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Titel: Lebensmittelspekulation: Wenn Wirtschaftsethiker der Unmoral das Wort reden
Datum: 4. September 2012 um 9:04 Uhr
Rubrik: Banken, Börse, Spekulation, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Verbraucherschutz
Verantwortlich: Jens Berger
Die FAZ überrascht ihre Leser in steter Regelmäßigkeit im Positiven wie im Negativen. Zur letzteren Kategorie gehört zweifelsohne das Essay „Die Moral der Agrar-Spekulation“ aus der Feder des Wirtschaftsethikers Ingo Pies. Offensichtlich hat sich der Autor dabei das Ziel gesetzt, Spekulationen auf Lebensmittelpreise den Stempel der moralischen Unbedenklichkeit zu geben. Um zu diesem, für einen Wirtschaftsethiker doch überraschenden Schluss zu kommen, bedient sich Pies allerlei Tricksereien und argumentiert zwar aus rhetorischer Sicht höchst interessant, dafür aber aus ökonomischer und schlussendlich auch moralischer Sicht reichlich abstrus. Von Jens Berger.
Glaubt man Ingo Pies, so hilft die Spekulation auf Rohstoffindizes vor allem den Bauern, „sich gegen Preisrisiken abzusichern“. Wer diese Form der Spekulation verbieten will, würde zudem „das Anliegen torpedieren, den Hunger auf der Welt zu bekämpfen“. Mit diesen zwei Kernthesen steigt Pies in sein Essay ein und bedient sich dabei – vor allem in der kausalen Kombination – bereits einer handfesten Manipulation. Bauern sichern sich nämlich nicht über die Spekulation auf Rohstoffindizes gegen Preisrisiken ab, sondern mittels klassischer Warentermingeschäfte. Die Spekulation auf Rohstoffindizes wollen in der Tat einige, aber beileibe nicht alle, Kritiker verbieten. Warentermingeschäfte will indes kein namhafter Kritiker verbieten, womit die erste Grundthese von Ingo Pies bereits unzutreffend ist. Dies gesteht Pies an späterer Stelle seines Essays zwar selbst ein – warum baut er aber dann zunächst ein argumentatives Luftschloss?
Da Pies weiß, auf welch dünnem argumentativen Eis er sich bewegt, nutzt er diese Unterstellungen in seinem Essay wie eine rote Linie – stetig wirft er Kritikern der Lebensmittelspekulation Positionen vor, die sie überhaupt nicht vertreten und arbeitet sich lieber an diesem Strohmann-Agrument ab, als auf die eigentlichen Argumente einzugehen.
Weitestgehend korrekt schildert Pies im Folgenden, wie der Warenterminmarkt funktioniert und wie sich ein Bauer gegen schwankende Preise absichern kann. Das ist alles schön und gut und wird in seiner Grundform auch von niemandem kritisiert. Freilich „vergisst“ Pies in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass solche, mit „echten Waren“ gedeckte, Termingeschäfte zwar früher die Regel waren, heute jedoch nur noch einen kleinen Teil der Transaktionen ausmachen. Pies erwähnt auch nicht, dass es auf dem immer noch weitestgehend unregulierten Märkten, an denen solche Termingeschäfte gehandelt werden, ein nennenswertes Kontrahentenrisiko (engl. counterparty risk) gibt, da aufgrund der viel zu geringen Hinterlegungssummen (engl. margin) ein zockender Student mit 1.000 Euro Einsatz einen Nennwert von 100.000 Euro „absichern“ kann. Bewegt sich der Preis in die „falsche“ Richtung, kommt es zum „Margin Call“ und der Bauer bleibt auf dem restlichen Preisrisiko sitzen. Hilft dies dem Bauern? Hilft dies bei der Bekämpfung des Welthungers?
Pies erwähnt auch nicht, dass die Finanzspekulanten, die bei Warentermingeschäften in der Regel der Gegenpart für den Bauern sind, ein Interesse an stetig steigenden Preisen haben. Lapidar erklärt Pies, dass der Bauer bei einem „wider Erwarten“ steigenden Preis, zwar mit seinem Warenterminkontrakt einen Verlust macht, diesen Verlust jedoch durch das physische Geschäft, das durch den Kontrakt abgesichert werden soll, wieder ausgleicht. Unerwähnt bleibt jedoch, dass bei Preissteigerungen der Spekulant als Gegenpart des Bauern immer einen Gewinn einfährt und dieser Gewinn schlussendlich vom Endkunden gezahlt werden muss. In Pies Beispiel zahlt der Endkunde 130 Euro, der Bauer erhält zwar auch diese 130 Euro, zahlt jedoch für die Absicherung an den Spekulanten eine Prämie von 30 Euro. Spekulanten haben somit ein gutes Motiv, den Preis zu treiben und sie haben über verschiedene Finanzinstrumente auch die Mittel dazu.
