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Titel: Von der Leyen befürwortet Bußgelder für Schulschwänzer
Datum: 23. August 2012 um 9:31 Uhr
Rubrik: Bildungspolitik, Rente, Wertedebatte
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Ursula von der Leyen und Heinz Buschkowsky über Probleme der Arbeitsmarktreform, den Kampf gegen die Bürokratie und Berliner Erfolgsrezepte. Ein makabres „Spitzengespräch“ in der Berliner Morgenpost kommentiert von Orlando Pascheit.
Zunächst einige Auszüge aus diesem „Spitzengespräch“:
Ursula von der Leyen: Wenn wir nicht einschreiten, wird sich das rasch ändern. Schon 2030 müssten 1, 3 Millionen Menschen, die Jahrzehnte fleißig waren und in die Rentenkasse eingezahlt haben, zum Amt, weil die Rente nicht reicht. Für diejenigen, die nie gearbeitet haben, ist die Grundsicherung gut und richtig. Für sie kann es auch gar nichts anderes geben. Aber es geht nicht, dass der Lagerarbeiter, die Floristin oder der Gebäudereiniger, bei denen 35 Jahre lang jeden Morgen der Wecker geklingelt hat, genauso beim Sozialamt vorstellig werden müssen, wie Leute, die nichts dergleichen geleistet haben. Das kann man diesen Menschen nicht zumuten …
Heinz Buschkowsky: … na ja, Oma und Opa bestellen wir schon lange nicht mehr monatlich ins Rathaus, das ist nicht das Problem …
Ursula von der Leyen: … hier muss der Staat bis zu einer Obergrenze von 850 Euro aufstocken. Wenn wir das nicht hinbekommen, dann verliert das Rentensystem seine moralische Grundlage. Dabei kann und werde ich als Ministerin nicht zusehen.
Morgenpost Online: Aus der Wirtschaft heißt es unisono: Der Gedanke mag richtig sein, aber leider passt so eine neue Leistung nicht in die Zeit der Sparsamkeit.
Heinz Buschkowsky: Diese Sprechblasen tun so, als würde Frau von der Leyen die Revolution ausrufen. Man muss doch die Kirche im Dorf lassen. Bereits die Grundsicherung beläuft sich heute auf 790 Euro. Hier wird kein Füllhorn ausgeschüttet. Zu 850 Euro liegen keine Welten dazwischen. Und mal ehrlich: Wer hier unten vorm Rathaus 30 Jahre lang Brötchen verkauft hat, der kriegt doch einen Herzkasper, wenn er seinen Rentenbescheid ansieht. Oder der Friseur in der Karl-Marx-Straße mit 800 Euro brutto im Monat. Was soll denn da für eine Rente herauskommen? Der Anteil derjenigen, die mit solchen – heute ganz normalen Berufsviten – in den Ruhestand gehen, steigt. Hinzu kommt die Veränderung der Alterspyramide. Das alles erzwingt eine Systemveränderung.
………
Ursula von der Leyen: Die Einführung des Mindestlohns in Deutschland ist überfällig, wenn auch kein Allheilmittel. Nach dem Konzept der Union bleibt der Ball bei Gewerkschaften und Arbeitgebern, die seit 60 Jahren die Tarifverträge machen. Sie sollen in einer unabhängigen Kommission entscheiden, ob Mindestlöhne nach Branchen Regionen oder Gruppen unterschiedlich festgelegt werden sollen. Ein Mindestlohn, der im Parlament nach dem Motto “Wer bietet mehr?” ausgehandelt wird, führt ins Elend. Da sollte sich die Politik weiter raushalten.
…….
