, überantworten sie ihnen die politische und wirtschaftliche Entscheidung über die 190 Mrd. Euro.[…]
Mit dem Urteil können alle Beteiligten offenbar gut leben. Die Kläger werden trotz erwiesener Erfolglosigkeit weiter klagen und jedes Mal behaupten, ihre demokratischen Rechte würden verletzt. Dabei wird dieser Punkt regelmäßig abgewiesen. Noch einmal hat das Gericht den Bundestag gestärkt. Wem die breite Mehrheit dort für die Rettungsschirme nicht passt, muss andere Parteien wählen. Das aber scheinen die Bürger nicht zu wollen. Ihnen reicht das Gefühl, dass Karlsruhe aufpasst.
Quelle: FTD
Anmerkung JB: Der Satz „Wem die breite Mehrheit dort für die Rettungsschirme nicht passt, muss andere Parteien wählen“ trifft voll ins Schwarze!
- Die Fallstricke des ESM-Urteils
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum ESM ist an den Finanzmärkten weithin mit Erleichterung aufgenommen worden und wird von der Bundesregierung als Bestätigung ihres Kurses gewertet. Es enthält aber eine Passage, die noch eine Menge Ärger bereiten könnte. Denn das Gericht hat entschieden, sich auch mit den Aktionen der EZB zu beschäftigen. […]
Nach meinem Verständnis kann das Gericht aber dennoch zu einem Urteil kommen und zum Beispiel die Bundesregierung auffordern, die EZB vor dem Europäischen Gerichtshof zu verklagen. Auch wenn diese Klage abgewiesen würde, wäre das Anleiheprogramm in Deutschland politisch kaum noch haltbar, wenn es vom höchsten Gericht als rechtswidrig qualifiziert würde.
Seit die EZB entschieden hat, unbegrenzt Anleihen zu kaufen, hat der ESM an Bedeutung verloren. Man braucht ihn noch als Hülle um Konditionalität zu erzwingen, aber das Geld kommt von der EZB. Wenn das Gericht die EZB stoppen würde, dann ist das daher viel dramatischer als die rote Ampel für den ESM.
Ich bin mir nicht sicher, dass sich alle dessen bewusst sind.
Quelle: ZEIT Herdentrieb
- Auflagen zum Euro-Rettungsschirm wirken krisenverschärfend
ver.di begrüßt die Klarstellungen in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Euro-Rettungsschirm ESM, sieht die inhaltliche Ausgestaltung der Auflagen durch den ESM aber sehr kritisch. […]
Deswegen fordere ver.di, den ESM künftig mit einer Banklizenz auszustatten und somit direkt über die Zentralbank zu finanzieren.
Äußerst kritisch sieht ver.di die mit dem EFSF und künftig mit dem ESM verknüpften Auflagen zur Gestaltung der Wirtschaftspolitik in den betroffenen Ländern. Dabei handele es sich ausschließlich um neoliberale Strukturreformen. „Die Zerschlagung der südeuropäischen Flächentarifvertragssysteme, der massive Personalabbau im öffentlichen Dienst, die Demontage armutsfester Alterssicherungssysteme und die Privatisierung öffentlicher Güter verschärfen nur die aktuelle Krise“, sagte Bsirske. Der Rettungsschirm lindere somit lediglich die Refinanzierungsprobleme der Krisenstaaten, verhindere aber gerade durch die Auflagen eine nachhaltige wirtschaftliche Erholung und damit ein Ende der Krise.
Quelle: Verdi
- Technokratie, Nährboden des Euroskeptizismus
Herman Van Rompuy und Mario Monti fordern einen Sondergipfel gegen den „spalterischen Populismus“. Doch zu einem Zeitpunkt, an dem das Demokratiedefizit in der Funktionsweise der Union immer heftiger in die Kritik gerät, sei dieser Vorschlag denkbar deplatziert, meint ein spanischer Politologe. […]
Anstatt Populisten und Euroskeptiker anzugreifen, täten die Entscheidungsträger der Union besser daran, sie mit einer Verbesserung des demokratischen Systems zum Schweigen zu bringen. Auf lange Sicht wäre es bedauerlich, wenn uns Demokraten nur die Wahl zwischen Populisten und europhilen Technokraten ließen.
Quelle: El Pais via Presseurop
- Portugal – Troika bietet Atempause… für härteren Sparkurs
Portugal begreift, dass den Menschen 2013 noch tiefer in die Tasche gegriffen werden wird als 2012. Während die Troika aus EZB, EU und IWF dem Land ein zusätzliches Jahr zum Erreichen des Defizitziels von 3 Prozent einräumt, verabschiedet die Regierung neue Sparmaßnahmen.
Am 7. September überraschte Ministerpräsident Passos Coelho mit der Ankündigung einer Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge für Arbeitnehmer um 7 Prozent, während gleichzeitig der Arbeitgeberanteil 5,75 Prozent gesenkt wird. Und dann gab Finanzminister Vitor Gaspar am 11. September dreizehn weitere Sparmaßnahmen bekannt. Darunter Rentenkürzungen, eine beschleunigte Reduzierung der Beschäftigten im öffentlichen Dienst, eine Erhöhung der Einkommenssteuer, sowie einen Anstieg um 1,1 Prozent der Sozialversicherungsbeiträge für Selbstständige.
