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Titel: Die Sprache des Shitbürgertums

Datum: 26. April 2025 um 13:00 Uhr
Rubrik: Überwachung, Erosion der Demokratie, Ideologiekritik
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Es ist das wohl meistdiskutierte politische Debattenbuch des noch jungen Jahres: In seinem so scharfsinnigen wie provokanten Essay Shitbürgertum entlarvt Ulf Poschardt einen neuen Sozialcharakter, der unsere Gesellschaft präge und lähme: den „Shitbürger“. Mit einer unheilvollen Mischung aus Anmaßung und Untertanengeist inszeniere sich der Shitbürger als moralisch überlegener Retter der Welt – verteidige dabei jedoch vor allem seine eigenen Privilegien und Interessen, so Poschardt. Der Westend Verlag hat sich entschieden, das bislang im Selbstverlag erschienene und nur bei Amazon erhältliche Buch nun auch in den Buchhandel zu bringen. In Kürze mehr dazu in einem Interview mit dem Verleger Markus J. Karsten. Hier vorab ein Auszug aus dem Buch.

Die Sprache ist nicht nur Haus des Seins, sondern die Halsschlagader unserer Kultur. Wer sie zu prägen in der Lage ist, definiert die Kultur. Die politischen Durchsetzungsfähigkeiten der Zukunft werden auch durch die Akzeptanz mutiger Eigensprachlichkeiten definiert. Trump hat das vorgemacht. „Make America Great Again“ ist vielleicht der wirkmächtigste politische Slogan des 21. Jahrhunderts.

Die Ungläubigen halten sich an den Wörtern fest, weil sie im Windschatten der Sprache, die ihnen allmächtig erscheint, ihre eigenen Zweifel, ihre Ängste, ihre Unsicherheiten, ihre Nöte, ihre unpassenden Hoffnungen in Sicherheit bringen können. Der neue autoritäre Glaube an die Sprache ist stets mit der Hoffnung verbunden, dass es die Worte und nicht die Taten sind, die die Welt zu einer besseren Veranstaltung machen. Im Säubern der Sprache, im festen Willen, die Sprache als Haus des Seins zu einer aseptischen Isolierstation zu machen, wird der hoffnungslose Versuch unternommen, damit all die Schwierigkeiten beim Erfassen der Welt zu verdrängen und es sich in unterkomplexen, aber vermeintlich moralischeren Konstruktionen von Wirklichkeit bequem zu machen. Die Sprache ist zum Schlachtfeld geworden. Sie kann sich nicht wehren. Sie liegt da wie ein zerfetzter Leib. Die Wörter werden vor einen Volksgerichtshof gezerrt und aus dem Wörterbuch vertrieben. Sprache, die noch zuckt und lebt, wird ausgenommen und von einem Wortpräparator ausgestopft. Sind die Wörter dann einmal tot und erledigt und hingerichtet und für den Zeitgeist zurechtgestutzt, werden sie in akademischen Hörsälen zum Ideal erklärt.

Die Hoffnung liegt wie immer dort, wo das keimfreie Shitbürgertum keinerlei Nutzungsrechte hat und auch keine Umerziehungsautorität: in den strebsamen migrantischen Subkulturen, in der Popkultur, in den westlichen freiheitsbewegten Kinofilmen und jener Literatur, die sich nicht zum Freudenmädchen des Elfenbeinturmes gemacht hat.

Nur eine freie Sprache ist schön. Die Sprache ist zweierlei: zum einen das Ergebnis einer jahrhundertelangen Evolution – im Austausch mit anderen Sprachen und Kulturen –, zum anderen eine funktionale Struktur, um den Alltag zu bewältigen. Wer die Sprache kontrolliert, kontrolliert eine Gesellschaft – auf beiden Ebenen. Deswegen sind Diktaturen so empfindlich, wenn es um die Freiheit des Ausdrucks geht. Und deswegen blüht Sprache nur in freien Gesellschaften.

