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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Hinweise des Tages II
Datum: 29. Juni 2012 um 16:06 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
Verantwortlich: Jens Berger
Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “Mehr” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (WL/JB)
Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:
Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.
Anmerkung AM: Ein SpiegelOnline-Kolumnist, dessen Texte man mit Gewinn lesen kann, selbst wenn man sich an dem einen oder anderen reibt.
Anmerkung JB: Es war zu erwarten, dass SPIEGEL Online jedes, auch noch so kleine, Abweichen von der ultraharten Austeritätslinie als „Niederlage“ werten würde. Dabei sind die Zugeständnisse der Kanzlerin derart klein, dass sich die ganze Aufregung ohnehin nicht lohnt. Für Italien, Spanien und ganz Europa sind die Zugeständnisse zweifelsohne wichtig, gehen aber noch lange nicht auch nur im Ansatz so weit, dass man von einer Erleichterung oder einem Kurswechsel sprechen könnte. Interessanterweise scheinen „die Märkte“ nicht sonderlich viel von Frau Merkel zu halten – wie so oft „feiern“ sie jede noch so kleine „Niederlage“ der Totspar-Kanzlerin mit Pauken und Trompeten.
Anmerkung JK: Es ist inzwischen unerträglich. Man fühlt sich an sozialistischen Personenkult erinnert. Angela Merkel die unumschränkt Herrscherin Europas, die eiserne Kanzlerin, die kluge Strategin, die der italienischen Regierung einen publikumswirksamen Sieg gönnt um danach noch härter zu zuschlagen, die den Sozialisten Hollande ziemlich alt aussehen lässt, …. Und wie darf man das verstehen? „hat Merkel mit dem Fiskalpakt in Zukunft ohnehin ein Instrument in der Hand, das gerade hochverschuldeten Staaten wie Italien extrem strenge Sparauflagen macht.“ Wieso hat Merkel überhaupt souveränen Staaten Auflagen zu machen? Sind alle Staaten Europas inzwischen deutsche Provinzen, die man als Kolonialmacht beherrscht. Hier manifestiert sich ein interessantes Demokratieverständnis der Mainstreampresse. Eine irgendwie auch nur ansatzweise kritische Position zu Merkel existiert faktisch nicht mehr in der deutschen Presselandschaft.
Anmerkung JB: Den Ausführungen des DGB ist inhaltlich nicht viel hinzuzufügen. Auffallend ist jedoch, dass dieser sinnlose „Wachstumspakt „nahezu“ 1:1 auf dem nicht minder sinnlosen „Vorschlag für einen Wachstumspakt“ aus der SPD-Spitze aufbaut.
Anmerkung Orlando Pascheit: Da wird doch teilweise recht locker davon gesprochen, Mitgliedsländer aus der Währungsunion zu entlassen. Warum eigentlich müssen die Euromitgliedsstaaten die Sonderrolle des Finanzplatzes London andauernd akzeptieren, ein wenig Isolierung wäre doch ganz angebracht. Großbritannien bevorzugt sowieso den Freihandelsraum EU, darin kann es gerne verbleiben. Wenn die Bankenlobby auf den “stärksten Finanzplatz Europas” verweist, ist es ihr doch ‘schnurzegal’, ob dieser in Frankfurt, Paris oder London liegt, Hauptsache er bleibt so dereguliert wie der Londoner. Die USA zeigen inzwischen auf, wie man mit unliebsamen Geldgeschäften umgeht.
Anmerkung Orlando Pascheit: Allmählich kann man müde werden, auf den schon seit Jahren bekannte Zusammenhang von Austeritätsprogrammen und Verschuldung hinzuweisen. Vor allem, wenn man bedenkt, dass der alles andere als linke “Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung” in der Verschuldungsfrage kein Gehör bei der Regierung und weiten Teilen der orthodoxen VWLer findet. Natürlich kann nicht verschwiegen werden, dass die “Stärkung der Binnenwirtschaft, Ausbau der öffentlichen Infrastruktur, Aufbau einer zukunftsfähigen Wirtschaftsstruktur, aber auch innere Reformen in den jeweiligen Krisenländern”, in der Tat einen Herkulesplan beinhaltet. Es kann nicht wie so häufig bei EU-Projekten um den Ausbau von Verkehrsprojekten gehen, sonder erfordert weitaus mehr Raffinesse – abgesehen davon dass nach den Binnenmarktregeln Autobahnen auch von chinesischen Firmen gebaut werden können. Die Bevorzugung einheimischer Firmen ist nicht erlaubt. Aber so schwierig diese Fragen im Detail zu beantworten sind, wir sollten damit anfangen.