Quelle: Presseurop
- USA: Daten der Schande 2011
Gestern veröffentlichte das U.S. Census Bureau, das statistische Bundesamt der USA, seinen jährlichen Bericht zum Stand der Einkommen, der Armut und den der Krankenversicherten für das Jahr 2011. Diese Daten sind wie jedes Jahr ein Beleg für ein degeneriertes System. Die offizielle Armutsquote sank zwar im Jahr 2011 auf 15,0%, nach 15,1% in 2010, aber diese Daten sind nicht wirklich konsistent, was auch dem US-Wahljahr geschuldet sein dürfte. Beschämende 46,247 Millionen US-Bürger mussten 2011 unter der Armutsgrenze leben, die zweithöchste Zahl seit Beginn der Datenerhebung vor 53 Jahren! Erweitert man die offizielle Armutsgrenze auf 125% sind sogar 60,949 Millionen von Armut betroffen, der höchste Stand seit 1959 und ein Anteil von 19,8% an der Gesamtbevölkerung.
Quelle: Querschuesse
passend dazu: U.S. Income Gap Rose, Sign of Uneven Recovery
he income gap between the wealthiest 20 percent of American households and the rest of the country grew sharply in 2011, the Census Bureau reported, as an overwhelming majority of Americans saw no gains from a weak economic recovery in its second full year.
Income for the top fifth of American households rose by 1.6 percent last year, driven by even larger increases for the top 5 percent of households, said David Johnson, the Census Bureau official who presented the findings. All households in the middle of the scale saw declines, while those at the very bottom stagnated.
Quelle: New York Times
- Gemeinschaftswährung mit Kreislaufkollaps
Ohne Kurswechsel hat der Euro keine Chance mehr
Schon vor dem EU-Gipfel Ende Juni war klar: Auch 2012 würde der Euroraum wieder vor einem Krisensommer stehen. War es im vergangenen Jahr das sichtbare Scheitern des ersten Rettungspakets für Griechenland, so sind die Brandherde inzwischen deutlich zahlreicher geworden: Spanien und Zypern haben noch im Juni die bereits vorab angekündigten Anträge auf Hilfszahlungen gestellt – dem spanischen Antrag hat der Deutsche Bundestag dann in einer Sondersitzung im Juli zugestimmt. Die neue griechische Regierung hat unmittelbar nach ihrem Amtsantritt angekündigt, die Auflagen aus dem zweiten Hilfspaket nachverhandeln zu wollen und die italienische Wirtschaft rutschte in der ersten Jahreshälfte immer tiefer in die Rezession, während gleichzeitig die Anleihezinsen für das Land stiegen und stiegen. Und: Zwischenzeitlich geriet erstmals auch die gemeinsame Währung, der Euro, sichtbar unter Druck.
Quelle: Friedrich Ebert Stiftung [PDF – 110 KB]
- Borken hat mehr Babys als Bochum
Die Geburtenrate in Deutschland liegt seit Jahrzehnten ziemlich konstant bei 1,4 Kindern pro Frau. Doch es gibt Gegenden, wo die Rate genauso konstant höher ist – und das hat nicht nur mit Geld zu tun. […]
Es sind aber auch andere Faktoren als Spielplätze, Jugendzentren und Kitas, die dafür sorgen, dass im Kreis Borken bislang mehr Kinder geboren werden als anderswo im Land. “Durch die Kirche haben wir hier einen bestimmten Wertekanon, der womöglich ausgeprägter ist als in anderen Regionen”, spekuliert der Bürgermeister.
Quelle: SPIEGEL Online
Anmerkung JB: Die SPIEGEL-Online-Expertin für demographische Fragen, Lisa Erdmann, ist einmal mehr auf der Suche nach dem Mysterium der unterschiedlichen Geburtenziffern. Da ökonomische Aspekte in Erdmanns Welt keine Rolle spielen, ist sie nun im Kreis Borken auf die fruchtbare Wirkung des christlichen Glaubens gestoßen. Hallelujah! Auf die naheliegendste Lösung für die unterschiedlichen Geburtenziffern in Bochum und Borken kommt Frau Erdmann nicht – Bochum hat mit 44,6 Jahren ein deutlich höheren Altersschnitt als der Kreis Borken mit 40,2 Jahren – und das liegt weniger an der Kirche, sondern mehr an den hohen Pendlerzahlen [PDF] zwischen dem Kreis Borken und den angrenzenden Niederlanden. Wenn man diese Faktoren mit einbezieht, käme man jedoch nicht darum herum, sozio-ökonomische Gründe für die unterschiedlichen Geburtenziffern zu finden – und auf diesem Auge ist Frau Erdmann bekanntlich blind.
- Erfolg für die Gewerkschaften: Europäische Kommission zieht „Monti II“-Vorschlag zurück
Die Europäische Kommission zieht ihren Entwurf für die sogenannte Monti-II-Verordnung zurück. Ein Erfolg für die Gewerkschaften, denn der Vorschlag hätte weitreichende Folgen auch für das nationale Streikrecht gehabt. Die deutschen und europäischen Gewerkschaften setzen sich weiter ein für eine Soziale Fortschrittsklausel in den Europäischen Verträgen.
