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Titel: Wieso kritisiert Bundesregierung die Repression gegen Oppositionspolitiker in der Türkei, aber nicht in Rumänien?
Datum: 28. März 2025 um 12:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Wahlen
Verantwortlich: Florian Warweg
Am 24. März verkündete Außenministerin Annalena Baerbock in Bezug auf die Türkei: „Politische Wettbewerber gehörten nicht in Haft oder vor Gericht“. Das Auswärtige Amt erklärte: „Wer Oppositionspolitiker im Wahlkampf inhaftiert, schadet der Demokratie“. Vor diesem Hintergrund wollten die NachDenkSeiten wissen, wieso die Bundesregierung so vehement und direkt das Vorgehen gegen Oppositionspolitiker in der Türkei kritisiert, aber mit keinem Wort die Instrumentalisierung von Wahlbehörde und Gerichten gegen führende Oppositionspolitiker in Rumänien. Sowohl Călin Georgescu, der in den Umfragen mit Abstand führte, als auch Diana Șoșoacă wurde mit der höchst fragwürdigen Begründung, sie würden sich EU- und NATO-kritisch äußern, die Teilnahme an der Präsidentschaftswahl untersagt. Die Bundesregierung verteidigte diesmal merklich zurückhaltender als noch vor wenigen Wochen die Vorkommnisse in Rumänien. Von Florian Warweg.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Gute und schlechte Repression gegen nicht genehme Präsidentschaftskandidaten der Opposition
Türkei:
Am 19. März war der Istanbuler Bürgermeister und Spitzenpolitiker der größten türkischen Oppositionspartei CHP, Ekrem İmamoğlu, wegen des Vorwurfs der „Korruption“ sowie „Unterstützung einer terroristischen Vereinigung“ abgesetzt und in U-Haft genommen worden. Vier Tage später, am 23. März, war İmamoğlu von der CHP in Abwesenheit zu ihrem Präsidentschaftskandidaten gekürt worden.
Daraufhin erklärte die deutsche Außenministerin am 24. März:
„Das Bekenntnis der Türkei, weiter am EU-Beitritt festzuhalten, klingt angesichts des Vorgehens gegen İmamoğlu & andere zunehmend hohl. Politische Wettbewerber gehören nicht in Haft oder vor Gerichte. In einem Land, das seine Zukunft in der EU sieht, muss Rechtsstaatlichkeit gelten.“
Das Bekenntnis der #Türkei, weiter am EU-Beitritt festzuhalten, klingt angesichts des Vorgehens gegen #İmamoğlu & andere zunehmend hohl. Politische Wettbewerber gehören nicht in Haft oder vor Gerichte. In einem Land, das seine Zukunft in 🇪🇺 sieht, muss Rechtsstaatlichkeit gelten.
— Außenministerin Annalena Baerbock (@ABaerbock) March 24, 2025
Das Auswärtige Amt hatte einen Tag zuvor bereits verkündet, dass, wer Oppositionspolitiker während des Wahlkampfs inhaftiere, der Demokratie schade:
#Türkei: Wer Oppositionspolitiker und Protestierende im Wahlkampf inhaftiert, schadet der Demokratie. Wir fordern schnelle & transparente Aufklärung aller Vorwürfe und rechtstaatliche Behandlung für Ekrem İmamoğlu. Ganze Erklärung hier 👉 https://t.co/aEN9HojaAb
— Auswärtiges Amt (@AuswaertigesAmt) March 23, 2025
Rumänien:
In Rumänien wiederum war zunächst die erste Runde der Präsidentschaftswahlen mit Verweis auf eine angebliche russische Einflusskampagne auf TikTok am 24. November 2024 annulliert worden. Doch wie bereits im Dezember 2024 das Investigativportal SNOOP darlegte, (die NDS berichteten) war die angeblich von russischen Geheimdiensten gesteuerte TikTok-Kampagne für den NATO-kritischen Präsidentschaftskandidaten Călin Georgescu in Wirklichkeit von der amtierenden liberalkonservativen Präsidenten- und Regierungspartei Partidul Național Liberal (PNL) initiiert und bezahlt worden. Mutmaßlich, um damit ein Instrument zu haben, um im Falle eines nicht genehmen Wahlausgangs diesen mit Verweis auf „russische Einflussnahme“ revidieren zu können. Was dann auch mit Verweis auf „geheimdienstliche Erkenntnisse“ geschah.
