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Titel: FDP haushoch drin und Linke dezimiert draußen – und keiner kommt auf die nahe liegende Erklärung: Meinungsmache

Datum: 7. Mai 2012 um 9:12 Uhr
Rubrik: Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Strategien der Meinungsmache, Wahlen
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Am Wahlabend kurz vor Mitternacht hat der Deutschlandfunk den Bonner Politologen Frank Decker interviewt. Kein Wort zu den Kampagnen und den ungleich verteilten Mitteln der Meinungsmache. Alles ist irgendwie objektiv begründet. Selbst solche absurden Schwankungen wie bei der FDP. Dabei sind die Kampagnen und die Kampagnenmacher deutlich erkennbar. Wenn man die Rolle erkannt hat, die publizistische und finanzielle Macht für die Prägung von Meinung und damit auch für die Prägung von politischen Entscheidungen und damit auch von Wahlentscheidungen spielen, dann bleibt einem nichts rätselhaft. Von Albrecht Müller

Als ich am 26. März wettete, dass die FDP in Schleswig-Holstein und/oder Nordrhein-Westfalen wieder in den Landtag einziehen wird (Siehe hier: „Ergänzung zur FDP: Die totale Manipulation ist möglich, also auch der Wiederaufstieg“) habe ich das ja nicht leichtfertig getan. Wolfgang Lieb und Jens Berger haben auch nicht zufällig diesen Beitrag über die FDP geschrieben. – Bei genauer Beobachtung kann man wissen, dass jene, die über viel Geld und publizistische Macht verfügen, Meinungen umdrehen können. 5 oder 6 % der Wähler zu überreden, dass es sinnvoll ist, die FDP zu wählen, obwohl sie eigentlich tot ist, ist kein Kunststück. Man hat das Geld für Plakate, man präsentiert neue Gesichter wie Kubicki und Lindner. Man hat die Unterstützung großer Medien wie im Falle NRWs jene des Kölner Stadtanzeigers. Man, im konkreten Fall die Strategen hinter der FDP, können mit Recht darauf hoffen, dass die öffentlich-rechtlichen Sender über die FDP berichten, als wäre es eine große Volkspartei, sie können darauf hoffen, dass anders als etwa bei der Linkspartei die Schwächen der FDP, ihre Entbehrlichkeit, die bei ihr gängige politische Korruption und die Dummheit mancher ihrer Repräsentanten nicht zur Sprache kommen. Das ist alles so machbar. Die totale Manipulation ist hier betrieben worden.

„Meinungsmache“ ist deshalb das wichtigste Suchraster für treffende Analysen. Nur wenn Sie bei solchen Vorgängen wie den gestrigen Wahlen prüfen, welche Rolle die Kampagnen der Meinungsmache gespielt haben, werden Sie in der Regel fündig, nicht in allen 100 % der erklärungsbedürftigen Fälle, aber bei ca. 80 % schon. Deshalb ist der Ansatzpunkt der NachDenkSeiten so richtig, deshalb nannte ein Leser meines Buches „Meinungsmache“ dieses einen „Augenöffner“. Die dort 2009 beschriebenen Dutzenden von Fällen der gezielten, manipulierenden Irreführung könnte ich inzwischen um noch ein paar Dutzend ergänzen.

Meinungsmache spielt auch eine zentrale Rolle bei der Entwicklung und Bewertung der Strategie von SPD (und Grünen). Da darf es kein klares Profil wie etwa bei Holland in Frankreich geben, da wird sorgfältig darauf geachtet, dass man auf die Fortsetzung der Agendapolitik setzt und sich damit letztlich nicht mehr – von kleinen Details abgesehen – von Frau Merkel und Herrn Schäuble und Herrn Brüderle unterscheidet. Und dann wundern sich die SPD-Genossen, dass die anderen immer noch die Nase vorn haben.

