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Titel: „Neues zur Bundestagswahl Nr. 2“: Brandmauern, Migration und zwei Elefanten im Raum

Datum: 4. Februar 2025 um 11:33 Uhr
Rubrik: Innen- und Gesellschaftspolitik, Medienkritik, Wahlen
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„Hart aber fair“ hat ein Problem. Die ARD-Polittalkshow widmet sich meist dem Thema der Woche. Doch dieses Thema ist oft am Montagabend bereits auserzählt. Das wäre nicht weiter schlimm und würde sogar die Gelegenheit bieten, ein wenig mehr in die Tiefe zu gehen und das nicht mehr ganz so tagesaktuelle Thema in einem umfassenderen Kontext zu betrachten. Doch das ist Louis Klamroths Sache nicht. So wurden auch in der gestrigen Sendung mit dem Titel „Merz und die AfD: Ist die Brandmauer Geschichte?“ knallhart die interessanten Fragen ausgespart. Was übrigblieb, war Wahlkampf für diejenigen, die nicht schnell genug mit ihrer Fernbedienung den Sender wechseln konnten. Von Jens Berger.

Brandmauer, Brandmauer, Tabubruch, Tabubruch, AfD, Migration und Merz – die gesamte letzte Woche schallten einem diese Begriffe aus den Medien entgegen. Wahlkampf halt. Die CDU tat glatt so, als hätte sie ihr „Versprechen“, im Bundestag keine Mehrheiten durch AfD-Stimmen zu bekommen, nur der guten Sache wegen begraben. Und klar – die gute Sache war nichts weniger als das Leben unserer Kinder, die von bösen Messer-Flüchtlingen bedroht werden. Gerade so, als hätte die CDU sonst ein gesteigertes Interesse am Wohl unserer Kinder. Wie war noch gleich die Position der CDU zur Kindergrundsicherung? Geschenkt.

Und auch Grüne und Linke liefen letzte Woche zu Höchstform auf. In einem Phoenix-Interview schaffte es das Grünen-Enfant-Terrible Anton Hofreiter gefühlt gleich mindestens ein Dutzend Mal innerhalb einer Minute, der CDU, Friedrich Merz, der AfD und überhaupt allen und jedem „Faschismus“ vorzuwerfen. Und er, der Hofreiter Toni, und seine Partei stünden in den Gräben, um unser Land vor diesem „Faschismus“ zu retten. Halleluja! Linken-Politikerin Heidi Reichinnek brachte gar hart an der Grenze zu Hysterie und Nervenzusammenbruch Auschwitz ins Spiel und rief den Menschen da draußen zu, jetzt „gegen den Faschismus auf die Barrikaden zu gehen!“. O mei, o mei! Wie war das doch gleich mit Verharmlosung des Faschismus? Ach nein, wir haben ja Wahlkampf, da ist alles erlaubt; nur Inhalte sind ungern gesehen.

Das wohl Positivste an der gestrigen „Hart aber fair“-Sendung war dann auch, dass zumindest die Verharmlosung des Faschismus draußen blieb; was sicher auch daran lag, dass keine „Wahlkämpfenden“ der Grünen oder der Linken zugegen waren. Offenbar wollte die Redaktion stattdessen eine inhaltliche Debatte anstoßen, ist daran jedoch krachend gescheitert, was auch an der Auswahl der Gäste lag. Als Politik-Erklärbär vom Dienst war mal wieder der unvermeidbare Albrecht von Lucke im Dienst, der in seinem unnachahmlichen Tremolo Banalitäten von sich gab, um die ganze Debatte „einzuordnen“. Das war alles weder neu noch sonderlich originell. Dafür konnte von Lucke seine Position als zweitschlimmster politischer Dampfplauderer hinter Robin Alexander mit Bravour verteidigen und sich damit für viele, viele weitere Talkshowauftritte empfehlen.

