NachDenkSeiten – Die kritische Website

Titel: Arbeitsministerium entlässt Mitarbeiterin nach Hetzkampagne von BILD wegen Israel-Kritik

Datum: 10. März 2025 um 10:00 Uhr
Rubrik: Antisemitismus, Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Staatsorgane
Verantwortlich:

Nach einer massiven Hetzkampagne der BILD-Zeitung hat das Arbeits- und Sozialministerium (BMAS) unter Hubertus Heil (SPD) letzten Freitag die Referentin Melanie Schweizer fristlos entlassen und ihr auch den Beamtenstatus entzogen. BMAS räumt selbst ein, dass die Maßnahme erst nach Eingang der Presseanfrage des Springer-Blattes eingeleitet wurde. Vor diesem Hintergrund wollten die NachDenkSeiten wissen, wie das Ministerium, auch im Sinne der Meinungsfreiheit, die Entlassung einer Mitarbeiterin in Reaktion auf eine Verleumdungskampagne der BILD sowie mit Verweis auf Äußerungen in den sozialen Medien rechtfertigt, die Bezug nahmen auf Apartheidstrukturen in Israel und das mutmaßlich genozidale Vorgehen in Gaza. Vorwürfe, die sich mit den Einschätzungen renommierter internationaler Menschenrechtsorganisationen und des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag decken. Von Florian Warweg.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die faktenfreie Hetzkampagne von BILD

Melanie Schweizer war im Arbeitsministerium als verbeamtete Juristin im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte tätig. Zudem war sie für die Bundestagswahl 2025 von der paneuropäischen Partei MERA25 als Direktkandidatin für Berlin-Mitte aufgestellt worden – ein Aspekt, der bei der rechtlichen Bewertung ihrer Entlassung noch eine Rolle spielen wird, doch dazu später mehr.

Auf ihrem im Juni 2024 eingerichteten X-Konto, wo sie explizit vermerkt, dass sie dort „ausschließlich mit persönlicher Meinung“ kommuniziert, hatte sich die Juristin regelmäßig kritisch über das israelische Vorgehen in Gaza geäußert und dabei unter anderem auf die von Israel etablierten Apartheidstrukturen – einen Fakt, den sowohl international anerkannte Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International als auch die Bundesregierung beratende Denkfabriken wie die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) bestätigen – sowie auf den mutmaßlich von Israel in Gaza begangenen Genozid hingewiesen. Ebenfalls eine Einschätzung, die sich mit der Einschätzung zahlreicher Menschenrechtsorganisationen und Völkerrechtler deckt. Auch der Internationale Gerichtshof in Den Haag sieht mindestens das Risiko eines solchen Genozids gegeben.

Doch die Mischung Mitarbeiterin eines Ministeriums im gehobenen Dienst und kritische Haltung zum israelischen Agieren in Gaza (nach aktuellen UN-Angaben vom 4. März 2025 mit 48.405 von Israel getöteten Palästinensern, davon mehrheitlich Frauen und Kinder) war offensichtlich zu viel für BILD. Dort setzte man dann mit Marius Kiermeier ausgerechnet einen Volontär darauf an, einen klassischen Diffamierungsartikel über die israelkritische Referentin im BMAS unter dem Titel „Heil schockiert! Mitarbeiterin verbreitet übelsten Israel-Hass“ zu verfassen, der am 11. Dezember 2024 veröffentlicht wurde:

Darin heißt es unter anderem:

„In Postings auf X (früher Twitter) denunziert Schweizer den jüdischen Staat übelst als „rassistisches, genozidales Apartheidsystem“. Dabei haben Araber und Muslime in Israel die gleichen Rechte wie Juden, sitzen im Parlament und arbeiten als Richter.“

Eine unhaltbare These des BILD-Volontärs. Selbst die tendenziell als israelfreundlich geltende Denkfabrik SWP, die als eine ihrer Hauptaufgaben die Beratung der Bundesregierung hat, kommt zu einem ganz anderen Schluss. In einem Gutachten mit dem Titel „Amnesty International und der Apartheid-Vorwurf gegen Israel“ kommt der Regierungs-Thinktank zu folgender Bewertung:

„Tatsächlich lässt sich kaum abstreiten, dass es in dem gesamten von Israel kontrollierten Gebiet ein institutionalisiertes und auf Dauer angelegtes System der Diskriminierung gibt. In den besetzten Gebieten, einschließlich Ost-Jerusalems, ist dies mit einer systematischen Unterdrückung der Palästinenserinnen und Palästinenser sowie unmenschlichen Handlungen verbunden: (…) Segregation, Verdrängung aus strategischen Gebieten, Administrativhaft, Folter, unverhältnismäßiger Gewalteinsatz und die Verweigerung elementarer Rechte und Freiheiten durch die Besatzungsmacht, insbesondere politischer Rechte (Meinungs-, Vereinigungsfreiheit, politische Teilhabe etc.) und ökonomischer Rechte (darunter der Zugriff auf Land und Ressourcen).

