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Titel: Postfeministisches Kaffeekränzchen im All
Datum: 16. April 2025 um 12:01 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Gleichstellung, PR, Wertedebatte
Verantwortlich: Jens Berger
Sechs schwerreiche Amerikanerinnen werden ins „All“ geschossen und diese Kirmesveranstaltung, die sich selbst als „feministisches Signal“ verkauft, schafft es sogar bis in die deutschen Tagesthemen. Mit an Bord waren nämlich die Popsängerin Katy Perry und eine gewisse Lauren Sánchez, bekannt als Verlobte des je nach Börsenkurs reichsten, zweitreichsten oder drittreichsten Mann der Welt, dem Amazon-Gründer Jeff Bezos, dessen Weltraum-Touristik-Unternehmen „Blue Origin“ die postfeministische Sause veranstaltet hat. Nach dem Flug schwärmte Sánchez von einer „Pionierleistung von Frauen und Müttern, die alles erreichen können“. Ob das die Arbeiterinnen bei Amazon, die letztlich den mehrere Millionen Dollar teuren dekadenten Ausflug mit ihren Hungerlöhnen erst ermöglicht haben, auch so sehen? Willkommen in der Endzeit. Eine Glosse von Jens Berger.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Der erste Primat im Weltall war der Schimpanse Ham, den die Amerikaner 1961 im Rahmen des Mercury-Programms auf eine Gipfelhöhe von 253 Kilometer schossen. Ob Ham dies in den sozialen Netzwerken damals als „Pionierleistung für Primaten, die alles erreichen können“, gefeiert hat, ist leider unbekannt. Immerhin wurde Ham damals für seinen Einsatz mit einem Apfel und einer Orange belohnt, erreichte das für Schimpansen solide Lebensalter von 25 Jahren und ist heute ausgestopft in einem Museum für Raumfahrt in New Mexico zu bewundern. Zumindest Letzteres dürfte den sechs Damen, die gestern ins All geschossen wurden, wohl verwehrt bleiben.
War Ham noch ein mehr oder weniger freiwilliger Pionier der Raumfahrt, erschließt sich dem Beobachter auf den ersten Blick nicht so recht, welche Pionierleistung damit verbunden sein soll, sich für einen hohen sechsstelligen Betrag als Tourist ins All schießen zu lassen. Noch weniger erschließt sich, was das nun mit Feminismus zu tun haben soll. Ob Männlein, Weiblein oder Schimpanse – der heutige Weltraumtourismus hat mit Wissenschaft ungefähr so viel zu tun wie ein Besuch im Bordell mit wahrer Liebe. Dass dies die Herren und Damen Weltraumtourist*innen anders sehen, gehört wohl zum Geschäftsmodell. Aber das ist im Bordell ja auch oft nicht anders.
Nun schwärmt Frau Sánchez von einer „Pionierleistung für Frauen und Mütter“, Frau Perry sieht ihren Flug als „Inspiration für junge Mädchen“. Worin genau besteht die Inspiration? Lass Dir die Brüste machen und angele Dir einen Milliardär? Der schießt dich dann ins Weltall. Toll.
Warum es überhaupt inspirierend sein soll, für geschätzt 700.000 Dollar für 10 Minuten in einem fliegenden Phallus durch die Gegend zu fliegen, steht in den Sternen. Nichts gegen die echte Raumfahrt, bei der Wissenschaftler (m/w/d) den Weltraum erkunden oder im All das Wissen der Menschheit mehren. Das hat aber mit Verlaub überhaupt nichts mit dem Kaffeekränzchen der sechs Damen in Jeffs fliegendem Penis zu tun, das nun von aller Welt wahlweise bewundert oder belächelt wird. Hier ging es bestenfalls darum, die 14,5 Fantastilliarden Follower auf Social Media zu bespaßen und für das Weltraumtourismusunternehmen von Herrn Bezos Reklame zu machen.
Dessen Vermögen wird aktuell auf 200 Milliarden Dollar geschätzt. Reich wurde er durch sein Unternehmen Amazon, das sich vor allem dadurch auszeichnet, seine Mitarbeiter (m/w/d) auszubeuten und den stationären Einzelhandel aussterben zu lassen. Aber ja, was Frauen und Mütter heute so erreichen können, ist schon Wahnsinn. Wenn sie sich einen Milliardär angeln, lassen sie sich ins Weltall schießen. Wenn sie das Pech haben, als alleinerziehende Mutter bei Amazon zu arbeiten, reicht es mit Mühe und Not vielleicht für eine Fahrt in der Achterbahn auf der Dorfkirmes. Aber immerhin sind sie inspiriert, das zählt ja auch.
Aber vielleicht sollte man das auch nicht so sauertöpfisch sehen. Immerhin fühlte sich die Popbardin Perry ja tatsächlich überwältigt. Als sie die Erde aus dem All sah, trällerte sie den Klassiker „What a wonderful world“ (der sicher bald als Special-Compilation fünfzig Milliarden Aufrufe bei Spotify erzielen wird) und brabbelte etwas von „unserer Mutter Erde“, die „es zu schützen gelte“. Allerliebst. Das erinnert an einen Großwildjäger, der Elefanten abknallt, um auf die Gefährdung dieser Tierart aufmerksam zu machen. Wir müssen auf Plastiktrinkhalme verzichten, um die Welt zu retten, und kriegen schon ein schlechtes Gewissen, wenn wir im Flieger nach Mallorca sitzen – und Frau Perry verballert mal eben den Energiebedarf eines afrikanischen Kleinstaates, um sich im All naive Gedanken über Mutter Erde zu machen.
Aber so ist das wohl in der Endzeit. Nur nicht darüber nachdenken. Schon gar nicht als alter weißer Mann, denn das wäre womöglich gar sexistisch und zeigt nur, dass Menschen wie mir der intellektuelle Zugang fehlt, um dieses Glanzstück des (Post-)Feminismus richtig einzuordnen. Ham, beam me up. There is no intelligent life on this planet.
Titelbild: Blue Origin
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