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Titel: Ausstieg aus der Atomenergie – Aber wohin mit dem Atommüll? Teil 1
Datum: 2. März 2025 um 12:00 Uhr
Rubrik: Energiepolitik, Umweltpolitik
Verantwortlich: Redaktion
Ein Gastbeitrag von Susanne Louise Heiland, seit 2019 Teilnehmerin aus Schleswig-Holstein am Forum Endlagersuche. Der heutige erste Teil behandelt den Start und den Verlauf der Endlagersuche bis 2021, der zweite Teil die Endlagersuche bis 2024.
Forum Endlagersuche – Aus Gorleben will man gelernt haben
2013 haben Bundestag und Bundesrat auf gesetzlicher Grundlage die Standortsuche für ein Endlager für den in Deutschland produzierten hochradioaktiven Atommüll von rund 27.000 Kubikmetern gestartet. 2016 wurden drei Gremien im Rahmen der Neuorganisation der Zuständigkeiten geschaffen: das Unternehmen Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE mbH) als Vorhabenträgerin, das Bundesamt für die Sicherung der nuklearen Entsorgung (BASE), das die Standortsuche entsprechend des Gesetzes sicherstellen soll, und ein Nationales Begleitgremium (NBG), insbesondere zuständig für die Begleitung der Öffentlichkeitsarbeit.[1] 2017 novellierte der Gesetzgeber das sogenannte Standortauswahlgesetz (StandAG), das das Vorgehen in drei Phasen bis zur Entscheidung, die inzwischen aufgrund von gravierenden Zeitproblemen auf das Jahr 2050(!) verschoben wurde[2], festlegt. Das StandAG räumt auch weitreichende Beteiligungsmöglichkeiten bei der Endlagersuche ein.[3]
Das Beteiligungsverfahren, bei dem Bürger, Vertreter der Gebietskörperschaften, Vertreter gesellschaftlicher Organisationen und Wissenschaftler in Eigenverantwortung in einem „selbsthinterfragenden und lernendem Verfahren mitgestalten und mitberaten“ können, wurde in Anlehnung an das Bürgerbeteiligungsverfahren in Finnland wohlweislich genaustens strukturiert.[4] Man kennt die deutsche Mentalität und die starke Anti-Atombewegung.
In Finnland gibt es keinen Protest der betroffenen Bürger vor Ort gegen ein Endlager, dort sieht man die Angelegenheit pragmatisch. Aber kann man die Mentalität der Menschen hier in Deutschland verändern? Erreichen will man mit dem Angebot von offenen Kommunikationsangeboten und einer transparenten Gestaltung des Verfahrens, Vertrauen beim Bürger zu schaffen und Misstrauen zu nehmen. Beratungsergebnisse sollen aus den zahlreichen Bürgergremien und Konferenzen selbstverständlich in den weiteren Prozessverlauf einfließen können. Sogar juristische Beratung ist inbegriffen.[5] Im Fokus steht die junge Generation, da diese das gesamte Verfahren begleiten würde.[6] Für die werden nun spezielle Foren und Materialien angeboten.[7]
Und weil man eine neue Protestkultur wie ehemals in Gorleben verhindern bzw. darauf adäquat reagieren will, hat das vom BASE beauftragte Ökoinstitut für angewandte Ökologie Darmstadt in seinem Forschungsprojekt unter anderem mögliche Szenarien der Vorbehalte aus betroffenen Regionen und aus der Bevölkerung durchgespielt. Das reicht bis hin zu möglichen Protestszenarien, womöglich verbunden mit Boykotten aus Gebieten mit größerem, oft bereits erprobtem Widerstand gegen Großprojekte.[8] Aber: Beteiligung bedeute nicht Mitentscheidung. Die Entscheidung trifft der Gesetzgeber, somit die gewählten Volksvertreter.[9]
Standortsuche für ein Atommüllendlager – „Nicht vor meiner Haustür!“ kann nicht gelten
Steffen Kanitz, damaliges Mitglied der Geschäftsführung der BGE mbH, äußerte sich deutlich: Es gehe nicht um politische Betroffenheit – sondern um geologische Eignung. Politische Spielchen, sprich politische Beeinflussung dürfe es nicht geben. Die Politik habe ohnehin Vertrauen verspielt.[10]
