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Titel: Ist Nord Stream 2 bald in amerikanischer Hand?

Datum: 4. März 2025 um 12:30 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Energiepolitik, Ressourcen
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Die diplomatische Annährung zwischen den USA und Russland könnte auch Folgen für die deutsche Energieversorgung haben. Übereinstimmenden Medienberichten zufolge gibt es von amerikanischer Seite bereits mehrere Interessenten für den Kauf der russischen Ostseepipeline Nord Stream 2. Würden diese Pläne realisiert, käme zwar wieder russisches Pipelinegas nach Deutschland – verkaufen würden es jedoch die Amerikaner. Es geht dabei nicht nur um viel Geld, sondern vor allem um Macht. Deutschlands katastrophale Diplomatie gegenüber Russland hat uns in diese prekäre Lage gebracht, aber es gäbe noch einen Ausweg aus der Misere. Deutschland müsste das Heft des Handelns in die Hand nehmen und unter eigener Regie die Pipeline wieder in Betrieb nehmen. Ob dazu der politische Wille vorhanden ist, darf jedoch bezweifelt werden. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Im Januar – kurz vor Trumps Amtsübernahme – berichteten die NachDenkSeiten bereits ausführlich über die jüngeren Entwicklungen zur Zukunft der beiden Pipelines Nord Stream 1 und 2. Damals spekulierten wir, dass es bei den Übernahmeplänen des US-Investors Stephen P. Lynch womöglich gar nicht darum ginge, Nord Stream 2 wieder in Betrieb zu nehmen, sondern ganz im Gegenteil eine Wiederinbetriebnahme zu verhindern. Damals hätte wohl auch niemand ernsthaft damit gerechnet, dass Donald Trump in einer atemberaubenden Geschwindigkeit diplomatische Verhandlungen mit Russland aufnimmt, eine Normalisierung der Beziehungen anstrebt und die EU wie ein Riesentanker in voller Fahrt das Steuer entweder nicht rumreißen kann oder will und weiter auf ihrem Feindkurs gegenüber Russland verharrt. Dies könnte strategisch eine Weichenstellung sein, deren negative Folgen wir zum Teil erst in vielen Jahren zu spüren bekommen. So auch beim Thema Nord Stream.

Schauen wir uns doch einmal die momentane Situation von Nord Stream 2 an. Strang B von Nord Stream 2 wurde beim Angriff auf die Pipelines nicht beschädigt und könnte binnen kürzester Zeit aus technischer Sicht in Betrieb gehen. Strang A ist hingegen schwer beschädigt und es ist ungewiss, welcher Aufwand nötig ist, ihn zu sanieren. Rechtlich sieht es für beide Stränge komplizierter aus. Der scheidende Bundeswirtschaftsminister Habeck stoppte am 22. Februar 2022 – zwei Tage vor dem russischen Angriff auf die Ukraine – das Zertifizierungsverfahren für die Nord Stream 2 AG. Eine Inbetriebnahme des intakten Stranges B von Nord Stream 2 würde somit „lediglich“ am noch fehlenden deutschen Zertifizierungsverfahren und den laufenden Sanktionen der EU und der USA gegen die Nord Stream 2 AG scheitern. Dass die USA ihre Sanktionen schon bald fallenlassen, ist sehr wahrscheinlich. Der Spielball liegt somit im Feld von EU und Bundesregierung. Doch wer sollte die Pipeline überhaupt betreiben, wenn EU und Bundesregierung sich zu einer Inbetriebnahme entschließen sollten?

Hier kommt das derzeit laufende Konkursverfahren der Nord Stream 2 AG vor dem Kantonsgericht im Schweizer Zug, dem Sitz der Betreibergesellschaft, ins Spiel. Die Nord Stream 2 AG ist eine 100-prozentige Tochter der russischen Gazprom AG. Anstatt sich an der Nord Stream 2 AG zu beteiligen, haben die europäischen Partner ihre „Beteiligung“ an dem Pipelineprojekt in Form von Krediten beigesteuert. Mit jeweils 950 Millionen Euro haben sie sich zu 50 Prozent an den Gesamtbaukosten in Höhe von 9,5 Milliarden Euro beteiligt. Die Nord Stream 2 AG ist also massiv verschuldet, verzeichnet keine Geschäftseinnahmen und ist daher Gegenstand eines Konkursverfahrens. Ziel dieses Verfahrens ist es, eine Einigung zwischen den Gläubigern und der Nord Stream 2 AG zu erzielen. Wenn dies nicht gelingt, muss das Gericht den Konkurs eröffnen und sämtliche Aktiva der AG werden öffentlich versteigert. Der Zeitrahmen für eine Einigung wurde dabei vom Kantonsgericht immer wieder verlängert; zuletzt im Februar. Aus einem Gerichtsdokument, das die britische Financial Times zitiert, geht hervor, dass diese abermalige – und vielleicht letzte – Fristverlängerung von Gazprom mit dem Verweis auf die bevorstehende Amtseinführung Trumps und die Bundestagswahlen begründet wurde, die „vermutlich erhebliche Auswirkungen auf die Zukunft von Nord Stream 2 haben können“. Wie recht Gazprom damit hatte, wussten damals nur sehr wenige.

