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Titel: Die Chefs von AWO, Diakonie und Rotem Kreuz und der Kommunalverbände plädieren in einem Brief an die Große Koalition für eine Senkung der „passiven Leistungen“ bei Hartz IV

Datum: 19. Mai 2006 um 11:22 Uhr
Rubrik: Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Hartz-Gesetze/Bürgergeld, Soziale Bewegungen
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Die Chefs dieser Verbände fordern – angeblich in „persönlichen Erklärungen“ -, „die gegenwärtigen Anspruchsgrundlagen und –voraussetzungen“ zu überprüfen. Diese verringerten nämlich den „Anreiz zur Arbeitsaufnahme“. Den Chefs der Wohlfahrtsverbände und Kommunen kann es da – angesichts der Arbeitsmarktlage – wohl kaum um eine „Arbeitsaufnahme“ auf dem regulären Arbeitsmarkt gehen, sondern eher darum, den Druck auf die Arbeitslosen zur Annahme von 1-Euro-Jobs gerade auch bei ihren Organisationen zu erhöhen. Schließlich verdienen sie an den ihnen erstatteten Verwaltungskosten für die 1-Euro-Jobber reichlich Geld und können unter dem Mantel der Wohlfahrt billigste Arbeitskräfte ausnutzen. Bei der Nächstenliebe sind sich eben auch die Chefs der Wohlfahrtsindustrie selbst am nächsten.

Wilhelm Schmidt, Chef des Arbeiterwohlfahrt-Bundesverbandes, Diakoniepräsident Jürgen Gohde und der Generalsekretär des Deutschen Roten Kreuzes, Clemens Graf von Waldburg-Zeil sind schon häufiger weniger als die Wahrer der Wohlfahrt von Arbeitslosen denn als Interessenswahrer ihrer eigenen und der Staatsfinanzen in Erscheinung getreten. Ihre Haltung vor allem zu Hartz IV war stets merkwürdig wohlwollend. Kein Wunder, ihnen war das Hemd (der Unterhalt ihrer eigenen Organisationen) schon immer näher als der Rock (der Unterhalt der Arbeitslosen).

Was nämlich immer noch nicht allgemein bekannt ist, die Wohlfahrtsverbände sind neben den Kommunen die Hauptnutznießer der 1-Euro-Jobber und sie nehmen durch die „Verwaltung“ der Billigstjobber noch gutes Geld ein, nämlich bis zu 500 Euro pro Monat pro zugewiesenen 1-Euro-Jobber. Das erklärt ihr Interesse, die „Anreize zur Arbeitsaufnahme“ zu erhöhen.

Deshalb haben wohl auch die kommunalen Spitzenverbandsvertreter, wie der Präsident des Städtetages Christian Ude oder Roland Schäfer, der Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, der Präsident des Deutschen Landkreistages Hans Jörg Duppré, diesen Brief an die CDU- und SPD-Bundestagsfraktionen und an den Finanzminister sowie den Sozialminister mit unterzeichnet.

Nochmals zur Erinnerung:

  • Zusammen mit dem Geld für die Ein-Euro-Zahlungen an den Arbeitslosen wird den Trägern der Ein-Euro-Maßnahme, also den karitativen und anderen gemeinnützigen Organisationen, ein Betrag für die Verwaltung der Ein-Euro-Jobber gezahlt. Der Gesamtbetrag ist seltsamerweise Verhandlungssache. Es dürfen bis zu 500 Euro sein. Der Betrag dürfte nach Schätzungen zwischen 300 und 500 Euro pro Monat liegen.
  • Bei Arbeitszeit mit einer Höchstgrenze von 30 Stunden pro Woche kommt ein 1-Euro-Jobber also auf rund 130 Stunden im Monat, das macht 130 Euro im Monat. Es kann ein bisschen mehr sein, weil manche Organisationen mehr als einen Euro zahlen.  Wenn wir zum einen davon ausgehen, dass im Durchschnitt 400 Euro (= die Mitte zwischen 300 und 500) als Zahlung der Bundesagentur an die gemeinnützigen Organisationen ausgehandelt werden, und zum anderen annehmen, es würden im Schnitt 150 Euro pro Arbeitslosen gezahlt, dann bleiben nach dieser Rechnung 250 Euro als Verwaltungskostenentschädigung bei den Trägern der Maßnahme hängen. Der Träger bekommt also nicht nur eine kostenlose zusätzliche Arbeitskraft, er bekommt noch 250 Euro obendrauf. Bei 10 engagierten Ein-Euro-Jobbern sind das 2500 und bei 100 engagierten Personen 25.000 Euro im Monat.

Für Institutionen, die vom Gesetz geforderte gemeinnützige Arbeiten anbieten können, also eben vor allem die Wohlfahrtsverbände und die Kommunen, ein lukratives Geschäft.

Da bleibt das soziale Denken schon mal auf der Strecke. Wie betriebs(wirtschafts)blind die Unterzeichner gegenüber der Realität und vor allem gegenüber einem der Wohlfahrt verpflichteten Gerechtigkeitsdenken sind, zeigt sich vor allem darin, dass sie besonders – wie von der CDU schon länger gefordert – die „Freibeträge bei Einkommen und Vermögen“ kürzen wollen. D.h. konkret, dass die Briefschreiber die Übergangszahlungen bei denjenigen Arbeitslosen beschneiden wollen, die über lange Jahre beschäftigt waren, und bisher – zur Milderung des Absturzes vom regulären Arbeitslosengeld auf das Bedürftigenniveau des Alg II – einen vorübergehenden Zuschuss von monatlich 160 Euro im ersten Jahr und von 80 Euro im zweiten Jahr erhalten. Und sie fordern darüber hinaus, dass gerade solche Menschen, die in ihrem Arbeitsleben vorgesorgt und etwas angespart haben, ihr gespartes „Vermögen“ noch stärker angreifen müssen und damit für ihre sonst so gelobte private Vorsorge noch mehr bestraft werden.
Die „Wohlfahrtsverbände“ schließen sich also jetzt den Kommunalverbänden an und fordern nunmehr auch, dass Menschen die 20, 30 oder 40 Jahre gearbeitet haben nach dem Arbeitslosengeld noch schneller auf Sozialhilfeniveau fallen.

Statt sich für die wirkliche soziale Lage der Arbeitslosen einzusetzen und sich um die Wohlfahrt der Ärmsten zu kümmern, verkommen als jetzt selbst die Chefs der Wohlfahrtsverbänden zu Exekutoren des Abbaus des Wohlfahrtsstaates und zur Propagandisten eines zynischen Zwangs zur Arbeit durch weitere Verarmung der von Arbeitslosigkeit Betroffenen – ein Paradigmenwechsel vom „soziokulturellen Existenzminimum“ zum physischen Existenzminimum oder alttestamentarisch: „wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“.

Der Begriff der „Wohlfahrt“ wurde in der Geschichte schon einmal pervertiert: Am Ende der französischen Revolution gab es einen „Wohlfahrtsausschuss“, der in einer Schreckensherrschaft endete. Von diesem Schrecken sind wir zwar noch entfernt, aber erschrecken muss es einen schon, welche Druckmittel heute wieder im Namen der Wohlfahrt gegenüber überwiegend schuldlos arbeitslose Menschen eingesetzt werden sollen, um sie mittels weiterer Verarmung zur Arbeit ohne Lohn zu zwingen.


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