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Titel: Interview zu Trump, BRICS und Lateinamerika: „Noch nie war die Einheit unseres Kontinents so dringend und notwendig“
Datum: 2. März 2025 um 13:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik
Verantwortlich: Redaktion
Ein Gespräch mit Breno Altman, Journalist und politischer Analyst aus Brasilien. Altman analysiert die globalen und regionalen Auswirkungen der Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus, die Vielfalt und das Potenzial innerhalb der BRICS-Gruppe und die sich wandelnde Landschaft der lateinamerikanischen Politik. Er reflektiert auch über die Herausforderungen und Möglichkeiten, den Geist der kontinentalen Integration zurückzubringen, der die Region einst unter der Führung von Hugo Chávez beflügelte. Das Interview führte Cira Pascual Marquina.
Wir sind nun in einer zweiten Amtszeit von Trump. Vor Kurzem haben Sie in Ihrer Sendung Opera Mundi eine Zusammenfassung dessen gegeben, wofür die Demokratische und die Republikanische Partei heute stehen. Beide sind natürlich imperialistisch, aber sie vertreten unterschiedliche Fraktionen der Bourgeoisie. Was ist aus lateinamerikanischer Sicht von der Regierung Trump zu erwarten?
Donald Trump vertritt im Wesentlichen Fraktionen der US-Bourgeoisie, die durch die sogenannte “Globalisierung” an Rentabilität verloren haben – das heißt, durch die Öffnung des US-Binnenmarktes im Austausch für freien Zugang zu den Märkten anderer Länder. Um Einnahmen und Gewinne wiederzuerlangen, versuchen diese Sektoren, den Markt ihres Landes wieder zu schließen, ihre Unternehmen vor internationaler Konkurrenz zu schützen oder bessere Bedingungen im internationalen Waren- und Kapitalfluss zu erhalten. Vor allem aus diesem Grund ist das Programm von Donald Trump protektionistisch, erfolgversprechend und führt bereits zu einer deutlichen Erhöhung der Einfuhrzölle. Diese Perspektive hat erhebliche Auswirkungen auf die lateinamerikanischen Volkswirtschaften, die die USA nach wie vor als relevanten Markt betrachten, insbesondere diejenigen, die Industrieprodukte exportieren.
Darüber hinaus arbeitet die Trump-Regierung aufgrund ihres nationalistisch-chauvinistischen Ansatzes an einer Umstrukturierung des imperialistischen Systems. Seit dem Zweiten Weltkrieg haben die USA versucht, verschiedene imperialistische Staaten und ihre Peripherien vereint und integriert zu halten, selbst auf Kosten von Zugeständnissen und Vereinbarungen. Die Priorität bestand darin, das System zusammenzuhalten und es vor früheren innerimperialistischen Konflikten zu schützen – erst, um dem sozialistischen Block entgegenzuwirken, und später, um die US-Hegemonie über den Planeten aufrechtzuerhalten.
Die derzeitige Regierung hat ihre Absicht bekundet, das imperialistische System als Priorität aufzugeben und die spezifischen imperialistischen Interessen der USA zu bekräftigen, auch wenn dies zu Konflikten innerhalb der G7 führt. Die Trump-Regierung lässt erkennen, dass sie die Interventionsgebiete reduzieren möchte, insbesondere indem sie sich aus Europa zurückzieht und sich sowohl auf die Polarisierung gegen China als auch auf die Kontrolle des Nahen Ostens konzentriert, während sie gleichzeitig die Hegemonie in den Amerikas wieder geltend macht.
Der Trend geht daher für Trump dahin, die Monroe-Doktrin von 1823 “Amerika den Amerikanern” stark wiederzubeleben. Die Angriffe auf Kanada und Mexiko sind vermutlich nur ein Vorspiel für das, was noch kommen wird.
Vor etwa sechs Monaten schien Venezuela mit seiner direkt antiimperialistischen Haltung in Südamerika etwas isoliert zu sein. Sogar der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva und der kolumbianische Präsident Gustavo Petro versuchten, in ihren Beziehungen zu den USA eine Art “dritten Weg” zu finden. Die jüngsten Ereignisse haben jedoch die Grenzen dieses Ansatzes aufgezeigt. Denken Sie vor diesem Hintergrund, dass Lula und Petro zu einer stärker antiimperialistischen Position übergehen werden oder zumindest zu einer Position, die der Souveränität Vorrang vor der Beziehung zum kontinentalen Hegemon einräumt?
Ich halte das für möglich. Hätte Kamala Harris gewonnen, hätte es wahrscheinlich eine breite kontinentale Allianz gegeben, um Venezuela zu isolieren, und sogar Kolumbien und Brasilien wären möglicherweise mit hineingezogen worden. Mit Trump wird dies undurchführbar. Selbst wenn progressive Regierungen Konflikte mit dem Weißen Haus zu vermeiden suchen, ist es eine Tatsache, dass Trump diese Konflikte unausweichlich machen wird, weil er die Hegemonie in Lateinamerika wiedererlangen will.
