Startseite - Zurück - Drucken
NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: „Wachstumswahn, Wachstumszwang, Postwachstumsgesellschaft – eine irrelevante und in die Irre leitende Debatte“
Datum: 10. September 2012 um 17:06 Uhr
Rubrik: Postwachstumskritik, Ressourcen, Veröffentlichungen der Herausgeber, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich: Albrecht Müller
Am 21. August hatten wir auf den Hambacher Disput zu „Wachstum 2.0“ mit Angelika Zahrnt contra Albrecht Müller und Meinhard Miegel contra Heiner Flassbeck hingewiesen. Die Veranstaltung auf dem seit 1832 als Ort demokratischen Streits berühmten Hambacher Schloss fand – auch dank des Interesses von Leserinnen und Lesern der NachDenkSeiten – reges Interesse. Es folgt unten mein Beitrag im Disput mit Angelika Zahrnt, der Ehrenvorsitzenden des BUND. – Nachwirkender Gesamteindruck: Es ist bemerkenswert, in welch weitem Maße es dem Neoliberalen Meinhard Miegel gelungen ist, sich und seiner Partei, der Union, ein grünes und fortschrittliches Mäntelchen umzuhängen. Beim Hambacher Disput fand das seinen augenfälligen Niederschlag in der sichtbaren Verbrüderung („Verschwisterung“) der BUND-Ehrenvorsitzenden und einer anwesenden Landtagsabgeordneten der Grünen mit Meinhard Miegel. Auf diesen erstaunlichen PR Erfolg Miegels und der Union hatte ich im April 2011 schon einmal hingewiesen. Albrecht Müller.
Beitrag von Albrecht Müller zum Thema:
„Wachstumswahn, Wachstumszwang, Postwachstumsgesellschaft – eine irrelevante und in die Irre leitende Debatte“
(Eine etwas erweiterte Fassung)
Die Welt um uns herum brennt. Die Arbeitslosigkeit in Spanien liegt im Mai 2012 bei 24,6 %. Jeder zweite Jugendliche ist arbeitslos, im Mai 2012 52,1%;
In Griechenland ist die wirtschaftliche und soziale Lage noch dramatischer; auch in Irland, in Portugal, in Italien geht es bergab. Die zweite Weltwirtschaftskrise steht vor der Tür; sie wird auch Deutschland nicht verschonen.
Und wir treffen uns auf Schloss Hambach, da, wo sich Menschen vor 180 Jahren versammelt haben, weil ihnen die wirklichen, schlimmen Verhältnisse auf den Nägeln brannten. Wir hingegen disputieren über die „Postwachstumsgesellschaft“.
Haben wir keine anderen Probleme? Ich könnte – polemisch klingend, aber faktisch berechtigt – hinzufügen: die „Postwachstumsgesellschaft“ haben wir schon. Die erwähnten Länder haben den „Wachstumswahn“ und den „Wachstumszwang“ schon überwunden. Sie schrumpfen und kommen damit den Wünschen der Wachstumskritiker nach. Griechenland ist besonders erfolgreich und schon neun Quartale nacheinander auf Schrumpfkurs. Das Bruttoinlandsprodukt liegt dort heute 17,5 % unter dem Wert des zweiten Quartals 2008.
Erfolgreich auf Schrumpfkurs ist auch Spanien; insbesondere bei den Arbeitnehmereinkommen geht es steil bergab: Minus 5,77% zum Vorjahresquartal.
Europa auf Schrumpfkurs! Wunderbar!
Es fällt schwer, die Wachstumskritiker ernst zu nehmen. Ich will das dennoch versuchen und merke deshalb artig an: Es ist gut, dass die Landeszentrale für Politische Bildung des Landes Rheinland-Pfalz zum Disput über dieses Thema eingeladen hat. Man kann damit die Hoffnung verbinden, dass dies hilft, die Wachstumsdebatte zu beenden, und dass damit endlich der unendliche Gebrauch von Schlagworten und zusammengefügten und gefühlsmäßig aufgeladenen Begriffskonstruktionen versiegt.
