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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Merkels „Zukunftsdialog“ – Ein Lehrstück für die „Post-Basisdemokratie“
Datum: 4. Juli 2012 um 8:59 Uhr
Rubrik: Postdemokratie, PR, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Um dem weitverbreiteten, durch massive Proteste und dem Aufkommen der Piratenpartei zum Ausdruck gekommenen Verlangen nach mehr Bürgerbeteiligung nachzugeben, ließ die Kanzlerin einen „Dialog über Deutschlands Zukunft“ inszenieren. Noch bevor irgendwelche Ergebnisse des „Expertendialogs“, des „Bürgerdialogs und des „Online-Dialogs“ vorliegen, ist nun ein von Angela Merkel herausgegebenes Buch erschienen, das beweisen soll, dass die Kanzlerin mit „Bürgern ins Gespräch gekommen“ ist. Die ganze Inszenierung ist ein Lehrstück für eine „Post-Basisdemokratie“. Von Wolfgang Lieb.
Der britische Soziologe Colin Crouch hat den Begriff „Postdemokratie“ in die öffentliche Debatte eingeführt. Spitzt man seine Analyse über den Zustand der Demokratien zu, meint er mit diesem Begriff, dass zwar formal die demokratischen Formen weiterbestehen, dass sie aber für die tatsächlichen politischen Entscheidungsprozesse irrelevant seien. Dass Wahlkämpfe mit den Inhalten der späteren Regierungspolitik kaum etwas zu tun hätten und dass der Souverän, also das Volk, nichts zu sagen habe, weil die Finanz- und Kommunikationseliten die Politik und die öffentliche Meinung bestimmten.
Dass diese wissenschaftliche These einer weitverbreiteten Stimmungslage in der Bevölkerung entspricht („die da oben, machen doch sowieso was sie wollen“), scheint nun auch von der Kanzlerin und ihren Kommunikationsberatern bemerkt worden zu sein. Dem durch massive Proteste zum Ausdruck gekommenen Verlangen nach mehr Bürgerbeteiligung und gleichzeitig dem Zeitgeist der Internetgeneration nachgebend, haben – angeregt und begleitet durch den „Zukunftsdialog“ der Bertelsmann Stiftung – die Berater der Kanzlerin für Angela Merkel einen „Dialog über Deutschlands Zukunft“ inszeniert.
Darüber ist jetzt auch noch ein von Angela Merkel herausgegebenes Buch erschienen, das beweisen soll, dass die Kanzlerin mit „Bürgern ins Gespräch gekommen (ist), um die Politik dialogischer zu machen.“
Monarchische Volksnähe
Wie ein Monarch, der, um seine Volksnähe zu demonstrieren, einmal im Jahr Vertretern des Volkes die Hände schüttelt, zusätzlich einige honorige Repräsentanten seines Reichs aufs Schloss einlädt und dazu noch einen Kummerkasten ans Schlosstor anbringen lässt, nimmt sich die Kanzlerin „die Zeit“ (S. 9) im „Kaisersaal“ (sic!) zu Erfurt ein „Bürgergespräch“ zu führen. Sie führt darüber hinaus mit 129 „Experten“ in der „Kleinen Lage“ im Kanzleramt, am „runden Tisch aus rotem Buchenholz“ und einer „vier Zentimeter“ dicken Tischplatte (S. 19) einen Zukunftsdialog. Und sie setzt schließlich – dem Internetzeitalter angemessen – im Bundespresseamt eine Online-Redaktion ein, auf deren Website „schon in der ersten Stunde…hundert Vorschläge rein“ kamen.
Und dann sucht sich der Monarch noch ein paar Hofschreiber, die zu seinem Ruhme die Veranstaltungen in folgende „gefühlige Tonlage“ bringen: Sie lebe hoch unsere Kanzlerin, die nicht nur „um Mehrheiten im Bundestag, im Bundesrat, auf europäischer und internationaler Ebene“ werben muss, um die „Staatsschuldenkrise“ zu bewältigen, um die Energiewende umzusetzen, sich um Fragen der Integration und des demografischen Wandels und um neue Bedrohungen kümmern muss, sondern die sich darüber hinaus sogar auch noch die Zeit nimmt (genau 103 Minuten (S. 228)), sich um alle Sorgen und Nöte ihrer Bürgerinnen und Bürger zu kümmern: „Jenseits des politischen Alltagsgeschäfts (wolle sie sich) auf die Gedanken im Experten-, im Bürger- und im Online-Dialog“ einlassen.
