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Titel: Kapitulation vor der Realität: Hessischer Rundfunk verlässt die Plattform X

Datum: 7. März 2025 um 9:00 Uhr
Rubrik: Erosion der Demokratie, Medienkritik, Strategien der Meinungsmache
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Demokratie lebt vom Aufeinandertreffen unterschiedlicher Standpunkte. Der öffentliche-rechtliche Rundfunk, der eine Säule im demokratischen Gebilde sein soll, hat mit der „Sicht der Anderen“ große Probleme. Das weiß jeder, der sich das Programm von ARD und ZDF antut. Nun macht der Hessische Rundfunk seinen Kanal auf der Plattform X dicht. Warum? Weil die Rundfunkanstalt vor der Realität kapituliert. Ein Kommentar von Marcus Klöckner.

Fünf Stühle, eine Meinung – das ist das Sinnbild für die politische Diskussion, die in weiten Teilen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks stattfindet. Hier und da darf eine Art „Pluralitätskasper“ eine „abweichende“ Meinung vertreten, und – selten, ja: sehr selten! – findet sich auch mal eine Stimme, die sich tatsächlich kritisch gegenüber der politisch opportunen Meinung positionieren darf – das war es aber auch schon. Ansonsten fließt der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit seinem politischen Programm entlang jener Grenzen, die die Hände, die dafür sorgen, dass er gefüttert wird, ihm setzen. Und so können sich Redakteure und Programmverantwortliche, die mit der grundsätzlichen politischen Ausrichtung ihrer Sender einverstanden sind, gemütlich einrichten. Fundamentalkritische Stimmen, die die bestehende innere ideologische Harmonie in den Funkhäusern stören? Die hält man durch eine gnadenlose Auswahl fern. Natürlich, so stellen die wackeren Journalisten es gegenüber der Öffentlichkeit dar: nur im besten Sinne von Demokratie und Gesellschaft. Auf diese Weise entsteht eine eigene Wirklichkeitsblase, in der es recht gemütlich zu sein scheint.

Richtig ungemütlich wird es allerdings, wenn der Öffentlich-Rechtliche sich vorwagt in die Realität. Gehen die Sendeanstalten zum Senden raus in die Öffentlichkeit, wo sie nur ihren „Output“, aber nicht die Reaktionen der demokratischen Öffentlichkeit kontrollieren können, dann weht ihnen plötzlich ein rauer Wind entgegen.

Dabei ist die Sache eigentlich ziemlich einfach: Jemand sagt etwas öffentlich. Und dann muss er bereit sein, mit den Reaktionen der Öffentlichkeit klarzukommen. Es ist ähnlich wie bei einem Künstler: Ein Künstler stellt sich auf die Bühne und liefert eine Darbietung ab. Ist sie gut, gibt es viel Applaus. Ist sie extrem schlecht, buht das Publikum ihn aus.

Am Dienstag hat der Hessische Rundfunk (hr) verkündet, dass er die Plattform X verlässt. Der Grund führt in die Niederungen des Demokratieverständnisses. Aus hr-Sicht sei X „kein Ort mehr für einen offenen und fairen Austausch“, denn: „Seit US-Milliardär Elon Musk die Plattform übernommen hat, dominierten dort zunehmend Hetze und Demokratiefeindlichkeit.“ Diese Worte stammen vom hessenschau-Leiter Fabian Kühne.

So einfach kann man es sich machen. Aus eigener Erfahrung als X-Nutzer, der die Plattform auch vor Elon Musks Übernahme genutzt hat, kann ich an dieser Stelle sagen: Das ist Unsinn! Aber, um Kühne entgegenzukommen: Sollten, wenn auf einer großen Social-Media-Plattform viel gehetzt und „Hass“ ausgesät wird, Demokraten nicht erst recht Flagge zeigen? Besonders dann, wenn sie Milliarden dafür erhalten, dass sie für die Demokratie einstehen?

Natürlich wissen wir alle: Im Kern geht es um etwas anderes. Der Rückzug von X ist ein politisches Statement, und das wiederum passt dann doch sehr gut in das Gesamtbild. So, wie sich gerade die vorherrschende Politik an Musk und Trump anstößt, so macht es auch – wer hätte etwas anderes erwartet?! – der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Die Distanzierung dürfte ganz im Sinne der Politik sein. Hinzu kommt: Für die Außendarstellung ist es alles andere als schmeichelhaft, wenn für die Öffentlichkeit gut sichtbar ist, wie viel Kritik ein Medium unter seinen Tweets einstecken muss.

Rund 2.000 Kommentare finden sich unter der Ankündigung des hr. Wer sich reinliest, sieht schnell, wie die Grundstimmung ist. Ein Nutzer schreibt:

Künftig gibt es weniger öffentlich-rechtlich finanzierte #FakeNews, Propaganda und Desinformation auf X. Danke @hessenschau

Ein anderer sagt:

Ich nehme die Kapitulation an.

In einem weiteren Kommentar finden sich folgende Worte:

Ich kann mich ohnehin nicht entsinnen, von der „hessenschau“ irgendwann mal etwas Neues erfahren zu haben. Ihr habt stets eh nur „berichtet“, was die Regierung Euch vorschreibt. Einer von gefühlt 500 hochsubventionierten Schreiber- und Senderlingen weniger. Afuera!

Ein anderer Kommentator schreibt verärgert:

Es ist eine Schande, wie Ihr Euren gesetzliche Informationsauftrag aus ideologischen Gründen vernachlässigt. X ist ein Kanal, der bespielt werden muss.

Und so geht es munter weiter.

Längst ist vielen klar, dass die Worte „Hass“ und „Hetze“, wenn der Medienmainstream sie gebraucht, als Chiffren in einem Kampf um die politische Deutungshoheit zu verstehen sind. Wer sie gebraucht, will die nichtopportune Meinung des Gegenübers herabwürdigen und nicht als legitim anerkennen. Beim oft von Vertretern großer Medien geäußerten und ziemlich dämlichen Ausspruch, „Hass ist keine Meinung“, wird das Prinzip deutlich.

Der Schritt des hr dokumentiert, was weite Teile des Medienmainstreams seit Langem immer wieder verdeutlichen: Die Wächter der Demokratie kommen mit einem Grundprinzip der Demokratie nicht zurecht. Dieses Prinzip heißt: Pluralismus! Die Schließung zahlreicher Foren von großen Medien – oft unter Katzenjammer – hat das Problem schon gezeigt. Und es geht weiter. Bis heute haben die großen Medien nichts gelernt. Die Entscheidung des hr ist aus Sicht der Demokratie erbärmlich, aber sie vervollständigt den Gesamteindruck.

Titelbild: Prathmesh T/shutterstock.com


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