Meine Anmerkungen zum Thema habe ich in zehn Beobachtungen gepackt:
Wenn die Wachstumskritiker warnen, wir würden unseren Globus und die uns überlassenen Schätze rücksichtslos plündern und unseren Kindeskindern große Lasten hinterlassen, dann haben sie völlig recht.
Auch die Warnung, es sei eher 5 nach 12 als 5 vor 12, ist berechtigt. Aber um diese Warnung los zu werden, muss man nicht auf dem Gebrauch der Wachstumsrate herumdreschen. Denn eine Volkswirtschaft kann statistisch gemessen wachsen, auch wenn Ressourcen geschont werden.
Glaubt hier jemand, die 52 % arbeitslosen Jugendlichen in Spanien und die verbliebenen 48 %, denen man Lohn und soziale Sicherheit zusammen streicht, wären für Umweltschutz und für den schonenden Umgang mit unserer Welt zu begeistern oder auch nur zu gewinnen? „Erst das Fressen, dann die Moral“. Bertolt Brecht hat das tendenziell richtig eingeschätzt und wir haben in der kurzen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland immer wieder diese Erfahrung bestätigt bekommen. Zum Beispiel zwischen 1969 und 1974. Die Regierung Brandt und die damalige sozialliberale Koalition haben 1969 mit dem Umweltschutz begonnen. Die Unterstützung für diese Politik brach mit der Ölpreiskrise von 1973/74 ein, als die Menschen Angst hatten um ihre wirtschaftliche Sicherheit. Sie wäre wiederzugewinnen gewesen, wie das damalige Energiesparprogramm zeigte. Aber der Kanzlerwechsel zu Helmut Schmidt hat dann dafür gesorgt, dass die werbende Unterstützung für Umweltschutz und Lebensqualität durch die politische Spitze wegfiel. Dieser Vorgang ist typisch für das Auf und Ab in der Debatte um den Schutz von Umwelt und Ressourcen.
Sie tauschen untereinander Botschaften aus, ohne dass sie ihre Aussagen belegen und begründen müssen. Man glaubt einander. Der SPD-Politiker Michael Müller zum Beispiel muss nicht begründen, warum er von „Wachstumszwang“ spricht und auch nicht erklären, was eine „Wachstumsfalle“ ist, und warum er das Thema für ein „Megathema“ hält. Die Verschworenen glauben das einfach. Attac kann verlautbaren, es gäbe einen „Wachstumswahn“ – auch das wird offensichtlich ohne Beleg geglaubt. Die Wachstumskritiker nennen Zusammenhänge ohne den Versuch der Begründung – so zum Beispiel mit der Behauptung im Attac-Aufruf vom Frühjahr 2011, die „ungebremste Wachstumsdynamik“ habe sich in der Weltfinanz- und Weltwirtschaftskrise entladen. Auch andere sehen diesen Zusammenhang ohne jeglichen Versuch der Begründung. Sie verbinden Worte ohne logische Verknüpfung. Das ist nahezu in allen Texten zu beobachten, herausragend bei Angelika Zahrnts „Thesen für eine Postwachstumsgesellschaft“. Auch für den Gebrauch dieses seltsamen Wortes reicht das emotionale Signal. Es ist offenbar schick, vor alles mögliche das Wort „Post“ zu setzen. Hier wie bei „Postdemokratie“.
Wer zur Glaubensgemeinschaft der Wachstumskritiker gehört, wird trotz Fehlens von Belegen und von logischen Verknüpfungen mitgenommen. Es reichen die Signale.
Wachstumswahn, Wachstumszwang, Megathema, Schlüsselfrage des 21. Jahrhunderts, alle Regierungen der Welt setzen auf Wachstum, Wachstum habe die Finanzkrise verursacht – dies sind allesamt Glaubenssätze und obendrein unangemessene Übertreibungen.