Um eine Versteigerung der Aktiva der Nord Stream 2 AG, also vor allem der beiden Röhren, zu verhindern, müsste es also zu einer Einigung zwischen den Gläubigern kommen. Die Großgläubiger sind die fünf europäischen Partner, die ihre „Beteiligung“ in Form von Krediten indirekt beigesteuert haben. Das sind …

  1. Uniper

    Die NachDenkSeiten hatten erst letzte Woche ausführlich zu Uniper berichtet. Zurzeit ist Uniper zu 99,12 Prozent im Besitz des Bundes. Welche Interessen die Bundesregierung an einer Einigung mit den anderen Gläubigern hat, ist offen.

  2. OMV

    Der österreichische Energiekonzern OMV ist zu 31,5 Prozent im Besitz der Republik Österreich. Die OMV hat bis November letzten Jahres russisches Pipelinegas von Gazprom bezogen, die Lieferverträge wurden jedoch im Dezember aufgrund von rechtlichen Streitigkeiten gekündigt. Wie die OMV sich als Gläubiger verhält, ist unbekannt und aufgrund des hohen Besitzanteils der Republik Österreich wohl eine politische Frage.

  3. Engie

    Der französische Energiekonzern Engie ist zu 23,6 Prozent im Besitz des französischen Staates. Auch hier ist es daher eher eine politische Frage, wie Engie sich als Gläubiger verhalten wird.

  4. Wintershall Dea

    Das ehemals deutsche Unternehmen wurde 2024 an die britische Harbour Energy verkauft, die Aktiva in Russland verblieben jedoch im Rumpfunternehmen, das zu 67 Prozent dem deutschen Chemieunternehmen BASF und zu 33 Prozent einer Luxemburger Holding gehört, hinter der die russischen Oligarchen Michail Fridman und Pjotr Awen stehen. Da BASF als energieintensives Unternehmen vor den Sanktionen zu den größten Kunden russischen Erdgases gehörte und auch künftig auf preiswerte Energie angewiesen ist, ist es wahrscheinlich, dass man jeder Lösung zustimmen wird, die eine Inbetriebnahme der Pipeline vorsieht.

  5. Shell

    Die Shell plc ist ein britischer Energiekonzern, der mehrheitlich im Besitz institutioneller Investoren wie BlackRock, Vanguard oder Norges ist. Shell hat seine Geschäftsbeziehungen mit Russland eingestellt und setzt voll auf LNG-Importe. Dass Shell sein neues Geschäftsfeld durch die Konkurrenz preiswerten Pipelinegases selbst torpediert, ist eher unwahrscheinlich. Shell dürfte daher daran gelegen sein, die Nord-Stream-Röhren auf dem Grunde der Ostsee zu belassen.

Wie man unschwer erkennen kann, dürfte es nicht einfach sein, unter diesen fünf Großgläubigern, von denen drei „Staatsunternehmen“ sind, eine Einigung zu erzielen. Eine Inbetriebnahme in der jetzigen Unternehmensform ist aber nur möglich, wenn es zu einer Einigung kommt. Würde Deutschland wirklich ein Interesse an einer Inbetriebnahme haben, würde es sicher auch Mittel und Wege finden, die anderen Gläubiger mit ins Boot zu holen, zumal sämtliche Beteiligte ihre Forderungen ohnehin bereits als Verlust voll abgeschrieben haben. Einer Lösung stehen somit weniger betriebs- oder finanzwirtschaftliche, sondern einzig politische Hürden im Weg. Mit Österreich und Frankreich könnte man sich sicherlich einig werden, zumal beide Länder ebenfalls von preiswerteren Gasimporten profitieren würden. BASF hat als indirekter Gläubiger selbst ein großes Interesse und Shell ließe sich sicherlich ausbezahlen. Am Ende könnte so die Wiederaufnahme der russischen Gasimporte unter deutscher bzw. europäischer Regie stehen. Strang B könnte – eine Zertifizierung durch die neue Bundesregierung vorausgesetzt – bereits kurz- bis mittelfristig Gas liefern. Strang A müsste erst repariert werden.

