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Titel: Die öffentliche Demontage des Wolodymyr S. – Europa zieht Konsequenzen – allerdings die falschen

Datum: 10. März 2025 um 11:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Friedenspolitik, Militäreinsätze/Kriege
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Zwei Staatschefs saßen im Oval Office beieinander, der eine der mächtigste Mann der Welt, der andere – zumindest nach westlicher Ansicht – der größte Freiheitskämpfer der letzten Jahre. Die Männer sprachen im Beisein von TV-Kameras über ein Abkommen, das unterschriftsreif vorlag. Von Peter Vonnahme.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Der große Showdown vom 28.2.2025

Der eine, der Hausherr, sprach vom Frieden in der Ukraine, den er stiften wolle. Der andere redete unentwegt über Sicherheitsgarantien gegen Russland. Bald zeichnete sich ab, dass die beiden Männer nicht zueinander finden. Das nutzte ein Dritter, der bislang schweigend am Nebentisch gesessen hatte, um dem Gast vorzuwerfen, dass es ihm an Respekt und Dankbarkeit gegenüber dem Gastgeber mangele. Von da an vergaßen beide Präsidenten ihre gute Kinderstube. Sie fielen sich gegenseitig ins Wort und fuchtelten mit den Armen. Es war Fernsehklamauk wie bei Lanz oder Maischberger. Der Gastgeber warf dem anderen vor, er spiele mit dem 3. Weltkrieg. Dabei vermittelte er den Eindruck, dass es ihm weniger um Frieden als um die Seltenen Erden im Boden der Ukraine ging. Nach weiteren zehn Minuten Wortgefecht war Wolodymyr, der Held des „Wertewestens“, vor den Augen der Welt gedemütigt wie kein Staatschef vor ihm. Ergebnis: Die Vertragsunterzeichnung unterblieb und der konsternierte Gast wurde ohne Essen des Weißen Hauses verwiesen.

Sinneswandel des Hegemonen

Der Showdown war erwartbar. Denn Trump hatte seit seinem Amtsantritt die Kontakte zu Russland, insbesondere zum Bösewicht Putin, intensiviert. Offensichtlich hatte er erkannt, dass der von Biden unterstützte Stellvertreterkrieg gegen Russland militärisch nicht zu gewinnen ist, sich ökonomisch nicht rechnet und Kräfte für das eigentliche Ziel, den Kampf gegen China um die Weltherrschaft, bindet. Mehrfach betonte er, dass die Problemlösung in einem Land, von dem Amerika durch einen Ozean getrennt sei, eine Angelegenheit der europäischen Länder sei. Beobachter vermuten, dass das ganze Spektakel eine inszenierte Veranstaltung des US-Präsidenten war, um gesichtswahrend aus dem Ukraine-Abenteuer auszusteigen. Eine Blamage für die USA wie in Vietnam und Afghanistan sollte verhindert werden.

Die Person Trump

Die erste Lehre aus dem TV-Spektakel: Einem Trump widerspricht man nicht, auch dann nicht, wenn er irrt. Andernfalls zürnt er. Nie darf der Eindruck entstehen, dass der große Dealmaker seinen Kopf nicht durchsetzen kann. Bekanntlich hat Trump bei seiner Amtseinführung unter Hinweis auf ein Wahlkampfattentat (Verletzung am rechten Ohr) gesagt: „Ich bin von Gott gerettet worden, um Amerika wieder zur Größe zu führen („Make America Great Again“). Er versprach seinem Land ein goldenes Zeitalter mit neuem Reichtum. Er werde Amerika aus dem Niedergang führen, in den es sein Amtsvorgänger Biden geführt habe. Er werde die „Geiseln“, die seinem Aufruf zum Sturm auf das Kapitol gefolgt waren und deshalb verurteilt worden seien, begnadigen. Außerdem werde er Abermillionen illegaler Einwanderer aus dem Land werfen, den Panamakanal für Amerika zurückholen und Grönland, die größte Insel der Welt, mit riesigen Bodenschätzen, in die USA eingliedern. Warum – so dachte Trump – sollte ein Rohstoffdeal nicht auch mit der vom Krieg ausgelaugten Ukraine gelingen? Schließlich hatte er alle Karten in der Hand,

