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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: „Für einen Pakt aller Demokraten gegen Finanz-Zyniker und Spekulanten“ –Text der Dresdner Rede
Datum: 15. Mai 2012 um 17:57 Uhr
Rubrik: Aufbau Gegenöffentlichkeit, Banken, Börse, Spekulation, Neoliberalismus und Monetarismus, Veranstaltungshinweise/Veranstaltungen
Verantwortlich: Albrecht Müller
Am 5. Mai 12 habe ich zum Dresdner Frühjahrsgespräch eingeführt. Hier folgt der schriftliche Entwurf der Rede. Teile der Rede und die Diskussion waren zeitweise nachzuhören und zu sehen. Leider nicht in guter technischer Qualität. Informationen bietet und Links bietet die Internetseite zu den Dresdner Frühjahrsgesprächen. Hier also der Text der Rede, der natürlich vom gesprochenen Wort abweicht. Von Albrecht Müller
Albrecht Müller
5. Mai 2012 in Dresden 11 Uhr
Einführungsvortrag beim zweiten Frühjahrsgespräch des Dresdner NachDenkSeiten-Kreises
Thema: „Für einen Pakt aller Demokraten gegen Finanz-Zyniker und Spekulanten“
Liebe Freundinnen und Freunde der NachDenkSeiten, verehrte Gäste,
der Dresdner NachDenkSeiten Kreis hat zusammen mit der Friedrich-Ebert-Stiftung und dem DGB dieses Treffen in dieser wunderschönen Umgebung arrangiert. Dafür danke ich, sicher auch in Ihrem Namen, dem Vorsitzenden des Dresdner NachDenkSeiten-Kreises, Herrn Axel Schwarz, Herrn Wielepp von der Friedrich-Ebert-Stiftung Dresden, dem DGB und wahrlich nicht zuletzt Herrn Klaus Kempe für die investierte Arbeitskraft und Fantasie bei der Planung unseres Treffens. Dann habe ich noch das Vergnügen, dass ein Freund, Axel Schmidt-Gödelitz unsere Veranstaltung moderiert. Vor zwei Jahren wollten wir uns bei ihm zum Ost-West-Forum auf Gut Gödelitz treffen, was leider scheiterte.
Unser Thema „Für einen Pakt aller Demokraten gegen Finanzzyniker und Spekulanten“ hat – wie mir die Veranstalter berichten – eine kleine Diskussion ausgelöst. Im erläuternden Einleitungstext heißt es: „Ein Pakt aller Werte schaffenden und an Werten orientierten Bürgerinnen und Bürger ist vonnöten. Er reicht von Wertkonservativen bis zur demokratischen Linken.“
Manch Konservativer fragt da ziemlich empört: Was soll ich mit Linken? Was soll ich mit den roten Socken? So ist die Welt heute. Geprägt von aggressiven Schlagworten und Kampagnen. – Linke fragen: Was wollen wir mit Konservativen anfangen? Ihnen verdanken wir doch die unsoziale Entwicklung in unserem Land.
Die Berührungsängste sind verständlich. Aber die Auffassungsunterschiede zwischen anständigen Wertkonservativen und demokratischen Linken sind angesichts der gegenwärtigen Bedrohung gering. Wir kommen mit der jetzigen politischen Konstellation nicht weiter. Wenn sich im konservativen Lager kein Widerstand gegen die dort inzwischen meinungsführenden neoliberalen Kräfte regt, dann geht das Elend so weiter. Wenn man dort nicht erkennt, dass die vom Neoliberalismus und der Finanzwirtschaft geprägte politische Entwicklung mit konservativen Werten nicht mehr viel gemein hat, dann wird die Lage immer prekärer.
