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Titel: Wieso vergibt Bundeswehr ein Milliarden-Projekt ohne reguläres Vergabeverfahren an Rheinmetall?
Datum: 17. März 2025 um 11:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Aufrüstung, Finanzpolitik
Verantwortlich: Florian Warweg
Der Bundesrechnungshof hat massive Kritik an einem milliardenschweren Rüstungsprojekt der Bundeswehr geäußert. Die geplante digitale Anbindung von Gefechtsständen über das neue Richtfunksystem TaWAN LBO sei mit „erheblichen Entwicklungsrisiken“ behaftet, der Einsatzwert überzeuge nicht und es wird vor „Investitionsruinen“ gewarnt. Zudem erfolgte die Auftragserteilung ohne reguläres Vergabeverfahren direkt an Rheinmetall. Die NachDenkSeiten wollten vor diesem Hintergrund wissen, wie es sein kann, dass in Zeiten, in denen jedes Schulessen öffentlich ausgeschrieben werden muss, ein Projekt über fünf Milliarden Euro direkt vergeben wird und ob Verteidigungsminister Boris Pistorius die Bedenken des Rechnungshofes grundsätzlich teilt. Von Florian Warweg.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Am 4. Februar 2025 veröffentlichte das Rüstungsunternehmen Rheinmetall, bei dem US-Investmentgesellschaften wie BlackRock, Goldman Sachs, Morgan Stanley sowie die Bank of America signifikante Anteile halten, folgende Pressemitteilung mit dem Titel: „Milliardenauftrag: Rheinmetall erfolgreich mit TaWAN LBO für die Bundeswehr – Digitalisierung der Streitkräfte nimmt Fahrt auf“:
„Rheinmetall hat den Zuschlag in einem weiteren wichtigen Großvorhaben der Bundeswehr im Bereich der Digitalisierung erhalten. Als Generalunternehmer wird die Rheinmetall Electronics GmbH für den Aufbau eines durchgängigen Kommunikationsverbunds verantwortlich sein, für das sogenannte „Tactical Wide Area Network for Land Based Operations“ (TaWAN LBO). Das Volumen des nun erteilten Rahmenvertrags für ein verlegefähiges, plattformbasiertes Kommunikations- und Richtfunkmanagementsystem umfasst mehrere Milliarden EUR.“
Weit weniger euphorisch fiel allerdings die Bewertung des Bundesrechnungshofes aus. Dieser äußerte sehr deutliche Kritik an dem insgesamt 5,5 Milliarden Euro umfassenden Projekt zur digitalen Anbindung von Gefechtsständen mittels des besagten neuen Richtfunksystems TaWAN LBO.
Die Kritik der Rechnungsprüfer aus Bonn hat es in sich:
Wieso ignorierte die Bundesregierung die Bedenken des Rechnungshofes?
Trotz der geäußerten massiven Bedenken des Bundesrechnungshofes, die zumindest der Bundesregierung bekannt waren, hatte der Haushaltsausschuss des Bundestags das Bundeswehr-Projekt Ende Januar 2025 gebilligt. Öffentlich wurden die Zweifel des Rechnungshofs allerdings erst nach der Abstimmung Anfang März.
Das führt mittlerweile auch zu Kritik innerhalb der SPD. Der STERN zitiert in diesem Zusammenhang beispielsweise den SPD-Haushaltspolitiker Andreas Schwarz, der unter anderem die kurzfristige Befassung des Ausschusses mit der Mittelfreigabe für TaWAN LBO kritisiert:
„Die Gunst der Stunde wurde genutzt und die Firmen profitieren davon, dass das Parlament im Januar, kurz vor den Neuwahlen, ein wilder Hühnerhaufen war.“
Er kündigte zudem an, dass der Vorgang jetzt parlamentarisch weiter geprüft werde, man spräche „immerhin von fast sechs Milliarden Euro“.
Da Rheinmetall von der Bundesregierung gerne als „deutsches Unternehmen“ verkauft wird (Stichpunkt „Standortstärkung“), lohnt sich in diesem Zusammenhang ein Blick auf die Aktionärsverteilung bei dem Rüstungsunternehmen, um sich eine Vorstellung zu machen, wer tatsächlich von diesen und den weiteren anstehenden gigantischen Milliarden-Investitionen profitieren wird:
Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 12. März 2025
Frage Warweg
Herr Müller, der Bundesrechnungshof hat massive Kritik an einem 5,5 Milliarden umfassenden Rüstungsprojekt der Bundeswehr geäußert. Die geplante digitale Anbindung von Gefechtsständen über das neue Richtfunksystem TaWAN LBO sei mit erheblichen Entwicklungsrisiken verbunden, und der Auftrag sei zudem ohne reguläres Vergabeverfahren direkt an Rheinmetall vergeben worden.
