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Titel: Komplette Aufrüstung: Auch die Kirchen kriegen die Kurve zur militaristischen Zeitenwende hin
Datum: 10. April 2025 um 9:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Aufrüstung, Kirchen/Religionen, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich: Redaktion
Ein Artikel der Evangelischen Zeitung lässt aufhorchen, der Titel lautet „Rüstung: Kirche leitet Zeitenwende ein“. Vertreter aus Kirchenkreisen und erstmals (!) auch aus der Rüstungsindustrie sind bei einer Tagung der Evangelischen Akademie Loccum zusammengetroffen. Die Teilnehmer genossen die würdevolle Atmosphäre und ihr Aufeinanderzugehen, alles gut geeignet, sich auf eine gemeinsame Linie Richtung allseitiger militaristischer Aufrüstung zu verständigen. Beim Erarbeiten einer Einsicht war man sich folglich einig, so die Zeitung. Ein Zwischenruf von Frank Blenz.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Treffen mit Rüstungsindustrie heißt bei Loccum „Friedensethisches Seminar“
Richtig ist zunächst, dass sich auch die Kirche mit wichtigen Themen der Gesellschaft beschäftigt, sich einmischt, besonders jetzt, da Worte wie Aufrüstung, Wehrhaftigkeit, Kriegstüchtigkeit Hochkonjunktur haben. Nebenbei erwähnt beobachte ich mit Bedauern und Ernüchterung, dass die Kirchen sich ziemlich wegducken. Ich vermisse kraftvolle, direkte Forderungen von der Kanzel gegen die gegenwärtigen Kriege, in der Ukraine, in Gaza, in Afrika. Mir fehlen Geistliche, die zahlreich und wortstark, wie Theologen ja sind, in den Medien, in TV-Sendungen auftreten und sich nicht in die Front der Mobilmachung einreihen. Hoffnung weckend sind Ausnahmen, dazu am Schluss.
Zumindest ein Seminar wie das bei Loccum, von dem die Evangelische Zeitung berichtet, gehört an und für sich zu diesem geforderten Engagement der Kirche. Doch scheint mir nach Lektüre des Artikels in der Evangelischen Zeitung, dass die ehrgeizigen wie rücksichtslosen Vorhaben der eingeladenen Rüstungsindustrie vonseiten der Geistlichen schließlich einen verständnisvollen Segen erhalten haben. Wer soll denn schon etwas gegen Verteidigungsfähigkeit haben?
Die „Zeitenwende” und die Frage der Aufrüstung beschäftigt die Kirche. Neuerdings sucht sie Kontakt zur Rüstungsindustrie.
Ähnlich wie große Teile von Politik und Gesellschaft scheint auch die Kirche eine „Zeitenwende“ bei der Frage nach der Aufrüstung zu vollziehen.
Kürzlich haben sogar erstmals Vertreter der Rüstungsindustrie an einer friedensethischen Tagung in der Evangelischen Akademie Loccum teilgenommen.
Quelle: Evangelische Zeitung
Wohlformulierte Einsichten pro Rüstung und Wiederholung von Sicherheitsphrasen
Die Evangelische Akademie Loccum bei Hannover ist ein Veranstaltungsort, welcher verheißungsvoll beworben wird:
In christlicher Verantwortung gestalten wir einen Ort gesellschaftspolitischer Debatten, um kritische Begegnung, Demokratie und Frieden zu fördern.
Quelle: Loccum
So weit, so gut. Das Seminar mit der Rüstungsindustrie war eine solche kritische Begegnung. Und Thomas Müller-Färber, der Studienleiter der Akademie Loccum kommt im Artikel zum Schluss:
„Es haben sich nicht alle Positionen in Wohlgefallen aufgelöst. Aber es gab eine Bewegung aufeinander zu und die Einsicht, dass man verteidigungsbereit sein muss.“
Welch schön verpackte Einsicht. Mit derlei Worten wird durch den Vertreter einer kirchlichen Einrichtung (in christlicher Verantwortung) aber tatsächlich durchgewinkt, dass diese Karte „Verteidigungsbereitschaft“ in einer Dimension ausgereizt wird, die unsere Gesellschaft, Demokratie und Frieden eingeschlossen, bedroht und nicht etwa verteidigt, beschützt, deeskaliert. Die Kirche geht auf die Rüstungsindustrie zu. Mehr noch, der Studienleiter unterscheidet sich nicht von den vielen Befürwortern der Militarisierung. Müller-Färber verwendet gleiche Phrasen zum Empören, findet Militarisierung gut, weil sie angesichts der „sicherheitspolitischen Lage“ (Achtung, Phrase!) notwendig sei. Zitat:
„Wir erleben derzeit eine enorme Militarisierung des Diskurses, die angesichts der sicherheitspolitischen Lage notwendig ist“, sagt der Politikwissenschaftler (= Müller-Färber).