Im folgenden werde ich zunächst die bedrohliche Entwicklung skizzieren und dann zwölf mögliche Elemente eines gemeinsamen Programms von Wertkonservativen und Linken beschreiben. Vorweg zum Einstieg erzähle ich zwei kleine einschlägige Geschichten:
Die erste Geschichte: 1978 – damals war ich Leiter der Planungsabteilung im Bundeskanzleramt – begehrte die damalige CDU/CSU-Opposition über ihre Ministerpräsidenten vom SPD-Bundeskanzler Helmut Schmidt einige 100 Millionen DM für die Verkabelung von elf Städten mit Fernsehverteilnetzen. Damit sollte zum einen die Ausstrahlung von vielen Fernsehprogrammen und zugleich der Einstieg in die Kommerzialisierung des Fernsehens und des Hörfunks möglich gemacht werden. Wir haben damals dem Bundeskanzler Helmut Schmidt geraten, sich auf die Forderungen der CDU/CSU nicht einzulassen. Ein Blick in die USA reichte, um zu wissen, was die Überflutung mit der Droge Fernsehen und noch dazu die totale Kommerzialisierung für die Entwicklung unserer Gesellschaft, für die Familien, für die Kinder, das Bildungsniveau und die Gewaltbereitschaft bedeuten würde. Dafür dann auch noch öffentliche Mittel einzusetzen, das wäre, als würde man den Anbau von Drogen öffentlich subventionieren.
Helmut Schmidt hat damals in einem Essay für „Die Zeit“ mit dem Titel „Plädoyer für einen fernsehfreien Tag“ die Gefahren für unsere Gesellschaft auf eindrucksvolle Weise beschrieben und sich bis zum Ende seiner Regierungszeit geweigert, öffentliches Geld für die Befriedigung der kommerziellen Interessen von potentiellen Fernsehveranstaltern, konkret von Bertelsmann und Kirch, auszugeben.
Dafür wurde er und die Planungsabteilung übel beschimpft – als Technikfeinde, als Investitionshindernis, als konservative Blockierer neuer Arbeitsplätze. Es wurde uns unterstellt, wir würden die Vermehrung der Fernsehprogramme und ihre Kommerzialisierung verweigern, weil wir den „Rotfunk“, wie die Union den angeblichen Einfluss der SPD auf das öffentlich-rechtliche Fernsehen nannte, erhalten wollten. Alles Unsinn!
Auf unserer Seite kämpften einige sachkundige Leute, die Posthmans „Wir amüsieren uns zu Tode“ gelesen hatten oder einfach nur mit wachen Augen durch die Welt gingen; mit dabei waren auch einige Konservative, große Teile der Kirchen, Familienverbände und einige prominente CDU-Mitglieder, an vorderer Front der Intendant des Süddeutschen Rundfunks, Hans Bausch.
Die dann von Kohl, seinem Postminister Schwarz Schilling und anderen seit 1982 betriebene Programmvermehrung und die Kommerzialisierung haben unser Land umgekrempelt und nach meiner Einschätzung sogar um vieles mehr verändert als der von Kohl betriebene Sozialabbau. Zum Schlimmeren: Verflachung, mehr Einfalt, mehr Gewalt, noch weniger personale Kommunikation und Mitarbeit in Verbänden und Parteien.
Zehn Jahre nach Beginn dieser gravierenden Umwälzung hatte ich eine einschlägige Begegnung. Ich war damals, 1993, Bundestagsabgeordneter und fuhr eines Freitagnachmittags wie üblich mit einem Wagen der Fahrbereitschaft des Bundestags zum Bonner Hauptbahnhof. Unterwegs nahmen wir noch einen CDU-Bundestagsabgeordneten mit, einen der konservativsten aus dem Oberschwäbischen, bekannt wegen seiner Gegnerschaft zur Reform des Abtreibungsparagraphen 218. Er begrüßte mich überraschend freundlich mit der Anmerkung, er habe immer schon „Abbitte bei mir leisten“ wollen. Als ich als Leiter der Planungsabteilung im Bundeskanzleramt gegen die Programmvermehrung und Kommerzialisierung des Fernsehens gewesen sei, habe auch er geglaubt, dahinter stecke ein politisches Machtspielchen. Jetzt, 1993, habe er zehn Jahre kommerzielles Fernsehen mit all dem Mist hinter sich und verstehe Helmut Schmidts Bedenken und auch mich nachträglich. Seine Partei habe ihre eigenen konservativen Werte verraten.
Damit hatte er Recht. Die Kommerzialisierung der elektronischen Medien zeigt anschaulich, dass bei den Christdemokraten im Zweifel blanke Kommerzinteressen über christliche Werte siegen.
Das war die eine Geschichte. Sie verstehen, warum diese Geschichte von Bedeutung für unser Thema ist: der Kampf gegen die Kommerzialisierung aller Lebensbereiche, vom Fernsehen über den Sport und die Krankenhäuser bis zu den Schulen ist ein gemeinsames Anliegen von Linken und Konservativen.
