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Titel: Traut Euch und durchbrecht die Schweigespirale!
Datum: 7. April 2025 um 9:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Aufbau Gegenöffentlichkeit, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich: Redaktion
Am 30. März veröffentlichten 15 Experten aus der Wissenschaft mit Schwerpunkt in der Außen- und Sicherheitspolitik eine Stellungnahme mit dem Titel „Rationale Sicherheitspolitik statt Alarmismus“. Darunter Wissenschaftler, die im Bereich der außen- und sicherheitspolitischen Forschung Rang und Namen haben, beispielsweise der von mir geschätzte A. Pradetto der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr Hamburg sowie Ch. Hacke, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, meiner Alma Mater. Initiator ist der Politikwissenschaftler J. Varwick der Uni Halle. Die Kriegspropaganda stößt endlich auch in der Fachwelt an ihre Grenzen und erfährt Widerstand – hoffentlich folgt diesem Schritt auch bald ein lauteres gesellschaftliches NEIN. Von Alexander Neu.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Ein C. Masala, eine C. Major oder ein C. Mölling reisen von einer Talkshow in die andere, werden von einem Mainstreammedium zum anderen als Interviewpartner gereicht und der deutschen Öffentlichkeit als die ultimativen „Experten“ für Sicherheitspolitik verkauft, obschon ihre Aussagen zum Ukraine-Krieg bisweilen weit mehr vom Wunschdenken statt klaren Analysen gekennzeichnet waren und sind und sie sich mit Politikern wie A. Strack-Zimmermann die Bälle gegenseitig zuwerfen. Dies zunächst in der Beurteilung des Kriegsverlaufs (Ukraine kann Krieg gewinnen), später dann in der Schuldfrage, warum die Ukraine in die Defensive gerät respektive den Krieg zu verlieren droht (Westen hat zu wenig Waffen geliefert), und nun mit ebenso starker Propaganda die Forderung nach massiven Aufrüstungen EU-Europas angesichts eines bevorstehenden russischen Überfalls auf die NATO erheben.
Und dies sogar mit konkreter Terminnennung: Nämlich am Montag, den 27. März 2028, findet der Angriff auf Estland statt, so C. Masala in seinem neuesten „wissenschaftlichen“ Werk „Wenn Russland gewinnt“. Ob der Kreml diesen Termin auch kennt? Aber Herr Masala ist nachlässig, fehlt doch noch die Uhrzeit. Ich persönlich vermute, so ab 05:45 Uhr wird geschossen – Sommerzeit – einen Tag zuvor werden erst die Uhren umgestellt. Der Russe wartet den Beginn der Sommerzeit ab.
Andere Experten zeigen sich im Hinblick auf die Terminlage noch unsicherer: Irgendwann zwischen 2028 bis 2030. Der Militärhistoriker und in den Medien ebenfalls nicht mehr wegzudenkende – wenn es um sicherheitspolitische „Expertise“ geht – Militärhistoriker, S. Neitzel, liegt irgendwo dazwischen und fabuliert vom an die deutsche Romantik erinnernden „letzten Friedenssommer“, den wir möglicherweise in Europa erleben werden. Diese Wortwahl ist gezielt getroffen, lehnt sie sich doch an die beiden letzten Friedenssommer 1914 und 1939 – also den jeweiligen Beginn der beiden Weltkriege – an. Damit erreichte er viel mediale Aufmerksamkeit – auch persönliche, was ihm sicherlich nicht missfallen dürfte.
Fassen wir also zusammen: Laut diesen Experten stelle sich nicht mehr die Frage, ob der Russe einfällt, sondern nur, wann er es tut. Und tatsächlich ist es nicht auszuschließen, dass Europa in den nächsten Jahren einen großen Krieg erfahren wird. Die in meinen Augen derzeit gefährlichste Zündschnur liegt indessen weniger in einer russischen Aggression gegen die NATO, da Moskau weder über die Fähigkeiten verfügt, noch meiner gegenwärtigen Einschätzung nach die Absichten dazu hegt. Denn das primäre Kriegsmotiv ist entgegen des hiesigen Kriegsnarrativs nicht in einer territorialen Expansion, und erst recht nicht mit Blick auf Territorien mit nicht-russischsprachigen Bevölkerungen zu finden, sondern in einem sicherheitspolitischen Motiv: Stopp der NATO-Osterweiterung – und somit deren Verlegung von Personal und Infrastruktur an die russischen Grenzen -, insbesondere in den postsowjetischen Raum hinein.
Ein Motiv, welches zu benennen die oben genannten „Experten“ tunlichst zu vermeiden versuchen, da es das eigene Narrativ erschüttern würde. Und hier sind wir bei dem Punkt, warum die oben genannten „Experten“ im Ergebnis (nahender Krieg in Europa) denn doch noch recht haben könnten: Die Entsendung EU-europäischer Truppen in die Ukraine, ob mit oder ohne Nutzung von NATO-Strukturen. Dieses derzeit von Paris und London vorangetriebene Hasardeursprojekt trifft auf das primäre Kriegsmotiv der Russischen Föderation – keine westlichen Truppen und Strukturen in der Ukraine. Das primäre russische Kriegsmotiv außer Acht zu lassen oder gar zu negieren, ist mehr als nachlässig. Man könnte sogar sagen, dass auf diese Weise ein großer europäischer Krieg geradezu heraufbeschworen wird.