Snoop zitiert in dem Bericht aus der von der Ständigen Wahlbehörde Rumäniens bei der Nationalen Steuerverwaltung beantragten vertraulichen Untersuchung des Sachverhalts. Laut der Untersuchung war die Wahlkampagne von einer Marketingfirma namens Kensington Communication organisiert und von der transatlantisch ausgerichteten Präsidentenpartei PNL mit mehr als einer Million Leu (entspricht rund 210.000 US-Dollar) bezahlt worden. Kensington nutzte in Folge eine Plattform namens Fameup, um rund 130 Influencer mit spezifischen Skripten und Richtlinien zur Unterstützung von Georgescu zu koordinieren. Nach einem ersten Dementi gab Kensington schlussendlich auch zu, für die Wahlkampagne verantwortlich zu sein. Man sei jedoch selbst Opfer eines Hackerangriffs geworden, der die Kampagne zugunsten von Georgescu verändert habe.
Die Enthüllung lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die Präsidentenpartei hat den ihr unterstehenden Geheimdienst bewusst eingesetzt, um eine für sie schlecht laufende Wahl mit Hilfe von inszenierten und von ihr bezahlten Beweisen einer angeblich belegten „russischen Einmischung“ wiederholen zu können. Damit hatte sie den einzig als NATO-kritisch geltenden Kandidaten Georgescu erstmal erfolgreich ausgebremst.
Doch mit diesem Schritt war das Problem natürlich nur kurzfristig gelöst. Denn Georgescu blieb weiterhin Kandidat für die auf Mai 2025 angesetzte erneute erste Runde der Präsidentschaftswahl und führte in den Umfragen mit weit über 40 Prozent.
Am 26. Februar 2025 wurde Georgescu, und hier tun sich durchaus Parallelen zu Ekrem İmamoğlu auf, von der Polizei wegen des „Verdachts der Anstiftung zu Handlungen gegen die verfassungsmäßige Ordnung“ und „falscher Angaben zu den Finanzierungsquellen seines Wahlkampfs“ vorübergehend festgenommen. Nach einem mehrstündigen Verhör wurde er unter Auflagen (unter anderem vorläufiger Hausarrest) wieder freigelassen. Rund zwei Wochen später, am 9. März, erklärte die rumänische Wahlrechtskommission (CCR) die Kandidatur von Georgescu zur Wiederholungswahl für ungültig. Der Verfassungsgerichtshof von Rumänien bestätigte diese Entscheidung am 11. März 2025. Begründung: Dessen Kandidatur erfülle nicht die Bedingungen der Rechtmäßigkeit und er würde sich mit seiner Kritik an der in der rumänischen Konstitution verankerten EU- und NATO-Mitgliedschaft nicht auf dem Boden der Verfassung bewegen.
Ein ähnliches Schicksal ereilte auch die EU-Abgeordnete und Präsidentschaftskandidatin der Partei S.O.S. Romania, Diana Șoșoacă. Die rumänische Wahlbehörde lehnte ihre Kandidatur für die Wiederholung der Präsidentschaftswahl im Mai 2025 ebenfalls ab. Erneute Begründung: Die Kandidatin würde sich öffentlich NATO- und EU-kritisch äußern.