Der DGB begrüßt die Ankündigung der Europäischen Kommission, den sogenannten “Monti II“-Vorschlag*) zurückzuziehen. Die Kommission hatte die Verordnung als Reaktion auf massive Kritik in Folge der umstrittenen Urteile des Europäischen Gerichtshofes (Laval, Viking, Rüffert, Kommission gegen Luxemburg) vorgeschlagen. Damit sollte Rechtssicherheit geschaffen werden für das Spannungsverhältnis zwischen wirtschaftlichen Grundfreiheiten und sozialen Grundrechten – insbesondere dem Streikrecht.
Quelle: DGB
- Tom Schimmeck – Und nun?
Brüder, zur Sonne, zur… Kassenärztlichen Vereinigung? Da zuckt der Leser. Tatsächlich aber birgt der aktuelle Ärzteprotest ein paar Lektionen auch für uns Geringverdiener. Von den Ärzten lernen heißt Siegen lernen.
Verhandlungsabbruch, Protest, Ultimatum, Klage, Streik. Der Kampf der niedergelassenen Ärzte um mehr Geld kommt wuchtig daher. Standesvertreter überbieten sich in Verbalradikalismus. Die Krankenkassen, dröhnt Bundesärztekammer-Präsident Frank Ulrich Montgomery, bildeten ein „völlig verantwortungsloses Machtkartell“, das versuche, die Ärzte „unter seine Knute zu zwingen“. Er verspricht einen „heißen Herbst“. Klaus Reinhardt, Vorsitzender des Hartmannbundes, geißelt die „unverschämten Forderungen” der Kassen und eine „Zersetzung unseres Gesundheitssystems“. Dirk Heinrich, Oberhaupt des Verbandes der niedergelassenen Ärzte, schimpft über ein „verheerendes Signal“ und will auf die Straße gehen. Andreas Köhler, Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), die elf Prozent mehr Geld für 2013 gefordert hatte, erklärt die Stimmung in der Ärzteschaft für „hochexplosiv“. Die Nation, schallt es aus seiner KBV, sei „auf dem Weg in eine Kassenräterepublik“. Es gehe um die „Machtfrage“.
Quelle: DGB Gegenblende
- Stuttgarter Autoren-Melange
Die Schlacht um Stuttgart 21 ist geschlagen, dachte sich Wolfgang Schuster nach der Volksabstimmung Ende 2011. Jetzt fehle nur noch der wissenschaftliche Segen für den Kampf, den er seit 16 Jahren als Oberbürgermeister geführt hat. Ein Buch, das die Deutungshoheit übernimmt. Noch vor Weihnachten soll die Stuttgarter Melange erscheinen. Herausgeber: Noch-OB Wolfgang Schuster und Professor Frank Brettschneider.
Quelle: Kontext Wochenzeitung
dazu auch: Rückzug, oder: Jetzt erst recht
Das Volk hat Stuttgart 21 gewollt. Sagen die Volksvertreter. Der Konfliktforscher Dieter Rucht ist anderer Meinung. Für ihn war die Volksabstimmung ein Mittel zur Verhinderung direkter Demokratie. Was Wunder, dass sein Aufsatz in Professor Brettschneiders S-21-Apologie keinen Platz fand. Kontext veröffentlicht Ruchts Text in leicht gekürzter Form.
Quelle: Kontext Wochenzeitung
- The economics behind the killings of South African mine workers
“We were only tolerated simply because our cheap labour is needed.” (Steve Biko)
The killings of 34 demonstrating mine workers in South Africa last month has several background factors, but two of them stand out: police brutality and the exploitation of workers. And they are interlinked.
The aggressiveness of the security forces’ represent the conditioning produced by the governmentality of national and international elites. Thus, the assault in Marikana, South Africa is not an isolated event, it’s a global phenomenon. One major difference is the explicitness of this event – workers usually perish in silence due to, for instance, poor health or social violence, away from the cameras.
The economics behind this governmentality propose that the labour market has to be “flexible” to the demands of “the market”. In other words, workers have to endure low incomes and poor working conditions, especially if they are easily replaced with others from the abundant labour supply. The current standstill at the Marikana mines is due to this confrontation. The striking workers threaten those that are willing to work at prevailing rates. Thus, this economics rationale also push workers to clash with each other.
Quelle: Real World Economics Review
- Zu guter Letzt: Piratensalat
Quelle: ZDF Heute-Show
- Das Allerletzte: Unfassbar!
Wir wissen nicht, was “Bild”-Redakteure an der Stelle, an der bei anderen Menschen ein Herz schlägt, tragen — vielleicht ein Stück Kohle, vielleicht aber auch irgendein spezielles Organ, das ihnen hilft Empörung zu heucheln, wie heute auf Seite 3:
[…] Sich derart am Leid anderer zu weiden, mag schäbig sein, aber es ist sicherlich einträglicher als das Entleeren von Wasserflaschen.
Quelle: Bildblog