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Titel: Wer darf die Ukraine nun ausbeuten?
Datum: 25. Februar 2025 um 11:35 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Ressourcen, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich: Jens Berger
Wer denkt, bei den Verhandlungen zwischen den USA und Russland zur Beendigung des Ukrainekriegs ginge es um die Souveränität oder gar das Existenzrecht der Ukraine, muss ziemlich naiv sein. Der Westen hat den Krieg verloren. Nun geht es zugespitzt vor allem darum, wer die Rechnung für diesen geostrategischen Reinfall bezahlt – die USA oder Europa? Weitestgehend unbeachtet von der deutschen Medienberichterstattung schaffen die USA in diesen Tagen Fakten – ein umfassendes amerikanisch-ukrainisches „Rohstoffabkommen“, das kurz vor der Unterzeichnung steht, soll den USA die Hälfte aller künftigen Einnahmen aus der ukrainischen Rohstoffförderung zusichern. Donald Trump spricht von 500 Mrd. US-Dollar. Die EU geht dabei leer aus und bleibt auf ihren Kosten sitzen und auch für die Ukraine bedeutet dieses Abkommen nichts anderes, als dass dem Land eine düstere ökonomische Zukunft bevorsteht. Es ist, als hätte man sich mit der Mafia eingelassen. Von Jens Berger.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Wenn es um die nun begonnenen Friedensverhandlungen und mehr noch um die Zukunft der Ukraine geht, ist jegliches Pathos fehl am Platz. Nachdem die geostrategischen Träume westlicher Falken wie Seifenblasen in den Schützengräben des Donbass zerplatzt sind, geht es nicht um Souveränität, Freiheit oder Demokratie, sondern nur noch ganz profan um wirtschaftliche Interessen. Allen voran US-Präsident Trump hat dies nicht nur erkannt, sondern auch bereits die Initiative ergriffen. Sein Gegner ist dabei nicht etwa Russland, sondern die EU. Es geht um Rohstoffe, die eigene Wirtschaft und sehr, sehr viel Geld. Sein Motto: America first. Aber der Reihe nach.
Die europäische Perspektive
Bereits vor der russischen Invasion war die Ukraine das Armenhaus Europas. Das macht sie vor allem für die wirtschaftlichen Interessen der EU interessant und so zynisch es klingt: Durch den Krieg und die Zerstörung hat das Land sogar an Attraktivität gewonnen. Am Wiederaufbau lässt sich schließlich viel Geld verdienen und so mancher europäische Konzern scharrt bereits mit den Hufen, um einen Teil des Kuchens abzubekommen. Eine „wiederaufgebaute“, nach neoliberalen Vorstellungen als Billiglohnparadies konzipierte Ukraine ist ein Traum für EU-Konzerne; schließlich sind die Löhne in Rumänien, Polen und Bulgarien auch nicht mehr das, was sie mal waren, und sobald wieder russisches Gas in die Ukraine fließt, kann sie – anders als Deutschland – auch mit niedrigen Energiekosten attraktiv für energieintensive Wirtschaftszweige sein. Doch bevor es ans Ausbeuten geht, muss investiert werden. Die Weltbank schätzt, dass der Wiederaufbau der Ukraine rund 500 Mrd. US-Dollar kosten wird – dass dieser Betrag exakt den amerikanischen Forderungen aus dem „Rohstoffabkommen“ entspricht, dürfte jedoch eher ein Zufall sein.
Das Problem der EU ist vielmehr, dass sie dieses Geld nicht hat und auch private Kredite in diesen Größenordnungen nur absichern kann, wenn sie an ihren Neuverschuldungsregeln schraubt. Derartige Kredite machen aber freilich nur dann Sinn, wenn es eine realistische Möglichkeit gibt, dass die Ukraine sie überhaupt bedienen kann.
Wir können also festhalten: Die EU hat ein Interesse, der Ukraine über Kredite den Wiederaufbau zu finanzieren, sodass europäische Unternehmen in der Ukraine künftig prächtige Geschäfte machen können. Die EU hat aber auch ein Interesse, dass die Ukraine diese Kredite zurückbezahlt, sonst gibt es Ärger mit den ohnehin schon verärgerten Wählern.