Mainstreammedien und ihre Dauergäste
Warum diese „Experten“ meist ohne Diskursgegner in den Medien herumgereicht und als die Koryphäen abgefeiert werden, ist unschwer zu erkennen, schaut man sich die manipulative Berichterstattung nicht weniger Mainstreammedien an: Eskalation gegen und Konfrontation mit Russland, statt Diplomatie und dem Streben nach einer neuen – alle Konfliktparteien einschließenden – Sicherheitsarchitektur. Ganz so, als sei Russland keine Nuklearmacht. Meine Kritik an der Eskalations- und Konfrontationsrhetorik in westlichen und deutschen Redaktionsstuben relativiert nicht im geringsten die Verantwortung Moskaus für den unmittelbaren Krieg gegen die Ukraine. Meine Kritik soll jedoch das gesamte Konfliktbild zeichnen, mithin die Mitverantwortung im Westen für den gegenwärtigen Zustand in Europa. Und in Deutschland kann man eine ungesunde Diskurstriade von Medien/Journalisten, sogenannten Sicherheitsexperten und Sicherheitspolitkern beobachten, die sich gegenseitig in ihrer Eskalationskommunikation verstärken und ja auch kontrollieren, damit ja niemand unter ihnen dissidiert. Abweichende Stimmen kommen entweder gar nicht zu Wort oder werden bestenfalls in Talkshows als Quotendissidenten mit drei oder vier Gegen-„Experten“, die die Aufgabe haben, den Quotendissidenten als umstrittenen Irrläufer plattzumachen, eingeladen.
Das Ziel ist es, das herrschende Narrativ zu festigen und jegliche Zweifel an diesem zu unterdrücken. Dabei bedient man sich dem in einer Gesellschaft weitverbreiteten Konformitätswunsch und der Angst der individuellen Selbstisolation aufgrund von Diskursabweichungen. Die von der Kommunikationswissenschaftlerin und Päpstin der Meinungsumfragen E. Noelle-Neumann entwickelte Theorie der Schweigespirale erfasst diesen Umstand sehr treffend.
Die Theorie der Schweigespirale beschreibt die Kommunikationsdynamik in der öffentlichen Meinung wie folgt: Die sich durchsetzende Meinung wirkt stärker, als sie tatsächlich ist. Durch das Schweigen eines eingeschüchterten Teils der Gesellschaft entsteht ein verzerrtes Bild der „Häufigkeitsverteilung“ von Meinungspositionen zu kontroversen Themen. Auf diese Weise kann ein eigentlich von einer Mehrheit getragenes Narrativ von einer sehr aktiven und lautstarken Minderheit in die Defensive gedrängt werden. Das eigentlich von der Minderheit artikulierte Narrativ wird zunehmend als gesamtgesellschaftliches Narrativ wahrgenommen, obschon es das nicht ist. Die Mehrheit schweigt aufgrund der Ängste vor sozialer Ausgrenzung und Isolation. Und je aggressiver die Minderheit ihr Narrativ artikuliert, desto größer der Einschüchterungseffekt. Diffamierungen wie Nazi-Beschimpfungen, Putintroll, Antisemit etc. sind mächtige rhetorische Waffen, um Andersdenkende zumindest dahin einzuschüchtern, dass diese sich aus dem Kommunikationsraum zurückziehen. Und damit ist der Zweck erfüllt: Es gibt nur noch eine Wahrheit, die richtige Wahrheit.
Und selbst die fehlerhaftesten Aussagen, ja geradezu die demonstrativ vor sich hergetragenen Bildungsdefizite werden nicht hinterfragt – weder von der schweigenden Mehrheit, weil eingeschüchtert, noch von der aggressiv agierenden Minderheit und ihren Journalisten, um die eigene Gruppe nicht zu schwächen. Selbst hanebüchene politische Aussagen, die mehr an eine Märchenstunde erinnern, denn eine politisch seriöse Darstellung sind, wie sie kürzlich eine Frau Strack-Zimmermann ausführte, werden unwidersprochen ausgestrahlt und der Öffentlichkeit zugemutet, was diese zu schlucken hat. Und selbstverständlich gibt es dann keinen Faktenchecker, die sich diesen sehr auffälligen und leicht zu widerlegenden Unwahrheiten annehmen.
Durchbrechen der Schweigespirale
Die Theorie der Schweigespirale zeigt indessen auch einen Ausweg: „Das Konzept der Schweigespirale reserviert die Möglichkeit, die Gesellschaft zu verändern, demjenigen, der Isolationsfurcht nicht kennt oder sie überwindet.“, so E. Noelle-Neumann (zitiert nach Michael Kunczik u.a. in: „Publizistik“). Zu dem Personenkreis, die diese Isolationsfurcht nicht haben oder sie wieder durchbrechen, gehörten eben auch Wissenschaftler.