Anmerkung unseres Lesers B.M.: Die beigefügte aktuelle Meldung der Landesregierung BaWü macht deutlich, dass die grüne Spitzenpolitik entweder im “Tal der Ahnungslosen” lebt, oder bewußt Unkenntnis demonstriert.
passend dazu: Fiskalpaktfan Kretschmann lässt die Maske fallen
“Winfried Kretschmann outet sich als Fan des Fiskalpaktes, den Experten als weitaus brisanter einstufen als die Hartz-Gesetze und die Agenda 2010. Damit wird deutlich: Ministerpräsident Kretschmann, die Grünen in Tateinheit mit der SPD haben sich von ihrer unsozialen Politik der Vergangenheit nie verabschiedet. Jetzt lassen sie die Masken fallen“, kritisiert Michael Schlecht, baden-württembergischer Bundestagsabgeordneter der LINKEN.
Quelle: Michael Schlecht
Anmerkung: Laut Pressemeldungen wollen auch 15 Mitglieder der Bundestagsfraktion der Grünen gegen den Fiskalpakt stimmen. Sie sollen deswegen von ihrer Fraktionsspitze massiv unter Druck gesetzt werden. Unser Leser “kritischedistanz” schreibt dazu:
Was ist das für ein Umgang miteinander in der Fraktion der Grünen, dass sich sogenannte “Abweichler” bei der Partei- bzw. Fraktionsspitze melden sollen? Und dass sie eine Art “Mitarbeitergespräch” über sich ergehen lassen sollen, in denen auf sie eingewirkt wird, ihre eigenen Rechte als parlamentarische, legitim vom Volk gewählte Abgeordnete zugunsten der Meinung der Fraktionsspitze aufzugeben?
So geschehen, wie die taz heute berichtet, bei der Fraktion der Grünen im Deutschen Bundestag.
Das erinnert mich an die Vorgehensweise in einem Unternehmen, das in diesen Tagen endgültig geschlossen hat: Schlecker. Auch dort maßten sich in der Vergangenheit Filialleiter an, Mitarbeiter in “persönlichen Gesprächen” gegen ihren Willen festszuhalten (Freiheitsberaubung), sie mit unbewiesenen Behauptungen und Unterstellungen zu konfrontieren (falsche Anschuldigungen ohne jegliche Rechtsgrundlage, Amtsanmaßung durch die Filialleiter), Einschüchterung, Drohungen, Erpressung, bis die Angestellten völlig entnervt ihrer eigenen Entlassung zustimmten – einfach, um aus dieser Situation herauszukommen.
Niemand darf gegen seinen Willen zu einem solchen Gespräch gezwungen werden. Niemand muss sich einer solchen einseitigen “Einladung” zu einem Gespräch unterwerfen. Die Fraktionsspitze der Grünen handelt ohne Rechtsgrundlage, aber sehr ähnlich, wie ein Fallmanager bei der Bundesagentur für Arbeit.
Es hat von den Abgeordneten im Deutschen Bundestag überhaupt niemand die Verpflichtung, im Vorfeld einer Parlamentsabstimmung seiner Fraktionsspitze zu melden, wie er sich zu entscheiden gedenkt in einer Abstimmung. Es gibt hierzu keine Mitwirkungspflicht und keine Rechtfertigungspflicht.
Auch und gerade ein Abgeordneter, eine Abgeordnete des deutschen Bundestages ist nur dem eigenen Gewissen und als frei gewählte/, legitimierte Vertreter Vertreterin von Wählerinnen und Wählern verpflichtet – völlig ungeachtet dessen, was die Fraktionsspitze meint.