Die amerikanische Perspektive
Spätestens an dieser Stelle kollidieren die Interessen der EU jedoch mit den Interessen der USA. Auch US-Unternehmen wollen am Wiederaufbau profitieren und vor allem bei der (Neu-)Aufrüstung der ukrainischen Streitkräfte wollen die Amerikaner dicke Geschäfte machen. Den wohl größten Konflikt mit der EU gibt es jedoch bei den Finanzen und dem Zugriff auf den einzigen wirtschaftlichen Sektor der Ukraine, der fette Profite verspricht – der Rohstoffförderung und -verarbeitung. Die Ukraine verfügt über reiche Vorkommen an Titan, Lithium, Graphit, Nickel, Kobalt und Seltenen Erden – also all die begehrten Rohstoffe, die für High-Tech-Produkte, aber auch für die Energiewende unerlässlich sind und bei denen sich die USA und China, aber auch die EU, in einem weltweiten Wettbewerb um Förderlizenzen befinden. Es ist zwar richtig, dass ein großer Teil der Vorkommen von Seltenen Erden sich in der Donbass-Region befindet, die nach einem Friedensabkommen sicherlich zu Russland gehören werden; aber auch das ukrainische Kernland verfügt über reiche Rohstofflagerstätten, die noch darauf warten, erschlossen und ausgebeutet zu werden.
Quelle: Bloomberg
Pikanterweise war es die EU, die im Juli 2021 mit der Ukraine ein Abkommen für eine künftige strategische Partnerschaft für die Förderung dieser Rohstoffe abgeschlossen hat. Dann eskalierte der Krieg und außer Hochglanzprospekten ist aus der geplanten Erschließung ukrainischer Rohstoffe durch die EU nichts geworden. Und wenn es nach Donald Trump geht, wird sich daran auch nichts ändern.
Zurück zu den derzeitigen Verhandlungen. Die USA und Russland stecken zurzeit den Rahmen für den Friedensprozess ab – die Ukraine und die EU sollen erst in diesen Prozess einbezogen werden, wenn die Leitplanken von den beiden Supermächten gesteckt sind. Für die Regierung der Ukraine geht es dabei um ihre Existenz. Würden die USA den Prozess abbrechen und gleichzeitig ihre komplette Unterstützung einstellen, wäre nicht nur die politische Überlebensdauer von Wolodymyr Selenskyj überschaubar, sondern auch die Vormachtstellung der ukrainischen Oligarchen, die nach wie vor hinter der Regierung Selenskyj stehen, wäre faktisch bedroht. Selenskyj braucht Trump – und nicht umgekehrt. Doch Donald Trump hat parallel zu den Verhandlungen mit Russland bereits den Preis für seine Unterstützung des ukrainischen Systems festgelegt.
Das Rohstoffabkommen
US-Medien wie Bloomberg oder Axios berichteten in den letzten Wochen sehr ausführlich über das „Rohstoffabkommen“, das die USA nun mit der Ukraine abschließen wollen. In deutschen Medien kam dieses Thema erstaunlicherweise nur am Rande vor. Worum geht es bei diesem „Deal“?
In der ersten Version des Vertrags sollte die Ukraine einem Modell zustimmen, bei dem der ukrainische Staat und die USA zusammen mit jeweils 50 Prozent Beteiligung einen „Investitionsfonds für den Wiederaufbau“ gründen. Dieser Fonds soll künftig die Förderlizenzen für Rohstoffe vergeben und von den Lizenznehmern die Gebühren, also die Einnahmen aus der Rohstoffförderung, kassieren, die dann jeweils zu halben Teilen an die Ukraine und die USA ausgeschüttet werden. Laut Axios, die offenbar Einblick in den Vertragsentwurf hatten, sah das Papier vor, dass die Ausschüttung an die USA dabei auf die Summe von 500 Mrd. US-Dollar beziffert war.
Es kam zu einem gespielten Eklat und Trump tat das, was wohl jeder Mafiaboss tun würde – er nahm die Kritik entgegen und legte der Ukraine einen zweiten, noch härteren Vertragsentwurf vor. Nun geht es nicht „nur“ um Lizenzeinnahmen aus der Rohstoffförderung, sondern auch um die Einnahmen aus der Öl- und Gasförderung und Einnahmen durch Häfen und Infrastruktur – also im Grund alle ukrainischen Staatseinnahmen, die nicht direkt als Steuer erhoben werden. Der New York Times liegt der zweite Entwurf vor.
Selenskyj argumentiert nun, dass die geforderten 500 Mrd. US-Dollar weit oberhalb der amerikanischen Hilfsleistungen lägen, die er selbst mit „rund 90 Mrd. US-Dollar“ beziffert, und außerdem habe Trumps Vorgänger Biden diese Gelder als Geschenk und nicht als Kredit gezahlt. Selbst wenn man sie nun als Kredit uminterpretieren und eine lange Laufzeit unterstellen würde, wäre dies ein Kredit mit einem Zinssatz von 100 Prozent. In diesem Punkt muss man Selenskyj auch recht geben. Der Ukraine-Support-Tracker des IfW beziffert die Unterstützung der USA mit 114,2 Mrd. Euro, also mit rund 120 Mrd. US-Dollar. Wie Trump auf die gigantische Summe von 500 Mrd. US-Dollar kommt, ist wohl sein Geheimnis.