In diesem Szenario könnte die Tendenz zu einer stärkeren antiimperialistischen Reaktion von Mexiko, Kolumbien und Brasilien an Dynamik gewinnen, angetrieben auch durch das innenpolitische Überleben ihrer Regierungschefs. Auf dieser Grundlage könnte es zu einer Wiederbelebung der regionalen Integration kommen, zusammen mit einer allmählichen Erholung der strategischen Beziehungen, etwa zwischen Brasilien und Venezuela.
Wie beurteilen Sie aus der Perspektive des Globalen Südens die Rolle der BRICS im Kampf für eine multipolare Welt? Wie interpretieren Sie darüber hinaus die Entscheidung Brasiliens, auf dem Gipfel in Kasan im Oktober 2024 sein Veto gegen den Beitritt Venezuelas zum Block einzulegen? Glauben Sie, dass sich diese Haltung auf dem bevorstehenden BRICS-Gipfel in Rio de Janeiro im Juli 2025 ändern könnte?
Meiner Meinung nach besteht der Hauptwiderspruch in der heutigen Welt zwischen dem von den USA geführten imperialistischen System und einer breiten aufstrebenden antiimperialistischen Front, deren wesentliches Ziel darin besteht, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1991 etablierte unipolare Ordnung zu überwinden. In diesem Zusammenhang ist die BRICS-Gruppe der wichtigste wirtschaftliche und finanzielle Rahmen für eine gegenhegemoniale Strategie, da sie versucht, eine Alternative zur Dominanz des US-Dollars und der von den führenden kapitalistischen Ländern kontrollierten Währungsinstitutionen zu entwickeln. Da es sich nicht um einen Block mit militärischen oder direkten geopolitischen Ambitionen handelt und die Auferlegung politischer oder wirtschaftlicher Modelle vermieden wird, verfügt das Bündnis über genügend Flexibilität, um sogar Nationen anzuziehen, die noch unter dem Einfluss der USA stehen.
Was das Veto Brasiliens gegen den Beitritt Venezuelas betrifft, was ich für einen schwerwiegenden Fehler der Regierung Lula halte[1], so glaube ich, dass es dafür drei Hauptgründe gibt. Erstens den Wunsch, die Regierung Maduro dafür zu bestrafen, dass sie sich nicht an die Position gehalten hat, die Brasilien während der Präsidentschaftswahlen in Venezuela vertreten hat[1]. Zweitens, um dem liberalen Westen, insbesondere Europa und den USA, zu zeigen, dass Brasilien nicht bedingungslos mit dem von China und Russland angeführten Block verbunden ist. Drittens soll versucht werden, auf brasilianischem Territorium die Offensive konservativer Kräfte zu neutralisieren, die die Bolivarische Revolution zu einem permanenten Angriffsziel gemacht haben.
Ich glaube nicht, dass es einfach sein wird, dieses Szenario vor dem Gipfel im Juli rückgängig zu machen, obwohl die Beziehungen zwischen den beiden Regierungen ihre angespannteste Phase bereits überwunden haben. Die Regierung Lula wird das Veto wahrscheinlich nur aufheben, wenn es erheblichen Druck von den linken Parteien und Volksbewegungen Brasiliens gibt.
Das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts war von einem starken Bestreben nach kontinentaler Integration geprägt, wobei die bolivarische Vision von Hugo Chávez einen großen Einfluss auf Lateinamerika und die Karibik hatte. Sie fand bei den Staats- und Regierungschefs und der Bevölkerung in der gesamten Region Anklang. Glauben Sie, dass der damals so starke Geist der Einheit heute wieder aufleben kann?
Noch nie war die Einheit Lateinamerikas so dringend und notwendig. Die Trump-Regierung macht die regionale Integration noch unumgänglicher. Die Hindernisse sind jedoch beträchtlich. Auf der einen Seite gibt es ultrarechte Regierungen wie die von Javier Milei in Argentinien. Auf der anderen Seite gibt es progressive Regierungen, die zögern, eine antiimperialistische Haltung einzunehmen, wie es in Chile, Kolumbien und Brasilien zu beobachten ist.
Um den von Chávez und Lula zu Beginn des Jahrhunderts vorgeschlagenen Weg erneut einzuschlagen, ist es unerlässlich, zunächst die strategische Allianz zwischen Venezuela und Brasilien wiederherzustellen, da dies die grundlegende treibende Kraft hinter der regionalen Einheit ist. Hoffentlich wird dies in den kommenden Monaten geschehen.
Breno Altman aus Brasilien ist Journalist, politischer Analyst und Gründer von “Opera Mundi”, einer Medienplattform, die sich auf internationale Angelegenheiten aus linker Perspektive konzentriert
Übersetzung: Vilma Guzmán, Amerika21
Titelbild: Shutterstock / wrgraphiks
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[«1] Siehe Relação Brasil e Venezuela: Governo Lula agiu em prol do imperialismo? Por Breno Altman, Opera Mundi
[«2] Lula hatte in einer gemeinsamen Erklärung mit Kolumbiens Präsident Petro auf „die transparente Veröffentlichung von aufgeschlüsselten und überprüfbaren Daten” der Präsidentschaftswahlen in Venezuela gedrängt. Diese ist bis dato nicht erfolgt
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