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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Hurra, wir sind Weltmeister!
Datum: 14. August 2012 um 12:25 Uhr
Rubrik: Denkfehler Wirtschaftsdebatte, Wettbewerbsfähigkeit
Verantwortlich: Jens Berger
Deutschland ist wieder „Exportweltmeister“ und führte zum ersten Mal seit einem Vierteljahrhundert sogar mehr Güter nach China aus als es von dort einführte. Wenn man diese Entwicklung als Sieg sehen will, so handelt es sich hierbei um einen Pyrrhussieg. Dies wird deutlich, wenn man sich auch die Kehrseite der Medaille anschaut. Deutschland ist nicht nur Weltmeister bei den Exportüberschüssen, sondern spiegelbildlich auch bei den Importdefiziten. Erkauft wurde dieser Sieg vor allem durch die viel zu niedrigen Löhne in Deutschland. Die Lektionen, die China gelernt hat, scheinen in Deutschland zu verpuffen. Von Jens Berger.
Was die Bundesbank am letzten Freitag zu vermelden hatte, bestätigt die schlimmsten Befürchtungen: Im Juni dieses Jahres kletterte der Überschuss der deutschen Leistungsbilanz gegenüber dem Vorjahr um schwindelerregende 16%. Nach Berechnungen des ifo-Instituts wird Deutschland damit in diesem Jahr einen Leistungsbilanzüberschuss von mehr als 210 Mrd. US$ erreichen und damit den großen Konkurrenten China, der nur auf 203 Mrd. US$ kommt, hinter sich lassen. In Relation zur Wirtschaftskraft fällt der Unterschied jedoch deutlich größer aus – Deutschland wird 2012 einen Leistungsbilanzüberschuss von mehr als 6% des BIP erreichen, China kommt „nur“ auf 2,5%. Erstmals seit mehr als einem Vierteljahrhundert hat es Deutschland sogar geschafft, Leistungsbilanzüberschüsse gegenüber der „Weltfabrik“ China aufzubauen, also mehr Güter ins Reich der Mitte zu exportieren, als von dort aus zu importieren.
Was ist passiert? Um die Hintergründe dieser Entwicklungen zu verstehen, ist es hilfreich, die betriebswirtschaftliche oder besser angebotsorientierte Sichtweise zumindest für einen Moment auszublenden. Die chinesischen Produkte sind nicht schlechter, die deutschen nicht besser geworden. Wenn in Deutschland die stetigen Handelsbilanzüberschüsse diskutiert werden, neigt man dazu, die Betrachtung ausschließlich auf die Exporte zu fokussieren. Das ist jedoch nicht sonderlich hilfreich und führt meist zu falschen Schlüssen. In absoluten Zahlen steigen sowohl die deutschen als auch die chinesischen Exporte. Erklärungen findet man eher, wenn man auf die andere Seite des Bilanzüberschusses schaut. Ein Handelsbilanzüberschuss entsteht dann, wenn eine Volkswirtschaft mehr Güter exportiert, als sie importiert. Wie viele Güter eine Volkswirtschaft importiert, hängt wiederum vor allem mit den Einkommen ab.
Chinas Arbeitnehmer können seit Jahren stetige Reallohnsteigerungen verzeichnen. Dadurch steigt die Nachfrage nach Importprodukten. Chinas Exporte wachsen von Jahr zu Jahr, Chinas Importe wachsen jedoch ebenfalls von Jahr zu Jahr und dies in einem deutlich höheren Maße als die Exporte. In Deutschland steigen zwar – trotz Eurokrise – die Exporte (aktuell um 7,4% p.a.), dafür sinken jedoch die Importe. Deutschlands Exportbranche ist – nicht zuletzt wegen der zu niedrigen Löhne – sehr erfolgreich, die Arbeitnehmer profitieren jedoch nicht von diesem Erfolg und können sich dafür sprichwörtlich nichts kaufen … auch keine Importgüter. So kommt es, wie es kommen muss: Deutschlands Exportüberschüsse wachsen stetig.