In einer Zeit, wo jedes Schulessen öffentlich ausgeschrieben werden muss, würde mich interessieren, wieso man ein Rüstungsprojekt dieser Größenordnung ohne reguläres Vergabeverfahren direkt an Rheinmetall vergeben hat.
Müller (BMVg)
Danke für die Frage. Die Ausführungen oder die Bewertungen des Bundesrechnungshofes liegen uns jetzt erst vor. Es folgt das sogenannte kontradiktorische Verfahren. Das heißt, wir haben erst mal die Möglichkeit, dazu Stellung zu nehmen. Das werden wir auf dem formellen Wege tun. Dann werden wir diese Fragen auch öffentlich beantworten. Vorher erfolgt erst die Erwiderung des Bundesrechnungshofs.
Zusatzfrage Warweg
Dann versuche ich es trotzdem. Der Rechnungshof warnte zudem konkret vor unklarer Einsatzreife der Systeme und möglichen Investitionsruinen. In der Vorlage des Rechnungshofs heißt es weiter: „Der Vertragspartner kann die Anforderungen der Bundeswehr an die Software überwiegend nicht erfüllen.“ Zudem überzeuge der Einsatzwert der beabsichtigten Software nicht.
Da würde mich interessieren: Teilt der Minister die Einschätzung des Bundesrechnungshofs? Wenn nein, was spricht gegen diese Einschätzung?
Müller (BMVg)
Erst mal löse ich mich jetzt von dem Bericht des Bundesrechnungshofs, denn ich habe ja gerade gesagt, dass wir zu diesem Bericht konkret keine Stellung nehmen. Mir sind auch andere Bewertungen bekannt.
Ich möchte mal generell auf das Thema Beschaffung zurückkommen. Wenn wir ein System beschaffen, gibt es umfassende Prüfmaßnahmen. Wenn das System in der finalen Version in der Truppe ankommt, gibt es weitere Prüfverfahren, Einsatzprüfverfahren, die das System noch mal unter allen Umständen testen, und erst dann erfolgt die Beauftragung des finalen Setups.
Das betrifft alle Systeme. Wir haben ja über das neue Sturmgewehr gesprochen. Das ist ein normales Verfahren, hat sehr, sehr hohe Qualitätsstandards. Dort sind dann das BAAINBw und die entsprechenden BTDs eingebunden.
Das betrifft auch Softwarestände. Es ist normal, dass ein Softwarestand, wenn es um ein System geht, das im Vergabeverfahren ist, vielleicht 80 Prozent erfüllt. Natürlich werden da hohe Ansprüche gestellt, aber es ist ganz normal, vor allem in der heutigen Zeit, in der heutigen Dynamik von Softwareentwicklung, Anforderungen und programmiertechnischen Lösungen, dass Systeme im Laufe der Zeit weitere Updates, Verfahren, weitere Zyklen durchlaufen und so im Laufe des Zulaufs der finalen Systeme, in der finalen Konfiguration auch dann die Anforderungen zu 100 oder mehr Prozent erfüllt werden.
Es ist ein ganz normales Verfahren und betrifft im Grunde die Beschaffungsvorgänge in Gänze, weil Sie heute am Tag X nicht die Leistungen aktuell sehen, die Sie aber am Tag Y unbedingt benötigen. Deswegen gibt es dieses iterative Verfahren.
Zusatzfrage Warweg
Dass Sie im Detail nicht auf den Bericht des Bundesrechnungshofs eingehen, erschließt sich mir. Was sich mir nicht erschließt, ist, wieso Sie keine Aussage treffen können, wieso es bei einem Volumen von 5,5 Milliarden Euro keine reguläre Ausschreibung auf Vergabeverfahren gab. Das können Sie ja durchaus beantworten, ohne direkte Detailkenntnisse des Berichts des Bundesrechnungshofs zu haben.
Müller (BMVg)
Doch, weil wir dann erst mal auf diesen Bericht konkret antworten. Es gibt umfassende Prüfungen, weil wir mit Haushaltsmitteln grundsätzlich und immer verantwortungsvoll umgehen. Wenn diese Prüfung ergibt, dass diese Art von Vergabe notwendig ist, dann ziehen wir die, denn wir haben eine Sicherheitslage, die Fähigkeiten und die Einführung von Fähigkeiten erfordert, die dringend und schnell gemacht werden müssen.
Wenn wir gewisse Rahmenbedingungen sehen und wenn nur gewisse Anbieter gewisse Fähigkeiten und Leistungen bieten, dann kann die Vergabe dahin gehen, dass wir nur diese Anbieter nehmen, unabhängig vom Fall.
Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 12.03.2025
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