Die zweite Geschichte handelt vom Versagen bürgerlicher protestantischer Kreise in der Weimarer Republik und in der Nazizeit und von ermutigenden Konsequenzen nach 1945. Einige Protestanten, die das Versagen sahen, haben 1948 in Villigst an der Ruhr das Evangelische Studienwerk gegründet. Damals und immer wiederkehrend alle halbe Jahre hat man dort 40 bis 50 Studentinnen und Studenten zu einem Werksemester zusammengeholt, erst zum Aufräumen der Trümmer in Dortmund, dann zur Maloche in Stahlwerken, Metall verarbeitenden Betrieben, Pflegeheimen und Krankenhäusern. Man hatte erkannt, dass das konservativ geprägte christliche Bürgertum und das Bildungsbürgertum keine Ahnung von der Arbeitswelt und den sozialen Problemen der Arbeiterschaft hatten. Deshalb wollte man junge Menschen aus diesem Milieu mit der anderen Welt der Industrie und der sozialen Probleme zusammenbringen und ihnen die Gelegenheit verschaffen, gemeinsam über die sozialen Bedingungen von Demokratie nachzudenken.
Dieser Ansatz war richtig und wichtig. Und er wäre heute wieder wichtig und richtig. Denn auch heute erleben wir einen ähnlichen Niedergang wie in Weimar – natürlich keine Wiederholung, aber mit mehr Ähnlichkeiten als viele denken. Hohe Arbeitslosigkeit, Angriffe auf die demokratische Lebensweise, die Zerstörung der beruflichen und sozialen Sicherheit vieler Menschen, Feindseligkeiten gegenüber anderen Völkern und Religionen, massive Manipulation und Verführung, anders als bei Goebbels und doch schrecklich ähnlich. Und wieder versagen das konservative Bürgertum und viele der besonders gut Ausgebildeten.
Anders als uns die allgemeine Stimmungsmache zu vermitteln versucht, sind wir in mehrerer Hinsicht in einer sehr problematischen Lage:
Öffentliche Unternehmen und öffentliche Einrichtungen werden privatisiert; Wasserwerke, Kliniken, kommunale Wohnungen, Eisenbahnen, immer mehr auch Schulen und Universitäten – über all lässt man Aktionäre mit verdienen. Zulasten der Allgemeinheit, zulasten der Kommunen, der Mieter und zulasten der Arbeitnehmerschaft.
Die öffentlich organisierte Altersvorsorge wird stückweise durch private Vorsorge ergänzt und entwertet – weil die Versicherungswirtschaft und die Banken das so wollen, nicht aus sachlichen Gründen. Der Ruf der Gesetzlichen Rente wurde absichtlich ruiniert, um den Verkäufern der Privatvorsorge das Feld zu bereiten. Zudem werden die privaten Versicherungsprodukte, die Riester-Rente und die Rürup-Rente auch noch mit Steuergeldern subventioniert. – Ja wo leben wir denn? Wo sind denn die konservativen Wirtschaftsfachleute geblieben, die sonst immer gegen Subventionen protestieren und von Freiheit schwadronieren? Wenn es in die eigene Tasche geht, dann ist der Bruch der sonst hochgehaltenen Wirtschaftsmoral schnell vergessen.
Mit der Agenda 2010 und den Hartz-Gesetzen ist die Arbeitslosenversicherung zerstört worden. Hartz IV zielte nicht zu aller erst auf die Schwächung der Empfänger von Harz IV. Das ist eher ein Kollateralschaden. Mit dieser so genannten Reform sollte den Arbeitnehmern und Gewerkschaften der Schneid abgekauft werden. Das hat großenteils funktioniert; ich klage niemanden an, der seinem Chef vorsichtig gegenüber tritt und keine Lippe riskiert, weil er damit rechnen muss, bei einer Entlassung nach einem Jahr in Harz IV zu landen. Die damit verbundene Zerstörung der sozialen Sicherheit ist ein wirkliches Verbrechen an Sozialstaat und Demokratie.