Was passiert, wenn sich die Gläubiger nicht einigen können? Dann werden die Pipelines öffentlich versteigert. Russische Bieter sind – Stand heute – aufgrund der Sanktionen von dieser Versteigerung ausgeschlossen. Theoretisch könnten deutsche Bieter und sogar die Bundesregierung selbst mitbieten – aber die käme (s.o.) auch mit viel weniger Aufwand und Kosten im Rahmen des Konkursverfahrens zu diesem Ziel. Sollte Nord Stream 2 unter den Hammer kommen, dürften vor allem Interessenten aus den USA als potenzielle Bieter in Frage kommen. Neben dem bereits erwähnten Stephen P. Lynch gibt es nun laut Financial Times einen besonders interessanten weiteren Interessenten.

Glaubt man der FT, ist nun der ehemalige Stasi-Agent, Gazprom-Manager und Chef der alten Nord Stream 2 AG, Matthias Warnig, mit der neuen US-Regierung in Verbindung getreten. Warnig steht offenbar namentlich nicht genannten US-Investoren vor und verfügt zudem über beste Kontakte zu Wladimir Putin und dem engeren Führungskreis in Moskau. Zudem soll er lt. FT mit seinem Plan bereits bis die engsten Kreise Donald Trumps vorgedrungen sein. Was an diesen Berichten dran ist, ist schwer zu sagen. Unrealistisch sind sie jedenfalls nicht. Ganz im Gegenteil. Würde ein Konsortium rund um Matthias Warnig die Pipeline ersteigern und dabei volle Rückendeckung aus Moskau und Washington haben, wäre es plötzlich an der neuen Bundesregierung, sich über die Zertifizierung von Nord Stream 2 mit gleich beiden Supermächten anzulegen.

Sollte es wirklich so weit kommen, dass US-Investoren Nord Stream 2 kaufen und zusammen mit Gazprom wieder in Betrieb nehmen, steht Deutschland ziemlich dumm da. Die FT zitiert dazu einen ehemaligen hochrangigen US-Beamten mit den Worten: „Die USA würden sagen: ‘Nun, jetzt wird Russland verlässlich sein, weil vertrauenswürdige Amerikaner mittendrin sind’. Die US-Investoren würden ‚Geld für nichts‘ kassieren“. Und genau so sieht es aus. Deutschland würde Opfer seiner eigenen (falschen) Erzählungen. Man würde formal das Gas bei US-Unternehmen kaufen und damit noch nicht einmal die eigenen Sanktionen verletzen. Man würde also wie beim Dreieckshandel mit russischem LNG am Ende auch russisches Gas beziehen, dafür aber wesentlich höhere Preise zahlen. Doch nicht nur das.

Man würde sich zudem bei den Gasimporten von den USA abhängig machen. 2024 kamen 91 Prozent der deutschen LNG-Importe aus den USA. Diese Menge soll sich künftig nach den Wünschen des US-Präsidenten Trump weiter erhöhen. Kämen dazu noch die 20 Mrd. Kubikmeter pro Jahr, die über Strang B von Nord Stream 2 transportiert werden können, wäre Deutschland zu großen Teilen von US-Lieferanten abhängig. Russland könnte Gas verkaufen und seine Beziehungen zu den USA ausbauen. Die USA könnten als Mittelsmann zwischen Russland und Deutschland Gewinne erzielen, ihre Beziehungen zu Russland ausbauen und Deutschland in eine Energieabhängigkeit treiben. Win-Win für Russland und die USA. Der Verlierer ist Deutschland.

Will Deutschland dieses Szenario vermeiden, müsste es die Versteigerung der Pipeline verhindern. Der optimale Weg wäre es daher, sich zuvor mit den anderen Gläubigern zu verständigen und eine eigene Lösung zur Wiederinbetriebnahme auszuarbeiten. Viel Zeit bleibt dazu nicht mehr. Ende Mai läuft auch die letzte Fristverlängerung des Kantonsgerichts in Zug aus. Kommt es bis dahin zu keiner Einigung, werden die Röhren versteigert.

Titelbild: TrifonenkoIvan/shutterstock.com


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