Prima facie begeht Israel damit in den besetzten Gebieten das Verbrechen der Apartheid.“

Auch die BILD-Behauptung, dass „Araber und Muslime in Israel die gleichen Rechte wie Juden“ besitzen würden, ist faktisch nicht haltbar und wird beispielhaft hier von der israelischen Menschenrechtsorganisation B’Tselem dekonstruiert. Diese zeigt klar auf, dass es auch innerhalb Israels eine „institutionalisierte Diskriminierung“ von nicht-jüdischen Staatsbürgern gibt.

Doch die faktenfreie Intervention der BILD zeigt Wirkung. Auf die Presseanfrage des Springer-Blattes erwidert ein Ministeriumsprecher, ohne zuvor mit Schweizer Rücksprache gehalten zu haben:

„Die Äußerungen der Mitarbeiterin, auf die Sie hinweisen, haben wir mit Bestürzung zur Kenntnis genommen. Diese Äußerungen, die im privaten Kontext getätigt wurden, teilt das Ministerium in keiner Weise. Sie stehen nicht im Einklang mit den Werten unseres Hauses, das sich klar gegen jede Form von Antisemitismus positioniert. (…) Das BMAS prüft derzeit, inwieweit dienstrechtliche Konsequenzen in diesem Fall möglich sind.“

Heil gibt klein bei…

Erst nach Erscheinen des BILD-Artikels wird Melanie Schweizer zum Personalgespräch gebeten, dann werden Disziplinarmaßnahmen eingeleitet. Wie die entlassene Referentin gegenüber den NachDenkSeiten betont, war ihre kritische Haltung zu Israels Agieren bei ihren Vorgesetzten bekannt, und diese hatte ihr vor der Hetzjagd des Springer-Blattes keinerlei Probleme im Ministerium verursacht. Das sollte sich nun ändern.

Am 2. März verkündete BILD dann in unverhohlenem „mission accomplished“-Modus: „Hubertus Heil greift durch: Israel-Hasserin verliert Job und Beamten-Status“

Weiter heißt es dann in bester hetzerischer und zugleich israelische Kriegsverbrechen relativierender BILD-Manier (der Volontär hat schnell gelernt):

„Das, was Schweizer als „Genozid in Palästina“ bezeichnet, ist das israelische Verteidigungshandeln gegen den entsetzlichen Angriff gegen Israel.“

So etwas schreibt BILD, nachdem das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) eine Woche zuvor, am 25. Februar 2025, 13.319 von Israel getötete Kinder und 7.216 Frauen namentlich (!) identifiziert hat.

Verstößt die Entlassung von Schweizer gegen Paragraph 2 des Abgeordnetengesetzes?

Zum Zeitpunkt der gegen sie laufenden Maßnahmen des Bundesarbeitsministeriums und der BILD-Kampagne war Schweizer offizielle Direktkandidatin für den Bundestag von Mera25, dem deutschen Ableger des vom ehemaligen griechischen Finanzminister und Wirtschaftswissenschaftler Yanis Varoufakis gegründeten DiEM25.

Im Wahlprogramm von Mera25 ist ebenfalls von „Völkermord in Gaza“ und „israelischer Apartheid“ die Rede. Das heißt, Schweizer hat auf ihrem X-Account de facto nur die Haltung ihrer Partei kommuniziert. Und für den Bundestag kandidierende Parteienvertreter unterstehen einem besonderen Schutz, welcher insbesondere in Paragraf 2 des Abgeordnetengesetzes geregelt ist. Dort heißt es unmissverständlich:

  1. Niemand darf gehindert werden, sich um ein Mandat im Bundestag zu bewerben, es zu erwerben, anzunehmen oder auszuüben.
  2. Benachteiligungen am Arbeitsplatz im Zusammenhang mit der Bewerbung um ein Mandat sowie dem Erwerb, der Annahme und Ausübung eines Mandats sind unzulässig.
  3. Eine Kündigung oder Entlassung wegen des Erwerbs, der Annahme oder Ausübung des Mandats ist unzulässig. Eine Kündigung ist im Übrigen nur aus wichtigem Grunde zulässig. Der Kündigungsschutz beginnt mit der Aufstellung des Bewerbers durch das dafür zuständige Organ der Partei oder mit der Einreichung des Wahlvorschlags. Er gilt ein Jahr nach Beendigung des Mandats fort.