In Griechenland und in Spanien ist die Hälfte aller Jugendlichen arbeitslos. Ist konservativen Kreisen eigentlich klar, was dies bedeutet? Ich fürchte nein. Das ist weit weg. Und die Umsicht und Einsicht auch gebildeter Schichten ist inzwischen so schwach, dass man dort den Zusammenhang zwischen der von deutscher Seite verordneten angeblichen Sparpolitik und dem Elend der Jugend in diesen Völkern wie auch in Teilen unseres Landes gar nicht mehr sieht.
Dass es Wohlstand für alle nicht mehr gibt, dass die soziale Sicherheit vielen genommen ist und die demokratische Willensbildung verkümmert, diese Entwicklung ist nicht vom Himmel gefallen, sie ist nicht Gott gegeben, sondern politisch gewollt und so nach dem Muster der neoliberalen Theorie gestaltet worden.
Diese Ideologie und ihre Rezepte sind von nahezu allen politischen Kräften übernommen worden. Das ist erstaunlich. Ein so schwachsinniges Konzept hat die Agenda 2010 geprägt und vorher schon die Politik von Helmut Kohl und Graf Lambsdorff. Die Konzepte waren in Chile schon im Jahr 1973 ausprobiert worden. Das war lange vor der deutschen Vereinigung. Ich weise darauf hin, weil in manchen Kreisen krampfhaft an der Vorstellung festgehalten wird, die unsoziale Politik von Merkel, Schröder und Kohl sei nur möglich geworden, weil die Drohung mit dem Sozialismus der DDR und der anderen osteuropäischen Staaten weggefallen sei. Das ist Humbug, tut mir leid, dies so hart formulieren zu müssen. Die neoliberale Ideologie wurde zuerst mit Hilfe und unter dem Schutz des Diktators Pinochet angewandt – mit allem, was heute auch dazu gehört: Privatisierung, Deregulierung, Verkauf öffentlichen Eigentums, Kommerzialisierung der Altersvorsorge, Entlassung öffentlicher Bediensteter.
Mit dem Lambsdorff Papier von 1982 sind die Weichen in Westdeutschland in die jetzt herrschende Richtung gestellt worden. Schröder hat sich dann später des Ausbaus des Niedriglohnsektors gerühmt. Der ehemalige Bundesbankpräsident Tietmeyer (CDU) hat bewundernd davon gesprochen, dass die Politik unter der Beobachtung der Finanzmärkte steht. Ein britischer Notenbanker, Sir Alan Budd, spricht offen davon, dass die Entstehung einer Reservearmee von Arbeitslosen mit dem Ziel der Erhöhung der Profite und der Senkung der Lohneinkommen von Thatchers Entourage geplant war. Diese Planung und das Bekenntnis dazu straft übrigens auch alle jene auf der linken Seite der Lüge, die behaupten, mit Beginn der siebziger Jahre sei die staatliche, aktive Beschäftigungspolitik nach Keynesschem Vorbild gescheitert. Sie ist nicht gescheitert, sie ist bewusst nicht mehr konsequent betrieben worden.
Auch die politische Konstellation ist bedrückend. Wir haben keine Alternative.
Suchen wir also nach gesellschaftlichen, politischen und geistigen Bündnissen. Wo zeichnen sich solche ab? Das folgende sind Anhaltspunkte, keine fertigen Rezepte:
Zwölf Elemente eines Gemeinsamen Programms von wertkonservativen und progressiven Kräften sind nicht schwierig zu beschreiben:
Der Mangel an Sachverstand und die Fixierung auf die Ideologie wird vor allem sichtbar in der schon penetranten Ablehnung des wirtschaftspolitischen Instrumentariums, das mit dem Namen Keynes verbunden ist. Sich auf die Nutzung aller möglichen Instrumente der Wirtschaftspolitik, also sowohl auf angebotstheoretische als auch auf Instrumente aus der Instrumentenkiste von Keynes, zu verständigen darf doch nicht schwierig sein. Dazu gehört auch, gemeinsam an unseren Universitäten aufzuräumen, die Türen aufzumachen, frische Luft und Pluralität einziehen zu lassen.
In konservativen Kreisen müsste eigentlich weit verbreitet sein, dass man sein Geld ehrlich und anständig verdient. Dazu gehört dann auch, dass die Finanzierung von Staaten und deren Aufgaben, wenn sie Kredit dafür brauchen, nicht dem Spekulationskarussell anheim gegeben wird. Man muss sich doch darauf verständigen können, dass man die Höhe der Zinsen für die Staatsfinanzierung nicht den von Interessen geleiteten Ratingagenturen und Spekulanten überlässt.
