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Titel: Der Spiegel sieht die Ursache der „Schuldenkrise“ in einem Generationenkonflikt
Datum: 10. August 2012 um 9:22 Uhr
Rubrik: Generationenkonflikt, Rente, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Ein junger Wirtschaftsredakteur des Spiegels hat dieser Tage eine bisher völlig unbeachtete Ursache der „Schuldenkrise“ entdeckt: die Alten.
Er will die Jugend Europas gegen ihre Eltern auf die Barrikaden schicken und deutet den Kampfruf der „Indignados“ “Que se vayan todos” („Alle sollen abhauen“), um in die Parole „Die Alten sollen abhauen“.
Von Wolfgang Lieb.
Es gehört zu den gängigen Strategien mächtiger Interessengruppen und der von ihnen gesteuerten Regierungspropaganda sowie der sie unterstützenden Claqueure in den Medien bei wirtschaftspolitisch verursachten Krisen oder um den Sozialabbau zu rechtfertigen, die Schuld auf Sündenböcken abzuladen. Stieg etwa die Arbeitslosigkeit, wurden die Zuwanderer zum Problem gemacht („Die Ausländer nehmen uns die Arbeit weg“). Oder es werden eben die Arbeitslosen selbst dafür verantwortlich gemacht, dass sie keine Arbeit finden („Jeder findet Arbeit, wenn er nur arbeiten will“). Als die Arbeitslosenversicherung abgeschafft wurde, waren es die „Parasiten“ und „Schmarotzer“ die angeblich das „Fordern“ nötig machten. Die Zerstörung der gesetzlichen Rente wurde mit dem demografischen Wandel und der „Überalterung“ der Gesellschaft begründet. In früheren Zeiten, waren die Juden an allem Schuld und heute sind es die Moslems (vor allem die Türken und Araber) die „keine produktive Funktion“ (Sarrazin) haben.
Rassismus, Islamismus, Fremdenfeindlichkeit, Stigmatisierung von Homosexuellen, Frauendiskriminierung, Abwertung von Behinderten und Obdachlosen, ja auch das Auseinanderdividieren von „Ossis“ und „Wessis“ kurz: „gruppenbezogene Menschfeindlichkeit“ (Heitmeyer) ist ein weitverbreitetes Syndrom und ein häufig eingesetztes Instrument, um soziale Ungerechtigkeit zu legitimieren und bestehende Machtverhältnisse zu rechtfertigen oder um sogar in einer Art „Schuldumkehr“ das Versagen der Politik den Minderheiten in die Schuhe zu schieben.
In den letzten Jahren wurden periodisch immer wieder die Jungen gegen die Alten in Stellung gebracht
Vor allem als Ouvertüre und dann als ständige Begleitmusik zum fortgesetzten Zerstörungswerk an der gesetzlichen Rente (Riesterfaktor, Nachhaltigkeitsfaktor, nachgelagerte Besteuerung der Rente, Rente ab 67 und vor allem natürlich mit der Einführung der kapitalgedeckten privaten Altersvorsorge), bei jeder noch so minimalen Rentenanpassung, bei der Verdoppelung des Pflegeversicherungsbeitrags, bei der Einführung eines Zusatzbeitrags für die gesetzliche Krankenkassen oder bei der Frage, ob die Kassen noch Zahnprothesen oder künstliche Hüften für Senioren finanzieren sollten, gab es regelmäßig ein von den Arbeitgebern und der Finanzwirtschaft finanziertes und von dienstwilligen „Experten“ wie Meinhard Miegel, Bernd Raffelhüschen oder Hans-Werner Sinn inszenierten medialen Trommelwirbel gegen die „gierigen Alten“ oder die „plündernde“ „Rentner-Demokratie“ (Altbundespräsident Roman Herzog )
„Wie die Alten die Jungen ausplündern“ titelte der SPIEGEL, „Die Jungen werden verschaukelt“ schrieb Henning Krumrey im FOCUS, „Rentner – Leben auf Kosten der Anderen“, meinte Viktoria Unterreiner in der WELT, „Ran an die Rente“, forderte der FOCUS. „Ran an das Geld der Rentner“ (Dorothea Siems, DIE WELT), „Die gierigen Alten“ (Jörg Tremmel, SRzG in 3-Sat), „Alte gebt den Löffel ab“ (Jan A. Dittrich FDP, in BILD), „Die Alten haben zu wählen – Verzicht oder Krieg“ (Hans-Ulrich Jörges, im STERN).
