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Titel: Die deutsche Regierung heizt die Eurokrise weiter an
Datum: 1. August 2012 um 14:44 Uhr
Rubrik: Bundesregierung, Euro und Eurokrise, Europäische Union, Europäische Verträge
Verantwortlich: Jens Berger
Ginge es nach François Hollande und Mario Monti würde der Euro-Rettungsschirm ESM mit einer Banklizenz ausgestattet, die es ihm erlauben würde, mit EZB-Krediten direkt Staatsanleihen notleidender Eurostaaten zu kaufen. Nach langem Zaudern und Zögern wäre dies ein echter Befreiungsschlag im Kampf der europäischen Bevölkerung gegen die destruktiven Auswirkungen der Finanzmärkte. Doch die deutsche Regierung scheint kein Interesse an einer Bekämpfung der Krise zu haben und wehrt sich mit fadenscheinigen Argumenten gegen den französisch-italienischen Vorstoß. Die Begründung lautet: Eine Entspannung würde den Reformdruck von den angegriffenen Ländern nehmen. Schon immer lag es vor allem an ideologischer Verbohrtheit, wenn die Welt ins Unglück gestürzt wurde. Von Jens Berger
Um den deutschen Widerstand gegen eine Banklizenz für den ESM einordnen zu können, muss man zunächst einmal den Status Quo bei der akuten Refinanzierungskrise der Eurostaaten vergegenwärtigen. Nur Griechenland (und mit Abstrichen auch Portugal) haben ein „echtes“ Verschuldungsproblem, bei dem es selbst unter günstigen konjunkturellen Rahmenbedingungen und einem „normalen“ Zinssatz für Staatsanleihen ein Problem wäre, mittel- bis langfristig auf einen grünen finanzpolitischen Zweig zu kommen. Spanien hat eine Staatsschuldenquote von 68,5% (Staatsschulden im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt) und auch Irland, Slowenien und Zypern haben „noch“ kein nennenswertes Staatsschuldenproblem. Lediglich Italien weist mit einer Staatsschuldenquote von 120,1% eine hohe Staatsverschuldung auf – Italien ist jedoch „traditionell“ hoch verschuldet und hatte auch in den späten 1990ern eine Staatsschuldenquote von mehr als 120%, ohne dass der Staat ein ernsthaftes Refinanzierungsproblem gehabt hätte. Generell spielen die Staatsschuldenquoten bei der „Risikobewertung“ privater Investoren offenbar eine untergeordnete Rolle bei der Bemessung der Zinsen für Staatsanleihen. Investoren und Spekulanten antizipieren hier vielmehr mögliche künftige Lasten für die betroffenen Staaten, die durch eine vermeintlich notwendige Rettung der Banken entstehen könnten und damit diese Staaten zwingen würden, hohe neue Schulden aufzunehmen. Im Falle Irlands ist dieses Szenario bereits eingetreten – nahezu ausschließlich aufgrund der übernommenen Schulden der Banken ist die Staatsschuldenquote der grünen Insel binnen vier Jahren von 25% auf 108,2% förmlich explodiert.
Finanzprobleme als selbsterfüllende Prophezeiung
Es ist eine politische Entscheidung, ob und wie ein Staat „seine“ Banken rettet. Es ist jedoch der Allgemeinheit nicht zuzumuten, dass sie für die Folgen der Bankenrettungen bluten muss. Genau dies ist jedoch die momentane „Rettungsagenda“. Da private Investoren, vor allem seit der fahrlässig herbeigeführten Pleite Griechenlands, einen signifikanten Risikoaufschlag für Staatsanleihen bestimmter Eurostaaten verlangen und Spekulanten ihr übriges tun, um die Zinsen in die Höhe zu treiben, geraten die angeschlagenen Staaten in eine Art selbsterfüllende Prophezeiung – „die Märkte“ fürchten ein steigendes Ausfallrisiko, verlangen und bekommen höhere Zinsen, die wiederum die angegriffenen Staaten erst in eine finanzielle Notlage treiben, die dann das Ausfallrisiko tatsächlich steigen lässt. Sämtliche Industriestaaten hätten ein ernstes Refinanzierungsproblem, wenn sie für ihre ausstehenden Staatschulden eine Zinslast von mehr als 7% zahlen müssten. Für die öffentlichen Haushalte in Deutschland, mit ihren rund 2.000 Mrd. Euro Schulden, wären dies stolze 140 Mrd. Euro Zinslast pro Jahr.