Auf der ersten Statuskonferenz 2018 wurde aber betont, dass eine Tolerierung der Betroffenen natürlich ermöglicht werden soll: Man wolle nicht gegen, sondern mit denen, die betroffen sind, arbeiten.[11] Man begreift die Endlagerung der hochradioaktiven Abfälle nämlich als eine Gemeinwohlaufgabe.[12] Die künftige Endlagerregion müsse sich nicht als Verlierer wahrnehmen, sondern soll dafür gewürdigt werden, dass diese die Lasten für die gesamte Gesellschaft übernehme.[13]
Atommüllendlager – Sicherheit für eine Million Jahre
Der ergebnisoffene Prozess beginne auf der weißen Landkarte, so Rita Schwarzelühe-Sutter, 2018 parlamentarische Staatssekretärin beim BMU. Als Hauptziele für die tiefengeologische Lagerung von Atommüll wurden zum einen die Sicherheit für eine Million Jahre und zum anderen die Bergbarkeit bis 500 Jahre nach Verschluss genannt – also Endlagerung für die Ewigkeit. Mit schrittweiser Eingrenzung von Gebieten aufgrund wissenschaftlicher Daten könne der geeignete Standort gefunden werden. Keine Region könne sich dieser Verantwortung entziehen.[14]
54 Prozent der Fläche der Bundesrepublik potenziell für ein Atommüllendlager geeignet
Der im September 2020 vorgelegte Zwischenbericht Teilgebiete wurde bereits auf der darauffolgenden Fachkonferenz Teilgebiete im Februar 2021 von ca. 900 Teilnehmern aus ganz Deutschland breit diskutiert.[15] Das Verfahren hatte zu dem Zeitpunkt Schritt 1 der Phase 1 von insgesamt drei geplanten Phasen abgeschlossen und mithilfe von Gebiets- und Literaturdaten, vereinzelt auch 3D-Modellen und Probebohrungen 90 Teilgebiete nach Mindestanforderungen und Ausschlusskriterien identifiziert und mit “günstig“ bewertet. Das sind Gebiete, in denen die Gesteinsarten Steinsalz, Ton und kristallines Gestein vorkommen und die in den Phasen 2 und 3 weiter nach geo- und planungswissenschaftlichen Abwägungskriterien sowie nach umfangreichen Sicherheitsuntersuchungen erkundet und eingegrenzt werden. Der Flächenbedarf wurde von drei bis zehn Quadratkilometer und etwa 600 bis 1.000 Meter Tiefe – je nach Gesteinsart – angegeben. Diese Ergebnisse des Verfahrens wurden vom Plenum der Fachkonferenz zunächst sehr kritisch aufgenommen.[16]
Fachleute und Initiativen organisieren sich: „Alternative Statuskonferenz“ 2022 – Kritik und Besorgnis
Atommüll raus aus den Zwischenlagern! – Rückholung ist mit hohen Kosten verbunden
Die kritische Begleitung des gesamten bisherigen Verfahrens mündete in die von zahlreichen Fachleuten, Anti-Atom-Initiativen und -Verbänden eigenverantwortlich durchgeführte „Alternative Statuskonferenz“ im Oktober 2021 zum Zwecke der Aufdeckung von Defiziten im bisherigen Verfahren. Das Suchverfahren sei bisher nicht fair, transparent und solidarisch genug verlaufen, hieß es. Erhebliche Mängel wurden am Zwischenbericht festgestellt, weil bis dahin noch immer unklar war, wo die riesigen Mengen von schwach- und mittelradioaktivem Abfall, die in 29 Zwischenlagern (Morsleben, Asse II, Schacht Konrad, Lubmin u.v.a.) und oberirdisch in 13 Landessammelstellen vor sich hin rotten, endgelagert werden sollen. Tatsache ist, dass die Rückholung aus Asse II 2013 mit politischer Mehrheit beschlossen wurde. Allein die Rückholungskosten nur aus diesem Zwischenlager belaufen sich auf 4,7 Milliarden Euro.[17] Schacht Konrad wird nun, laut BGE, zum Endlager für rund 303.000 Tonnen schwach- und mittelradioaktiven Müll ausgebaut werden und soll angeblich 2030 in Betrieb gehen.[18] Anti-Atom-Initiativen haben bereits einen Baustopp gefordert.[19]