Im eigenen Land kann Trump niemand Einhalt gebieten. Das Volk hat ihn mit deutlicher Mehrheit zu seinem Präsidenten gewählt. Damit ist er Oberbefehlshaber der größten Militärmacht der Erde. Außerdem ist er Chef einer Partei, die ihm aus der Hand frisst. In beiden Häusern des Kongresses hat er die Mehrheit. Amerikas Tech-Multimilliardäre von Bezos über Musk bis Zuckerberg haben sich ihm schamlos angedient. Zur politischen Macht kam die Macht des Geldes hinzu. Die meisten der von Trump handverlesenen Richter am höchsten Gericht der USA haben bereits gezeigt, dass sie ihm bei Bedarf juristischen Beistand gewähren. Dahinter wollten auch die Vertreter der Religionsgemeinschaften nicht zurückstehen. Nach der Vereidigung des Präsidenten wünschten sie ihm Gottes Segen für sein künftiges Wirken und beteten für ihn. Da wollte auch Europa nicht kneifen. Einige Staats- und Regierungschefs haben dem Hegemon umgehend ihre Aufwartung gemacht, um ihn gnädig zu stimmen. Die Unterwürfigkeit der Noblen diesseits und jenseits des Atlantiks ist beschämend.

Umfaller Selenskyj

Selenskyj hat seine Lektion schnell gelernt. Fünf Tage nach dem großen Showdown erklärte Trump triumphierend vor dem US-Kongress, er habe soeben einen wichtigen Brief von Präsident Selenskyj erhalten, in dem dieser den Vorfall bedauert. Er, Wolodymyr, wisse zu schätzen, was Amerika für die Ukraine getan hat und sei bereit, „unter der starken Führung von Präsident Trump zu arbeiten, um einen dauerhaften Frieden zu erreichen“. Außerdem stimme er dem Mineralien-Deal ausdrücklich zu. Nachträglich wurde bekannt, dass Trump vorher die Auslieferung von Militärgütern eingestellt hatte. Westliche Medien bezeichneten das als Erpressung durch die USA.

Tatsache ist, dass die Ikone des ukrainischen und europäischen Freiheitswillens vor Trump zu Kreuze gekrochen ist. Er hat kein Mitleid verdient. Denn er hat sich unterwürfig vor den Karren amerikanischer Hegemonialbestrebungen spannen lassen und russische Sorgen und Sicherheitsbedenken über Jahre in den Wind geschlagen. Er hat zulasten seiner Landsleute einen blutigen Stellvertreterkrieg für die USA geführt und – schlimmer noch – mehrfach trickreich versucht, den Regionalkonflikt zweier Nachbarstaaten zu einem Weltkrieg zu eskalieren. Er hat wortreich Hass gegen Putin und Russland geschürt und dafür stehende Ovationen im Westen geerntet.

Nüchterne Bestandsaufnahme

Eine sachgerechte Bewertung der Geschehnisse seit dem 28.2.2025 ist schwierig, weil politische Vorverständnisse eine erhebliche Rolle spielen. Das gilt auch für mich.

Ich wurde mehrfach als „Putinversteher“ kritisiert. Die Berechtigung dieser Kritik hängt wesentlich davon ab, welche Bedeutung man dem Begriff „verstehen“ beimisst. Nach meinem Sprachverständnis ist ein Versteher jemand, der sich bemüht, etwas zu begreifen. Das ist etwas fundamental anderes, als etwas zu billigen und zu rechtfertigen. Vielleicht hängt es mit meinem früheren Beruf zusammen, dass ich mich zunächst bemühe zu begreifen, warum jemand so gehandelt hat, wie er gehandelt hat. Denn wenn ich es nicht verstehe, kann ich kein Urteil fällen, zumindest kein gerechtes. Dieses Prinzip gilt selbstredend auch für Wladimir Putin und sein Land. Mehr dazu in meinen Beiträgen: „Putin gehört wie ehemalige US-Präsidenten vor den Internationalen Strafgerichtshof“ oder „Schlussbilanz eines ´Putin-Verstehers´“.