Um den Teufelskreis der selbsterfüllenden Prophezeiung zu unterbrechen, kann die Politik beim Faktor Zinshöhe eingreifen. Wenn die Zinshöhe ein vertretbares Niveau übersteigt, kann der Staat beispielsweise über seine Notenbank intervenieren und sie als zusätzlichen Käufer agieren lassen, um die Zinsen in einem festgelegten Korridor zu halten. Eine solche Praxis ist weder Teufelswerk noch Finanzvoodoo, Staaten wie die USA und Großbritannien gehen diesen Weg schon seit längerem mit Erfolg. Nur die Eurozone weigert sich – vor allem aufgrund des deutschen Widerstandes -, dieses Instrument einzusetzen.
Anstatt den Staaten direkt ihre Anleihen abzukaufen, hat sich die EZB gegen den heftigen Widerstand der Bundesbank zumindest die Möglichkeit abgerungen, Staatsanleihen an den Finanzmärkten zu kaufen. Diese Interventionen auf dem sogenannten Sekundärmarkt haben zwar keinen direkten Einfluss auf die Zinsen, die die Staaten zu zahlen haben, geben jedoch eine Orientierung für die Anleihenauktionen (Primärmarkt) vor, auf denen der Zins bestimmt wird.
Dazu und zu den Hintergründen der Staatsfinanzierung: Ergänzungen und Erklärungen zum Artikel »Der „Schuldenschnitt“ und das Kleingedruckte«
Die Probleme der „Euroretter“
Um die Staaten wirklich zu entlasten, wäre es nötig, den Zins bei den Anleihenauktionen unter Kontrolle zu bringen. Dies ist jedoch nur durch direkte Interventionen am Primärmarkt möglich. Diese Form der direkten Staatsfinanzierung ist der EZB jedoch per Statut verboten und ohne Zustimmung der Deutschen ist eine Änderung des EZB-Statuts nicht möglich. Das heißt jedoch keinesfalls, dass die EZB bei der gängigen Praxis der Staatsfinanzierung keine Rolle spielen würde. Im Gegenteil. Da Banken Euro-Staatsanleihen in voller Höhe als Sicherheit bei der EZB hinterlegen dürfen, können sie mit günstigen EZB-Krediten zum Leitzins (derzeit 0,75%) Staatsanleihen kaufen, die im Falle Italiens und Spaniens mit bis zu rund 7% verzinst sind. Dies ist – im Prinzip – ein grandioses Geschäft, das jedoch auch ein Risiko birgt: Sobald die Staatsanleihen unter Druck kommen, müssen die Banken nach einem komplizierten Verfahren mittel- bis langfristig diese Papiere zum Marktwert bilanzieren. Dabei spielt die reale Ausfallwahrscheinlichkeit keine Rolle.
Wer ernsthaftes Interesse an einer Entspannung der Zinsproblematik hat und nicht am EZB-Statut rütteln will, benötigt daher ein „Spezialvehikel“, für das nicht die Bilanzierungsregeln privater Banken gelten und das sich über eine Banklizenz unlimitiert Geld von der EZB leihen kann. Der Vorschlag von Hollande und Monti sieht vor, aus dem ESM genau dieses Spezialvehikel zu machen. Der momentan geplante ESM wird nicht über die EZB, sondern über Garantien der Nationalstaaten finanziert und ist mit maximal 750 Mrd. Euro ausgestattet. Dies ist zwar sehr viel Geld, jedoch nicht genug, um die Spekulation aus den Märkten zu nehmen. Jeder Spekulant weiß, dass die Mittel des ESM begrenzt sind und es keinen Interventionsmechanismus gibt, sondern jedes Eingreifen politisch diskutiert werden muss. Dies ist zwar demokratisch, wer jedoch die sture Linie der deutschen Regierung kennt, weiß, dass die Konstruktion des ESM ihn auch gleichzeitig lähmt. Eine Feuerwehr muss löschen, wenn es brennt und nicht jede Löschentscheidung zu einem politischen Kuhhandel der Feuerwehrhauptmänner ausarten lassen.
Mit Banklizenz gegen Spekulanten
Wie könnte ein ESM mit Banklizenz und EZB-Mitteln funktionieren? Der ESM könnte beispielsweise einen Zinskorridor für Spanien und Italien beschließen und bei den Anleihenauktionen (also am Primärmarkt) in der Form intervenieren, dass die real zu zahlenden Zinsen sich innerhalb dieses Korridors bewegen. Der Zinssatz müsste freilich je nach Laufzeit politisch bestimmt werden. Für eine zehnjährige Anleihe, für die Italien und Spanien momentan rund 7% zahlen müssen, könnte der Korridor beispielsweise bis 5,0% reichen. Wenn sich kein privater Investor findet, der weniger als 5,0% bietet, müsste der ESM in diesem Falle die gesamte Tranche für 5,0% ersteigern. Dies hätte zur Folge, dass die Gläubigerstruktur der angegriffenen Staaten sich mittel- bis langfristig vom Finanzsektor zum ESM verschieben dürfte.