Und selbst die seriöse FAZ schrieb: „Nie zuvor haben die Älteren ihre Nachkommen so schamlos ausgenommen.” Die Liste solcher Aufrufe zum Kampf der Jungen gegen die Alten ließe sich beliebig fortsetzen.
In der Sache ging es bei allen diesen Kampagnen im Namen des sog. „Generationenkonflikts“ um die Senkung der paritätisch von Arbeitnehmern und Arbeitgebern finanzierten Versicherungsbeitragssätze unter dem Tarnwort der Senkung der sog. „Lohnnebenkosten“. Das heißt, es ging um die Verlagerung der Altersvorsorge, der Gesundheits- oder Pflegekosten auf private Finanzierungssysteme, also allein auf Kosten der Arbeitnehmer. Das eigentlich „Ungerechte“ gegenüber der jüngeren Generation ist, dass den Jungen einerseits sowohl die Bürde aufgeladen wird, über das Umlageverfahren die Älteren zu versorgen, als auch noch zusätzlich privat einen Kapitalstock für ihre eigene Altersvorsorge aufzubauen.
Der „demographische Wandel“ und die Sicherung der „internationalen Wettbewerbsfähigkeit“ (angeblich durch Senkung der „Lohnnebenkosten“) waren die politischen Hebel zur Einführung der Sozial-„Reformen“ seit der Jahrtausendwende. Tatsächlich ging es aber nur um einen Verteilungskampf zwischen Kapital und Arbeit und um das Anbohren einer „Ölquelle“ (Maschmeyer) für die Versicherungswirtschaft. Und es ging immer auch um die „Konsolidierung“ der durch den „Unternehmenssteuersenkungswahn“ (Rudolf Hickel) gefledderten öffentlichen Haushalte. Bei der daraus resultierenden Suche nach Begründungen für das „Sparen“ und damit für den Sozialabbau ließ sich der demografische Wandel als vordergründig „objektive“ Tatsache für politische Kampagnen hervorragend nutzen. Die Soziale Gerechtigkeit wurde durch den Begriff der sog. „Generationengerechtigkeit“ abgelöst.
Wer könnte schon etwas gegen „Gerechtigkeit“ einwenden?
Die Frage, ob es den Jungen tatsächlich besser ginge, wenn es den Alten schlechter geht, konnte mit diesem Schlagwort umgangen werden. Und hinter der Tatsache, dass es der Masse der Jungen und der Masse der Alten durch die mit der „Generationengerechtigkeit“ begründeten „Reformen“ ständig schlechter ging, konnte man die weithin verschwiegene zunehmende Umverteilung des erwirtschafteten Reichtums zugunsten einer mächtigen Minderheit nur zu gut verstecken. Der Verteilungskampf wurde auf die Ebene des Kampfes zwischen den Generationen geschoben.
Der SPIEGEL entdeckt die Alten als Ursache der Euro-Krise
Einem 35-jährigen Wirtschaftsredakteur hat SPIEGEL Online dieser Tage die Plattform geboten nun auch noch die „Schuldenkrise“ (man beachte schon die herrschende Umdeutung der Finanzkrise in eine „Schuldenkrise“) als einen Generationenkonflikt auszumachen. Er will die Jugend Europas gegen ihre Eltern auf die Barrikaden schicken. Er deutet den Kampfruf der „Indignados“ “Que se vayan todos” („Alle sollen abhauen“), der gegen die herrschenden Parteien und Geldeliten gerichtet war, um in die Parole „Die Alten sollen abhauen“.
