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Titel: Ergänzung zum Beitrag zur Linken und zum Rat an Lafontaine: Ein historisch bedeutsamer Tag

Datum: 23. Mai 2012 um 17:16 Uhr
Rubrik: DIE LINKE, Strategien der Meinungsmache, Wahlen
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Der Artikel von gestern hat ein widersprüchliches Echo ausgelöst. Eine Ergänzung ist jedenfalls angebracht. Mir scheint das auch deshalb nötig, weil ich den gestrigen Tag für einen historisch interessanten Tag halte: Das Projekt einer linken Alternative zur herrschenden rechtskonservativen Ideologie und zur herrschenden Gruppe ist gestern gescheitert. – Das ist selbstverständlich eine nur persönliche Einschätzung, die ich Ihnen keinesfalls verkaufen will. Warum sollen Sie nicht weiter hoffen? – Es folgen einige Ergänzungen: Von Albrecht Müller

Erstens: Warum wir alle, einschließlich demokratischer Christdemokraten, ein Interesse an einer linken Alternative und damit am Erfolg der Linkspartei haben:
Weil nur so die heute und auf absehbare Zeit Regierenden mit einer Alternative konfrontiert werden und im Notfall mit der Ablösung rechnen müssen – das muss ein Anliegen jedes Demokraten sein. Weil außerdem nur so verhindert werden kann, dass sich die SPD, meine Partei seit nunmehr 49 Jahren, völlig an die rechtskonservativ und neoliberal geprägten Kreise anpasst. Die Linkspartei ist, solange sie eine echte politische Konkurrenz ist, das einzige Mittel, um die SPD und die Grünen nicht völlig abdriften zu lassen.
Das wissen die Meinungsmacher im Lager der herrschenden Kreise. Deshalb ihre Kampagne gegen Die Linke und deshalb insbesondere gegen Lafontaine.

Zweitens: In diesen Kreisen, die von Werbung und Wahlkampf etwas verstehen, weiß man, dass Lafontaine aus heutiger Sicht und in der heutigen Situation der einzige sein könnte, der die Überwindung der 5%-Hürde und damit den Einzug in den Deutschen Bundestag noch einmal schaffen könnte.
Jetzt ist diese Möglichkeit gescheitert, jetzt ist Lafontaine aus der Schusslinie geschossen, nach diesem „Erfolg“ kann man sich den anderen zu wenden, auch den neu auftauchenden Personen. Neben der SPD und den Grünen und den Piraten hätte die Linkspartei nur dann eine Chance gehabt, wenn sie inhaltlich eine Alternative darstellt. Wenn die Linkspartei auf den Kurs der „Reformer“ einschwenkt, dann kann man auch gleich die SPD wählen oder die Grünen. Warum sollte man dann noch den so genannten Reformer Bartsch wählen? Dann doch gleich Gabriel. Warum nicht?

Drittens: Es wäre sehr spannend zu erfahren, wen der jetzige Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Gregor Gysi als Spitzenkandidat/in seiner Partei für die Bundestagswahl 2013 vorschlägt? Immerhin hat er mit einer Pressemitteilung den Verzicht Lafontaines wesentlich ausgelöst, also kann man unterstellen, dass ihm eine erfolgreiche Alternative vorschwebt.

Viertens: Die Debatte um die Linkspartei und um den Verzicht Lafontaines auf eine Kandidatur beweist einmal mehr und auf drastische Weise, wie hoch manipulativ die Meinungsmache in Deutschland inzwischen geworden ist. Inzwischen werden auch Menschen zum Opfer von Manipulation, bei denen man es unter normalen demokratischen Umständen nicht erwarten hätte können.