Auch dass Spekulationsgewinne zumindest so besteuert werden müssen wie die ehrlich verdienten Gewinne ist kein ausnehmend linkes Programm. D.h. zum Beispiel: Streichung des Steuervorteils für Gewinne, die beim Verkauf von Unternehmen und Unternehmensteilen anfallen; Hedgefonds und all die neuen Finanzprodukte, die nur der Spekulation dienen, haben bei uns nichts zu suchen. Ratingagenturen und die ewigen Börsenberichte im öffentlich-rechtlichen Rundfunk auch nicht. Wir müssen die Spekulationsmentalität brechen und die Wertschöpfungsmentalität fördern.
Ob ein Produkt oder eine Dienstleistung öffentlich oder privat produziert wird, ist eine Frage sachlicher Abwägung und nicht eine ideologisch zu beantwortende Frage. Dabei gibt es ein paar hilfreiche Kriterien: Welche Art der Produktion ist effizienter? Ist Wettbewerb bei Privatisierung wirklich möglich? Es macht ja keinen Sinn, ein öffentliches Oligopol oder Monopol durch ein privates zu ersetzen. Das geschieht aber am laufenden Band. Diese Tendenz müsste auch an der Sache orientierten Konservativen die Haare zu Berge stehen lassen. – Es gibt starke Argumente für den Betrieb des Schienenverkehrs in öffentlicher Regie. Es machte keinen Sinn, die Berliner Wasserwerke oder die Stadtwerke in Leipzig zu privatisieren. Und es macht keinen Sinn, Kliniken zu privatisieren. Ich habe persönlich bittere Erfahrungen mit einer privatisierten Klinik in der weiteren Nachbarschaft von Dresden gemacht. Was macht es für einen Sinn, die Vogtland Klinik in Plauen oder die Uniklinik in Gießen-Marburg privat zu betreiben? Mit allen Konsequenzen – mit dem Anspruch auf 15 % Rendite für die Aktionäre, mit dem daraus folgenden Zwang zu Rationalisierung und zum Outsourcing. Ich kann nur mit Zorn verfolgen, dass dieser Wahnsinn nun sogar noch forciert werden soll und der Sektor Krankenhäuser immer stärker privatisiert – und d.h. zugleich angesichts der regionalen Verteilung – monopolisiert wird. Damit mächtige Konzerne und ihre Aktionäre an der Schinderei des Pflegepersonals und der Ärzte und am Gesundheitsrisiko von Menschen eine goldene Nase verdienen.
Dass die Entscheidung privat oder öffentlich sachlich überlegt werden muss und nicht ideologisch, muss auch konservativ geprägten Menschen einleuchten. Gerade ihnen, wenn sie etwas von Wettbewerb halten und deshalb auch wissen, dass dann, wenn keiner möglich ist, nur die öffentliche Regie richtig sein kann.
Das verlangt eine Steuerpolitik, die die Ungerechtigkeiten der letzten 30 Jahre zu korrigieren versucht; es verlangt die Anhebung des Spitzensteuersatzes und die entsprechende Anpassung der Steuertabelle und die Wiedereinführung der Vermögensteuer und einer wirksamen Erbschaftssteuer. Es muss doch auch konservativen Menschen einleuchten, dass z.B. ein Spitzensteuersatz von 53%, also so hoch wie zu Kohls Zeiten, kein sozialistisches Teufelswerk ist.
Soziale Sicherheit herzustellen heißt: die Agenda 2010 kann keine Basis für die Zukunft sein, und es verlangt, dass wieder eine wirksame Arbeitslosenversicherung installiert wird.
Kluge Konservative wissen übrigens, dass soziale Sicherheit und Gerechtigkeit wichtige Stützen friedlicher Verhältnisse sind und damit auch zur inneren Sicherheit beitragen. Nur konservative Dummköpfe haben das nicht verstanden, obwohl sie schon seit Jahrzehnten in amerikanischen Städten studieren können, ein welch hohes Gut an Lebensqualität wir in Deutschland haben, wenn wir uns eine einigermaßen friedliche Gesellschaft erhalten können.