Heinz Buschkowsky: Auch der Hartz-IV-Empfänger muss sein Knöllchen bezahlen, wenn er sein Auto im Halteverbot abgestellt hat. Wir verhängen in Neukölln pro Jahr etwa 300 Bußgelder wegen Schulschwänzens. Die verstorbene Jugendrichterin Kisten Heisig hat sogar Haftbefehle ausgestellt, wenn Eltern von Schulschwänzern nicht zahlen wollten. Was meinen Sie, wie schnell gezahlt wurde? Aber die Kernfrage ist eine andere: Inwieweit ist unsere Gesellschaft überhaupt noch bereit, Ordnungsprinzipien durchzusetzen? In Hannover gibt es jedes Jahr 2500 Verfahren gegen Eltern von Schulschwänzern. In Berlin mit einer siebenfach so großen Bevölkerung haben wir 800 bis 900 Verfahren. Staatliche Intervention bei Regelverletzungen ist in weiten Teilen der Politik verpönt. Nicht aus jedem Schulschwänzer wird ein Intensivtäter. Aber so gut wie jeder Intensivtäter war Schulschwänzer. Die einzig spürbare Sanktion ist der Griff in den Geldbeutel, auch in den Sozialtransfer. Die Berliner Familienrichter haben das schon 2006 bei der Novellierung des BGB gefordert. Und das ist ja nun wirklich keine “Hau-Drauf-Kaste”. Damals war der Senat noch dafür, davon will er heute nichts mehr wissen.
Ursula von der Leyen: Der Grundsatz stimmt. Wer lange schwänzt, verlässt die soziale Gruppe, die hilft, durch die Schule zu kommen. Der Weg zurück ist dann unglaublich schwer. Wenn wir über Langzeitarbeitslosigkeit reden, ist Schulschwänzen der Anfang. 50 Prozent der Langzeitarbeitslosen haben keinen Schul- oder Berufsabschluss. Das ist das größte gemeinsame Merkmal. In der Erziehung ist entscheidend, den Anfängen zu wehren. Schule, Polizei, Jugendamt und Familie müssen zusammen Lösungen anbieten, Druck ausüben, Regeln aufstellen und diese auch durchziehen.
Morgenpost Online: Wenn man Sie so hört, dann könnten Sie doch sofort gemeinsam eine große Koalition bilden.
Und hier der Kommentar von Orlando Pascheit:
Dieses Interview ist wieder einmal ein typisches Beispiel dafür, wie unsere Medien einzelne Aussagen herauspicken, welche nach ihrer Ansicht am meisten Aufmerksamkeit beim Publikum finden. Erstens geht diese Aussage auf ein Interview nicht nur mit Ursula von der Leyen (CDU), sondern auch mit Heinz Buschkowsky (SPD) zurück. Zweitens geht es nicht nur um Schulschwänzer.
Die Ministerin darf zunächst lang und breit mit der von ihr initiierten “Zuschussrente” ihr soziales Herz unter Beweis stellen, was den Bürgermeister Buschkowsky allerdings nicht sonderlich beeindruckt und der darauf hinweist, dass die aufgestockte Rente nicht weit von der Grundsicherung entfernt sei.
Angesichts der Biografien, die er in seinem Viertel kennt, fordert er einen Systemwechsel. Leider schaltet er nicht, als Ministerin frohgemut für den Mindestlohn eintritt. Es geht natürlich nicht um einen gesetzlich garantierten Mindestlohn, sondern darum dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sozusagen der Markt, diesen Mindestlohn aushandeln.
Wohin das führt, wenn es den Tarifparteien überlassen bleibt, solche Dinge zu regeln, zeigte sich zuletzt bei der Leiharbeit. Kaum hatte die IG Metall einen Zuschlag für ihre Leiharbeiter durchgesetzt, verkündete Arbeitsministerin von der Leyen, ein Gleichstellungsgesetz für Leiharbeiter sei nicht mehr notwendig, da sich gezeigt habe, dass tarifliche Lösungen möglich seien.
Ähnliches schwebt der Ministerin auch beim Mindestlohn vor. Leider hat Heinz Buschkowsky hier nicht reagiert, denn ein gesetzlich garantierter, auskömmlicher Mindestlohn würde die von der Leyensche “Zuschussrente” im Niedriglohnbereich überflüssig machen. Stattdessen lässt er sich über das zugegeben erwiesene Bürokratiemonster Bildungspaket aus. Aber auch hier hätte man z.B. darauf hinweisen können, dass es schon lange nicht mehr damit getan ist, bei drohender Nichtversetzung den Schülern einige Nachhilfestunden anzubieten, wenn die besser gestellten Haushalte, ihren Kindern ganzjährig Nachhilfe angedeihen lassen, damit diese auch ja den richtigen Notendurchschnitt im Abitur erlangen, um ein für die Karriere förderliches Studium beginnen zu können.
