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Titel: Hoch im Kurs – Marketing an Schulen – natürlich kostenlos

Datum: 17. Juli 2012 um 9:12 Uhr
Rubrik: Bildung, Bildungspolitik, Lobbyorganisationen und interessengebundene Wissenschaft, Wertedebatte
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Als Forschungs- und Bildungseinrichtung, die einst die Broschüre „Frieden und Sicherheit“ zu Analysezwecken beim FDP-nahen Verein „Jugend und Bildung“ bestellte, erhalten wir nun regelmäßig das jeweils neue Lehrmaterial frei Haus. Nun erreichte uns die Broschüre „Hoch im Kurs“ in zwei Ausgaben, eine für Schüler und eine für Lehrkräfte, deren Herausgeber neben der „Stiftung für Jugend und Bildung“ auch der Bundesverband Investment und Asset Management e.V. (BVI) ist.[1] Unter der Rubrizierung „Geld, Markt, Wirtschaft“ für die Sekundarstufe II soll Jugendlichen die Themenfelder „Ausgaben planen“, „Märkte verstehen“ und „Vermögen aufbauen“ nahe gebracht werden. Obwohl Fondsberatung nicht lehrplanrelevant ist, wird Lehrkräften viel Arbeitserleichterung rund um dieses Themenfeld angeboten, die von vorgefertigten Arbeitseinheiten über Medientipps bis hin zu kostenlosen Beratern für den Schulunterricht reicht. Letztere sind über die gleichnamige Website mit stets aktualisierten Angeboten zu buchen.[2] Die Prämierung des Angebots durch das Comenius Edu Siegel und das UNESCO Nachhaltigkeitssiegel bzw. deren Abdruck auf der Rückseite des Schülermagazins verspricht geprüfte Qualität. Von Sabine Schiffer[*]

Die Unterseite von hoch-im-kurs.de „Wie Märkte funktionieren“ beginnt mit folgender Fragestellung: „Klamotten, iPod, Auto – das alles kostet Geld. Dieses aber muss verdient werden. Hast du dich schon mal gefragt, warum Geld fast immer mit Arbeit zu tun hat?“ Was hier als jugendgerechte Formulierung daher kommt, ist mindestens einmal eine Umkehrung der Kausalitäten. Konsum jenseits von Sinn- und Nützlichkeitsfragen ist stets die Prämisse aller Fragestellungen bei „Hoch im Kurs“. So heißt es in der gedruckten Broschüre im Kapitel „Geldmanagement“ auf S. 5:

„Wenn du in den Beruf eintrittst, übersteigen meist die Ausgaben die Einnahmen, zum Beispiel für ein Auto, für Möbel oder für die eigene Wohnung. Hier hilft die Bank mit einem Kredit. Zum Sparen bleibt in dieser Lebensphase in der Regel wenig übrig. Je schneller die Kredite in den Folgejahren wieder zurückgezahlt werden können, desto frühzeitiger können wieder neue Ersparnisse aufgebaut werden. Dies ist meist im fortgeschrittenen Alter und im späteren Berufsleben der Fall. Wenn du mit Mitte bis Ende 60 aus dem Berufsleben wieder ausscheidest, sinkt das Einkommen meist wieder ab, weil die staatliche Rente niedriger als das bisherige Einkommen ist. Damit aber der gewohnte Lebensstandard aufrechterhalten werden kann, ist es wichtig, durch frühzeitiges Sparen Vermögen aufzubauen. Frühes Sparen ist also nicht nur sinnvoll, sondern auch notwendig.“