Worin besteht nun aber die Gegenleistung der USA? Ganz einfach: Die USA lehnen zwar nach wie vor offizielle Sicherheitsgarantien für die Ukraine ab, da diese mit militärischer Präsenz und damit Kosten verbunden wären. Wenn die USA über ein derartiges Vertragswerk direkte Einnahmen aus der ukrainischen Rohstoffförderung generieren würden, wäre dies aber nichts anderes als eine Sicherheitsgarantie – natürlich keine militärische Sicherheitsgarantie, die sich vor allem gegen Russland richten würde, sondern eine politische Garantie für Selenskyj und die hinter ihm stehenden Oligarchen. Man könnte es auch als Schutzgeld oder als Lebensversicherung bezeichnen. Solange Selenskyj oder sein Nachfolger Jahr für Jahr Milliarden in die USA überweisen, garantiert Washington deren politisches und wohl auch physisches Überleben. Mafia eben.
Die EU schaut in die Röhre
Der große Verlierer dieses Abkommens wäre die EU. Einerseits hätte die EU selbst gerne Zugriff auf die Seltenen Erden und das Lithium, das vor allem für den deutschen Automobilsektor so eminent wichtig ist, wenn man es mit E-Mobilität und der Energiewende wirklich ernst meint. Andererseits kann jeder Dollar, der in die USA überwiesen wird, nicht mehr in die Hauptstädte Europas überwiesen werden. Auch die EU-Staaten haben der Ukraine milliardenschwere Kredite gegeben und der große Geldregen soll ja erst einsetzen, wenn es an den Wiederaufbau und die Hochrüstung der ukrainischen Armee geht. Von den 500 Mrd. US-Dollar, die von der Weltbank als Wiederaufbaukosten geschätzt wurden, sind nur rund 100 Mrd. US-Dollar bereits durch Abkommen fixiert.
Für die EU sieht die Situation damit folgendermaßen aus: Wenn eine Bank einem schlechten Schuldner einen Kredit gibt, der aber immer noch über laufende Einnahmen verfügt, besteht zumindest die Chance, dass sie ihr Geld zurückbekommt. Wenn nun aber dieser schlechte Schuldner einen Vertrag mit einer anderen Bank macht, der er die Hälfte seiner Einnahmen verpfändet, sinkt die Wahrscheinlichkeit, das Geld je wiederzusehen, rapide. Durch das Rohstoffabkommen mit den USA würde die Ukraine so sämtliche Hoffnungen der Europäer zerstören, ihre derzeit offenen und schlimmer noch auch ihre künftigen Kredite jemals zurückzubekommen.
Und dass die Ukraine – Selenskyjs Gezeter hin oder her – das Abkommen unterschreiben wird, ist sehr wahrscheinlich. Daran ließ die stellvertretende Ministerpräsidentin und Ministerin für europäische Integration der Ukraine, Olga Stefanischyna, gestern via X keinen Zweifel:
Ukrainian and U.S. teams are in the final stages of negotiations regarding the minerals agreement. The negotiations have been very constructive, with nearly all key details finalized. We are committed to completing this swiftly to proceed with its signature. We hope both US and…
— Olga Stefanishyna (@StefanishynaO) February 24, 2025
So werden Fakten geschaffen und Europa schaut einmal mehr in die Röhre. Für die EU bleiben nun nur die offenen Rechnungen. Laut Schätzungen von Bloomberg Economics werden allein die Kosten für den Wiederaufbau zerstörter Gebäude und Infrastruktur rund 230 Mrd. US-Dollar betragen. Weitere 175 Mrd. US-Dollar werden für die Aufrüstung der ukrainischen Armee veranschlagt und die Aufstellung einer 40.000 Mann starken Truppe zur Sicherung des Waffenstillstands wird demnach weitere 30 Mrd. US-Dollar kosten. Bezahlen wird dies der EU-Steuerzahler.
Aber auch die Ukrainer sind die Verlierer dieses Abkommens. Wenn das Land tatsächlich das Potenzial hat, über Rohstoffe derlei riesige Einnahmen zu erzielen, wie es das amerikanisch-ukrainische Rohstoffabkommen beziffert, wäre den Menschen selbstverständlich am besten damit gedient, wenn diese Gelder auch in die Ukraine selbst investiert werden und nicht in die USA abfließen. Doch dies kollidiert mit dem Selbsterhaltungswunsch des ukrainischen Systems. Eigentlich müsste man den Ukrainern raten, ihre Führung aus dem Land zu jagen – und die USA sowie die EU gleich mit, haben sie das Land doch erst in den Schlamassel getrieben, für den noch viele Generationen an Ukrainern bezahlen werden.
Titelbild: Screenshot aus dem Prospekt „Critical Minerals Portfolio“
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