Gestützt auf eine die wachsende Ungleichheit in Deutschland weichspielende Studie der Bertelsmann Stiftung verweist der Autor auf die schlechten Plätze der Südeuropäer im Ranking bei der „Generationengerechtigkeit“.
Wie bei den demografischen Modellrechnungen werden auf den ersten Blick dramatische Fakten – wie die doppelt so hohe Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen in Griechenland und Spanien sowie Teilen Süditaliens – zur Demagogie gegen die (noch) in Arbeit stehenden Alten genutzt:
„Es sind eben nicht nur Politiker und Banker schuld an der Krise. Weite Teile der älteren Generation waren Komplizen der taumelnden Systeme“
resümiert der SPIEGEL-Autor.
Und wie immer, wenn der „Generationenkonflikt“ beschworen wird, plädiert der studierte Politologie und Psychologe in der Wirtschaftsredaktion des Spiegels für den Abbau sozialer Errungenschaften:
Lockerung des Kündigungsschutzes, „Arbeitsmarktreformen“, Verringerung des Abstands der Einkommen zwischen Jüngeren und der Älteren. (Und das noch auf der Basis einer Forderung des Ifo-Instituts, das bekanntermaßen ja schon immer für Lohnsenkungen von Alt und Jung eintritt.) Schließlich wird noch gegen die „Rentengarantie“ (!) in Deutschland polemisiert, deren einzige Garantie die Senkung des Rentenniveaus auf 43% vom Netto vor Steuern ist (die Abschläge durch die Einführung der Rente mit 67 noch gar nicht eingerechnet).
Seine Forderung nach Steuererhöhungen für Reiche und sein Aufruf zum Kampf gegen Steuerhinterziehung gelten natürlich nur für die Südeuropäer.
Die hohe Jugendarbeitslosigkeit (nicht nur in den südeuropäischen Ländern) ist nicht zu bestreiten. Auch dass es die Generation „Praktikum“ (auch bei uns) viel schwerer hat, gute Arbeit zu finden ist ein Trauerspiel. Falsch wird die Argumentation des selbsternannten Anwalts der Jungen aber schon bei der Annahme, dass die Realeinkommen der jüngeren Generation niedriger liegen als zu Zeiten als die Alten noch jünger waren. Es waren die Alten, die in der Vergangenheit durch Verzicht auf angemessenen Lohn und durch Sparen (Verzicht auf Konsum), den vorhandenen Kapitalstock aufgebaut haben, aus dem Alte wie Junge allerdings in den letzten Jahrzehnten leider nicht mehr ihre „Gewinne“ erzielen konnten. Und erbt etwa nicht die Nachfolgegeneration die Vermögenswerte auf denen die Alten sitzen? Es kommt eben nur darauf an, ob die Erben zu aus reichen Familien stammen oder ob ihre Eltern zu den Habenichtsen gehören.
Es gibt eine zunehmende Zahl von Menschen, ob sie nun jung sind oder alt, die mit immer weniger Einkommen und sozialen Leistungen auskommen müssen. Es gibt immer mehr Arme unter den Jungen wie unter den Alten und es gibt wenige Reiche, die immer reicher wurden – auch dort, ob jung oder alt. Die Unterstellung von den reichen Alten trifft im Übrigen für die Mehrheit der Älteren nicht zu, mehr als die Hälfte aller Renten sind Kleinstrenten und die Altersarmut ist programmiert. Die Kernfrage müsste also sein, warum in einer wachsenden Wirtschaft immer mehr Menschen – jung oder alt – mit immer geringerem Einkommen und immer schlechteren arbeitsrechtlichen und sozialen Absicherungen leben müssen.
Gäbe es denn in Südeuropa insgesamt mehr Arbeit, wenn „Arbeitsmarktreformen“ durchgeführt würden und der Kündigungsschutz gelockert würde? Hätten die Jüngeren wirklich etwas davon, wenn das Lohniveau der Älteren noch weiter abgesenkt würde?
