Startseite - Zurück - Drucken
NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Meinungsmache bestimmt auch über Image von Personen und Karrieren – bei Bartsch sehr ähnlich wie bei Steinbrück
Datum: 30. Mai 2012 um 17:51 Uhr
Rubrik: DIE LINKE, SPD, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich: Albrecht Müller
Weil beim Parteitag der Linkspartei am 2. und 3. Juni nicht nur über die Führung dieser Partei entschieden wird, sondern auch zugleich darüber, ob es auf absehbare Zeit noch eine Alternative zur neoliberal geprägten Politik von Angela Merkel und der angepassten Führungen von SPD und Grünen geben wird, komme ich noch einmal auf die Personalentscheidungen der Linkspartei zurück. Das ist auch deshalb notwendig, weil ich auf meine Beiträge zum Thema vom 22. Mai („Ein Rat an Lafontaine: Nicht antreten.“) und vom 23. Mai („Ein historisch bedeutsamer Tag“) neben Zustimmung auch Fragen und Kritik erhalten habe. Diese bezogen sich vor allem auf meine Einschätzung des Vorsitzenden-Kandidaten Dietmar Bartsch und meine Vermutung, dass es mit Lafontaine an der Spitze 2013 noch einmal wenigstens die Chance gegeben hätte, die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden und damit als profiliertes und inhaltlich geprägtes Korrektiv im Bundestag und als Treibsatz für eine politische Alternative erhalten zu bleiben. Von Albrecht Müller
Es ist erstaunlich, dass auch politisch interessierte und normalerweise gut informierte Menschen die Person Dietmar Bartsch nicht einordnen können, wenig von ihm wissen und Wichtiges vergessen haben. Dazu will ich wenigstens ein bisschen nachliefern. Außerdem zeichnen sich inzwischen ein paar interessante Linien einer Strategie ab, die darauf zielt, auch Sahra Wagenknecht aufs Abstellgleis zu bugsieren. Und es ist interessant, wie in diesem Zusammenhang auch von Autoren, die sich als fortschrittlich begreifen, Stimmung gemacht wird.
Wer die Rolle von Agitation und Lobby nicht sieht, begreift das Geschehen nicht – nicht den Aufstieg von Steinbrück und nicht den von Dietmar Bartsch
Bei meinen Untersuchungen zur Bedeutung von Meinungsmache für politische Entscheidungen ergab sich, dass Meinungsmache nicht nur politische Sachentscheidungen prägt; auch die Vorbereitung auf Kriege und die Geschichtsschreibung, die Vorliebe und Ablehnung von politischen Koalitionen und Optionen wie auch die Entscheidung über Personen werden in erstaunlichem Maße von bewusst und geplant eingesetzter Meinungsmache und Manipulation beeinflusst. (Siehe II des Inhaltsverzeichnisses von „Meinungsmache“) Letzteres trifft, wie wir bei der Bundespräsidentenwahl sehen konnten, selbst bei der Auswahl des Bundespräsidenten zu. Joachim Gauck ist in weitem Maße ein Medienprodukt des Springer-Konzerns.
Es trifft auch für potentielle Kanzlerkandidaten und Parteivorsitzenden zu. Peer Steinbrück hat kein Amt, das ihn dazu auszeichnet, in das Triumvirat zusammen mit dem Fraktionsvorsitzenden der SPD und dem Parteivorsitzenden der SPD aufgenommen worden zu sein. Er hat auch keine sachlich überzeugende Bilanz als Finanzpolitiker, im Gegenteil. Er war wesentlich an der Deregulierung der Finanzmärkte beteiligt; er hat in der makroökonomischen und Konjunkturpolitik bis zum Schluss die notwendige Einsicht verweigert. Er ist ein erfolgloser Wahlkämpfer. Er wurde als Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen abgewählt. Und dennoch ist er auf der Basis einer mit hoher Wahrscheinlichkeit von der Finanzwirtschaft mit gesteuerten Kampagne der Meinungsmache in das aktuell mächtigste Dreiergremium der SPD aufgenommen worden und damit ein potentieller Kanzlerkandidat der SPD.
Auch gut ausgebildete und sich gut informiert fühlende Bürgerinnen und Bürger kennen die „Leistungsbilanz“ dieses potenziellen Kanzlerkandidaten der SPD nicht. Das findet seine erstaunliche Parallele in der Einschätzung von Dietmar Bartsch:
Auf dem Plakat sind Gabi Zimmer, Petra Pau, Dietmar Bartsch und Roland Clauss abgedruckt.
Wenn man sich schon nicht auf einen oder zwei Spitzenkandidaten verständigen kann, dann sollte man sich ja wohl darauf verständigt haben, auch noch einen Westdeutschen hinzuzufügen. Schließlich trat die PDS auch im Westen an. Das Ergebnis war entsprechend: 4,2 %.
In der breiten Öffentlichkeit ist dieser Misserfolg heute genauso wenig ein Thema wie die Wahlschlappe von Peer Steinbrück.
Zu ein paar strategischen Linien im Vorfeld des Parteitages am kommenden Wochenende:
Interessant: Wie sich als fortschrittlich geltende Beobachter in die laufende Kampagne pro Reformer einfügen. Zwei Beispiele.
