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Titel: Einkommen runter für den Standort? Am besten zuerst die höchsten.

Datum: 13. Juli 2004 um 11:28 Uhr
Rubrik: Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Ungleichheit, Armut, Reichtum, Wettbewerbsfähigkeit
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Von Michael Dauderstädt, Leiter Internationale Politikanalyse der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Deutschlands Löhne sind mit die höchsten in der Welt. Mit diesen Kosten können unsere Unternehmen nicht mehr im globalen Wettbewerb mithalten. Die Pleitenwelle rollt und die Arbeitslosigkeit steigt. Zwar sind wir Exportweltmeister, aber die in den Exporten inkorporierte Arbeit wird immer mehr woanders geleistet. Das kluge, kostenbewusste deutsche Unternehmen verlagert Arbeitsplätze an kostengünstigere Standorte nach Osteuropa oder besser gleich nach Indien oder China. Wenn wir also Beschäftigung und Wertschöpfung am Standort Deutschland erhalten wollen, dann müssen die Kosten, vor allem die Löhne, runter (oder – was ziemlich das gleiche ist – die Arbeitszeit ohne Lohnausgleich hoch). So jedenfalls lautet die Mantra, die täglich von den akademischen Höhen des ifo-Chefs Sinn bis zu den unsinnigen Tiefen der TV-Talkshows heruntergeleiert wird.

Aber die Kosten (Löhne, Steuern) des einen (Unternehmens) sind die Einkommen des anderen (Arbeitnehmers, Staates, Zulieferers). Wenn man den Aufwand hier senkt, sinkt der Ertrag dort. Diese simple Logik lässt sich aber auch umdrehen. Senken wir Einkommen auf der einen Seite, so sinken die Kosten auf der anderen. Aber welche Einkommen bringen die größten Kostensenkungen? Naturgemäß die höchsten. Sehen wir uns die Einkommensverteilung in Deutschland an. Nach Weltbankdaten von 2003, die allerdings auf einer Erhebung von 1998 beruht, verdienten die reichsten 20% der Deutschen 44,7% des Volkseinkommens, die ärmsten 20% aber nur 5,7%. Die ärmeren 60% zusammen kommen mit etwa 31% gerade über den Anteil der reichsten 10% (28,7%). Wenn man deren Einkommen zur Kostenersparnis um 10% reduzieren würde, erreicht man so viel wie bei einer 50%igen Kürzung der ärmsten 20%.

Würden wir die Kapitaleinkommen der Vermögensbesitzer und die Löhne der Spitzenverdiener senken, sänken die Kosten der Unternehmen. In der Deutschen Bank etwa steigen die Aufwendungen für den Vorstand in fünf Jahren um mehr als 400% (1998: 7,7 Mio €; 2003: 31,2 Mio €) und damit vom 84fachen des Durchschnittsentgeltes eines Arbeitnehmers auf das 240fache. [1] Das ist noch harmlos im Vergleich zu den USA, wo das Verhältnis zwischen den Einkommen der Produktionsarbeiter und Spitzenmanager vom 93fachen 1988 auf das 419fache 1999 anstieg. [2] Vielleicht ist das auch ein Grund für das wachsende Handelsbilanzdefizit der USA? Sie produzieren zu teuer, aber suchen das Heil auch nur in der Verlagerung nach Mexiko und Asien…

Im öffentlichen Sektor ließen sich mit einem Abbau der Spitzeneinkommen die Steuern senken, auch wenn dort die Einkommensspreizung vielleicht geringer ausfällt als in der Gesamtgesellschaft. Aber warum sollen nur die Fließbandarbeiter bei Siemens sich dem Gehaltsniveau in Ungarn anpassen? Auch der ungarische Europaparlamentarier verdient nur 761 Euro statt der 7009 Euro des deutschen. Bei den Spitzen der Regierung, Verwaltung, Bildung, Gesundheit und Justiz sieht das sicher nicht viel anders aus. Da ließe sich mit der Auslagerung von Arbeitsplätzen einiges einsparen.

Warum klingt das unrealistisch? Sollte es wirklich nur die Macht der Reichen sein, die alle Anpassungslasten auf die Armen abladen will? Zwei andere Faktoren könnten eine Rolle spielen: Erstens, das hohe Einkommen spiegelt hohe Leistung wider; zweitens, die hohen Einkommen sind gegen den Wettbewerb derer, die bereit und in der Lage sind, den Job für weniger Geld zu machen, besser geschützt. Das erste kann man getrost vergessen. Keiner arbeitet 400 mal so lange und effizient wie ein Durchschnittsarbeiter. Die Ergebnisse der Unternehmen sind auch nicht mit den Vorstandsgehältern korreliert. [3] Von der Performance unserer anderen Spitzenleute ganz zu schweigen. Auch 350.000 Euro Einkommen dämpfen die Versuchung, sich ein Wochenende im Adlon spendieren zu lassen, nicht. Die Reichen strengen sich auch nicht besonders an. Zumindest ruinieren sie nicht ihre Gesundheit, denn die Lebenserwartung der höher und besser Gestellten ist auch noch höher als die der Armen. [4]

Also ist die Ungleichheit eher Ausdruck des verhinderten Wettbewerbs. Beim öffentlichen Sektor überrascht das nicht: er lässt sich nicht so leicht verlagern. Da müsste die demokratische Kontrolle ran. Aber wieso produziert die freie Marktwirtschaft dieses wettbewerbsunfähige Ergebnis? Weil sie eben doch nicht frei ist. Einmal wird das Angebot an Spitzenqualifikationen begrenzt. Sozialdemokraten kämpfen dagegen an, indem sie die Eliteuniversitäten ausbauen. Zum andern ist es die Risikoaversion der Arbeitgeber, für die immer nur das scheinbar beste gut genug ist, obwohl es oft schlecht ist, weswegen weniger prominente Kandidaten für einen Job schlechte Chancen haben und die prominenten die Preise immer höher schrauben können.


[«1] Hans-Hagen Härtel „Fundmentaler Wandel der Maßstäbe“ in Wirtschaftsdienst 6/2004, S.349.

[«2] Kevin Phillips „Die amerikanische Geldaristokratie. Eine politische Geschichte des Reichtums in den USA“ Frankfurt/New York 2003, S.191.

[«3] Hartel, a.a.O., S. 353.

[«4] Vicente Navarro „Inequalities are Unhealthy“ in Monthly Review Band 56 Heft 2 (June 2004), S.26-30.


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