Es gibt sie, die Leute, die nicht genügend PS unter die Motorhaube packen können, und immer wieder das stärkste und teuerste Auto erwerben.
Es gibt in der Welt vermutlich Regierungen, die am Ziel einer möglichst hohen Wachstumsrate kleben. Frau Merkel gehörte dazu. Die Chinesen vielleicht auch. Aber ist diese Fixierung auf Wachstumsraten als Zielgrößen repräsentativ für die Mehrheit der Regierenden und politisch Verantwortlichen?
Wachstum ist, um mit Helmut Kohl zu sprechen, das, was hinten rauskommt. Es wird von den statistischen Ämtern, bei uns vom Statistischen Bundesamt, gemessen, und am Ende des Jahres oder in kürzeren Abständen wird festgestellt, dass die wirtschaftliche Tätigkeit in Produktion und Dienstleistung dazu geführt habe, dass das Bruttoinlandsprodukt um X Prozent gewachsen – oder gesunken – ist.
Aber in der wachstumskritischen Debatte wird der irreführende Sprachgebrauch munter verwandt. Ich zitiere als Beispiel aus einem Beitrag von Till van Treek in „Aus Politik und Zeitgeschichte“ vom 2. Juli dieses Jahres. Dort heißt es schon im zweiten Satz:
„Einerseits schafft und erhält Wachstum Einkommen und Arbeitsplätze und trägt damit zum Wohlstand bei.“
Das ist eine Fehleinschätzung bzw. der in der Debatte übliche schlampige Sprachgebrauch:
„Wachstum schafft Einkommen“? Wachstum schafft gar nichts. Wachstum wird am Ende einer Periode gemessen.
„Wachstum trägt zum Wohlstand bei“? Unsinn. Zum Wohlstand trägt bei, dass Menschen arbeiten und dafür Maschinen und möglicherweise auch natürliche Ressourcen nutzen. Und am Ende misst man, wenn man will, um wie viel Prozent die Volkswirtschaft gewachsen ist.
Wenn Sie sich dieses Verständnis von Wachstum klarmachen, dann werden Sie viele Formulierungen in der laufenden Wachstumsdebatte als fragwürdig erkennen: „Wachstumszwang“ zum Beispiel. Oder: „Wachstum eröffne Verteilungsspielräume“ und „Ohne Wachstum gäbe es diese nicht“. Oder: In den vergangenen Jahrzehnten sei „Wachstum die große Maschine“, die soziale Integration und gesellschaftlichen Fortschritt möglich gemacht habe, so Michael Müller von der SPD. Meinhard Miegel von der CDU unterstellt den Wachstumsfreunden, sie strebten Wachstum an, weil dadurch möglicherweise zusätzliche Arbeitsplätze entstehen.
Sie sehen, hier wird das Wachstum als etwas Eigenes gesehen, aus dem dann etwas anderes, im konkreten Fall Arbeitsplätze, hervorgehen. Stimmt aber nicht. Arbeitsplätze werden geschaffen. Und dann misst man als Ergebnis ein Wachstum.
Angelika Zahrnt wird am 13. Juni 2012 vom WDR im O-Ton zitiert:
„Es gibt ein sehr weit verbreitetes Unbehagen in der Bevölkerung, dass die Versprechen, die mit wirtschaftlichem Wachstum verbunden waren, nämlich dass es einen sozialen Ausgleich gibt, dass wir Vollbeschäftigung haben werden, dass wir unsere Umweltprobleme damit lösen werden, dass diese Versprechungen nicht mehr geglaubt werden, weil sie sich de facto als Illusion erwiesen haben.“
Das klingt ganz gut. Aber auch hier wird ein Popanz aufgebaut. Ich wüsste nicht, welcher ernst zu nehmende Verantwortliche versprochen hat, „sozialen Ausgleich“, „Vollbeschäftigung“ und „die Umweltprobleme“ mit wirtschaftlichem Wachstum zu lösen. Politiker und Wissenschaftler, denen man über den Weg trauen kann, wissen, dass man zur Lösung dieser Probleme nicht den Umweg über Wachstumspolitik gehen muss. Vollbeschäftigung erreicht man durch aktive Beschäftigungspolitik einschließlich Arbeitszeitverkürzung; sozialen Ausgleich schafft man mithilfe von öffentlichen Leistungen, die auch die schlecht Verdienenden und ihre Kinder versorgen, oder mit einem solidarischen Rentenversicherungssystem statt der Kommerzialisierung der Altersvorsorge. Und Umweltprobleme geht man mit der entsprechenden Energie- und Verkehrspolitik, mit Ökosteuer und gezielter Umweltpolitik an.