Eklatante Doppelstandards

Halten wir fest: Eine Referentin im Bundesarbeitsministerium wird gefeuert, weil sie das evident völkerrechtswidrige Agieren Israels in den besetzten palästinensischen Gebieten auf ihrem privaten X-Account kritisiert und dabei Einschätzungen tätigt, die von internationalen Menschenrechtsorganisationen und UN-Experten gestützt werden. Dies hätte gegen das Neutralitätsgebot, dem Bundesbeamte unterliegen, verstoßen, lautet unter anderem die Argumentation des BMAS für die fristlose Kündigung und Entzug des Beamtenstatus. Gleichzeitig kann ein anderer Ministerialbeamter, der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, offen seine Zustimmung zum Bruch des Völkerrechts kundtun – ohne jede dienstrechtliche Konsequenz. Klein hatte in einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung Anfang letzter Woche erklärt, die Idee Trumps, die Palästinenser aus dem Gazastreifen zu vertreiben, um dort anschließend eine „Riviera des Nahen Ostens“ zu etablieren, sei „nicht verkehrt“.

Der Antisemitismusbeauftragte ist in seiner Funktion als Ministerialdirigent im Bundesinnenministerium (BMI) tätig, er hat also denselben Status wie ihn auch Schweizer hatte. Mit einem Unterschied: Die privaten Äußerungen von Schweizer, in denen sie von Israel das Einhalten von Völkerrecht auf ihrem privaten X-Account einforderte, werden als Verstoß gegen das Neutralitätsgebot als Beamtin gewertet. Die Äußerungen von Klein, in welchen er seine Zustimmung zur ethnischen Säuberung, also zum Bruch von Völkerrecht, äußert und dies explizit in seiner Funktion als Beauftragter der Bundesregierung wird von seinem Dienstherrn, dem Bundesinnenministerium (BMI), als „persönliche Auffassung“ gewertet. In derselben Bundespressekonferenz, in der auch die Entlassung von Schweizer ein Thema war, erklärte der BMI-Sprecher in Bezug auf die Causa Klein:

„Er hat das als persönliche Auffassung wiedergegeben, und das würde ich von dieser Stelle aus hier nicht kommentieren.“

Weiter hieß es dann vom BMI, der Antisemitismusbeauftragte sei als Bundesbeamter nicht weisungsgebunden und könne sich völlig unabhängig äußern. Das „Neutralitätsgebot“ scheint ein recht einseitiges Gebot zu sein …

Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 5. März 2025

Frage Warweg
An das BMAS: Nach einer massiven Kampagne der BILD-Zeitung wurde die Referentin im Arbeits- und Sozialministerium [Anm.: Name entfernt] letzten Freitag fristlos entlassen. In diesem Zusammenhang wurde ihr auch der Beamtenstatus entzogen, und das BMAS räumt auch selbst ein, dass die Maßnahme erst nach Eingang der entsprechenden BILD-Presseanfrage eingeleitet wurde. Vor diesem Hintergrund würde mich interessieren: Wie rechtfertigt das Ministerium auch im Sinne von Meinungsfreiheit die Entlassung einer Ministeriumsmitarbeiterin in Reaktion auf eine Kampagne der BILD-Zeitung mit Verweis auf Äußerungen in den sozialen Meiden (sic!), die Bezug nahmen auf Apartheidstrukturen in Israel und das mutmaßlich genozidale Vorgehen in Gaza – Vorwürfe, die sich mit den Einschätzungen renommierter internationaler Menschenrechtsorganisationen oder auch der bisherigen Einschätzung des IGH durchaus decken?

Ehrentraut (BMAS)
Auch wenn meine Antwort Sie jetzt enttäuschen wird, mache ich es kurz: Personalangelegenheiten kommentieren wir grundsätzlich nicht.

Zusatzfrage Warweg
Dann hätte ich trotzdem noch eine Verständnisfrage: Die jetzt von Ihrem Ministerium entlassene Referentin war Bundestagskandidatin der paneuropäischen Partei MERA25, in deren Wahlprogramm ebenfalls von israelischer Apartheid und Genozid die Rede ist. Das heißt, sie hat eigentlich nur die Haltung ihrer Partei kommuniziert. Das Abgeordnetengesetz sieht in Paragraph 2 sehr explizit einen Kündigungsschutz sowie das Verbot einer Benachteiligung am Arbeitsplatz im Zusammenhang mit der Bewerbung um ein Bundestagsmandat vor. Da würde mich interessieren: Sieht das Ministerium in der Entlassung von Frau Schweizer keinen Widerspruch zu dem erwähnten Paragraph 2 des Abgeordnetengesetzes?

Ehrentraut (BMAS)
Da wir grundsätzlich keine Personalangelegenheiten kommentieren, werde ich hier auch keine juristische Einschätzung abgeben können.

Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz vom 5. März 2025


Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/

Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=129962