Im Wortlaut erklärte die Wahlbehörde:
„Aufgrund der Ablehnung der Mitgliedschaft Rumäniens in der Europäischen Union und der NATO ist Diana Șoșoacă nicht in der Lage, die verfassungsmäßigen Pflichten des Präsidentenamtes zu erfüllen.“
Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 25. März 2025
Frage Warweg
Außenministerin Baerbock hatte am 24. März in Bezug auf die Vorkommnisse in der Türkei erklärt, politische Wettbewerber gehörten nicht in Haft oder vor Gericht. Das AA sagte dazu auf X: Wer Oppositionspolitiker im Wahlkampf inhaftiert, schadet der Demokratie. – Jetzt wurde dem Gewinner der ersten Runde der rumänischen Präsidentschaftswahl, Călin Georgescu, mit rechtlich höchst fragwürdigen Mitteln eine weitere Kandidatur für die angesetzte Wiederholungsfall gerichtlich untersagt. Eine Hauptbegründung war unter anderem seine kritische Haltung zur EU und NATO. Da würde mich ebenfalls interessieren: Wieso kritisieren denn Frau Baerbock und das Auswärtige Amt so vehement und direkt die Vorkommnisse in der Türkei, aber mit keinem Wort die ja durchaus vergleichbaren Vorkommnisse und die Instrumentalisierung der Wahlbehörde und von Gerichten durch den EU-Partner Rumänien?
Wagner (AA)
Herr Warweg, was vergleichbar ist, überlasse ich sozusagen Ihrer „appreciation“ und Ihrer Einordnung. Aber lassen Sie mich vielleicht sagen, dass es laut der rumänischen Justiz ernsthafte Vorwürfe gegen Călin Georgescu gibt, darunter Falschangaben zur Wahlkampffinanzierung und Bildung einer extremistischen Organisation. Deshalb ist ja die rumänische Wahlbehörde zu dem Schluss gekommen, dass er aufgrund von formellen und inhaltlichen Gründen nicht zur Wahl zugelassen werden kann. Das rumänische Verfassungsgericht hat eine Beschwerde von Georgescu abgewiesen und die Entscheidung der Wahlbehörde bestätigt, und damit ist sie nach rumänischem Recht auch gültig.
Wichtig ist, glaube ich, dass bei all diesen Verfahren rechtsstaatliche Grundsätze gelten. Das ist das, was im Zentrum stehen muss.
Zusatzfrage Warweg
Mit derselben Begründung, sie würde sich öffentlich NATO- und EU-kritisch äußern, wurde auch eine weitere Oppositionskandidatin, Diana Șoșoacă, die Zulassung zur Präsidentschaftswahl in Rumänien vom Verfassungsgericht verweigert. Habe ich Ihre Ausführungen in der Hinsicht richtig verstanden, dass Sie es grundsätzlich für legitim halten, dass Frau Șoșoacă und dem in Umfragen führenden Kandidaten die Teilnahme an Wahlen mit Bezug auf deren Kritik an der EU- und NATO-Mitgliedschaft untersagt wird?
Wagner (AA)
Nein, das legen Sie mir in den Mund. Ich habe gesagt, dass die Entscheidung über die Zulassung zu Wahlen in Rumänien bei den zuständigen rumänischen Behörden liegt und das eben rechtsstaatlich zugehen muss.
Klar ist doch aber, dass ein Ideenwettbewerb stattfinden können muss, und das innerhalb der verfassungsrechtlichen Grenzen, die es in Rumänien gibt. Dass es diesen Ideenwettbewerb gibt, zeigt doch, dass eine Kandidatin von Georgescus Partei zu den Wahlen zugelassen worden ist. Sie ist dann im Nachhinein zurückgetreten, um einen anderen Kandidaten zu unterstützen. Aber es ist ja nicht so, dass sozusagen gegen diese gesamte Partei vorgegangen wird.
Das ist aber etwas, was in den Händen der rumänischen Behörden liegt, und in der Tat muss dort Rechtsstaatlichkeit gelten.
Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 26.03.2025
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