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Titel: Wochenrückblick – Doping für die FDP

Datum: 4. Mai 2012 um 13:07 Uhr
Rubrik: FDP, Strategien der Meinungsmache, Wahlen
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Kurz vor den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfahlen und Schleswig-Holstein nimmt die Medienkampagne für die FDP erneut Fahrt auf. Sollte die FDP den Einzug in die beiden Landtage schaffen, so hat sie dies nicht ihrer Politik, sondern einzig und allein der wohlwollenden Unterstützung der Medien zu verdanken. Gleichzeitig sorgt FDP-Comedian Rainer Brüderle mit einem Werbebrief für Aufsehen, der vom Steuerzahler mitfinanziert wurde. Von Wolfgang Lieb und Jens Berger.

Noch im März landete die FDP in Nordrhein-Westfahlen bei nahezu allen Umfrageinstituten abgeschlagen auf 2 Prozent. Nach den neuesten Umfragen könnte sie wieder in den Düsseldorfer Landtag einziehen. Ein ähnlicher Stimmungswechsel vollzog sich in Schleswig-Holstein. Auch dort könnte die FDP wieder im Landesparlament vertreten sein. Mit Ausnahme der Piratenpartei ist bei keiner anderen Partei ein so kurzfristiger Stimmungswechsel festzustellen.

Noch Ende März ist sie im Saarland um 8% auf 1,2% abgestürzt, die Zahl der ungültigen Stimmen lag höher als die Zahl der FDP-Wähler. Im Herbst letzten schrumpfte die FDP in Berlin mit 1,8% Stimmenanteil zur Splitterpartei. In Bremen ist sie aus der Bürgerschaft verschwunden.
Vier Landtagswahlen nacheinander gingen verloren.

Politisches Versagen und medialer Rückenwind

Was ist in den letzten beiden Monaten geschehen, das die tot gesagte FDP wiederbelebt haben könnte?
Hat sie ihre unsinnige Hauptforderung nach Steuersenkungen aufgegeben? Hat sie die skandalöse Hotelierssteuersenkung wieder angehoben? Hat sie ihren Kampf gegen die sozialen Sicherungssysteme und ihren Lobbyismus für die Privatversicherungen gestoppt? Hat sie etwas gegen die Steuerhinterziehung unternommen?

Nichts dergleichen ist geschehen. Sie hat sich gegen eine Transfergesellschaft für die entlassenen Schlecker-Mitarbeiterinnen gestemmt, sie blockiert die von der CDU (allerdings als Ablenkungsmanöver vom gesetzlichen Mindestlohn) vorgeschlagene Lohnuntergrenze, sie schiebt beim Betreuungsgeld den Schwarzen Peter der CSU zu und bei der Vorratsdatenspeicherung versucht sie sich über die Wahltermine zu retten.
Der Bundesparteitag Ende April in Karlsruhe war eher ein Flopp als ein Aufbruchssignal.

Es gibt keinen erkennbaren politischen Grund, womit die FDP den Verlust in der Wählergunst wieder hätte auffangen können. Es liegt ausschließlich an zwei Köpfen, die die FDP in Schleswig-Holstein und in NRW wieder in die Landtage einziehen lassen könnten: an Wolfgang Kubicki und Christian Lindner.

Kubicki kann seine Bekanntheit vor allem daraus ableiten kann, dass er sich notorisch gegen seine eigene Partei profiliert, indem er nicht nur dem eigenen Führungspersonal in den Rücken fällt, sondern der Steuersenkungspartei (folgenlos) die Anhebung des Spitzensteuersatzes empfiehlt.

Lindner hat außer seiner überraschenden Flucht als Generalsekretär nichts Neues aus der FDP zu bieten, als dass er die Holzköpfe der Düsseldorfer Landtagsfraktion verdeckt, die sich bei der zur Neuwahl führenden Abstimmung über den Haushalt böse verzockt hatten. Auf der FDP-Landesliste ist kaum ein neues Gesicht erkennbar.

Obwohl Lindner für den Absturz der FDP zumindest genauso verantwortlich ist, wie die Parteivorsitzenden Westerwelle und Rösler unter denen er Generalsekretär der Bundespartei war, wurde ihm mit seinem Neu-Antritt in NRW das Image eines Hoffnungsträgers verpasst. Und diesen Anschein verschafften ihm die Medien.