Was für Wirtschaftslobbyisten und Regierungsvertreter offenbar ein Grund zur Freude ist, stellt sich vor allem dann als grandiose Fehlentwicklung heraus, wenn man seine Betrachtung auf die Importe fokussiert. Wenn Deutschland Weltmeister in der Disziplin „Exportüberschüsse“ ist, dann ist Deutschland gleichzeitig auch Weltmeister in der Disziplin „Importdefizite“, nur dass sich dies freilich nicht so gut anhört und von keinem Leitartikler oder Regierungspolitiker gefeiert wird. Kein Wunder, schließlich käme es bei der Wählerschaft nicht so gut an, wenn man es auch noch feiern würde, dass diese sich immer weniger leisten kann. Das ist die Kehrseite der Medaille. Kein Mensch würde sich über steigende Exportziffern beschweren, wenn gleichzeitig die Importe in einem höheren Maße zulegen würden. China ist auf dem besten Wege dazu, während Deutschland mit immer höherer Geschwindigkeit auf den Abgrund zurauscht.
Eine Weltwirtschaft, in der bestimmte Volkswirtschaften stetig Überschüsse und bestimmte Volkswirtschaften stetig Defizite machen, neigt zur Instabilität. In der Regel würden sich solche Außenhandelsüberschüsse und –defizite durch die Tauschverhältnisse der entsprechenden Währungen wieder angleichen. Wenn ein Land stetig mehr exportiert als es importiert, wird seine Währung mittel- bis langfristig gegenüber den Ländern, die mehr importieren als sie exportieren, aufwerten. In Deutschland kennt man dieses Phänomen nur allzu gut, gehörte die D-Mark doch zu den „härtesten“ Währungen der Welt. Durch die Einführung des Euros ist dieses Korrektiv jedoch beschädigt, gleichen nun doch die Defizite der südeuropäischen Länder die deutschen Überschüsse im Handel mit Nicht-Euro-Staaten aus. Auch der zweite Exportgigant, China, ist diesbezüglich ein Problem, da seine Nationalwährung, der Renminbi, nicht frei konvertierbar ist und die chinesische Zentralbank den Tauschkurs nach politischen Vorgaben nach unten manipuliert.
Vor allem innerhalb der Eurozone gelten die deutschen Außenhandelsüberschüsse als der gewichtigste Grund für die heutige Eurokrise. Zu diesem Thema sei hier noch einmal ausdrücklich die fünfteilige Sendung von Kontext-TV mit Heiner Flassbeck als Quelle für Hintergrundinformationen erwähnt.
Vereinfacht lässt sich das Problem folgendermaßen darstellen: Wenn eine Volkswirtschaft ständig mehr exportiert als sie importiert und Währungsauf- bzw. –abwertungen als Korrektiv ausfallen, führt dies zwingend dazu, dass sich die Länder, die stetig mehr importieren als sie exportieren, bei den Ländern, die mehr exportieren als sie importieren, verschulden. Das geht so lange halbwegs gut, wie die Kredite vom Exporteur zum Importeur fließen. China sitzt auf Billionenforderungen gegen die USA, Deutschland hat Billionenforderungen an andere Eurostaaten. Wenn sich am Außenhandelsverhältnis nichts ändert, können beide Gläubigernationen ihre Forderungen wohl langfristig abschreiben.
Während das „dysfunktionale Duo“ China-USA zumindest noch die Möglichkeit hat, über eine Veränderung der Wechselkurse zu einem Ausgleich zu kommen und die stetig höheren Lohnzuwächse in China ebenfalls ausgleichend wirken, sieht die Lage für Deutschland bedeutend düsterer aus. Will die deutsche Volkswirtschaft ihre Forderungen nicht abschreiben, muss sie mittel- bis langfristig ihre Außenhandelsüberschüsse gegenüber den Schuldnerstaaten nicht nur abbauen, sondern sogar gegenüber diesen Staaten ein Handelsbilanzdefizit ausweisen – solange, bis die Forderungen sich ausgeglichen haben. Im gemeinsamen Währungsraum gibt es nur eine einzige Methode, um dies zu erreichen: Die deutschen Löhne müssen stetig stärker steigen als im Rest Europas. Nur dann kann Deutschland sein weltmeisterliches Importdefizit ausgleichen … und den drohenden Konkurs noch abwenden.
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