Klar, dass die angepassten Parteien bei ihren Wahlanalysen nicht auf die Idee kommen, sie könnten Opfer von Meinungsmache-Kampagnen geworden sein. Dann müsste man ja die armen Journalisten kritisieren. Das darf man nicht, weil man sonst abgestraft wird. Am gestrigen Wahlabend konnte man erleben, dass sogar der Vorsitzende der Linken inzwischen den Niedergang seiner Partei nicht mehr als Ergebnis einer systematisch betriebenen Kampagne versteht, sondern so analysiert wie es die Meinungsmacher wünschen: Die Linke hat verloren, weil sie zerstritten ist. Anders als manch andere schätze ich ja Klaus Ernst und finde, dass er unter widrigen Umständen einen vernünftigen Job macht. Deshalb finde ich es schade, dass er jetzt die gängige Analyse übernimmt, statt den noch verbliebenen Anhängern der Linken den Wahlverlust ehrlich zu erklären. Außerdem: Innerparteiliche Debatten und einen gewissen Streit an der Spitze wird es wie bei jeder Partei auch bei der Linken immer geben. Wenn man also den innerparteilichen Streit als Ursache des Niedergangs kennzeichnet, dann lädt man geradezu dazu ein, mit diesem Hinweis künftig immer getrieben und geschlagen zu werden.

Kampagnen der Meinungsmache über all. Und clever geplant. Und strategisch langfristig angelegt. Dazu ein Beispiel aus den Analysen und Kommentaren des Ergebnisses der französischen Präsidentenwahl. Dazu meldete SpiegelOnline gestern um 20:40 Uhr:

06. Mai 2012, 20:40 Uhr
Hollande siegt über Sarkozy
Der Präsident, der Frankreich enttäuschen muss

Eine Analyse von Mathieu von Rohr, Tulle
Der Favorit hat gesiegt: François Hollande ist neuer französischer Präsident. Die Wähler haben den Sozialisten mit rund 52 Prozent ins Amt gewählt – doch er wird viele Anhänger bitter enttäuschen müssen. Präsident Hollande hat einen der schwierigsten Jobs der Welt gewonnen. …

Um 1:37 Uhr des 7. Mai war das immer noch der Aufmacher von Spiegel online. Klar, die Botschaft ist auch wichtig, also lässt man sie lange an der Spitze. Die Überschrift soll vermitteln, dass die Positionen des neuen französischen Präsidenten sachlich fragwürdig sind und ihn die Realität einholen wird. Das liegt auf der Linie, die vorher bei Spiegel online/Managermagazin schon von Wolfgang Kaden intoniert worden ist: Zu Merkels Sparkurs gibt es eigentlich keine Alternative usw. – Fairerweise kann man anmerken, dass der Text des zitierten Artikels von Mathieu von Rohr differenzierter ist als die Überschrift. Aber die Überschrift eines Artikels bei Spiegel Online prägt nach aller Erfahrung mehr noch als der Text die Meinung anderer Journalisten.

Zum Abschluss des auf den NachDenkSeiten durchaus nicht neuen Themas Meinungsmache will ich noch einmal anmerken: Es ist nicht unsere Schuld, dass Meinungsmache in dem skizzierten Maße möglich ist. Wir haben nicht zu verantworten, was wir analysieren: dass heute die totale Gleichschaltung der Meinung möglich ist. Sie können heute zum Beispiel in deutschen Tageszeitungen und in den Sendungen unserer Fernseh- und Hörfunk-Sender kein anderes Wort als „Schuldenkrise“ oder „Staatsschuldenkrise“ für die Kennzeichnung der von der Finanzwirtschaft verursachten Krise lesen oder hören. So total ist die Manipulation verankert. – Und Sie werden jetzt in der weiteren Zeit auch nichts anderes mehr über die Linke hören, als die vom zitierten Bonner Professor Decker intonierte Linie: ‚Die Linke kann sich in den westdeutschen Ländern nicht verankern. Sie bleibt eine ostdeutsche Regionalpartei.’ Das ist die vereinbarte Botschaft. Die wird in der nächsten Zeit propagiert. Genauso wie die Botschaft, dass die FDP wieder da ist, dass ihr Problem nur der Vorsitzende Rößler ist, dass man selbstverständlich mit der FDP kommunal, landespolitisch und bundespolitisch koalieren darf. Mit korrupten Parteien kann man koalieren, weil wir alle korrupt sind. Das ist der Konsens im Hintergrund.

In diesem Kontext von Interesse ist auch noch die Beobachtung, dass die gesamte politische Wissenschaft, die in den Medien zur Sprache kommt, zur kritischen Analyse des Geschehens unwillig und unfähig ist. Der genannte Professor Decker steht nur als Synonym für seinen Beruf insgesamt. Die meinungsführende politische Wissenschaft wird ihrer Hauptaufgabe, das politische Geschehen aufklärend zu beschreiben und kritisch zu hinterfragen, nicht gerecht. Ein interessantes Phänomen. Man sollte sich immer dessen bewusst sein, damit man zumindest abschaltet, wenn einer dieser Professoren seine Stimme erhebt.


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