Dass Pies, sagen wir es einmal vorsichtig, fachliche Defizite aufweist, beweist er dem Leser bei seinem Versuch, die Preisentwicklung auf dem Rohstoffmarkt schönzureden. Für Ingo Pies sind sogar die extremen Preisentwicklungen der Jahre 2007 und 2008, in denen beispielsweise der Maispreis sich binnen weniger Wochen verdoppelte, nur um dann innerhalb weniger Wochen wieder unter das vorherige Niveau zu fallen, durch Fundamentaldaten erklärbar. Leider macht sich Pies jedoch gar nicht erst die Mühe zu erklären, was nicht erklärbar ist. Es ist unumstritten, dass auf langfristige Sicht der Preis von Agrargütern durch Angebot und Nachfrage bestimmt wird. Alleine durch Angebot und Nachfrage sind jedoch die Kurskapriolen auf den Rohstoffmärkten schon lange nicht mehr erklärbar. Was hat sich denn im Laufe des Jahres 2007/2008 so fundamental geändert, dass der Maispreis sich zunächst verdoppelt und dann wieder halbiert hat? Was hat sich in den letzten beiden Jahren so fundamental geändert, dass der Maispreis heute rund dreimal so hoch ist wie in den Jahren 1999 bis 2006? Und es war ja nicht nur der Maispreis – alle Rohstoffpreise weisen ein vergleichbares Muster auf. Sicher, die Nachfrage aus den Schwellenländern nimmt stetig zu, die Erzeugung von „Biokraftstoffen“ verdrängt immer mehr Anbaufläche und die Ernteergebnisse hängen seit Jahrtausenden vom Klima ab. An diesen Fundamentaldaten hat sich weder während des „Bullenmarktes“ des Jahres 2007 noch während des „Bärenmarktes“ des Jahres 2008 etwas geändert.
Ingo Pies schreibt in seinem Essay, dass „theoretische Überlegungen und empirische Befunde“ dagegen sprächen, dass die „enormen Preissteigerungen des Jahres 2007/2008 nicht auf veränderte Fundamentaldaten, sondern auf eine Blasenbildung zurückzuführen [seien]“. Da scheint Herr Professor Pies jedoch die wissenschaftliche Diskussion der letzten Jahre schlichtweg verschlafen zu haben. So liefert die 2011 veröffentlichte UNCTAD-Studie „Price formation in financialized commodity markets [PDF – 2.2 MB]“ beispielsweise einen sehr fundierten empirischen und theoretischen Beleg dafür, dass die heutigen Rohstoffpreise sich kaum noch auf Fundamentaldaten zurückführen lassen, sondern vielmehr mit anderen Finanzmärkten korrelieren. Mit dieser Einschätzung steht die UNCTAD nicht alleine, auch UNO , FAO und die Weltbank [PDF – 1.2 MB] vertreten dezidiert die Position, dass die Preise für Lebensmittel weniger durch Fundamentaldaten, als vielmehr durch Spekulation an den Finanzmärkten beeinflusst werden. Die NGO WEED hat sich die Mühe gemacht und ganze 100 wissenschaftliche Studien zusammengestellt [PDF – 286 KB], die allesamt zu einem gänzlich anderen Ergebnis als Ingo Pies kommen.
Hintergrundinformationen:
Mit seiner gewagten These, die Rohstoffpreise seien durch Fundamentaldaten erklärbar, steht Ingo Pies in der Ökonomenzunft ziemlich alleine da. Zudem sind seine „theoretischen Überlegungen“, mit denen er seine These zu untermauern versucht, bei näherer Betrachtung schlichtweg eine Unverschämtheit. Pies ignoriert beispielsweise die in vielen Studien zum Thema bewiesene Beeinflussung der Preise auf den Realgütermärkten durch Warentermingeschäfte, obgleich bekannt ist, dass beispielsweise auf dem Weizenterminmarkt nur noch jeder fünfte Händler mit „echtem“ Weizen und der Rest der Händler ausschließlich mit „Papierweizen“ handelt. Seine Behauptung, das Herdenverhalten an den Finanzmärkten sei irrelevant, ist dabei nur die Spitze eines Konvoluts aus grotesken Halbwahrheiten und Manipulationen.
Wäre Pies Ökonom bei einem großen Nahrungsmittelspekulanten, wie beispielsweise der britischen Bank Barclays Capital, könnte man sein Essay zwar nicht gutheißen, aber doch zumindest seine Motivation verstehen. Pies ist jedoch ein Wirtschaftsethiker. Da stellt sich unweigerlich die Frage, welche Ethik ein Ökonom vertritt, der nicht nur wider besseres Wissen an das Dogma der Effizienzmarkthypothese zu glauben scheint, sondern auch sämtliche Argumente der Kritiker von Lebensmittelspekulation auf rabulistische Art und Weise verzerrt. Wer sich die Ethik auf seine Fahnen geschrieben hat, darf nicht der Unmoral das Wort reden.
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