Dass das dem rechten Lager zugehörige SPD-Mitglied Buschkowsky zu Hart IV steht, war zu erwarten.
Was nun das Bußgeld für Schulschwänzer betrifft, so geht Buschkowsky noch viel weiter als die Ministerin und fordert im Gegenzug schon lange Abstriche beim Kindergeld. Nun besteht ein Unterschied darin, wenn ein Bürgermeister seine altbekannten Thesen wiederholt oder wenn sich eine Ministerin diese Thesen aneignet.
Die Ministerin begibt sich auf das Niveau der Sarrazinschen Verkürzungen, wenn sie dem Publikum erzählt: “Wenn wir über Langzeitarbeitslosigkeit reden, ist Schulschwänzen der Anfang.” Da hilft es dann auch nicht mehr, wenn sie im nächsten Satz einschränkt:” 50 Prozent der Langzeitarbeitslosen haben keinen Schul- oder Berufsabschluss. Das ist das größte gemeinsame Merkmal.” Jetzt kann sich jeder der hergelaufene Volksverhetzer mit der Ministerin schmücken und behaupten, dass Langzeitarbeitslose Schulschwänzer seien und für Schulschwänzer Knast oder ähnliches fordern.
Dass es sowohl für Langzeitarbeitslosigkeit wie auch für das Schwänzen der Schule ganz unterschiedliche, ursächliche Ausgangslagen gibt, an der unsere Gesellschaft nicht ganz unbeteiligt ist, fällt unter den Tisch.
Differenzierte Lösungsansätze braucht man dann nicht mehr zu diskutieren. Das Rezept von Frau von der Leyen, den Anfängen zu wehren, ist von verantwortungsloser Leichtfertigkeit: “Schule, Polizei, Jugendamt und Familie müssen zusammen Lösungen anbieten, Druck ausüben, Regeln aufstellen und diese auch durchziehen.”
Hier übernimmt von der Leyen unreflektiert Buschkowskys Thesen, die nicht nur aus einem Handbuch für Schwarze Pädagogik stammen. sondern meines Wissens auch wissenschaftlich/empirisch nicht belegt sind. Wenn dieser meint, es sei wirksam, die Eltern beim Schulschwänzen ihrer Kinder durch Haftbefehle zu Bußgeldern zu zwingen, so würde ich doch ganz gerne erfahren, ob diese Kinder zum Beispiel erfolgreich die Schule abgeschlossen haben.
Es ist derselbe Buschkowsky, der noch im vorigen Jahr die Schulstationen in seinem Bezirk abschaffen wollte – Anlaufstellen, in denen sich Lehrer, Schüler und Eltern sich in solchen Fragen beraten lassen können. Zum Glück wurden diese Pläne nicht umgesetzt, obschon etliche Stellen abgebaut wurden. – Buschkowsky berief sich dabei auf notwendige Sparmaßnahmen.
Wenn die Ministerin sich ihrer Verantwortung bewusst wäre, würde sie auf der Regierungsebene nicht für weitgehende Sparetats in den Kommunen stimmen, zum Beispiel über die Schuldenbremse, sondern dafür sorgen, dass die Kommunen in den sozialen Brennpunkten der Republik mehr dafür tun könnten, dass die Eltern dieser Kinder in Lohn und Brot kämen, dass für die Kinder selbst mehr Betreuungsmöglichkeiten geschaffen würden und deutlich mehr für die spezielle Betreuung von Kindern in verschiedensten Notlagen getan werden könnte.
Siehe dazu auch: Bußgeld für Minister, die ohne profunde Kenntnis Bußgelder fordern?
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