Anmerkung unseres Lesers S.P.: Die deutsche Haltung zum Fiskalpakt ist unbeschreiblich verlogen, denn als die Folgen der Bankenkrise 2008/2009 das deutsche BIP um über 5% einbrechen ließen, hat Deutschland Rezepte angewendet, die es unseren europäischen Partnern nun implizit verwehrt. Zwei zwischen kurzfristigen Konsumanreizen und langfristigen Investitionen in die Infrastruktur gut austarierte Konjunkturpakete in Kombination mit einer Verlängerung der Kurzarbeiterregelung und Vereinbarungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften, wobei die Kapitalseite erkennbar an einem Halten ihrer Belegschaften interessiert war, haben die Folgen dieses Einbruchs gemildert und erheblich dazu beigetragen, dass Deutschland nach der Krise schnell wieder auf den Beinen war. Damit hat sich die Kanzlerin geschmückt – wirklich schizophren…
Aber es kommt noch besser: Obwohl man um die Wechselhaftigkeit der Märkte (besonders der Finanzmärkte) nach 2008/2009 hätte wissen können, soll nun Europa in einen engen Rahmen namens Finanzpakt gepresst werden, der sich an festen Kennzahlen orientiert, die von den Märkten quasi überwacht werden… Entsprechend fürchte ich, dass feste Zielmargen und Zahlen in der Haushaltspolitik auf europäischer Ebene ihr nur dazu dienen, die neoliberale Agenda quasi wie ein Naturereignis durchzusetzen, während sie in der Öffentlichkeit immer mit Zahlen argumentieren und auch blenden kann – aber nicht, um was zu verändern, etwa den Sozialstaat oder Arbeitnehmerrechte zu schützen, sondern um mit Zahlen zu beweisen, dass es keine politisch relevante Alternative zu dem von den Besitzeliten verordneten Kurs des Neoliberalismus gibt, dessen Ideologie durch selbst definierte Grenzen und Zielmarken ständig neu erzwungen werden soll. Und wenn der “Erfolg” ausbleibt, war man halt nicht hart genug. Ganz der neoliberalen Agenda folgend will Frau Merkel in ihrem Staatsamt eigentlich nicht gestalten und Verantwortung übernehmen (also auch nie Schuld für etwas sein), sondern nur als Reagierende und Managerin wahrgenommen werden, “objektiven” Zahlen und Zielen einer Ideologie gehorchend…die in Wirklichkeit zwar nicht funktioniert, wie erst jüngst (2011) eine Studie der OECD über 147 Austeritätsprogramme in verschiedenen Staaten festgestellt hat. Aber der Neoliberalismus hat einen entscheidenden Vorteil, weswegen er – koste es was es wolle – beizubehalten ist: er ist ganz auf die Gewinninteressen unserer Besitzeliten zugeschnitten und hat in der Vergangenheit auch super Rendite gebracht – für die Kapitalseite.
passend dazu: Eurobonds oder Tod
Angela Merkel ist das Pathetische fremd. Ihre Macht verdankt sie kühler Risikoabschätzung und einer Art radikalem Pragmatismus, der von Opportunismus kaum zu unterscheiden ist. Ihr Schwur, dass es keine Eurobonds geben wird, solange sie lebe, passt nicht zur Kanzlerin. Er klingt einfach zu gesinnungsschwer, zu dröhnend und liegt quer zu ihrer skeptischen Distanz zu allem Bekenntnishaften. Offenbar ist diese Dramatisierungsrhetorik ein Anzeichen von um sich greifender Panik. Denn so, wie Schwarz-Gelb es will und immer wieder verspricht, wird sich die Eurokrise nicht lösen lassen. Und alles, was eine Lösung wäre, will Schwarz-Gelb nicht. Für die Kanzlerin hat die Eurokrise einfache Ursachen: Spanien, Irland, Italien et al. sind nicht wettbewerbsfähig und haben zu viele Schulden gemacht. Wenn Madrid, Lissabon und Rom nur ordentlich sparen und Märkte deregulieren, dann wird sich die Eurokrise irgendwann in Luft auflösen. Kurzum: Die EU soll so werden wie Deutschland – lauter Exportnationen mit niedrigen Löhnen und flexiblen Märkten. Das ist ökonomisch Unfug, aber so sieht Merkel es seit Jahren, so sagte sie es auch gestern im Bundestag. – Die Kanzlerin hat ihre Position in der Eurokrise schon oft revidiert. Immer auf Druck, immer zu spät. Doch jetzt will sie hart bleiben. Es wäre das erste Mal, dass sie das Gesinnungsfeste dem Situativen, Pragmatischen vorzieht. Die Folge wäre katastrophal: der Tod des Euro.
Quelle: taz
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