Und hier kommen wir zurück zu der oben genannten Stellungnahme der 15 Sicherheitsexperten, die einen sehr wichtigen Beitrag dazu leisten, dieses Schweigen der Mehrheit aufzubrechen, sozusagen als intellektuelle Vorkämpfer den Diskursraum wieder gegen die Widerstände der dominanten Minderheit öffnen. Diese Wissenschaftler tun dies selbst dann, wenn ihnen eine Diffamierungskampagne oder soziale und akademische Isolation droht. Die Unverfrorenheit, mit der eine Kriegspropaganda seitens der aktiven Minderheit gefahren wird, dürfte diese 15 Personen aus der Zurückhaltung gelockt haben, da sie die Gefahren der Eskalation einzuschätzen in der Lage sind. Und schon melden sich die ersten Konzernmedien zu Wort, die die Redlichkeit und Seriosität des Initiators, J. Varwick, in versuchen infrage zu stellen: So schreibt Focus-Online:
„Varwick war seit Beginn des Ukraine-Krieges wiederholt mit Ansichten aufgefallen, die als zu russlandfreundlich kritisiert wurden. Er war gegen Waffenlieferungen und sagte im Juli 2022, die Ukraine sei „sowieso verloren“.
Also, J. Varwick ist „aufgefallen“, da er das vorherrschende Narrativ infrage stellt und sich damit außerhalb des geduldeten Diskursbereichs bewegt. Und dann auch noch mit „russlandfreundlichen“ Ansichten, die „kritisiert wurden“. Was aber sind denn genau „russlandfreundliche“ Ansichten und von wem wurden sie denn „kritisiert“? Antwort: „russlandfreundliche Ansichten“ sind alle Ansichten, die das vorherrschende Konfliktnarrativ nicht teilen, sondern infrage stellen oder sogar andere Narrative anbieten. Und „kritisiert“ werden sie von denen, die das Konfliktnarrativ als einzig gültiges Narrativ sehen wollen und einen offenen Diskurs vehement ablehnen und daher diese Person gesellschaftlich und wissenschaftlich ganz im Sinne der Theorie der Schweigespirale zu isolieren suchen.
So dann auch der STERN, der es sich auch nicht verkneifen konnte, J. Varwick mal wieder als „umstritten“ zu deklassieren, also zu versuchen, dessen Seriösität als Wissenschaftler zu diskreditieren: „Initiator des Appells ist der umstrittene Politologe Johannes Varwick, der an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg lehrt.“
Eine der ersten medial wahrgenommenen Personen, der jenseits der politischen Klasse das vorherrschende Konfliktnarrativ infrage stellte, ist der Philosoph D. R. Precht. Bereits 2014 zeigte er auch die Vorgeschichte des Konfliktes auf. Und kürzlich legte er im Gespräch mit M. Lanz nach und bezeichnete das Eskalationsnarrativ als „Massenwahn“.
„Ich glaube, da spinnen ganz viele ganz, ganz beträchtlich. Und es ist ihnen gar nicht klar, wie sehr sie spinnen und was für ein Unheil sie damit anrichten.
Mich erinnert das daran, wie in dem hervorragenden Buch von Christopher Clark es beschrieben wurde: ,Die Schlafwandler´. Wir steigern uns von Tag zu Tag in immer größere Bedrohungsphantasien rein. Fangen an, diese Bedrohungsphantasien mit der Realität zu verwechseln. Glauben, dass die Russen unmittelbar davorstehen, Polen anzugreifen oder Deutschland anzugreifen. (…) Ich finde das alles so absurd. (…) Aber man weiß ja, wie das ist. Wenn bestimmte Behauptungen, bestimmte Thesen, bestimmte Befürchtungen, bestimmte Ängste wiederholt und wiederholt und wiederholt werden, fangen immer mehr Menschen an, das für die Realität zu halten. Und dann beginnt ein sich verselbstständigender Prozess. Und das ist das, was sich glaube, was wir im Augenblick erleben. Und solche Prozesse sind dann wirklich Wahn und sind dann gefährlich.“
Aber auch zahlreiche Autoren in den alternativen Medien haben sich nicht einschüchtern lassen. Nun aber scheint es, dass mit D. R. Precht sowie den 15 Experten ein wirklicher Riss in dem Konfliktnarrativ entstanden ist. Die Kriegspropaganda stößt an ihre Grenzen und erfährt Widerstand – hoffentlich auch ein gesellschaftliches NEIN. Es ist nun an der Gesellschaft, diesen Widerstand der 15 Experten aufzunehmen und das Eskalationsnarrativ zurückzuweisen, damit dem Schlafwandeln ein Ende gesetzt wird.
Titelbild: Shutterstock / Pictrider
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