Ich plädiere für ein Bündnis der Verfassungsfreunde gegen die heute herrschenden Feinde unseres Grundgesetzes. Wer Art. 20 mit seinem Sozialstaatsversprechen nicht ernst nimmt, ist ein Verfassungsfeind. Wer die Leiharbeit eingeführt hat und fördert, verstößt gegen Art. 1 des Grundgesetzes. Dort wird gesagt, die Würde des Menschen sei unantastbar. Die meisten Menschen, die in Leiharbeitsverträgen stecken, sind aber ihrer Würde beraubt. Wir sollten diejenigen, die das angestellt haben, auch entsprechend benennen. Sie stehen nicht auf dem Boden des Grundgesetzes. Verfassungsfeinde!
Lassen Sie uns bei den Schulen anfangen und dort die Kommerzialisierung zurückdrängen. Es geht nicht an, dass McKinsey und die Allianz AG die Unterrichtsinhalte in unseren Schulen prägen. Es geht nicht an, dass in unseren Schulen Börsenspiele geübt werden.
Das wäre eine sehr breite Basis. Denn heute ist in unserer „BananenRepublikDeutschland“ politische Korruption über all präsent: Helmut Kohl und seine Mannen sind von Leo Kirch, einem der Profiteure der Kommerzialisierung des Fernsehens, mit Beratungsverträgen versehen worden. Jahre später. Solange müssen manche auf die segensreiche Wirkung des so genannten Drehtüreffekts warten. – Wolfgang Clement hat als Wirtschafts- und Arbeitsminister die Leiharbeit in Deutschland gefördert und arbeitet heute für das „wissenschaftliche“ Institut eines der größten Leiharbeitsanbieter der Welt. – Geld von Hoteliers für die FDP und Steuergeschenke für Hotels. Eine dreiste politische Korruption!
Politische Korruption ist überparteilich: Gerhard Schröder, Walter Riester und Bert Rürup haben alles Mögliche getan, um der Privatvorsorge fürs Alter den Weg zu bereiten und ihn mit öffentlichem Geld zu pflastern. Heute verdienen sie an diesem gemeinsamen Werk zusammen mit dem armen, verkannten Maschmeyer. Dieser gibt immerhin ehrlich zu, dass ihn seine Freunde in Politik und Wissenschaft auf eine „sprudelnde“ Ölquelle gesetzt haben
Wenn der Kampf gegen politische Korruption kein gemeinsames Aktionsfeld ist für anständige Konservative und Linke, was dann?!
Das waren zwölf gemeinsame Aktionsfelder von Wertkonservativen und demokratischer Linken. Es gäbe noch eine Reihe weiterer, derentwegen sich Zusammenarbeit lohnen würde. ((Der folgende kursiv gesetzte Text stand im Redeentwurf, wurde aber nicht vorgetragen: Ein Thema will ich noch nennen:
Kriege und militärische Interventionen sind in der Regel nicht die Lösung politischer Probleme. Sie sind nur das aller-aller-allerletzte Mittel. Von unserem Land muss Frieden ausgehen, militärische Aktionen und Interventionen dürfen nicht zur Regel werden. Gewaltverzicht war einmal die Parole und Vorstellung, die von der deutschen Politik in die Ost-West-Auseinandersetzung eingebracht worden ist.
Unmittelbar nach 1945 konnte man sich in Deutschland auch mit Konservativen darauf verständigen: Nie wieder Krieg. Es gibt keinen Grund, von dieser Einsicht abzugehen.))
Vielleicht ist die Vorstellung, es gäbe die skizzierten Brücken und Gemeinsamkeiten zwischen progressiven und konservativen Kräften, zu optimistisch. Vielleicht gibt es die vermuteten wertkonservativen Kräfte gar nicht mehr.
Mir scheint der Niedergang jedoch die Folge eines gemachten Zeitgeistes zu sein. Die mögliche Gegenbewegung muss sich daran angelehnt ebenfalls um Orientierung kümmern und den Zeitgeist zu prägen versuchen – in den Worten von Helmut Kohl: Wir brauchen eine geistig moralische Erneuerung. Leider hat er diese nur gefordert und nicht verwirklicht. Im Gegenteil. Ihm verdanken wir viele soziale Einschnitte und die skizzierte die Kommerzialisierung im zentralen Feld der elektronischen Medien.
