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Titel: Bundesbank bereitet die Öffentlichkeit darauf vor, das bisschen Konjunktur schon wieder abzuwürgen.

Datum: 3. Juni 2006 um 17:33 Uhr
Rubrik: Finanzpolitik, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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Ein aufmerksamer Nutzer der NachDenkSeiten macht mich auf den jüngsten Monatsbericht aufmerksam. Siehe unten Anhang. Dort werden die im April kräftig gestiegenen Verbraucherpreise notiert und daraufhingewiesen, dass dafür höhere Kraftstoff- und Heizölpreise und die durch den langen Winter verteuerten Nahrungsmittel mitverantwortlich sind, und dass die geplante Mehrwertsteuererhöhung Anlass für Verteuerungen sein wird. Dies – zusammen mit der angeblich fortschreitenden Belebung der Inlandsnachfrage – spreche „für ein hohes Maß an stabilitätspolitischer Wachsamkeit“. Hier werden geldpolitische Gegenmaßnahmen vorbereitet. Das ist der helle Wahnsinn.

Die Bundesbank ist ganz wesentlich dafür verantwortlich, dass der letzte wirkliche Aufschwung mit „einem hohen Maß an stabilitätspolitischer Wachsamkeit“ abgewürgt wurde. Zwischen 1988 und 1991 gab es nach einer langen Durststrecke in den Achtzigerjahren kräftige Wachstumsraten des realen Bruttoinlandsprodukts von 3,7%, 3,6%, 5,7% und 5%. Das war ein Durchschnitt von 4,5%. Dieser von der deutschen Vereinigung geförderte Boom wurde mit einer stufenweisen Anhebung des Diskontsatzes von 2,9% auf 8,75% von der Deutschen Bundesbank 1992 abgewürgt.
Zur Beschreibung des weiteren Verlaufs zitiere ich aus „Machtwahn“ Seite 85f: „Der nächste kleine Boom in den Jahren 1998 bis 2000 wurde wiederum aufs Spiel gesetzt. Im November 2000 hatte der Sachverständigenrat in seinem Jahresgutachten erklärt, die Konjunktur laufe rund, sie sei gut. Dieses Signal an die Verantwortlichen, sich nicht weiter um wirtschaftliche Belebung zu kümmern, wurde von unseren Spitzenökonomen auf dem Hintergrund von 4 Millionen Arbeitslosen ausgesandt – und sollte sich rasch als Torheit erweisen. Die Europäische Zentralbank und der Bundesfinanzminister haben das Signal wohlwollend empfangen. Die EZB erhöhte im Lauf des Jahres 2001 den sogenannten Repo-Satz (das ist der Zinssatz für Hauptrefinanzierungsgeschäfte) um 1,75 Prozentpunkte, und für den Bundeshaushalt 2001 plante der Finanzminister eine Ausgabensenkung von 1,7 Milliarden DM. Dies geschah vor dem Hintergrund einer Preisprognose des Sachverständigenrats für 2001 von 1,4 Prozent. Ohne dass eine Inflationsgefahr bestanden hätte, wurde auf die Bremse getreten.
Seit 1980 kämpfen wir, von den genannten kleinen Ausnahmen abgesehen, mit niedrigen realen Wachstumsraten. Minde­stens seit 1993, und nicht erst seit 2001, sind wir unter den Schlusslichtern der europäischen Entwicklung und innerhalb der OECD-Länder, also auch im Vergleich zu den USA, zu Australien und Kanada.
In dreizehn Jahren ist das Bruttoinlandsprodukt bei uns nur um 18,9 Punkte gestiegen, in den USA um 52 Punkte, in der Euro-Zone immerhin noch um 27,5 Punkte. Bei uns fielen die Zuwächse beim Konsum mit 16,9 und bei den Bruttoinve­stitionen mit 10 Punkten äußerst mager aus – gerade auch im Vergleich mit den anderen Regionen. In der gesamten Zeit von 1993 bis heute sind die realen Löhne praktisch nicht ge­stiegen.“