Interventionen an den Sekundärmärkten sind dadurch nicht mehr nötig, was auch die – vornehmlich deutschen – Kritiker dieser Käufe beruhigen sollte. Es ist anzunehmen, dass die Preis am Sekundärmarkt sich vielmehr über kurz oder lang auf die 5,0%-Marke einpendeln würden und langfristig auch die Banken und Versicherungen wieder Anleihen am Primärmarkt (für weniger als 5,0%) ersteigern werden. Der Grund für die Zinssenkung wäre nicht direkt das Eingreifen des ESM, sondern die massiv gesunkene Ausfallwahrscheinlichkeit. Sobald die Politik die Zinssätze abschirmt, ist garantiert, dass den Staaten keine ruinösen Zinssätze zugemutet werden, die im Rahmen der selbsterfüllenden Prophezeiung das Ausfallrisiko erst in die Höhe treiben. Die Luft aus der Spekulationsblase würde dadurch entweichen und die Kurse wieder auf einen realistischen Wert sinken. Der IWF geht davon aus, dass die Kurse für italienische und spanische Staatsanleihen durch Spekulationseffekte rund 2% in die Höhe getrieben werden. Ohne diese Effekte wäre die Zinsen somit schon heute im angedachten Zinskorridor und ein Eingreifen des ESM wäre noch nicht einmal nötig. Dies ist eine der grundlegenden Lektionen aus vergangenen Interventionsprogrammen der nationalen Zentralbanken – sobald die in Aussicht gestellte „Feuerkraft“ eine überzeugende Größe hat, und dies ist im Idealfall eine unendliche Feuerkraft, hört die Spekulation von alleine auf und die Zentralbanken müssen überhaupt nicht intervenieren, weil die Spekulanten schon längst das Weite gesucht und sich ein neues Opfer vorgenommen haben. Momentan sind Staatsanleihen der Eurostaaten das bevorzugte Opfer des Spekulanten. Wie lange noch?
Inflationsgespenst und Stabilitätswirrwarr – die Scheinargumente von Schwarz-Gelb
Ginge es nach der schwarz-gelben Bundesregierung und den Sprechern der drei Koalitionsparteien können die angegriffenen Eurostaaten noch lange auf eine Entspannung der Finanzierungsprobleme warten. Vor allem CSU und FDP übertreffen sich gegenseitig in reflexartiger Kritik an dem Hollande-Monti-Modell. Dabei – so muss es in Deutschland wohl sein – malen die Politiker einmal mehr das berühmt-berüchtigte Inflationsgespenst an die Wand. Stellvertretend sei hier FDP-Generalsekretär Döring zitiert, für den eine Banklizenz für den ein ESM hieße, „die Gelddruckmaschine anzuschmeißen“, was zu „Inflation und nahezu unbegrenzter Haftung“ führen würde. Nun soll der General der „Wirtschaftspartei“ doch bitte einmal volkswirtschaftlich herleiten, wie es zu „Inflation“ führen soll, wenn anstatt des Finanzsektors die ESM sich das Geld zum Anleihenkauf von der EZB leiht? Technisch betrachtet gibt es hier keinen Unterschied. Im Gegenteil – rein monetaristisch betrachtet muss durch den niedrigeren Zins nicht mehr, sondern weniger Geld geschöpft werden. Doch die monetaristische Erklärung von Inflation ist ohnedies fragwürdig und in Zeiten der Krise vollkommen untauglich. Inflation entsteht auf zwei Wegen: Entweder durch Abwertung der nationalen Währung, was die Importpreise treibt, oder durch eine Ausweitung der Nachfrage. Eine Banklizenz des ESM würde am Außenwert des Euros überhaupt nichts ändern und auch die Nachfrage nach Gütern verändert sich dadurch nicht ein Jota. Wir haben momentan sehr viele volkswirtschaftliche Probleme, eine drohende Inflation gehört ganz sicher nicht dazu und es ist verstörend zu beobachten, wie Medien und Politik immer wieder die „deutsche Urangst“ anheizen.