FDP-Unterstützung in den Medien

Es ist eine für jedermann beobachtbare Tatsache ist, dass vor allem die Person Christian Lindner eine massive mediale Unterstützung erfährt:

  • Lindner war schon immer ein Liebling der Journalisten, weil er ein begabter Redner ist und weil er sich als unausgesprochener Herausforderer des derzeitigen FDP-Vorsitzenden Rösler profiliert.
  • Anfang April fanden an einem Wochenende die Landesparteitage von SPD, FDP und der Linken statt. Ich habe sonntagabends mal auf google-News geschaut: Es gab über die damals zur Splitterpartei abgesackte FDP 395 Nachrichtenartikel im Angebot. Selbst über den Landesparteitag der Regierungspartei SPD gab es nur 280 Hinweise und für die Linke fand ich gerade einmal 26 Artikel. Ich habe mir an diesem Wochenende auch die Fernsehnachrichten angeschaut: In nahezu jeder Sendung erschien Lindner mit einem Redeausschnitt oder einem Interview.
  • So trommelt etwa der „überparteiliche“ Kölner Stadt-Anzeiger für die FDP. Unter der Überschrift „Lindner hat Kraft“ druckt das Blatt aus dem Hause Neven DuMont im redaktionellen Teil einen Wahlaufruf der prominenten Alt-FDP-Politiker Hans-Dietrich Genscher, Klaus Kinkel und Gerhart Baum in einem umfänglichen Zweispalter ab. Lindner und die FDP werden darin über den grünen Klee gelobt.
  • n-tv machte am Wochenende in einer dreiviertelseitigen Anzeige mit Lindner in Boxer-Haltung und unter der Überschrift „Mission Impossible“ Reklame für seine Nachrichtensendung.
  • Die BILD-Zeitung hatte in jeder Ausgabe dieser Woche auf ihrer (politischen) Seite zwei als Aufmacher einen FDP-Politiker: Hans-Dietrich Genscher („So lebe ich mit meiner neuen Herzklappe“) durfte Kubicki und Lindner als „aus dem Kreis der Mitbewerber der anderen Parteien herausragenden“ Politiker loben. Guido Westerwelle sollte von BILD mit der Timoschenko-Welle wieder nach oben gespült werden und dann wurde noch der FDP-Gesundheitsminister Daniel mit der „Zeitungsente“ hochgewirbelt, dass ältere Menschen keine Hüftoperation mehr bezahlt bekommen sollen.
  • Albrecht Müller hat in seinem Beitrag „Die totale Manipulation ist möglich“ mit weiteren Beispielen belegt, wie sehr sich einige Medien bemühen, der FDP über die Fünf-Prozenthürde zu helfen.

Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen. Das kann man nur noch als eine Kampagne bezeichnen, die zeigt, dass Verleger und die ihnen gehörenden Medien sich in massiver Weise parteiisch und parteilich in die Politik einmischen und dabei Personen und Inhalte von Parteien von außen bestimmen – und das alles unter dem Deckmantel einer freien, unabhängigen und überparteilichen Presse.
Es ist Meinungsmacht ohne Kontrolle, da zwischen den oligopolistischen Verlagsgruppen keine Krähe der anderen ein Auge aushackt.

Dass die Medien wirtschaftsliberale Parteien und deren Führer unterstützen, dass konnte man in Italien, in Frankreich, mit der Murdoch-Affäre auch erwiesenermaßen auch in England erleben. Die Medienkampagne für die FDP ist nur ein aktueller Beleg dafür, dass es in Deutschland nicht anders ist.

Dass die aufgrund von Spendenskandalen und den Sanktionszahlungen finanziell klamme NRW-FDP nicht nur mediale Unterstützung sondern auch massive finanzielle Patronage genießt, springt einem schon ins Auge, wenn man durch nordrhein-westfälische Städte und Gemeinden fährt. An jedem Laternenpfahl blickt einem Christian Lindner entgegen. Sein Porträt ist präsenter als das der SPD-Kandidatin Hannelore Kraft oder deren Herausforderer Norbert Röttgen. Wenn man durch den Wald der Plakate fährt, muss man sogar den Eindruck gewinnen, dass der reiche Mittelstand sich finanziell stärker für die FDP als für die CDU engagiert.

Brüderles Brief

Aber das „Große Geld“ scheint der FDP immer noch nicht genug zu sein. Die Steuersenkungspartei missbraucht sogar gesetzwidrig Steuergelder um sich über Wasser zu halten. So hat Rainer Brüderle ganz zufällig vor den überlebensnotwendigen Wahlen in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen eine Postwurfsendung verbreiten lassen.

Solche Postwurfsendungen sind gesetzlich erlaubt, wenn sie einen rein informativen Charakter haben. Schließlich werden die Fraktionen mit Steuergeldern ausgestattet und eine Wahlwerbung mit Steuermitteln ist laut Grundgesetz nicht gestattet. Brüderles Brief hat jedoch einen ähnlich informativen Charakter wie eine Dauerwerbesendung für „Bauch-Weg-Gürtel“. Anstatt zu informieren, transportiert der Brief auf eine ziemlich plumpe Art und Weise das FDP-Mantra, nach dem Staatsschulden grundsätzlich abzulehnen sind.