Jenseits aller politischen Überlegungen dürfte allseits Erleichterung darüber bestehen, dass sich durch die Annäherung der USA an Russland die Gefahr eines atomaren Infernos verringert hat. Solange man spricht, schießt man nicht. Das könnte zur Keimzelle eines weltweiten Verständigungsprozesses werden.

Das größte Risiko für eine friedliche Zukunft dürfte die Persönlichkeit von Donald Trump sein. Jeder, der ihn von seinen medialen Auftritten kennt, weiß, dass er über ein übersteigertes Ego verfügt, erratisch und erpresserisch ist, bedenkenlos lügt und ein glühender Patriot ist („America first“). Er erweckt meist den Anschein, dass sein politisches Kalkül heute noch nicht weiß, was sein Geschäftssinn morgen entscheidet. Die Nagelprobe wird sein, ob Trumps Friedenswille noch anhält, wenn er den Deal mit den ukrainischen Bodenschätzen in der Tasche hat. Ich frage mich, was treibt Trump im Innersten an? Aus seinem Umfeld wird berichtet, dass er es sich gut vorstellen könnte, mit dem Friedensnobelpreis geehrt zu werden. Wenngleich es sich merkwürdig anfühlt, es sei ihm vergönnt, wenn es ihm gelänge, den Krieg in der Ukraine zu beenden.

Ein Risikofaktor ist das Hegemonial-Interesse der USA. Ich verweise statt vieler Quellen auf den langjährigen Präsidentenberater Zbigniew Brzezinski („Die einzige Weltmacht“), auf den US-Sicherheitsexperten George Friedman (Denkfabrik „Stratfor“) und auf Jeffrey Sachs (weltberühmter Ökonom und früherer Professor an der Columbia-Universität). Wichtig ist: Die Weltherrschaft ist spätestens seit dem Zerfall der Sowjetunion 1991 Ziel aller US-Präsidenten, und zwar parteiunabhängig. Die aktuellen Friedens-Schalmeienklänge von Trump ändern daran nichts.

Der lachende Dritte ist zweifelsohne Wladimir Putin. Seine Position ist massiv gestärkt worden. Sein Friedenswille ist schwer einschätzbar. Der völkerrechtswidrige Überfall auf die Ukraine spricht gegen ihn. Allerdings darf ein gerechtes Urteil die lange Vorgeschichte dieses Krieges nicht unberücksichtigt lassen. Es war und ist Aufgabe des russischen Präsidenten, die Sicherheitsinteressen seines Volkes zu wahren; das ist legitim. Man denke nur an die massive Reaktion von Präsident Kennedy, als 1962 im Hinterhof der USA, in Kuba, russische Raketen in Stellung gebracht wurden. Nichts anderes gilt heute für Russland.

Zum Bild Putins mag eine Bemerkung Trumps in seiner kürzlichen Kongressrede beitragen. Er sagte, man habe in den letzten Tagen weitere ernsthafte Gespräche mit Russland geführt: Putin sei zum Frieden bereit. Putin wurde bei uns über Jahre hinweg jeder Verhandlungswille abgesprochen. Die von Leuten wie Strack-Zimmermann, Hofreiter und Kiesewetter immer wieder hervorgehobene Bedrohung Deutschlands durch Russland dient eher der Stimmungsmache als einer seriösen Bedrohungsanalyse. Es ist wenig wahrscheinlich, dass ein Land, dem es in drei Jahren nicht gelungen ist, einen militärischen Zwerg wie die Ukraine zu besiegen, ein NATO-Land angreift. Das nachlassende Engagement der USA in der Ukraine besagt nichts. Denn die Ukraine war und ist kein Bündnispartner.