Nicht wesentlich klüger ist, was Dörings bayerischer Parteifreund Zeil, der seines Zeichens auch Vize-Ministerpräsident und Wirtschaftsminister in Bayern ist, von sich gibt. Er sieht in einer Banklizenz für den ESM einen „klaren europäischen Rechtsbruch, da dies auf eine direkte Finanzierung der europäischen Staaten durch Mittel der Notenbank hinauslaufen würde“. Nun ist eine direkte Finanzierung durch Mittel der EZB aber nicht verboten, ansonsten wäre jeder Staatsanleihenkauf der Banken, die sich die nötigen „Mittel“ ebenfalls von der EZB besorgen, auch verboten. Aus diesem Grund unterscheidet man hier auch zwischen einer indirekten und einer direkten Staatsfinanzierung über die EZB. Das Hollande-Monti-Modell ist eine indirekte Finanzierung über die EZB. Eine direkte Finanzierung durch die EZB ist per EZB-Statut tatsächlich verboten, aber davon ist im Hollande-Monti-Modell ja gar nicht die Rede. Hat Zeil seine Hausaufgaben nicht gemacht, versteht er den Unterschied zwischen direkter und indirekter Finanzierung intellektuell nicht oder ist ihm die sachliche Ebene der Diskussion schlichtweg egal?
Der bayerische Finanzminister Söder (CSU) hat Sorge, dass die EZB sich von einer „Stabilitätsbank hin zu einer Inflationsbank“ wenden könnte und betont, dass „Stabilität das Entscheidende im Euroraum [sei]“. In welcher Welt lebt Herr Söder eigentlich? Merkt der Mann überhaupt, dass Südeuropa längst lichterloh brennt und die Flammen bereits auf das transalpine Europa übergreifen? Auch Bayern ist keine Insel der Glückseligen, die sich ihre – ungerechtfertigte – Angst vor Inflation in Zeiten, in denen europaweit die ökonomische Basis wegbricht, leisten kann. Söder erinnert an einen Großgrundbesitzer, der sich weigert, dass die Städter ihre brennenden Häuser mit Wasser aus „seinem“ See löschen dürfen, da er Angst um seine schönen Seerosen hat. Wenn es ihm um Stabilität im Euroraum ginge, würde er die Banklizenz für den ESM begrüßen, ist sie doch ein geeignetes Mittel, um die Spekulationseffekte aus den Märkten zu nehmen, ganz Euroland eine sicherer Finanzplanung zu ermöglichen und damit den verheerenden Folgen der Eurokrise Einhalt zu bieten.
Reformdruck – ein anderes Wort für „Schock-Strategie“
Den eigentlichen Grund der schwarz-gelben Ablehnung nennt der Unions-Fraktionsvize Michael Meister (CDU), der über die Rheinische Post verlauten ließ, eine Banklizenz würde “dauerhaft den Reformdruck von den Staaten” nehmen. Für die deutschen Regierungsparteien scheint die Eurokrise den passenden Rahmen für eine lang geplante Schock-Strategie zu bieten.
Siehe dazu: Krisengewinnler Neoliberalismus
Der deutschen Regierung geht es nicht darum, die akuten Folgen der Eurokrise in den Griff zu bekommen. Ihr geht es darum, ihre Ideologie in Europa zur „Staatsideologie“ zu machen und dafür müssen sie die Gunst der Stunde nutzen, lehnen doch sowohl Franzosen als auch Südeuropäer den Neoliberalismus germanischer Art mehrheitlich ab. Dies mag marktkonform sein, demokratisch ist es nicht. Doch es geht hier nicht nur um Fragen der Demokratie, sondern auch um millionenfaches Leiden. Wenn die deutsche Regierung weiterhin bei ihrem „njet“ bleibt, nimmt sie den Kollaps ganzer Staaten, die bereits jetzt historisch einmalige Arbeitslosigkeit und das Ende des europäischen Traums vom gemeinsamen Wohlstand in Frieden und Demokratie billigend in Kauf. Das ist jedoch kein Alleinstellungsmerkmal der ideologischen Überzeugungstäter aus Berlin. Beinahe jedes Verbrechen gegen die Menschheit, jedes Auseinanderdriften der Völker und jedes millionenfache Leid wurde durch ideologische Borniertheit an der Grenze zum Fanatismus verursacht. Warum sollte die Eurokrise hier eine Ausnahme machen?
P.s.: Der Artikel konzentriert sich auf die akute Staatsschuldenproblematik und lässt die realwirtschaftlichen Gründe für die Eurokrise außen vor. Dazu hat sich zuletzt Heiner Flassbeck in der FTD Gedanken gemacht.
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