Die zusätzliche Produktion von Gütern und Dienstleistungen, die am Ende als Wachstumsrate erscheint, kann ökologisch hilfreich und ökologisch verheerend gewesen sein. Die Wachstumsrate kann hoch sein, sie kann auch dann steigen, wenn ökologisch Vernünftiges gemacht wird. Dafür gibt es in Deutschland in der Vergangenheit und in der Gegenwart gute Beispiele:
Als die Bundesregierung in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre mit Konjunkturprogrammen, insbesondere mit dem Zukunftsinvestitionsprogramm, dem ZIP, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen versuchte, gab es eine beachtliche Erholung der Konjunktur mit einer Wachstumsrate von durchschnittlich 3,8% in den vier Jahren von 1976 bis 1979. Es gibt ohne Untersuchung dessen, was da gewachsen ist, keinen Grund für negative Urteile über dieses Wachstum. Als ich zehn Jahre nach Einführung des Zukunftsinvestitionsprogramms hier in der Südpfalz zum Bundestag kandidierte und jede Gemeinde besuchte, habe ich mich bei Bürgermeistern regelmäßig erkundigt, welche Objekte mit dem ZIP finanziert worden waren. Es sind mir dabei nur wenige begegnet, bei denen man hätte sagen können, sie seien ökologisch gesehen schädlich und sachlich nicht berechtigt gewesen.
Ein anderes Beispiel:
In den sechziger und siebziger Jahren drohte der Bodensee zu „kippen“. „Grund dafür waren Einleitungen ungereinigter Abwässer, die zu einem Nährstoffüberangebot im See und in Folge zu einer massenhaften Vermehrung der Algen führten. Der konsequente Ausbau der Abwasserreinigungsanlagen im Einzugsgebiet des Bodensees zeigte Erfolg: heute befindet sich der Bodensee wieder in einem ökologisch stabilen Zustand mit Wasserqualitäten wie zu Beginn der 1960er Jahre“. (Zitiert von hier). Dazu bedurfte es großer Investitionen, die sich mit Sicherheit in einer höheren Wachstumsrate niedergeschlagen haben. Müssen wir deshalb dagegen anrennen?
Nach Lesart der Postwachstumsgesellschaftstheoretiker ist dies negativ zu bewerten. Dem kann ich nicht folgen. Hier nicht und bei vielen anderen Beispielen auch nicht.
Es ist ein großes Missverständnis, zu meinen, Arbeitsplätze würden nur geschaffen, wenn Ressourcen verbraucht werden oder gar Raubbau betrieben wird.
Zur konkreten Erläuterung dieser Beobachtung trifft es sich gut, dass wir hier oben von Schloss Hambach einen schönen Überblick über eine große Region haben – die Mittelhaardt, die Vorderpfalz und die Südpfalz. So können wir anschaulich begreifen, was es heute so alles zu tun gäbe:
Überall wird sichtbar, dass es wenig Sinn macht, sich auf eine Kritik des Wachstums und der Wachstumsraten zu kaprizieren.
Das waren einige Beispiele dafür, dass es drauf ankommt, was wächst..