Die Lage der Ukraine hat sich in den letzten Tagen verschlechtert. Wenn die Unterstützungsleistungen der USA weiter ausbleiben (z. B. Patriots, Luftaufklärung, „Starlink“, Geheimdienste), dann ist damit zu rechnen, dass Russland in naher Zukunft an mehreren Stellen ein militärischer Durchbruch gelingen wird. Die reflexhaften Hilfszusagen der EU und mehrerer Einzelstaaten für die Ukraine werden daran kurzfristig nichts ändern. Die weitere Entwicklung hängt wesentlich davon ab, wie ernsthaft der Friedenswille von Trump ist. Die Erfahrung zeigt, dass die Unberechenbarkeit die einzige Konstante in Trumps Politik ist.

Es ist damit zu rechnen, dass die Präsidentschaft Selenskyjs das Ende der Kriegshandlungen nicht lange überleben wird, zumal Trump den Daumen über ihn bereits gesenkt hat. Nach dem Ende des Krieges wäre der von Selenskyj ausgerufene Kriegszustand Geschichte, was zu umgehenden Neuwahlen führen würde. Die Meldungen über die politische Stimmung in der Ukraine sind zu widersprüchlich, als dass sie von außen zuverlässig einschätzbar wären.

Was folgt daraus für Deutschland und die EU?

Die Staats- und Regierungschefs der EU beschlossen am letzten Donnerstag beim Brüsseler „Sondergipfel“ ein Rüstungsprogramm in der Rekordhöhe von 800 Milliarden Euro. Einige Regierungschefs (Frankreich, Italien) meldeten mit Rücksicht auf ihre hohe Staatsverschuldung Bedenken an.

Auch maßgebende deutsche Politiker verständigten sich im Rahmen der laufenden Sondierungsgespräche auf Rüstungsprogramme in Höhe von mehreren hundert Milliarden. Unklar blieben jedoch die Finanzierungsmodalitäten (Aufhebung/Änderung Schuldenbremse, „Sondervermögen“) und wie im Bundestag die für eine etwaige Grundgesetzänderung erforderlichen Mehrheiten zustande kommen sollen.

Bezeichnend für die geistige Engführung der europäischen und nationalen Politik ist, dass man sich nur darauf einigen konnte, dass für die Erhöhung der Sicherheit Waffen, Waffen und nochmals Waffen angeschafft werden müssen – und das mit einem unbegrenzten Finanzaufwand („whatever it takes“). Die groteske Forderung des deutschen Verteidigungsministers Pistorius, „wir müssen bis 2029 kriegstüchtig sein“, ist – ungeachtet des heftigen Streits auf anderen Politikfeldern – das einigende Band der sogenannten Altparteien (CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne). Wer anderes sagt, steht sofort im Verdacht, von Moskau finanziert zu werden (BSW, AfD, Linke).

Auf die naheliegende Idee, Frieden und Sicherheit mit anderen Mitteln anzustreben wie zuzuhören, Dialog, vertrauensbildende Maßnahmen, Interessenausgleich, Versöhnung, Rüstungskontrolle und Abrüstung kommt in der Politik der Altparteien niemand mehr. Es sind Begriffe von gestern. Für die Mainstream-Medien und die meinungsbildenden Talkshows gilt das Gleiche. Die Grünen, in ihrer Frühzeit leidenschaftliche Vorkämpfer für Gewaltverzicht und Lebensschutz, sind heute glühende Befürworter aller Aufrüstungsprogramme, je mehr, desto besser. Ihre Außenministerin Annalena Baerbock ist heute Apologetin einer Vernichtungsstrategie („Das wird Russland ruinieren“). Die olivgrüne Allzweckwaffe Anton Hofreiter glänzt damit, Details aller gängigen Panzer- und Raketenprogramme aufsagen zu können. Der Christ und Kanzleranwärter Friedrich Merz hat ultimativ damit gedroht, der Ukraine Taurus-Raketen zu liefern, die Moskau zerstören können. Noch-Kanzler Scholz hat in seiner Regierungszeit viel über Zeitenwende, Waffen und Sicherheit gesprochen, aber nicht ein zur Besinnung und Verständigung mahnendes Wort gefunden.

Wir leben in einer total verrückten Zeit. Ausgerechnet ein Mann wie Donald Trump tritt als Friedensengel auf.

Titelbild: Screenshot CNN


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