Vorgezogener Wahlkampf
Der einzige Unterschied zur Hofhaltung zu Königs Zeiten ist die Tatsache, dass Merkel ihren Thron nicht dem Gottesgnadentum verdankt, sondern dass sie sich demokratischen Wahlen durch das Volk stellen muss. Und ausschließlich diesem Zweck, nämlich die eigene Popularität im kommenden Wahlkampf zu steigern, dienen die Zukunfts-Dialoge und schon gar das jetzt auf den Markt geworfene Buch. Es ist nicht mehr als eine (dazu noch uninteressante) Wahlkampfbroschüre. (Die Kanzlerin wird allerdings vermutlich vorsichtig genug sein, dieses Buch nicht wie Christian Wulff durch einen kapitalkräftigen Freund sponsern zu lassen.)
Der Charakter einer Werbeschrift lässt sich allein schon an der für ein Buch äußerst merkwürdigen Tatsache festmachen, dass die Ergebnisse dieses „Dialogs“, über den das Buch doch berichten soll, noch gar nicht vorliegen. Dessen Manuskript wurde Anfang Mai fertig gestellt, die Vorschläge der Experten liegen aber noch gar nicht vor und sollen erst Ende August der Kanzlerin übergeben werden.
Die Vorschläge der drei (!) Bürgerspräche in Erfurt, Heidelberg und Bielefeld sind weder ausgewertet noch bekannt.
Die Ideen, die über den Online-Dialog gesammelt wurden, werden derzeit noch vom Bundespresseamt und im Kanzleramt ausgewertet. Außerdem sind ja noch eine Jugendkonferenz und eine internationale Veranstaltung geplant. Eine Buchveröffentlichung war nach dem offiziellen Ablaufplan auch erst viel später geplant.
Stimmungsaufhellung vor dem Sommerloch
Dass eine solche Huldigung der Kanzlerin gerade jetzt erscheint, muss also ganz anderen Motiven entspringen, als sie der „Dialog“ vorspiegelt. Die Planer im Kanzleramt konnten vorausahnen, welche Schrammen das Image der Kanzlerin im Verlauf der Eurokrise und im Prozess der Verabschiedung des Fiskalpakts abbekommen würde und da macht es sich eben ganz gut, das „Sommerloch“ mit einer Werbekampagne für Angela Merkel zu füllen.
Dass es sich bei dem „Dialog“-Projekt insgesamt um nicht mehr als eine plumpe Stimmungsmache und vor allem um eine Vorwahlkampagne für Angela Merkel handelt, lässt sich unzweifelhaft daraus ableiten, dass es dabei nicht im geringsten um einen Dialog über die aktuellen dramatischen und für die Zukunft Deutschlands und ganz Europas entscheidenden Fragen der völkerrechtlichen Bindung an eine ideologisch bestimmte Finanz- und Wirtschaftspolitik ging. Es wurde also nicht über die Barrikaden diskutiert, die gerade für eine „marktkonforme Demokratie“ errichtet werden, sondern es durfte nur darüber nachgedacht werden, wie es sich später hinter diesen Barrikaden leben lässt:
Per aspera ad astra
„Wie wollen wir zusammenleben?“, „Wovon wollen wir leben?“ und „Wie wollen wir lernen?“, diese Fragen waren für den Zukunftsdialog zugelassen. Es gehört zu den simpelsten wahlstrategischen Tricks von Regierungsparteien, die keine Erfolge ihres vorausgegangenen Regierungshandelns aufweisen können und die mit ihrer Politik gescheitert sind, dass sie von der dunklen Vergangenheit und der düsteren Gegenwart abzulenken versuchen, indem sie die Scheinwerfer auf die (ferne) Zukunft richten und dabei noch den Eindruck erwecken wollen, als würden sie künftig wieder mehr auf die Bürgerinnen und Bürger hören.
Nachdem die Kanzlerin also mit ihrem „Durchregieren“ über Deutschland, ja über ganz Europa ihren Wahlerfolg im kommenden Jahr gefährdet sieht – die permanenten Wahlniederlagen der letzten Jahre für ihre Partei zeigen ihre Wirkung -, spielt sie jetzt die Zuhörerin und die Kümmerin. Sie will damit auf der „menschlichen“ Ebene um Vertrauen werben.
Dazu muss man wissen, dass es zum kleinen Einmaleins eines jedes Wahlkämpfers gehört, dass Wahlen – sofern keine wirkliche Alternative und keine Wechselstimmung da ist – vor allem von der Person gewonnen werden, der die Wählerinnen und Wähler ihr Vertrauen für die Zukunft (und eben nicht für die zurückliegende Politik) schenken. Per aspera ad astra, über das Raue gelangt man zu den Sternen, hofften schon die Lateiner.