Selbst am Beispiel, des angeblich so prosperierenden Deutschland lässt sich doch ablesen, dass dadurch nur das Lohnniveau insgesamt gesenkt würde und atypische und prekäre Arbeit dramatisch ansteigen. Entscheidend sind eben die tatsächlichen Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt und nicht das Verhältnis zwischen Alt und Jung.
Ja, die jüngere Generation ist gegenüber der Generation der „Baby-Boomer“ tatsächlich benachteiligt, aber das hat nichts, aber auch gar nichts mit dem demografischen Wandel, sondern ausschließlich mit der Ökonomie und einer grottenschlechten Wirtschaftspolitik zu tun.
Mit dem Aufruf zum Kampf der Jüngeren gegen die Älteren will der Jung-Journalist von den zugrundeliegenden Ursachen etwa für den dramatischen Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa ablenken – nämlich von der durch kriminelle Machenschaften herbeigeführte Finanzkrise und deren katastrophalen Folgen für die öffentlichen Haushalte sowie für die Realwirtschaft und schließlich von der auf einer falschen Euro-Krisen-Analyse basierenden Austeritätspolitik, die gerade von der Bundesregierung für ganz Europa durchgesetzt wurde.
Wie sollen in einer politisch bewusst herbeigeführten wirtschaftlichen Rezession in den südeuropäischen Ländern neue Arbeitsplätze entstehen. Werden durch das Sparen ohne Rücksicht auf Verluste nicht viel mehr Alte entlassen, als dass Junge eingestellt werden könnten? Werden etwa durch die Senkung der Arbeitslosenhilfen oder der Renten nicht Alte und Junge gleich betroffen? Was ist daran Generationen-„gerecht“, dass alle auf einem immer niedrigeren Niveau darben sollen, obwohl in der Vergangenheit der gesamte Reichtum der Gesellschaft größer geworden ist? Die Ungerechtigkeit nimmt nur zu, egal welcher Generation man angehört.
Nur wer danach fragt, warum immer mehr gesellschaftlicher Reichtum zu immer mehr Armut führt, wird zu einer Lösung der Probleme auch für die Jungen finden.
Damit solche Fragen aber gar nicht erst aufkommen, liefert der Appell an die „Generationengerechtigkeit” eine Ausflucht. Damit lassen sich die Kritik an den Lösungskonzepten der Euro-Krise und die Forderung nach einem Politikwechsel trefflich umlenken: Man hat endlich wieder einen Sündenbock – nämlich die Alten.
Wer wirtschaftliche und soziale Entwicklungen auf ein Generationenproblem reduziert, blendet wirtschaftliche, soziale, politische und kulturelle Rahmenbedingungen bewusst aus.
„Schuldenkrise als Generationskonflikt“ überschreibt der Spiegel diese die falsche Krisenpolitik kaschierende und rechtfertigende journalistische Pannenhilfe.
Aber auch was die Schulden anbetrifft, hätte ein „Wirtschaftsredakteur“ auf die ziemlich banale Einsicht kommen können, dass den Staatsschulden die Forderungen derjenigen gegenüberstehen, die den Staaten das Geld geliehen haben. Es werden also auch künftig nicht die nachkommenden „Generationen“ belastet, sondern eine künftige Gruppe von Bürgern zugunsten einer anderen, die im Besitz der Staatsobligationen ist. Da Kredite an den Staat typischerweise von den Wohlhabenderen gegeben werden können, empfangen diese also auch wieder die Auszahlungen, und zwar völlig egal ob sie jung oder alt sind. Der Besitz ist nur ungleich verteilt. Schulden sind also kein Problem zwischen Alt und Jung, sondern auch in aller Zukunft eine Frage von Arm und Reich. Diese soziale Ungleichheit wird auch auf bei der Schuldenkrise in einen Generationenkonflikt umgedeutet.
Einmal mehr wird von einer Armuts-Reichtums-Debatte abgelenkt und die tatsächlichen Konfliktlinien in den Gesellschaften werden verschleiert und stattdessen wird versucht die Jungen gegen die Alten auf Barrikaden zu treiben.
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