Diejenigen im konservativen Lager, die die Orientierung an Wertvorstellungen noch nicht verloren haben, müssen sich lauter zu Wort melden, sie dürfen sich von den neoliberal geprägten Wortführern nicht einschüchtern und vereinnahmen lassen. Im konservativen Lager ist eine Auseinandersetzung fällig. Man könnte auch sagen, eine Revolte gegen die herrschenden Kreise sei dringend notwendig.
Im Bundesverband der Deutschen Industrie zum Beispiel haben die neoliberalen Kräfte und die Förderer der Finanzwirtschaft das Sagen. Die zuvor zitierten Kritiker des Casinobetriebs aus der Industrie kommen dort kaum zu Wort, jedenfalls bestimmen sie nicht die öffentlichen Verlautbarungen.
Auch beim Zentralverband des Deutschen Handwerks oder bei den Einzelhändlerverbänden herrscht der gleiche Geist.
Die Wertkonservativen haben sich zurückgezogen. Deshalb der Appell an die Anständigen im konservativen Lager, endlich aufzuwachen und zu revoltieren.
Ein großes Problem ist der Zustand der Meinungsbildung in Deutschland und insbesondere die Macht der PR.
Sie ist geprägt von Meinungsmache und von großen Interessen, die diese Meinungsmache bestimmen. Unser Land ist überzogen mit Kampagnen der Meinungsmache und mit der dafür notwendigen Public-Relations-Struktur. Die Finanzwirtschaft ist offensichtlich ausgesprochen aktiv im PR Geschäft. Das liegt auch nahe. Je schwächer die Argumente, umso mehr Geld muss man für Public Relations ausgeben.
Geld ist üppig vorhanden. Der zuvor erwähnte ehemalige Manager der Depfa, der diese marode Bank aus seiner und anderer Aktionäre Sicht noch rechtzeitig an die Münchner HRE verkauft hat, könnte mit seinem vermuteten persönlichen Gewinn von ca. 100 Millionen Euro den Wahlkampf beider großen Parteien bezahlen – gemessen an den Kosten des Wahlkampfes für die Wahl im Jahre 2005.
Noch ein Vergleich: Mit ihren Bezügen von 11,4 Mrd.US-$ in 2008 hätten z.B. die Manager von Goldman Sachs den Wahlkampf einer der beiden Parteien CDU/CSU und SPD 180 mal finanzieren können. Nur die Manager, die Firma Goldman Sachs selbst XXL mal mehr.
Diese Vergleiche liegen nicht neben der Sache. Tatsächlich ist die Public Relations Arbeit der Finanzwirtschaft undurchdringlich und unüberwindbar. Und wenn wir die Neigung zur Kapitulation hätten, dann könnten wir ihr angesichts dieser Zahlenverhältnisse begründet nachgeben.
Ob wir mit der Public Relations Arbeit des großen Stroms der neoliberalen Meinungsführer fertig werden, weiß ich nicht. Vor 40 Jahren ist das noch gelungen. Damals hat die SPD unter der Führung Willy Brandts die Menschen gegen das große Geld mobilisiert. Hunderttausende von Menschen sind damals auf die Straße gegangen, haben sich Buttons angesteckt oder Aufkleber aufs Auto geheftet und unentwegt Gespräche geführt.
Leider hat sich seitdem einiges geändert. Sowohl die Medien als auch die SPD. Aber der Ansatz, eine Gegenöffentlichkeit aufzubauen, bleibt uns nach wie vor als eine wenn auch schwierige Möglichkeit. Welche Möglichkeit haben wir sonst? Den Rückzug aus der politischen Beteiligung? Wenn Sie das wollten, wären Sie nicht hier. Wenn Sie das wollten, würden Sie nicht im Dresdner und anderen NachDenkSeiten-Kreisen mitmachen. Ich hoffe, Sie mit meiner schonungslosen Analyse nicht deprimiert zu haben. Ich wollte einigermaßen ehrlich sein. Und zwölf konstruktive Elemente von Brücken für die Zusammenarbeit mit anders denkenden anständigen Menschen sind ja kein Pappenstil. Reden Sie mit diesen anders Denkenden. Das anständige Deutschland muss sich zusammenfinden.
Download-PDF: „Für einen Pakt aller Demokraten gegen Finanz-Zyniker und Spekulanten“ –Text der Dresdner Rede [PDF – 160 KB]
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