Soviel zur Einführung in die Konsum-Finanzbiografie eines Menschen, der wenig später noch in verschiedene „Anlegertypen“ eingeteilt wird. Das Spektrum auf Seite 21 reicht von „Nummer-Sicher-Typ“ bis zum „Wenn-Schon-Denn-Schon-Typ“ und folgt der Einteilung von Wertpapieren in sichere und weniger lukrative oder eben lukrative aber riskante Papiere. Die Prämisse ist dabei: Es gibt so etwas wie Anlegertypen und du gehörst zu einem der willkürlich definierten Spezies; finde heraus, welcher Typ Du bist und dann lege los. So wird die Doppelseite über Anlagemöglichkeiten mit der faktizierenden Feststellung eingeleitet: „Wenn du Geld auf der ,hohen Kante‘ hast, legst du es nicht mehr unters Kopfkissen, sondern du legst es an…“ [Hervorh. vom mir] Aha, so ist das also, so macht man das. Und schon folgen die Anlagemöglichkeiten von Aktien über Rentenpapiere bis Investmentfonds. Der Kauf wertvoller Gegenstände oder eine Investition in Immobilien oder dergleichen außerhalb von Wertpapieren kommt in der Broschüre nicht vor – es sei denn, es handelt sich um Lifestyle-Produkte. Auch, dass eine Wirtschaftskrise das gesamte System zum Zusammensturz bringen könnte, fehlt auffällig – obwohl sogar an einer Stelle von einer „Finanzmarktkrise“ die Rede ist und diese als „Marktversagen“ definiert wird. „Zu den Hauptursachen einer Finanzmarktkrise zählt fehlendes Risikobewusstsein und überzogenes Gewinnstreben einzelner Akteure auf den Finanzmärkten.“ Na, das ließe sich doch vermeiden, oder?!

Und auch wenn Arbeit immerhin als notwendiges Übel zum Erwerb von Mitteln zum Konsum akzeptiert wird, verspricht eine Überschrift wie die folgende doch einen viel leichteren Gelderwerb: „Was verdient man mit anderen Anlageformen?“ (S. 18) [Hervorh. von mir] Und der zentrale Wert, der die tägliche Berichterstattung der Börse andichtet – jenseits jeder realistischen Einschätzung von Wirtschaftszusammenhängen – wird hier gleich noch mit kolportiert. Auf Seite 14 wird zunächst richtig festgestellt: „Der Börse begegnen wir jeden Tag. In den Nachrichten, in Zeitungen und im Fernsehen.“ Die folgende Behauptung muss aber erst als solche entlarvt werden: „Kein Wunder, denn sie [die Börse] ist sowohl der Marktplatz für Kapital als auch das Barometer für die tägliche Vermessung von Unternehmen und nicht zuletzt die Lage der gesamten Volkswirtschaft.“

Derlei kühne Interpretationen schließen quasi nahtlos an vorherige Nahelegungen an, die unter der Fragestellung „Was wäre wenn es keinen Finanzmarkt gäbe?“ auf Seite 7 erörtert werden. Den folgenden Abschnitt kann man sich exemplarisch auf der Zunge zergehen lassen und die sich lösenden Interessen schmecken:

„Woher würde man wissen, wer Geld anbietet und wer gerade welches sucht? Und wie viele Menschen müsste man fragen, um einen bestimmten Betrag zusammenzubekommen? Ohne die Transparenz und die Bündelungsfunktion des Finanzmarktes fänden Kapitalanbieter und –nachfrager nur durch erheblichen Organisations- und Zeitaufwand zueinander, da es keinen gemeinsamen ,Treffpunkt‘ gäbe. Ohne den Finanzmarkt hätten Anleger kaum die Möglichkeiten, eine geeignete Geldanlage, etwa in Form von Wertpapieren oder Fonds, auszuwählen. Unternehmen wären somit auf die finanziellen Möglichkeiten ihrer Eigentümer angewiesen und bekämen für ihre Investitionen keine Kredite in ausreichender Höhe. Wachstum und damit auch Arbeitsplätze würden dadurch begrenzt. Fazit: Wenn es keine Finanzmärkte gäbe, müssten sie erfunden werden.“

Die gewohnheitsmäßige Falschmeldung, dass Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze irgendwie korrelieren würden, mag da schon kaum noch auffallen. Die in den Wirtschaftswissenschaften seit langem diskutierte Erkenntnis des Jobless Growth (Wachstum ohne Arbeit) wird hier ebenso ausgeblendet, wie man der Riester-Rente den Vorzug vor der kapitalgedeckten Rürup-Rente gibt, indem man letztere bei den angepriesenen Anlageformen gar nicht erwähnt.