Und jetzt drohen wieder die gleichen Fehler.
Jetzt soll offenbar den aus den Energiepreis- und Mehrwertsteuererhöhungen folgenden Preissteigerungen mit „stabilitätspolitischer Wachsamkeit“ begegnet werden. Konkret werden hier in den Verlautbarungen der Deutschen Bundesbank Zinserhöhungen und andere geldpolitische Maßnahmen der Europäischen Zentralbank stimmungsmäßig vorbereitet. Und es wird eine Kulisse des Drucks auf die Finanzpolitik und die Tarifpartner aufgebaut. Angesichts der Schwäche der konjunkturellen Entwicklung – mit einer Wachstumsrate von 1,6 oder 1,8 oder vielleicht 2% im Jahr 2006 kommen wir nie aus der Rezession, in der sich die deutsche Volkswirtschaft befindet – jetzt schon wieder an Bremsmaßnahmen zu denken, ist sachlich nicht zu begreifen.
Das hat zu aller erst mit der herrschenden Ideologie zu tun. Das geld- und finanzpolitische Denken wird immer noch von einer Gruppe bestimmt, die ich die deutschen Chicago Boys nenne. Siehe dazu die entsprechende Passage aus „Machtwahn“ S. 53 und 54 und wiedergegeben in unserer Rubrik „Veröffentlichungen der Herausgeber“.
Einer aus dieser Gruppe, Jürgen Stark, ist auf Empfehlung von Kanzlerin Merkel ins Direktorium der Europäischen Zentralbank eingerückt. In den letzten Tagen wurde gemeldet, dass er den Aufgabenbereich des bisherigen Chefökonomen Issing übernehmen soll. Kenner der Person Jürgen Stark und seiner wirtschaftspolitischen Fähigkeiten beziehungsweise Ideologie hatten anfangs gehofft, dieser Kelch würde an uns vorübergehen.

Dieser Vorgang einschließlich der Personalie Stark ist bedrohlich nicht nur für die Arbeitnehmerschaft sondern auch für den gewerblichen Mittelstand im Bereich des Einzelhandels, des Handwerks und der anderen vor allem für den Binnenmarkt tätigen Unternehmer.
Deshalb können wir den Lesern unserer NachDenkSeiten nur empfehlen, auch diesen Personenkreis darauf hinzuweisen, welcher wirtschaftspolitische Wahnsinn uns ins Haus steht: der mutwillige Abbruch eines kleinen Aufschwungs, bevor er richtig begonnen hat.
Übrigens: dass die geldpolitischen Eliten in den Zentralbanken uns solches zumuten, hat viel damit zu tun, dass sie anders als Arbeitnehmer und Unternehmer selbst nie davon betroffen sind. Sie sind in festen, wohl dotierten und nicht kündbaren Arbeitsverhältnissen.

Anhang: Auszug aus dem Monatsbericht der Deutschen Bundesbank Mai 2006
… „Im April (2006) sind die Verbraucherpreise jedoch wieder kräftig gestiegen. Wesentlich dafür waren höhere Kraftstoff- und Heizölpreise. Auch saisonale Nahrungsmittel verteuerten sich stärker als sonst zu dieser Jahreszeit üblich. Dabei dürfte es sich um Nachwirkungen des lange andauernden Winterwetters handeln. Der Vorjahresabstand des nationalen Verbraucherpreisindex vergrößerte sich schätzungsweise von 1,8% auf 2,0%. Der Harmonisierte Verbraucherpreisindex stieg im April um 2,3% nach 1,9% im März. Vieles spricht zwar dafür, dass sich die Vorjahresraten im weiteren Verlauf dieses Jahres aufgrund von Basiseffekten vorübergehend wieder etwas zurückbilden.

Auf längere Sicht betrachtet sind die Inflationsrisiken in den letzten Monaten aber weiter gestiegen. Zum einen werden die kräftigen Energie- und Rohstoffpreissteigerungen auf die Verbraucherebene durchwirken, zum anderen wird die geplante Mehrwertsteuererhöhung Anlass für Verteuerungen sein. Für ein hohes Maß an stabilitätspolitischer Wachsamkeit spricht angesichts dieser Gegebenheiten aber auch die Erwartung einer allmählich fortschreitenden Belebung der Inlandsnachfrage und die überwiegend günstigen Perspektiven für eine Fortsetzung der konjunkturellen Aufwärtsentwicklung“.

Quelle: Deutsche Bundesbank: Die Wirtschaftslage in Deutschland im Frühjahr 2006, in: Monatsbericht Mai 2006, S. 8f.


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