Nahezu alle deutschen Medien sind geprägt von immer wiederkehrenden Stereotypen. Man könnte den Verzicht von Lafontaine durchaus kritisch hinterfragen, aber doch bitte mit Argumenten und mit Fakten und nicht dadurch, dass man die immer wiederkehrenden Etiketten verteilt. Herausragend lässt sich dies und die laufende Kampagne bei Spiegel online beobachten. Auf zwei Artikel aus einer längeren Serie weise ich hin, auf „Lafontaine verzichtet auf Spitzenkandidatur. Die Linke – ein Trümmerhaufen“ von Florian Gathmann und Björn Hengst, Mitarbeit: Veit Medick und auf „Beleidigter Oskar“.
In diesen Beiträgen sind eine Reihe von gängigen Stereotypen enthalten: : Primadonna, Diva, hingeschmissen, ratlose Partei hinterlassen, beleidigt, Bartschs „Reformer-Lager“, „gebettelt, gebeten zu werden“, Besserwisser, usw. Die Autoren Hengst und Medick waren auch schon beim Kampf gegen die geplante linke Koalition von Andrea Ypsilanti in Hessen beteiligt.
Auf eine der gängigen Manipulationen zur positiven Kennzeichnung der Gruppe um Bartsch hatte ich gestern schon hingewiesen. Ohne An- und Abführung und ohne jegliche Begründung wird diese Gruppe „Reformer“ genannt. Das ist ein frei erfundenes, durch Nachplappern fest angeheftetes Etikett. Für welche „Reformen“ treten sie ein? Was verstehen sie unter „Reformen“? Besteht die Reform darin, dass man auf die rechte SPD zugeht?

Bei den heutigen Kommentaren zum Verzicht von Lafontaine wird früheres Verhalten von Lafontaine und frühere Einstellungen ohne jegliche kritische Erwägung etikettiert:
Er hat 1999 „hingeschmissen“. Dass dies nicht stimmt und dass es für den damaligen Verzicht auf den Posten des Bundesfinanzministers und des Parteivorsitzes der SPD gute Gründe gab, ist heute völlig ausgemerzt. Es herrscht eine total gleich geschaltete Meinung: Damals hingeschmissen, heute hingeschmissen.
Die Fundamentalisten im Westen. Kein Fragezeichen. Keine Prüfung. Nur Kampagnen.

Eine der neuen Unwahrheiten, die zur Denunziation von Lafontaine verwendet werden und die offenbar auch einige Nachdenkseitenleser beeindrucken, gehört die Behauptung, Lafontaine habe den Vorsitz „forsch“ und „überraschend“ beansprucht. Ich habe mich darauf hin noch einmal dessen versichert, was ich über den Vorgang insgesamt bisher weiß und komme dabei zu folgendem Ergebnis:

Von forschem Auftauchen kann keine Rede sein, Gysi hat Lafontaine seit über einem Jahr immer wieder für bundespolitische Funktionen – öffentlich, und ohne ihn zu fragen! – ins Gespräch gebracht. Seit Ende letzten Jahres gab es dann Gespräche, Lafontaine war auf mehreren Treffen mit Landes- und Fraktionsvorsitzenden anwesend, es gab regelrechten Druck auf ihn, dass er wieder bundespolitische Funktionen übernehmen soll. Es gab ursprünglich die klare Ansage von Bartsch, im Falle von Lafontaines Kandidatur für den Vorsitz seine zurückzuziehen.
Lafontaine hatte eine zeitlang tatsächlich überlegt, Bartsch noch mal als Geschäftsführer einzubinden – was ich an Lafontaines Stelle nicht gemacht hätte. Bedingung an Bartsch war, dass dann wenigstens endlich öffentlich Ruhe einkehren müsse, damit Die Linke Landtagswahlen halbwegs bestehen könne. Anfang des Jahres hielt das eine gewisse Zeit, nach Gesine Lötschs Rücktritt aber haben die Bartsch-Truppen dann wieder das bekannte Tohuwabohu veranstaltet.

Von forschem Vorgehen Lafontaines kann wirklich keine Rede sein. Dennoch wird es in der veröffentlichten Meinung einhellig so dargestellt. Warum wird da nicht recherchiert?

Dies sind eindeutige Zeichen puren Kampagnenjournalismus, in diesem Fall wie auch im Falle der SPD und der Grünen mit nachhaltiger Wirkung auf die innere Willensbildung dieser Parteien.

