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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Außerordentlicher Parteitag der SPD: Ohne Fenster nach draußen
Datum: 15. Mai 2006 um 10:45 Uhr
Rubrik: Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, SPD
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Im „Estrel Convention Center“ im Stadtteil Neukölln, dem Armenhaus Berlins, hat die SPD mit 95,07 % der Delegiertenstimmen Kurt Beck zum Nachfolger des aus gesundheitlichen Gründen abgetretenen Matthias Platzeck als dritten SPD-Vorsitzenden innerhalb von zwei Jahren gewählt.
Oh hätten sich die Delegierten, statt sich in einen Edel-Bunker zurückzuziehen, sich einmal in diesem Berliner Stadtteil umgesehen oder die nahe gelegene Rütli-Schule besucht, dann hätten sie einen realistischeren Blick auf die Größe der „Baustelle“ (Beck) werfen können, vor der die Sozialdemokratie steht! Aber der fensterlose Saal ließ keinen Blick nach draußen zu, das war geradezu symbolisch: Beck zog als letzter vorzeigbarer Kandidat alle ihm zur Verfügung stehenden Register, um die „Seele der Partei“ zu streicheln, aber die Wirklichkeit des Landes und der Politik der SPD in der Großen Koalition blieben außen vor. Von der „Kraft der Erneuerung“, dem Motto des Parteitags, war wenig zu spüren.
Kurt Beck ist kein rednerisches Talent, wie Gerhard Schröder, er kann auch keine kurzen Sätze, wie Franz Müntefering und schon gar nicht liegen ihm die emotionalen Themen, womit Matthias Platzeck anrühren konnte. Also arbeitete er in fast eineinhalb Stunden ein Stichwort und einen Allgemeinplatz nach dem anderen von seinem Sprechzettel ab, bodennah, ohne Höhenflüge, mit Beispielen aus seinem Leben. Weil ich den Wortlaut seiner Kandidatenrede noch nirgendwo gefunden, hier ein Kurzprotokoll:
Schlusskadenz:
So oder so ähnlich dürfte der Sprechzettel von Kurt Beck für seine Kandidatenrede ausgesehen haben und knapp 90 Minuten hat er sich daran abgearbeitet. Der Beifall blieb artig moderat. Man hat als Delegierter inzwischen ja Routine.
Konkreteres als das Folgende konnte man beim besten Willen nicht heraushören:
Auf der Website der SPD konnte man danach lesen: „Mit einer kämpferischen und stark programmatisch geprägten Rede hat Kurt Beck auf dem SPD-Parteitag für Geschlossenheit und Selbstvertrauen seiner Partei geworben.“
Wo war da Kampf und wo war Programm?
Zur CDU kam nichts außer einem Hinweis auf deren Leipziger Parteitag und dass die Wähler eine klare Entscheidung getroffen hätten, dass sie Merz und Kirchhof nicht wollten. Merkel blieb ausgespart. Über die FDP wollte Beck lieber erst gar nicht reden und den Grünen warf er vor, dass sie der FDP immer ähnlicher würden.
Wo war da Orientierung der Partei für die sozialdemokratischen Regierungsmitglieder?
Die SPD werde erkennbar bleiben, „weil in dieser Koalitionsvereinbarung so viel drin steht von unserer Handschrift.” (Aha!)
Franz Müntefering, Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier wurden ausdrücklich gelobt. (Signal: Wir sind auf dem richtigen Weg. Kein Änderungsbedarf.)
Grotesk wurde es gar, als Beck die Sparpolitik Steinbrücks mit den Worten unterstützte, wenn wir jetzt in „besseren Zeiten den Haushalt nicht in Ordnung bringen, dann handeln wir unsolidarisch“ gegenüber der jüngeren Generation. Wo sieht eigentlich Kurt Beck diese „besseren Zeiten“?
Auch zum Reizthema Unternehmenssteuerreform blieb Beck noch vager als der Leitantrag: Es bleibe bei der Koalitionsvereinbarung: Eine vernünftige und verantwortliche Reform zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit, rechtsform- und finanzierungsneutral, Einschränkung der Gestaltungsmöglichkeiten, nachhaltige Sicherung der Steuerbasis.
Die von Steinbrück vollends zur Karikatur abgeschmolzene „Reichensteuer“ wurde von Beck verteidigt, als könne man damit, die zurückliegende Steuersenkungsorgie und die aktuelle Kürzung der Pendlerpauschale, die Mehrwertsteuererhöhung, die Kürzung der Sparerfreibeträge, die höhere Versicherungssteuer, den früheren Wegfall des Kindergeldes vergessen machen.
Geradezu ein Armutszeugnis war es, dass Beck mit keinem Wort auf die Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik einging. Kein Satz zur gewerkschaftlichen Kritik des DGB-Vorsitzenden Sommer in dessen Grußwort.
Nichts zur Rente mit 67, nichts zu Hartz IV, nichts zu den gerade zurückliegenden Steuerentscheidungen der Regierung und ihren Belastungen gerade für die Lohnempfänger.
Beck zitierte einen Brief eines Genossen, in dem dieser beklagte, dass in den letzten 10 Jahren die Parteibasis ins Abseits gedrängt worden sei. Er verwies auf die Wahlergebnisse, die Anlass zur Sorge seien und auf die Tatsache, dass seit 1997 der SPD 37% ihrer Mitglieder abhanden gekommen seien.
Seine einzige Antwort darauf war der Appell, dass die SPD bis zum nächsten Parteitag mit einer Werbeaktion 57.000 neue Mitglieder gewinnen müsse. (Warum eigentlich gerade 57.000?)
Kein Wort über die Gründe von Wahlniederlagen, kein Wort darüber, warum die SPD diesen Substanzverlust erlitten hat.
Auffällig war, dass Beck weder das Wort „Reform“ noch die Agenda 2010 in den Mund genommen hat und Schröder hat er nur an einer Stelle im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg angesprochen. Er hat aber nicht die geringste Andeutung gemacht, wo er den bisherigen erfolglosen Kurs korrigieren möchte. Wo war da „Führungskraft“? Und vor allem wohin soll geführt werden?
Der einzige erkennbare Wandel von Schröder über Platzeck zu Beck war eigentlich nur, dass statt der Farbe „Umbra“ an der Rückwand, wieder das traditionelle hellblau leuchtete.
„Es war ein guter Parteitag“ sagte Beck im Schlusswort. Man ist bescheiden geworden. Jedenfalls kann jetzt niemand mehr enttäuscht sein von Kurt Beck und der SPD. Das kann ja auch eine Strategie sein, bekanntlich darf man die Pfälzer nicht unterschätzen.
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