Immerhin hält der Experte aus dem Hause Loccum doch ein bisschen inne, wobei das Aufwachen reichlich spät erfolgt:
„Wir sind aufgewacht und reden so viel über Waffen und Bedrohung, dass wir allerdings aufpassen müssen, nicht in Militarismus zu verfallen.“ Da sei die Kirche als Vermittler gefragt.
Militarisierung ja, Militarismus nein. Was ist das für eine Logik?
Wohin der Blick in unsere Gesellschaft sich auch richtet, allerorten, hier bei Loccum, in der Evangelischen Zeitung usw., so scheint es, steht ein einziges Wort mit seiner destruktiven, reaktionären Hinterlist auf der Tagesordnung: Zeitenwende. Die Wucht der Präsenz dieses harmlos wirkenden Doppel „Zeiten und Wende“ ist gewaltig. Der Penetranz, der ständigen Wiederholung, dem widerstandslosen Hinnehmen, dass diese Zeiten sich halt in dieser reaktionären Form wenden, wird wenig bis nicht widerstanden. Wurde bei dem friedensethischen Seminar etwa gefragt, ob wir eine solche Wende überhaupt brauchen? Der Bericht der Evangelischen Zeitung sagt nicht aus, er konnte wohl nicht mit Informationen gefüttert werden, die Hoffnung machen wie: Geistliche, die darauf aufmerksam machen, dass bei den Rüstungskonzernen die Sektkorken knallen – Tag für Tag, dass die Aktienkurse auf Höhen steigen, die atemlos machen. Hat ein Seminarteilnehmer etwa ausgesprochen, was NDS-Autor Marcus Klöckner in seinem Artikel offenbarte?:
„Das politische Großvorhaben Kriegstüchtigkeit baut auf Lüge, Paranoia und eine schamlose Verdrehung der Realität. Geht es nach dem politischen Willen, soll die gesamte Republik kriegstüchtig werden, um bei einem Angriff Russlands kämpfen zu können. Doch warum sollte Russland die NATO angreifen? Dafür gibt es keinen Grund. Es wird Zeit, der Lüge die Luft abzulassen.“
Und auch das sollte in einem friedensethischen Seminar zur Sprache kommen:
Es ist lange nach 12 Uhr, es ist an der Zeit, dieser reaktionären Mobilmachung eine Mobilmachung entgegenzustellen, die dem Frieden, der Entspannung, dem Miteinander, dem Zivilisatorischen zugewandt ist. Wir brauchen keine Mobilmachung, keine Aufrüstung, keine Kriegsbereitschaft in allen Ecken des Landes und in den Gedanken der Menschen. Wir verdienen eine echte Zivilgesellschaft, die in allen zivilen Bereichen gut ausgestattet ist und in der die Defizite engagiert friedlich in Angriff genommen werden für eine lebenswerte, entspannte Gesellschaft.
Quelle: NDS
Und doch – es gibt Lichtblicke aus Kirchenkreisen
„In einer Zeit, in der Pazifismus belächelt und verspottet wird, ist uns wichtig, dass Menschen verschiedenster Herkunft und Motivation sich wieder zusammentun. Frieden ist keine Illusion, Frieden ist machbar. Wir können uns ent-rüsten!“
Wer das sagt, das sind die Pfarrerin Margot Käßmann und der Musiker Konstantin Wecker, die ein gemeinsames Buch verfasst haben: „Entrüstet euch!“
Quelle: Margot Käßmann
Titelbild: Shchus / Shutterstock
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