In diesem Zusammenhang die sechster Anmerkung:
Es ist immer wieder ein beliebtes Spiel der Wachstumskritiker, in der Argumentation auf die Unmöglichkeit eines exponentiellen Wachstum hinzuweisen und im konkreten Fall dies mit dem Hinweis zu verbinden, die Ressourcen seien endlich, also könne es kein unendliches Wachstum geben. Einmal abgesehen davon, dass es ziemlich weit hergeholt ist, sich im Jahre 2012 mit der Unmöglichkeit des unendlichen Wachstums im Jahre 3025 zu beschäftigen, das statistisch gemessene Wachstum ist nicht endlich. Schon die Reparatur der bisher entstandenen ökologischen und sozialen Schäden verlangt auch in der Zukunft Beschäftigung, die man statistisch erfasst und die sich in positiven Wachstumsraten niederschlagen kann.
Sie spielen sich gegenseitig die Bälle zu. Eine fatale Koalition. Die Sättigungsthese passt zu den gut versorgten und tonangebenden Mittelschichten und Oberschichten. Dass es nicht allen so gut geht wie der gehobenen Mittelschicht und viele Menschen und Familien berechtigte Bedürfnisse haben, wird oft vergessen.
Wer heute dafür eintritt, dass die statistisch gemessene Wachstumsrate gleich Null sein müsse oder negativ, also ein Zeichen für eine schrumpfende Wirtschaft, der ist de facto auch gegen beschäftigungsfördernde politische Entscheidungen. Die Wachstumskritiker sind Kritiker einer aktiven Konjunkturpolitik, die in der jetzigen Situation immer eine expansive Wirtschaftspolitik sein muss. Die neoliberalen Kräfte setzen seit fast 30 Jahren darauf, dass ein Heer von Arbeitslosen und Niedriglohnempfängern entsteht und damit Druck ausgeübt wird auf die Löhne insgesamt. Sie waren mit dieser Strategie ausgesprochen erfolgreich. Die Lohnquote ist im gleichen Zeitraum quasi abgesoffen – von über 70% in den 1970ern auf knapp über 60% heute, die Reallöhne stagnieren, die Lohnstückkosten liegen weit unter dem Niveau der europäischen Entwicklung.
Wer in dieser Situation mit der Forderung kommt, die Entwicklung der deutschen Volkswirtschaft weiter abzuwürgen, der wird die Reservearmee an Arbeitslosen und Besitzern von prekären Arbeitsverhältnissen weiter vermehren und die Position der Arbeitnehmervertretungen und Gewerkschaften auf dem Arbeitsmarkt weiter verschlechtern. „Jenseits des Wachstums!“ ist deshalb in der Regel gleichbedeutend mit „Jenseits der Sorge um Arbeitsplatz und berufliche Perspektive!“
In den historischen Betrachtungen der Wachstumskritiker wird, wenn sie nicht so tun, als wäre Wachstumskritik etwas ganz Neues, der Beginn der Diskussion mit der Veröffentlichung des Club of Rome von 1972 über die Grenzen des Wachstums datiert. Dieser Eindruck hat sich auch im Begleittext zur Einladung zum Hambacher Disput niedergeschlagen. Letzteres ist verzeihlich. Dass aber die Wachstumskritiker die Geschichte der Debatte um Wirtschaftswachstum und Lebensqualität nicht korrekter wiedergeben, ist schon erstaunlich. Einige wenige Hinweise:
Bild als PDF zum download hier [PDF – 498.3 KB]
Titel: „Die Wirtschaft blüht.“
Den Text könnte ich heute noch so schreiben:
„ Kauft Leute, es wird produziert. Produziert Leute, es wird gekauft. Ganz egal was. Denn kaufst Du was – bist Du was. Und die Wirtschaft wächst und wächst. Das ist Fortschritt. Das ist Leben.