Viele weitere Faktenbehauptungen, die inzwischen zu verbreiteten Akzeptanzen oder gar Glaubensgrundsätzen erstarrt sind, sind neben einigen Ursache-Wirkungs-Verdrehungen zu finden – ein paar Kostproben mögen zum Ermessen der Qualität des „Lehrmaterials“ genügen, das bestimmte grundsätzliche Hinterfragungen meidet:

  • „Seit Monaten bestimmen die Schulden von einigen europäischen Ländern die Schlagzeilen – auf einer Finanzkrise wurde eine Schuldenkrise.“
  • „Zur jüngsten Rezession in Europa kam es in den Jahren 2010/2011, bedingt durch die Staatsschulden einiger europäischer Länder…“
  • „Doch in der Tat macht das Vorsorgen in jungen Jahren nicht nur Sinn, es ist sogar unverzichtbar.“
  • „Die Welt rückt näher zusammen: T-Shirts aus Pakistan, Elektronik aus China und, wenn wir mögen, zu Weihnachten Erdbeeren aus Israel. Längst ist es normal, dass die Waren in unseren Geschäften aus den unterschiedlichsten Ländern kommen.“ u.s.w.

Über die Anlageberatung für Jugendlichkeit hinaus gibt es noch eine Jobbörse mit Berufen in diesem Bereich. Auch hier geht es weniger um Inhalt, als um Lifestyle und Einkommen. Immerhin richtet sich dieses explizit an eine Altersgruppe, die für mögliche Berufe Orientierung sucht und ist somit ehrlich. Dass die übrige Broschüre aber weniger geeignet ist, um Wirtschaftsthemen in ihrer Komplexität anzusprechen, sondern sich schnell als Marketinginstrument mit Zugriff auf das Geld der jungen Generation entpuppt, ist keine Überraschung wenn man die Macher von derlei „kostenlos“-Beratungsangeboten für die „selbstverantwortliche Schule“ im Sinne Bertelsmann’scher Umstrukturierungen kennt. Die Kooperation mit der Website Lehrer-online, die sich ebenfalls als reines Marketing-Portal für Lernhilfen und IT-Produkte entpuppt hat, passt da ins Bild.[3] Die Zusammenarbeit mit der EZB, die naive Animationen zur Unterrichtsunterstützung bietet, darf im Zeitalter grafisch anspruchsvoller PC-Interfaces der Games-Branche durchaus belächelt werden.[4]

Immerhin wird im Heft dafür plädiert, dass es „verlässliche Regeln an den Kapitalmärkten geben“ müsse (S. 11) und das empfohlene App[5] für die Überwachung des eigenen Taschengeldhaushaltes führt auch keine Systemzugriffe aufs iPhone aus, wie etwa das App der Deutschen Bahn, das mit dem Herunterladen gleich die Zugriffsrechte auf eMails und Kontaktdaten erhält. Aber dennoch kann man keine Empfehlung für derlei Suggestivmaterial ausstellen, das wenig mit Bildung und viel mit Verkauf zu tun hat – es gehört allenfalls in den Unterricht zur Analyse von Werbung.


[«*] Dr. Sabine Schiffer, IMV Institut für Medienverantwortung gUG, Erlangen.

[«1] Während in der Broschüre die Stiftung erwähnt wird, verzeichnet das Impressum der Website nur den BVI als Verantwortlichen im Sinne des Mediengesetzes.

[«2] Hoch im Kurs

[«3] Siehe Augsten/Schiffer: Der große Bluff in: Hintergrund 1/2011

[«4] z.B. ECB

[«5] z.B. Hoch im Kurs Geld Check im appstore


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