Die Datenlage wurde weiterhin als heterogen bezeichnet. Man schätzt sogar, dass bis 600.000 Tonnen schwach- und mittelradioaktiver Müll anfallen könnten.[20] Hinzu kommen Millionen Kubikmeter kontaminierter Bauschutt aus dem Rückbau von Atomanlagen, der bis heute regelmäßig freigemessen wird, um Entsorgungskosten einzusparen.[21] Eine offene Lagerung auf einer Deponie in Harrislee nahe Flensburg wurde aufgrund der Arbeit einer Bürgerinitiative und begleitenden Protesten aus der Bevölkerung, unterstützt von Teilen der Kommunalpolitik, erst einmal wieder aufgegeben.[22] Allein in Ostdeutschland, wo noch nie ein Planfeststellungsverfahren durchlaufen wurde, weil die Bundesrepublik 2013 auf das Strahlenschutzrecht der DDR verwiesen hatte, lagern oberflächennah geschätzte 105.000 Tonnen radioaktiv kontaminierter Schrott.[23] Verwiesen wurde übrigens auch auf zahlreiche Atommüllexporte, seit 1996 u.a. auch nach Russland. (Anmerkung: Genauere Zahlen können auf der Seite atommüllreport.de unter –> Radioaktive Abfälle –> Mengenübersicht eingesehen werden.) Die Gefahren, die von den tödlichen Stoffen, die brennbar, gasbildend, wärmebildend und wassergefährlich sind, ausgehen, sind alarmierend und müssen als sehr bedrohlich für Umwelt und Gesundheit angesehen werden. Mediziner vom IPPNW haben bereits Krebsregister in betroffenen Gebieten veröffentlicht.[24]
Die Zustände in den Zwischenlagern, auch für hochradioaktiven Atommüll, deren Genehmigungen demnächst auslaufen, macht das BGE mittlerweile auf seiner Webseite transparent.[25]
Die, die den Müll produziert haben, hätten sich mithilfe der Politik aus der Verantwortung gestohlen, hieß es auf der Alternativen Statuskonferenz 2021.[26] Etliche politische Vertreter würden sich trotz des Atomausstiegs in Deutschland an der Pro-Atomlobby im Europäischen Parlament orientieren, wo diese Energieform als nachhaltig bezeichnet wird. Regional gab es in Deutschland bisher länderspezifische Reaktionen. Bayern und Niedersachsen sprachen sich bereits gegen eine Endlagerstätte in ihren Regionen aus und unterstützen ihre Kommunen. Spontan entstanden auch zehn neue Initiativen unter dem Motto: „Atommüll nicht zu uns“.[27]
Zwischenfazit – Wie weiter in den Kommunen?
In etlichen Kommunen rumorte es nach der Veröffentlichung der Teilgebiete, obwohl ein großer Teil der lokalen Bevölkerung aufgrund der spärlichen Berichterstattung in den Medien noch immer wenig mitbekommt. Umweltverbände können zumindest das Verbandsklagerecht nutzen. Das haben BUND und NABU auch z.B. in Niedersachsen bereits getan. Kommunen selbst haben kein Klagerecht. Die Kreise südlich von Hamburg stehen in Kooperation. Das Beteiligungsverfahren wird natürlich weiter genutzt werden, dennoch werden Gegenkonzepte entstehen, und Widerstand wird womöglich zu einem Austritt zivilgesellschaftlicher Akteure aus dem Forum Endlagersuche führen. Pragmatismus geht hier anders.
Wir sind eben nicht in Finnland.
Titelbild: Hoika Mikhail/shutterstock.com
Quellenangaben:
Über die Autorin: Susanne Louise Heiland studierte Geschichts- und Politikwissenschaften mit Lehramtsoption an der FU Berlin. Sie lebt in Schleswig-Holstein nahe Flensburg.
[«1] Bericht von der 1. Statuskonferenz am 8./9. November 2018 in Berlin, S. 5 ff.
[«2] Dagmar Dehmer, Leitern der Unternehmenskommunikation der BGE mbH
[«3] endlagersuche-infoplattform.de
[«4] Bericht von der 1. Statuskonferenz 2018. S.8
[«6] Bericht von der 1. Statuskonferenz 2018, S. 14
[«8] base.bund.de Forschungsergebnisse S. 18-19
[«9] Ebd. S.9
[«10] ZDF Info: Dokumentation Video vom 25. April 2023
[«11] Bericht von der 1. Statuskonferenz 2018. S. 5
[«12] Ebd. S. 9
[«13] Ebd. S. 14
[«14] Bericht von der 1. Statuskonferenz 2018. S. 8
[«15] Zwischenbericht Teilgebiete vom 28. September 2020. S.16 ff.
[«16] Eigenes Protokoll von der Fachkonferenz Teilgebiete 5. Februar 2021
[«18] Ebd.
[«19] Eigenes Protokoll von der Alternativen Statuskonferenz am 30. Oktober 2021
[«20] Ebd.
[«21] baesh.de Bürgerinitiative Atommüll Einlagerung Stopp Harrislee
[«22] Ebd.
[«23] Eigenes Protokoll von der Alternativen Statuskonferenz 2021
[«26] Eigenes Protokoll von der Alternativen Statuskonferenz 2021
[«27] Ebd.
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