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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Gesunde Ernährung als Deckmantel: Mineralwasserwerbung in der Schule
Datum: 4. Juli 2006 um 16:59 Uhr
Rubrik: Lobbyismus und politische Korruption, Lobbyorganisationen und interessengebundene Wissenschaft, PR
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Dass Kinder und Jugendliche mehr und mehr zu einer bevorzugten Zielgruppe für Werbung und Marketingkampagnen werden, ist inzwischen weitgehend bekannt. Immer öfter machen sich in letzter Zeit jedoch staatliche Institutionen zum Erfüllungsgehilfen der Unternehmen (siehe auch die Artikel zu “Media Smart” und zum Projekt “Wirtschaft und Schule”).
Ein weiteres Beispiel dafür ist die Kampagne “Trinken im Unterricht”, mit der die Mineralwasserwirtschaft unter dem Deckmantel der Gesundheitsvorsorge Werbung für ihre Produkte betreibt. Wiederum werden Schulen zum Schauplatz strategischer Marketingaktionen. Industrie und PR-Unternehmen spannen Politiker, staatliche Institutionen und ahnungslose Schüler für ihre Zwecke ein. Ein Beitrag von Christine Wicht und Carsten Lenz.
Kampagne “Trinken im Unterricht”
Betrieben wird die Kampagne “Trinken im Unterricht” von einer PR-Organisation der deutschen Mineralwasserbranche, der Informationszentrale Deutsches Mineralwasser (IDM). Sie wurde vom Verband Deutscher Mineralbrunnen e.V. (VDM) gegründet, der Interessenvertretung der deutschen Brunnenbranche. Zur Zeit gehören ihm 230 Betriebe an, damit liegt der Organisationsgrad der Branche bei nahezu 100 Prozent. Offizielles Ziel der Aktion ist es, den Schülern das Trinken nicht nur in den Pausen, sondern auch während der Schulstunden zu erlauben. Das Vorgehen ist ähnlich wie bei anderen PR-Projekten. Die IDM bietet kostenlose Unterrichtsmaterialien für verschiedene Altersgruppen sowie einen Film an (Quelle: www.trinken-im-unterricht.de). Informationsbroschüren für mehrere Zielgruppen sollen für “Trinken im Unterrich” werben. Unter anderem gibt es eine Leitfaden für Lehrer und eine Broschüre für Eltern. Die Unterlagen sollen nicht nur die Vorteile von Trinken im Unterricht darstellen, sondern widmen sich auch den Fragen der praktischen Umsetzung. So soll etwa der Betreiber des Schulkiosk einbezogen werden, der Hausmeister soll räumliche Kapazitäten prüfen, um Lagermöglichkeiten für Mineralwasser zu klären. Auch an das Putzpersonal ist gedacht: Es müsse über die Aktion informiert sein, damit die Toiletten sauber sind, weil Schüler nur genug trinken, wenn die hygienischen Umstände auf den Toiletten gegeben sind.
Um Lehrer ausführlich über “Trinken im Unterricht” zu informieren, bietet die IDM seit April 2005 Lehrerfortbildungen zur Initiative an. Eine Ernährungswissenschaftlerin erläutert den Teilnehmern die wissenschaftlichen Hintergründe des Projekts und erarbeitet mit ihnen Vorschläge, wie sich die Initiative an den Schulen umsetzen lässt. Seminare für die Ausbilder von künftigen Lehrern sind ebenso geplant wie Informationsveranstaltungen für Eltern (Quelle: www.trinken-im-unterricht.de).
Staatliche Unterstützung für private Werbemaßnahmen
Unterstützt wird das Projekt “Trinken im Unterricht” wesentlich vom aid infodienst: Verbraucherschutz – Ernährung – Landwirtschaft e. V., einem gemeinnützign Verein, der vom Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz unterstützt wird. Seine Aufgabe besteht in der Sammlung und Verbreitung von Informationen auf den Gebieten “Verbraucher und Ernährung” sowie “Landwirtschaft und Umwelt”. Für die Kampagne “Trinken im Unterricht” erstellt der aus Steuermitteln finanzierte Verein beispielsweise die Unterrichtsmaterialien. Das Material kann von Lehrern im Internet heruntergeladen werden und ist Bestandteil der Broschüre zum Projekt Trinken im Unterricht. Darin wird – natürlich mit Hinweis auf wissenschaftliche Untersuchungen – auf die Bedeutung von ausreichendem Trinken aufmerksam gemacht. Ein Anliegen der IDM als Herausgeberin der Materials ist selbstverständlich auch die “Getränkeauswahl”. Kein Wunder, dass hier Mineralwasser in besonders vorteilhaftem Licht erscheint (Quelle: www.trinken-im-unterricht.de [PDF / 3 MB / S. 26]). Und auch im Unterrichtsmaterial des aid Infodienstes kommt Mineralwasser an prominenter Stelle vor, unter anderem in einem Geschmackstest, den Schüler mit verschiedenen Mineralwässern machen sollen (ebd. S. 41). Ein so genanntes Pilotprojekt für “Trinken im Unterricht” erbrachte in diesem Zusammenhang übrigens die bahnbrechende Erkenntnis: “Die Kinder tranken umso mehr, je besser ihnen das Mineralwasser schmeckte.” (Als Ergebnis der Pilotprojekte zitiert auf: www.trinken-im-unterricht.de/pilotprogramm.php).