Finden Sie, dass es das heute wirklich noch ist? Wachstum ist gut, kommt nur drauf an, was wächst. Wir meinen, wir müssen umdenken.“
Der Text ist vor 40 Jahren geschrieben und im gleichen Jahr wie „Die Grenzen des Wachstums“, des Berichts des Club of Rome zur Lage der Menschheit“ veröffentlicht worden. Man könnte einen ähnlichen Text auch heute finden, allerdings von den Wachstumskritikern mit dem Anspruch versehen, dass die Erkenntnisse gerade neu entdeckt worden sind.
Noch wichtiger als die mit der Anzeige betriebene Werbung für ökologische Fragen, für besseren Umweltschutz und den sparsamen Umgang mit Ressourcen waren die politischen Entscheidungen. In der frühen Zeit der sozialliberalen Koalition wurden ab 1969 über 20 wichtige politische Entscheidungen zum Umweltschutz getroffen, zum Beispiel: zur Gründung des Bundesumweltamtes, zum Benzinbleigesetz, zur Abwasserabgabe.
Als Antwort auf die erste Ölpreisexplosion vom Oktober 1973 verabschiedete die sozialliberale Koalition ein Energiesparprogramm. Und kurze Zeit vor der Wende zu Helmut Kohl im September 1982 machte der damalige Verkehrsminister Volker Hauff den Versuch, in der Verkehrspolitik ökologische und nachhaltige Akzente zu setzen. Dieser Versuch wurde dann in einer Gegenbewegung und großen Kampagne des ADAC mit Unterstützung der neuen Koalitionspartner CDU/CSU und FDP mit dem Slogan „Freie Fahrt für freie Bürger“ abgeräumt.
Dass Politiker der Union, die sich heute gerne als Wachstumskritiker profilieren möchten, von ihrer aggressiven Polemik gegen alles Ökologische heute nichts mehr wissen wollen, ist verständlich. Dass sie aber jetzt wie Meinhard Miegel so tun, als hätte Angela Merkel und Wolfgang Schäuble entdeckt, dass es heute um Lebensqualität und Nachhaltigkeit gehen müsse, das ist dann doch etwas des Guten zu viel.
Ich beziehe mich auf einen Beitrag von Meinhard Miegel im schon erwähnten Heft „Aus Politik und Zeitgeschichte“ vom 2. Juli 2012, wo unter der Zwischenüberschrift „Debatten um Wachstum und Lebensqualität“ außer dem Sachverständigenrat für Umweltfragen gerade mal eine Rede der Bundeskanzlerin von 2010 und ein Artikel des Bundesfinanzministers Schäuble zitiert werden. Junge Leser dieses Heftes der politischen Bildung, die die Geschichte der Debatte um Wachstum und Lebensqualität nicht kennen können, müssen so den Eindruck gewinnen, als sei das Thema von den heute politisch Verantwortlichen aus der konservativen Ecke entdeckt worden. Diesen Eindruck zu erwecken ist ja wohl auch die eigentliche Absicht der Aktivitäten des Meinhard Miegel als neuer Wachstumskritiker.
Mein Fazit: Die Wachstumskritik dient leider oft der Profilierung ihrer Betreiber. Zu diesem Zweck werden alte Ansätze als neu verkauft und bei der Erzählung der Geschichte der Wachstumskritik wird deshalb ordentlich geschummelt.
Die Debatte um Ökonomie und Ökologie verlief in den letzten 40-50 Jahren nicht so linear, wie dies in den Verlautbarungen der Wachstumskritiker erscheint. Die von Wachstumskritiker in gebrauchte Parole „Schneller weiter höher“ verfälscht den Ablauf der Diskussion und auch der politischen Entscheidungen zum Thema. Nur wenn man das Auf und Ab in der Umweltdebatte und in der Umweltpolitik in Rechnung stellt, wird man auch zu den politisch richtigen Schlussfolgerungen kommen. Man wird dann zum Beispiel den Gestaltungsspielraum begreifen können, den es gab und den es gibt, den man benutzt hat und dann wieder verschüttet hat.
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=14401