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Titel: Bedingt kriegsbereit
Datum: 11. März 2025 um 13:12 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Aufrüstung, Demoskopie/Umfragen
Verantwortlich: Jens Berger
Auch nach drei Jahren Kriegsgetrommel ist die übergroße Mehrheit der Deutschen nicht bereit, selbst in den Krieg zu ziehen. Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage im Auftrag von RTL und ntv würden gerade einmal 17 Prozent das Land mit der Waffe gegen einen Angreifer zu verteidigen. Dennoch stimmte die Mehrheit der Deutschen bei den letzten Wahlen für Parteien, die das Land kriegstauglich machen wollen, und ist auch bereit, für Rüstungsausgaben horrende Schulden aufzunehmen. Ein Widerspruch? Nicht unbedingt. Ein Kommentar von Jens Berger.
Die meisten Deutschen sind eigentlich von Fortuna geküsst. Seit nunmehr fast genau 80 Jahren gab es auf deutschem Boden keinen Krieg. Die Zahl der in Deutschland Geborenen, denen die Gnade der späten Geburt, wie es Helmut Kohl einmal formulierte, zuteil wurde und die dennoch am eigenen Leibe erfahren mussten, was ein Krieg ist, ist verschwindend gering. Krieg ist für uns etwas, das wir vor allem aus Filmen und den Nachrichten kennen. Selbst die Überlieferungen der Eltern und Großeltern, die noch am eigenen Leibe den Zweiten Weltkrieg miterlebt haben, verblassen langsam. Mir selbst wurde nicht nur die Gnade der späten Geburt zuteil, ich gehöre auch zu den Jahrgängen, denen dank der Auflösung des Warschauer Pakts als damals jungem Wehrpflichtigen der „Feind“ abhandengekommen war. Auch wenn ich – wie es so schön heißt – „gedient“ habe, dachte ich damals in keinem einzigen Moment, dass ich tatsächlich einmal die Waffe gegen einen anderen Menschen einsetzen muss. Retrospektiv waren dies sorglose, ja glückliche Jahre.
Auch wenn sich die geopolitische Lage mittlerweile geändert hat und wir von Politik und Medien tagein, tagaus „kriegstüchtig“ gemacht werden sollen, so bleibt die ganze Debatte für die meisten von uns immer noch sehr abstrakt. Wenn wir über „Kriegstüchtigkeit“ reden, dann geht es eher darum, vor der stetigen Indoktrination des politisch-medialen Sektors zu kapitulieren und sein Einverständnis dafür zu geben, dass Unsummen von Steuergeldern für Waffen ausgegeben werden. Wer mit diesen Waffen in den Krieg ziehen soll, ist eine Frage, die heute noch fast so weit weg ist wie damals. Soldat, das sind doch „die anderen“; Menschen aus anderen sozialen Schichten, die man nicht persönlich kennt und deren Schicksal unseren Falken herzlich egal scheint.
Die berühmt-berüchtigte Bigotterie treibt hier fröhliche Urständ. Glaubt man einer Umfrage des ZDF-Politbarometers von letzter Woche, sind hinter den CDU-Wählern ausgerechnet die Grünen-Wähler mit 89 Prozent die größten Fans einer Aufrüstung der Bundeswehr. Paradoxerweise sind die Grünen-Wähler – gleich hinter den Wählern der Linkspartei – jedoch bei besagter Forsa-Umfrage mit nur 10 Prozent auch gleichzeitig diejenigen, die die geringste Bereitschaft haben, zur Verteidigung des Landes selbst zur Waffe zu greifen.
Bereits Erich Maria Remarque wusste: „Ich dachte immer, jeder Mensch sei gegen den Krieg, bis ich herausfand, dass es welche gibt, die dafür sind, besonders die, die nicht hingehen müssen.” Dieser Satz trifft anscheinend auch heute noch auf die Mehrheit unserer Mitbürger und insbesondere auf die Grünen-Wähler zu. Für sie selbst ist ein Krieg in Deutschland, bei dem sie selbst zum Dienst an der Waffe befohlen werden, offenbar sehr abstrakt. Zynisch werden sie sich wohl denken: Wofür gibt es denn die perspektivlosen jungen Männer mit Vornamen wie Kevin oder Rico? Dass weder sie selbst noch ihre eigenen Kinder an der Front verheizt werden, versteht sich für diese grünen Falken von selbst und auch die schwarzen Falken, die für die CDU gestimmt haben, werden nicht großartig anders denken.
Diese Bigotterie ist übrigens keinesfalls unbegründet. Auch im Donbass sterben sowohl auf russischer als auch auf ukrainischer Seite vor allem Soldaten, die man eher den niederen Schichten zuordnen kann. So lag in der russischen Armee im ersten Kriegsjahr das Risiko, an der Front zu sterben, für einen jungen Burjaten rund 100-mal so hoch wie für einen jungen Moskauer. Wohlhabende Ukrainer, wie der ehemalige Botschafter Andrij Melnyk, schicken ihre Söhne ins Ausland zum Studium und beschimpfen gleichzeitig die Deserteure daheim. Auch in der US-Armee überwiegt vor allem bei den Mannschaftsdienstgraden, die am ehesten in Kriegen fallen, die niedere sozioökonomische Herkunft. Wir reden hier übrigens von Klassismus und nicht von Rassismus, auch wenn in der US-Armee Farbige und Latinos bei den Mannschaftsdienstgraden auch heute noch die Mehrheit stellen, während 83 Prozent der Generäle ethnische Weiße sind; aber die sterben in Kriegen ja auch eher selten.
Wahrscheinlich denkt auch der stereotype Grünen-Wähler, dass es im Falle eines Falles schon nicht seinen Sohn Malte oder seine Tochter Luisa treffen wird, die man dann ja ohnehin mit ein wenig Geld und Einfluss ins sichere Ausland schicken kann. Die Freiheit von Malte und Luisa werden dann Kevin, Rico und – man ist ja modern und nicht rassistisch – Mustafa und – man ist ja auch gendersensibel – Chantal mit ihrem Leben verteidigen müssen. Selbst schuld, wären sie mal in der richtigen Familie aufgewachsen. Aber irgendwer muss ja „unseren“ Lebensstil und „unsere“ Ideale verteidigen, darum appellieren wir ja auch immer an den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Es ist natürlich erst einmal ein Zeichen der Hoffnung, dass die Deutschen in der übergroßen Mehrzahl eben nicht kriegsbereit sind, wenn es um sie selbst geht. Solange sie aber offenbar keine großen Probleme damit haben, andere Menschen in den Krieg zu schicken, relativiert sich die frohe Kunde. Wie sieht es eigentlich bei unseren Falken aus Politik und Medien aus? Würde Marie-Agnes Strack-Zimmermann ihre drei Enkel an die Front schicken, um die „Freiheit“ von Bürgergeldempfängern zu verteidigen? Und wie sieht es mit Falken vom Schlage einer Claudia Major aus, die drei Kinder hat? Das wären doch mal Fragen, die das Publikum von Talkshows und die Leser der Qualitätszeitungen sicher interessieren würden!
Titelbild: Tod eines Milizsoldaten von Robert Capa
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