Vorgeschobener Gesundheitsschutz
Von ähnlichem Niveau scheinen auch die weiteren “wissenschaftlichen” Argumente zugunsten der Kampagne “Trinken im Unterricht” zu sein. Unter anderem stützt sich die IDM auf eine Studie der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V. (DGE) zu Trinken und Leistungsfähigkeit in der Schule. Darin wird festgestellt, dass 7- bis 13-Jährige mindestens 1,2 Liter und 13- bis 15-Jährige mindestens 1,3 Liter pro Tag trinken sollen, weniger Flüssigkeitszufuhr könne bei Schülern zu Flüssigkeitsmangel und damit zu Konzentrationsstörungen führen. Da Schüler bekanntlich aber auch in den Schulpausen trinken können, bleibt schleierhaft, inwiefern diese Erkenntnisse die Kampagne der Mineralwasserindustrie untermauern können (vgl. auch Elke Brüser: Der eingetrichterte Durst [PDF – 52 KB], Süddeutsche Zeitung vom 5. April 2006).
Ein Motiv für die verstärkten PR-Aktivitäten der Minarbrunnen dürfte denn auch weniger in der Sorge um die Gesundheit der Schüler als in der wirtschaftlichen Situation der Branche zu finden sein. Im Jahr 2005 ist der Umsatz um 1,6% gesunken, vor allem bei kohlensäurehaltigen Mineralwasser. Dennoch stieg der Pro-Kopf-Verbrauch um 1,1 Liter, vor allem durch den verstärkten Konsum von importiertem Mineralwasser. In diesem Bereich betrug der Zuwachs rund 20% (Quelle: VDM). Unter diesem Aspekt ist nachzuvollziehen, dass der VBM ein Interesse daran hat, die hierzulande abgefüllten Wasser stärker ins Bewusstsein zu bringen.
Nicht nur der aus Steuermitteln finanzierte Informationsdenst aid leistet dabei Hilfe. Unterstützung findet die Kampagne auch bei zahlreichen Kultusministerien und den Bundeselternrat. Die Schirmherrschaft hat die ehemalige schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis übernommen. Politisches Engagement in der Kombination mit der offiziellen Zielsetzung gesunder Ernährung verleiht der Kampagne hohe Glaubwürdigkeit und stellt ihr eine Unbedenklichkeitsbescheinigung aus. Die Wirtschaft erhält so Zugang in staatliche Bildungseinrichtungen. Wolfgang Stubbe, Geschäftsführer des Verbands Deutscher Mineralbrunnen (VDM), kann zufrieden sein: „Die große Zustimmung zeigt, dass die deutschen Mineralbrunnen mit ihrem Engagement auf dem richtigen Weg sind, gesunde Ernährung vor allem von Kindern und Jugendlichen frühzeitig zu fördern. Wir freuen uns darüber, dass unsere Initiative so breite Unterstützung erfährt.“ In einer ersten Auswertung vermeldete die IDM bereits Erfolge. Eine Lehrerbefragung im März 2005, ein knappes Jahr nach Beginn der Kampagne, ergab, dass 260 von 300 befragten Lehrern das Trinken im Unterricht erlauben. Bei 87 von ihnen steht sogar Mineralwasser im Klassenraum bereit. Besonders erfreulich dürfte dabei für den Mineralwasserverband sein, dass in drei Viertel diese Fälle die Eltern sogar eine Wasserkasse eingerichtet haben, um das Mineralwasser für den Unterricht zu kaufen – größtenteils zum handelsüblichen Preis, da sie keinen Sponsor aus der Mineralwasserbranche gewinnen konnten (Quelle: www.trinken-im-unterricht.de [PDF / 128 KB / S. 12 und 13]). Hier haben sich die PR-Aktivitäten also schon gelohnt.
Zweifelsohne ist ausreichendes Trinken wichtig, und Mineralwasser ist ein gesundes Getränk, weitaus gesünder als süße und kalorienhaltige Getränke. Dies sollte Schülern auch vermittelt werden. Problematisch ist aber, dass die Schulen immer mehr zum Schauplatz von Werbekampagnen und PR-Aktionen von Unternehmen werden. Wenn sich die Mineralwasserbranche durchsetzt, könnte das andere Unternehmen auf den Plan rufen, die nach dem gleichen Muster argumentieren, die Hersteller von gesunden Milchprodukten und vitaminreichen Säften beispielsweise. Die Phantasie der PR-Strategen könnte hier sicher noch weitere Aktivitäten ersinnen. Die Produktpalette wäre beliebig erweiterbar: gutes Schuhwerk zur Vermeidung von Rückenschäden, geeignete Sportkleidung usw. Auch wenn es soweit noch nicht ist, stellt sich angesichts von Aktionen wie “Trinken im Unterricht” die Frage, warum sich die Schulen mit Unterstützung der staatlich finanzierten Informationsagentur aid für Werbekampagnen einspannen lassen. Wenn gesundes Trinken für die Konzentrationsfähigkeit wichtig ist, könnte beispielsweise auch Leitungswasser propagiert werden, dies ist genauso gesund und darüberhinaus an jeder Schule kostenlos vorhanden. Damit würde aber kein Markt entstehen, keine Markenbindung erfolgen und keine neue Kundschaft geworben werden.
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