Das Shitbürgertum hat die Sprache an das Gängelband der Moral gelegt. War für Foucault sowie Deleuze und Guattari noch die Sprache der Aufklärung der Despot, der in endlosen Monologen über alle richtete, die als unaufgeklärt oder verrückt galten, so ist die Sprache des Shitbürgertums eine Schrumpfform des Aufgeklärten, reduziert auf den Affekt des Moralischen. „Lauscht dem paranoischen Gemurmel unter dem Diskurs der Vernunft, die für andere, die Stummen, spricht“, witzeln Deleuze und Guattari.

Die freie Sprache feiert sich selbst in der Popkultur. Es ist eine wilde, dschungelige Sprache mit scharfen Kanten und bösen Fallen. Die offizielle Sprache des Shitbürgertums regrediert zur moralischen Lehranstalt. Es ist eine autoritäre Anmaßung der freien Wortwahl gegenüber und eine zeitgeistliche Gebücktheit dem vermeintlich innovativen moralisch-politischen Komplex gegenüber. Da wollte die Grünen-Chefin bei Anne Will nicht patzen und sorgte mit ihrer poetischen Übersprunghandlung für ein kurzes Blitzen der Freiheit. Ihr Versprecher von den „Steuer*Innenzahlern“ drehte das Ganze ins Reich des Dadaistischen, wo es hingehört.

Die keim- und schwingungsfreie Sprache ist das Statussymbol des Shitbürgertums. Wurde bei den alten Calvinisten der Reichtum ausgestellt, mit prunkvollen Innenräumen der Auserwählten, die ohne Gardinen von der Straße aus bewundert werden konnten als Ausweis der Auserwähltheit, ist es bei den neuen Calvinisten das „Virtue Signalling“: die Tugendanzeige, das angestrahlte Leuchten des Anstands durch Worte und Gesinnung.

Die Sprache als Haus des Seins ist besonders anfällig für Domestizierungen. Die »Disziplinarinstitutionen« (Foucault) haben eine „Kontrollmaschinerie“ konstruiert, welche die menschlichen Freiheitsregungen und -sehnsüchte bändigt und züchtigt im Sinne der Macht. Die Sprache als Herrschaftsinstrument ist dabei unerlässlich, deshalb hat das Shitbürgertum so virtuos an deren Reinigung und Desinfizierung gearbeitet. Was mit der Sprache im 21. Jahrhundert passiert ist, wirkt wie ein Echo jenes orwellschen Newspeaks, dieser gereinigten Sprache, die in Orwells dystopischem Roman verhindern soll, dass Menschen kritische Gedanken überhaupt nur denken können, bevor sie sie artikulieren. In der Sprache wird der expressive und reflexive Teil des existenziellen Elans domestiziert – pars pro toto für das gesamte Leben. Die Kontrollmaschinerie funktioniert als „Mikroskop des Verhaltens“, wie Foucault das so treffend analysierte: »ihre feinen analytischen Unterscheidungen haben um die Menschen einen Beobachtungs-, Registrier- und Dressurapparat aufgebaut«.

Das Shitbürgertum hat die Kontrollmaschinerie zu ihrem eigentlichen Werkzeug des Machterhaltes gemacht. Die Sprache ist Peitsche und Megafon des Shitbürgertums zugleich und hat dessen eigene Schmallippigkeit ins Monströse überhöht. Am Ende verliert der Mensch, dem seine Sprache genommen wurde, seinen Verstand. Wie kein anderer Teil der Umerziehung hat die identitätspolitische Rabulistik das menschliche Geschlecht von jedweder biologischen Determination zu befreien versucht, das Grundvertrauen der Menschen in die Sprache und deren Beherrscher zu zerstören riskiert. Wer die Frage „Was ist eine Frau?“ nicht mehr beantworten kann, ohne in absurde Kategorien zu schlittern, sollte als Exot glücklich werden. Wenn er der Fürst der Kontrollmaschinerie ist, muss diese Maschinerie zertrümmert werden.

Lesetipp:
Ulf Poschardt: Shitbürgertum. Neu-Isenburg 2025, Westend Verlag, gebundene Ausgabe, 176 Seiten, ISBN 978-3987913310, 22 Euro.


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