Wir kennen das Phänomen aus der öffentlichen Debatte um die Privatvorsorge. Um zu erreichen, dass die gesetzliche Rente durch eine private Altersvorsorge ersetzt wird und genügend Anhänger im linken Bereich erreicht, wurde geschickt auf die dem sozialdemokratischen Lager zuzurechnenden Politiker und Wissenschaftler, auf Walter Riester und Bert Rürup zum Beispiel, zurückgegriffen. Ihr Votum für die Privatisierung der Altersvorsorge war besonders wirksam, mehr als das von Professor Raffelhüschen zum Beispiel oder des Lobbyisten Carsten Maschmeyer. Auch im Streit um die Linie der Linkspartei melden sich jetzt Stimmen zu Wort, die man eigentlich da nicht vermutet. Ich nenne zwei Beispiele und gehe kurz darauf ein:
(1) Robert Misik und (2) Jakob Augstein. Beide ergreifen auf der Basis erstaunlich schwacher Argumente das Wort.
Zum Beleg dieser Qualifizierung zitiere ich eine Passage von Misiks Beitrag. An ihr stimmt nahezu nichts. Ich habe im Text Buchstaben eingefügt und ergänze unten einiges zu den Aussagen des Autors:
Ich bin ihm später noch häufiger begegnet. Nie mehr bin ich ihm reingefallen. Ich bin auch nie der Versuchung erlegen, den späteren Konflikt zwischen Gerhard Schröder und ihm allzu sehr als inhaltlichen Konflikt zu deuten.(a) Wäre es bloß ein inhaltlicher Konflikt gewesen, hätte Lafontaine ihn nämlich gewonnen. Denn die Partei war ja seiner politischen Linie viel näher als der von Schröder. Aber Lafontaine hatte keine Mitstreiter mehr (b), er hatte sich isoliert, und das hat primär mit seinem Charakter zu tun, weniger mit den Inhalten, die er vertritt.
Nachdem er dann zur Linkspartei wechselte, war schnell klar, er ist eigentlich der böse Geist dieser Partei.(c)Heute würden sie wahrscheinlich gerne ein Geschenkpaket mit Oskar drin schnüren und ihn der SPD zurückgeben. Aber die verweigert bestimmt die Annahme. Wer Lafontaine kennt, ist froh, ihn los geworden zu sein. (d)
Zu (a): die Behauptung, es habe kaum einen inhaltlichen Konflikt zwischen Lafontaine und Schröder gegeben, zeugt von einer gravierenden Ahnungslosigkeit. Schon im Wahlkampf 1998 selbst war für jeden aufmerksamen Beobachter die inhaltliche Differenz ausgesprochen groß und erkennbar. Schröder entfernte sich immer mehr von sozialdemokratischen Vorstellungen und spielte unter der Anleitung von Bodo Hombach den großen, konservativen Staatsmann. Lafontaine intervenierte zum Schluss des Wahlkampfes nach der Haushaltsdebatte von Anfang September mit einem klaren Plädoyer für eine sozialere Politik und lag damit für jeden Beobachter meilenweit entfernt von Schröder.
Inhaltliche Differenzen wurden dann im ersten Halbjahr der gemeinsamen Regierung sichtbar:
Zum Beispiel im Blick auf die Regelung von Minijobs.
Zum Beispiel im Blick auf Militäreinsätze, wo Schröder dem amerikanischen Präsidenten offenbar schon im Oktober 1998 versprochen hatte, beim Kosovo Krieg mitzumachen, und Lafontaine anderer Meinung war.
Entscheidende Differenzen gab es zum Beispiel in der Wirtschaftspolitik und bei der Frage der Regulierung der internationalen Finanzmärkte. Lafontaine plante mit Unterstützung seines Staatssekretärs Heiner Flassbeck internationale Vereinbarungen über striktere Regeln, die ungemein wichtig gewesen wären. Jeder normale einigermaßen interessierte Mensch weiß um diese Differenzen. Jenen, die es dennoch nicht gespannt hatten, hatte damals die zum Murdoch- Konzern gehörende „Sun“ den nötigen Tip gegeben. Sie titelte verbunden mit einem entstellenden Foto von Lafontaine im Kontext seiner Absichten zur Regulierung der internationalen Finanzmärkte: „Der gefährlichste Mann Europas“.
Das alles hat Misik nicht mitbekommen. Erstaunlich.
Zu (b): Dass Lafontaine damals in der SPD keine Mitstreiter gehabt hätte, ist eine nicht belegte, und nach meiner Erfahrung als SPD Mitglied, als ehemaliger Vorsitzender eines Unterbezirks und Bundestagsabgeordneten, auch schlicht eine falsche Behauptung. Aber man kann so etwas ja einfach hinschreiben. In dieser schnelllebigen Zeit merkt das ja keiner.
Zu (c): Mit dem „bösen Geist“ hat die Linkspartei 2009 11,9 % der Stimmen erreicht.
Zu (d): Ohne Belege. Ohne Beachtung der Agitation und inneren Fremdbestimmung, der gerade die SPD in den letzten Jahren ausgesetzt ist.
Andere Textstellen wären in ähnlicher Weise zu kommentieren. Es reicht jedoch.
Das reicht. Es hätte noch viele weitere Anmerkungen gegeben.
Wenn Sie den Artikel von Augstein aufmerksam lesen, dann werden Sie sehen, wie einflussreich die konservative Meinungsmache in diesem Milieu angeblich fortschrittlicher Publizisten schon geworden ist.
Das gilt leider auch für einige Blogs, die sich mit dem hier abgehandelten Thema beschäftigen.
Nachtrag vom 31.5.2011:
Ein Leser der NachDenkSeiten macht gerade (31.5., 7:26 Uhr) auf eine sinnvolle Ergänzung zu dem obigen Text aufmerksam:
Guten Morgen!
Um die große Linie zu verdeutlichen, könnten Sie vielleicht diese zwei Rückverweise auf entscheidende Knotenpunkte anfügen:
“Eine seltsame Reaktion der Stellv. Vorsitzenden der Linkspartei auf meinen Antisemitismus-Artikel”
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=13395