Auch in Zukunft nur die alte Litanei
Zu den von ihr selbst gestellt Zukunftsfragen nimmt die Kanzlerin allerdings nur knapp und allgemein in ihrem Vorwort als Herausgeberin der Werbebroschüre in Buchdeckeln Stellung. Dazu haben ihre Redenschreiber zusammengeklaubt, was sie Merkel schon für viele Weihnachtsansprachen und Sonntagsreden aufgeschrieben hatten.
Als Botschaft für ein besseres Zusammenleben erfahren wir nur, „wie wichtig es ist, mögliche Spaltungen über winden zu können und unseren inneren Zusammenhalt zu stärken“ (S. 11) Es wird – wie üblich – das Ehrenamt gewürdigt und dass jeder seinen Beitrag leisten könne. Auf die durch die Politik verursachte reale Spaltung der Gesellschaft, nämlich der zunehmenden Ungleichheit und die immer tiefere Kluft zwischen arm und reich, geht Merkel mit keinem Wort ein. Über mehr Gleichheit als Faktor für ein friedliches Zusammenleben und sogar für ökonomischen Fortschritt verschwendet sie keinen Gedanken.
Auf die Frage, „wovon wollen wir leben?“ wiederholt sie gebetsmühlenartig die Stehsätze, die sie zuletzt noch in ihrer Regierungserklärung zum hundertsten Male heruntergebetet hat: Kein „Wohlstand auf Pump, zu Lasten künftiger Generationen und auf Kosten der Umwelt“. Und dann darf natürlich die Bedrohung durch den Wettbewerb mit den aufstrebenden Staaten nicht fehlen. Ein Popanz den gestern Jens Berger in seinem Beitrag entzaubert und dessen politische Funktion aufgezeigt hat, nämlich als das Einschwören auf einen weiteren Abbau des Sozialstaats.
Und bei der Frage „wie wollen wir lernen?“ lenkt Merkel in bertelsmannscher Manier von den gravierenden Problemen in den Bildungssystemen ab und verweist, statt auf die Probleme in Kitas, Schule und Hochschule auf die „Lernorte“ in der „Familie“, in „Nachbarschaftsinitiativen“ und in der „ganzen Gesellschaft“, ja sogar das Internet sei zu einem „weltweiten Lernort“ geworden. Und dann singt sie wie schon am letzten Freitag in ihrer Regierungserklärung wieder einmal das Klagelied von den 7 Milliarden Menschen auf der Erde, gegen die sich Europa mit gerade sieben Prozent der Weltbevölkerung und Deutschland mit einem Prozent Anteil behaupten müssten.
So eng ist also Merkels Weltbild, dass sie meint, ihren Denkfehler, dass es Deutschland schlechter gehen könnte, wenn es anderen besser geht, ständig wiederholen muss. Ihr mit dem Schlagwort „Wettbewerbsfähigkeit“ verbrämter Standort-Nationalismus, verrät nur, dass jedenfalls unsere Kanzlerin auch in Zukunft nichts mehr dazu lernen will und kann.
Vier Stunden für die Zukunft
Der Rest dieses Buches besteht darin, dass der ehemalige Spiegel-Redakteur Christoph Schlegel sich als Hofberichterstatter profiliert. Er durfte den Expertendialogen lauschen und hofiert über endlose Seiten hinweg die Kanzlerin. Nur ein Beispiel: „Es gäbe sicher eine Menge Dinge, die die Kanzlerin zu tun hätte. Sie aber will in Meseberg mit den Experten über Zukunft sprechen. Über das Morgen. Über die nächsten fünf bis zehn Jahre. Über die langfristigen Linien und die Zukunft des Landes. Vier Stunden.“ (S. 22)
Na, das ist aber eine bewundernswürdige Leistung: ganze vier Stunden diskutiert die Kanzlerin mit Experten über die Zukunft des Landes.
Damit das Buch überhaupt Merkel zugeschrieben kann, muss Schlegel natürlich immer mal wieder aus seiner Sicht schlaue Bemerkungen der Kanzlerin in seinen Erlebnisbericht über den Expertendialog einstreuen. In seiner devoten Haltung gegenüber der Kanzlerin bemerkt er nicht einmal mehr auf welchem Stammtischniveau sich Merkel einbringt: „Bildungsinstrumente sind eben auch Handelsware mit einer klar geäußerten Nachfrage auf dem Weltmarkt.“ Oder: „Vielleicht brauchen wir künftig wieder ein Stück mehr Leistungsbereitschaft der Chinesen.“ Auf diesem Niveau geht es endlos weiter.