Fünftens zum Grundproblem: Die herrschenden Kreise wollen mit allen Mitteln verhindern, dass in Deutschland noch einmal eine Alternative zur rechtskonservativen und neoliberal geprägten Führungsschicht an die Macht kommt.

Darauf hatte ich schon in einem Beitrag vom 22. Mai 2012 hingewiesen.Wenn ich so dächte wie jene Kreise und über die entsprechenden publizistischen und finanziellen Mittel verfügen würde, dann würde ich die skizzierten beiden Wege zur Machterhaltung wählen: Zum einen mit allen Mitteln der Publizistik und des Geldes die Chancen jeder linken Formation bei Wahlen mindern, zum andern die Parteien auf der linken Seite des politischen Spektrums nachhaltig beeinflussen. Ich spreche in diesem Zusammenhang von Fremdbestimmung. Dazu habe ich am 27. Mai 2002 in Bezug auf die SPD einen Artikel geschrieben, den wir im Dezember 2003 verlinkt haben.
Die Fremdbestimmung der SPD ist leider in weitem Maße gelungen. Jetzt steht die entsprechende Operation bei der Linkspartei an. Deshalb auch die harten Gefechte. Leider merken es maßgebliche Leute in der Linkspartei offenbar nicht. Andere sind in das Prozedere eingebunden. Davon bin ich fest überzeugt. Bei der SPD habe ich es hautnah erlebt und ich weiß, wer an diesem Prozess der Anpassung der SPD an die herrschende Linie maßgeblich beteiligt war.

Allerdings werden die Namen jener, die den Prozess von innen begleiten, nicht öffentlich angeschlagen. Dann wäre diese Operation futsch, die Arbeit umsonst.

Das ist das Problem der kritischen Begleitung dieser undemokratischen Vorgänge. Wir sind sehr sicher, dass es diese Vorgänge gibt, aber wir können sie nicht belegen.
Müssen wir deshalb dazu schweigen? Meines Erachtens nicht. Wer die Existenz von Einflussagenten in den Parteien des linken Spektrums nicht glauben will, kann getrost darauf verzichten. Sie oder er werden dann aber immer wieder rätseln müssen, weil sie wichtige Vorgänge nicht mehr verstehen.

Im Wahljahr 1972, das war vor 40 Jahren, haben die herrschenden Kreise den Unfall von 1969 korrigieren wollen. Damals kam der erste sozialdemokratische Bundeskanzler an die Macht, Willy Brandt. Das sollte ein Betriebsunfall bleiben. Deshalb wurden Abgeordnete der SPD und des Koalitionspartners FDP abgeworben. Deshalb wurde dann im Wahlkampf und im Vorfeld des Wahlkampfes mit viel Geld mobilisiert. Damals auch mit Hilfe anonymer Gruppen, die sich mit zahllosen Anzeigen in den Wahlkampf einmischten. (Siehe dazu „Klassenkampf von oben“ bei rororo aktuell und meine Dokumentation Willy wählen 72)

Diese Attacke konnte damals noch einmal abgewehrt werden, allerdings nur mit einer Gegenattacke, die die Machenschaften des Großen Geldes offen legte. Und mit einem klaren Profil. Darin liegt die Parallelität von heute und damals. Deshalb auch der Hinweis auf diese frühere Auseinandersetzung.

Heute sind die Möglichkeiten der herrschenden Kreise um vieles weiter ausgebaut. Es gibt kaum mehr kritischen Medien – der Ausfall des Spiegel ist quasi perfekt, und es gibt offensichtlich einen wesentlich neoliberal bestimmten Zirkel aus Medienkonzernen, Talkshowproduzenten und- Moderatoren/innen, Finanzwirtschaft, PR Agenturen und den dazugehörigen rechtskonservativen Parteien.

Wenn man dagegen punkten will, dann muss man alle Möglichkeiten nutzen. Die Linkspartei hat dies jetzt nicht getan. Das ist schade, weil ihr ein beachtliches Stück Verantwortung dafür aufgebürdet war, überhaupt noch einmal für eine Alternative zu sorgen.

(Nachträglich erweiterte Fassung von 19 Uhr 30)


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