Zum Nachlesen: Brüderles Brief – Teil 1 [PDF – 705 KB], Teil 2 [PDF – 369 KB], Teil 3 [PDF – 2.9 MB], Teil 4 [PDF – 1.8 MB]

Dabei appelliert Brüderle unverhohlen an die deutsche Urangst vor Inflation. Staatsschulden, so die Botschaft würden die „Inflation hochtreiben“ und somit „vor allem Kleinsparer, Geringverdiener und Rentner um ihr Geld bringen“. „Die Inflation“, so Brüderle, treffe „immer die Falschen“. Da stellt sich freilich die Frage, wer denn „die Richtigen“ wären? Großsparer, Besserverdiener und Spitzenpensionsbezieher? Also die Kernklientel der FDP? Für Brüderle wohl kaum. Dabei sind dies genau diejenigen, die unter einer hohen Inflation am meisten zu leiden hätten. Eine hohe Inflation „entwertet“ nämlich eher die Schulden, als die Forderungen. Kleinsparer und Geringverdiener haben in der Regel aber eher Schulden als Forderungen.

Freilich bleibt Brüderle seinen Adressaten auch eine Erklärung schuldig, warum Staatsschulden denn überhaupt zu einer Inflation führen. Empirisch lässt sich dieser Zusammenhang nämlich nicht erklären. Das am höchsten verschuldete Industrieland ist Japan und dort man keine Probleme mit Inflation – im Gegenteil, Japan hat Probleme mit Deflation. Auch die USA, Großbritannien und die Eurozone haben trotz teilweise sehr hoher Staatsverschuldung kein Inflationsproblem. Das ist auch kein Wunder, schließlich ist „Inflation“ kein Synonym für „Staatsverschuldung“, sondern die Steigerung der Verbraucherpreise und warum sollte die Staatsverschuldung die Verbraucherpreise steigen lassen? Kann der Friseursalon an der Ecke etwa seine Preise anheben, wenn die Regierung ihre Neuverschuldung erhöht? Nein, warum auch?

Die FDP, so Brüderle, will einen schuldenfreien Staat. Abgesehen davon, dass dies ökonomischer Unfug ist, bleibt Brüderle jedoch auch jedwede Erklärung schuldig, wie er dieses Ziel erreichen will. Durch Steuersenkungen? Wohl kaum. Anstatt die eigene Politik zu skizzieren, schmeißt der FDP-Politiker lieber mit reichlich hohle Phrasen und abgedroschene PR-Slogans um sich. Ein Beispiel gefällig? Gerne: „Auf Schuldenbergen könne keine Kinder spielen“. Wunderbar – und wo können Kinder spielen? Auf Spielplätzen? Die mit welchem Geld gebaut werden? Können noch Spielplätze gebaut werden, wenn der Staat seine Ausgaben radikal senkt? Eine weitere Stilblüte des Briefes ist folgender Satz: „Statt Geld für Schuldenzinsen zu verwenden, investieren wir lieber in die Zukunft“. Das ist löblich, aber mit welchem Geld will die FDP „in die Zukunft investieren“, wenn sie die Steuereinnahmen, die sie natürlich auch noch senken will, in den Schuldenabbau steckt? Zum Investieren, das lernt jeder Ökonomie-Student im ersten Semester, braucht man Geld. Hat man kein Geld, muss man einen Kredit aufnehmen.

Man könnte noch viele weitere Beispiele aufführen, die den Niveau-Limbo Brüderles aufzeigen. Wer argumentiert, dieser Brief sei eine Informationsschrift der Fraktion und habe keinen werbenden Charakter, sollte sich ernsthafte Gedanken darüber machen, was er unter dem Begriff „Information“ versteht.

Die Medien greifen Brüderles Brief zwar auf und stellen die Frage, ob er mit den Gesetzen in Einklang steht, vermeiden es jedoch, inhaltlich Stellung zu nehmen. Dieses Schweigen reiht sich nahtlos in die zu beobachtende Pro-FDP-Kampagne ein. Dabei wäre es so einfach, derlei platte Propaganda inhaltlich bloßzustellen. Von Papst Bonifatius VIII. ist das Sprichwort „Qui tacet, consentire videtur“ („Wer schweigt, scheint zuzustimmen“) überliefert. Wenn die Medien zum eklatantesten Unsinn der FDP schweigen, scheinen sie diesem Unsinn zuzustimmen. Dies wirft ein erbärmliches Bild auf unsere Medienlandschaft.


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