Nur wer sich wirklich einmal davon überzeugen möchte, auf welchem intellektuellen Niveau sich angebliche Experten über die Zukunft unseres Landes äußern, sollte sich diese fast zweihundert Seiten über den Experten-Dialog antun. Wenn es wirklich so war, wie in dem Buch geschildert wird, dann kann einem eigentlich nur angst und bange darüber werden, welche Ratschläge uns unsere angeblichen Eliten für die Zukunft geben. Wer von diesen Experten etwas auf sich hielte, müsste sich eigentlich zur Wahrung seiner Reputation gegen die dort widergegebene Darstellung seiner Gedanken in diesem Buch zur Wehr setzen.
Elektronischer Kummerkasten
Beim auf 1.500 Zeichen begrenzten „Online-Dialog“ musste natürlich vorher geprüft werden, ob die Beiträge verfassungskonform, dass sie weder rassistisch noch sexistisch sind, bevor sie hochgeladen wurden, denn manche hätten in der Website eine Möglichkeit gesehen „endlich mal Dampf abzulassen“. Majestätsbeleidigung geht natürlich nicht.
Insgesamt 11.618 Vorschläge und Ideen seien eingegangen und rund 1,7 Millionen Besuche hätte das Internetportal verzeichnet können. (Zum Vergleich: Die NachDenkSeiten haben täglich bis über 70.000 Besucher und bis über 10 Millionen Seitenaufrufe im Monat.)
Über diesen elektronischen Kummerkasten, so berichtet das Buch, wurden dann so zentrale Themen, wie die Legalisierung von Cannabis, ein Denkmal für die Trümmerfrauen, die Direktwahl des Bundespräsidenten, eine „Abschaffung aller Quotenregelungen“ die „Ermöglichung des Kinderwunsches“ „intensiv diskutiert“ (S. 233). Und im Disput auf diesem Forum hätten Themen wie „Zoophilie und Tierschutz“ an Schwung gewonnen, so dass man „den Eindruck hat, ein Verbot von Sodomie sei eines der wichtigsten Themen im Land“ (S. 234). Die Autoren bemerken offenbar gar nicht, dass sie Realsatire schreiben. Natürlich darf ein Lob für die Bertelsmann Stiftung nicht fehlen. Die Stiftung habe zusammen mit dem Deutschen Volkshochschul-Verband 50 „Zukunftstage“ veranstaltet hat und dort gewonnene Anregungen auf der regierungsamtlichen Online-Plattform eingestellt.
Zehn Vorschläge, die später einmal mit der Kanzlerin besprochen werden sollen, werden von Fachleuten aus dem Expertendialog zusammen mit dem Planungsstab des Kanzleramtes herausgefiltert. Weitere 10 Vorschläge wurden durch ein „Voting“ der Besucher der Online-Plattform ermittelt, darunter sind die „Cannabis-Befürworter“, die „Befürworter einer Förderung freiberuflicher Hebammen“ oder Anhänger einer „doppelten Staatsbürgerschaft“ und die Vertreter einer „wie sie es nennen, offenen Diskussion über den Islam“. So lautet in dem Buch die politisch korrekte Formulierung zum letztgenannten Vorschlag und man kann sich ausmalen, was sich dahinter für Sarrazinaten verbergen.
Dennoch ziehen die Autoren des Buches ein positives Fazit über diesen „Online-Dialog“.
Das Internet sei ein „Raum für Austausch und Partizipation“, aber eben kein „vollständiger Ersatz für herkömmliche demokratische Willensbildung: „die Leute, die sich am besten organisieren und Zeit haben, schaffen es nach vorne, in die erste Reihe“ (S. 235)
Im normalen politischen Leben ist es allerdings nur wenig anders, da schaffen es nämlich diejenigen, die sich am besten organisieren und dazu noch das nötige Geld haben, bis zur Kanzlerin durchzudringen.
Ein Beispiel für die „Post-Basisdemokratie“
Der „Dialog über Deutschlands Zukunft“, den die Kanzlerin hat inszenieren lassen, und vor allem das jetzt darüber erschienene Buch sind Belege dafür, wie der in zahllosen Protesten und Demonstrationen zum Ausdruck kommende Anspruch auf mehr Bürgerbeteiligung und auf eine Politik, die den Willen einer Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger ernst nimmt, in basisdemokratische Rituale gelenkt wird, die – ganz nach dem Vorbild von Geißlers Schlichtung bei Stuttgart 21 – den Dampf aus dem Kessel gegen die herrschende Politik verpuffen lassen sollen. Ganz nach dem Muster der „Postdemokratie“ wird mit diesem Bürgerdialog in Wahrheit ein Beispiel für eine „Post-Basisdemokratie“ geliefert.
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