Anders als von Lucke konnte die ebenfalls geladene ARD-Journalistin Isabell Schayani tatsächlich einige Akzente setzen, die die Debatte vertiefen und weiterführen könnten. So merkte sie vollkommen zu Recht an, dass in der Debatte „das große Ganze“ stets „auf Flüchtlinge reduziert“ wird. An dieser Stelle hätte Sprechstallmeister Klamroth einen Cut machen müssen und die Flüchtlings- und Migrationsdebatte auf das „große Ganze“ heben können. Doch dazu war er offenbar weder gewillt noch in der Lage. Stattdessen hieß es „Manege frei“ für Thorsten Frei von der CDU. Der schwadronierte dann vor sich hin, dass „in den letzten vier Jahren drei Millionen Menschen legal und illegal als Migranten nach Deutschland gekommen seien, 1,2 Millionen aus der Ukraine, eine Million aus Syrien“. Frei weiter: „Da muss man sich doch fragen, welche Integrationskraft die Gesellschaft hat“. Und da waren sie – die zwei Elefanten im Raum. Nur dass sie niemand in der Runde – das haben Elefanten im Raum ja auch an sich – sah.

Elefant Nummer Eins: Wer über Flüchtlinge redet, darf zu den Kriegen nicht schweigen

Allein die 1,2 Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine hätten ja schon eine tiefgreifende Debatte verdient. Dabei könnte man zunächst ja mal fragen, warum 1,2 Millionen ukrainische Flüchtlinge in Deutschland Schutz suchen und bei unserem nur etwas kleinerem Nachbarn Frankreich gerade mal 66.000. Hieß es nicht mal, Europa sei auch in der Flüchtlingsfrage untereinander solidarisch? Bei den von Frei angesprochenen Syrern sieht es übrigens ganz ähnlich aus. Stand Mitte 2024 beherbergte Deutschland rund 630.00 Flüchtlinge aus Syrien, Frankreich nur 31.000. Um es klar zu sagen: Dieses Missverhältnis ist nicht den Flüchtlingen vorzuwerfen, sondern der Politik. Doch auch diese Debatte führt eigentlich am Elefanten im Raum vorbei.

Ukraine, Syrien – war da nicht was? Richtig, in beiden Ländern herrschen bzw. herrschten Kriege, an deren Ausbruch der Westen nicht ganz unbeteiligt ist. Hieß es nicht früher mal, die beste Flüchtlingspolitik sei es, die Fluchtursachen zu bekämpfen? Dass die Bundesregierungen diesen Vorsatz vergessen haben, ist bekannt. Dass die hohe Politik aber noch nicht einmal in der derzeitigen Debatte daran erinnert wird, dass eine aktive Friedens- und Friedenssicherungspolitik die beste Flüchtlingspolitik ist, da sie Fluchtursachen verhindert, ist aber unentschuldbar.

An dieser Stelle ist übrigens auch Kritik am BSW nötig. Gerade vor dem Hintergrund der 1,2 Millionen ukrainischen Flüchtlinge liegt es doch eigentlich auf der Hand, dass die auch vom BSW mit Priorität gestellte Forderung, den Krieg in der Ukraine diplomatisch zu beenden, auch für die Flüchtlingsdebatte höchste Priorität hat. Das werden auch BSW-Spitzenpolitiker so sehen, nur sie sagen es nicht und stimmen stattdessen lieber für CDU-Gesetzesentwürfe, in denen die Fluchtursachen nicht einmal Erwähnung finden. Die Partei-Co-Vorsitzende Amira Mohamed Ali war gestern übrigens auch bei „Hart aber fair“ zu Gast. Zu den Fluchtursachen hörte man jedoch nichts von ihr.

Dabei liegt der Zusammenhang doch förmlich auf der Hand. Sollte Deutschland durch eine aktive Friedens- und Friedenssicherungspolitik dazu beitragen können, dass ein großer Teil der ukrainischen und syrischen Kriegsflüchtlinge in seine alte Heimat zurückkehren kann, würden in den Kommunen in sehr großem Maßstab genau die Kapazitäten frei, die nötig sind, um den Rest der Flüchtlinge adäquat zu betreuen. Doch darum geht es in der Debatte ja nicht. Die Rechte will abschieben und die Grenzen abschotten, die Linke will künftig auch „Klimaflüchtlingen“ Asyl gewähren und hält auch eine Million Flüchtlinge pro Jahr für „völlig überschaubar“. Wahnsinn! Das sind die beiden Extreme der Debatte. Es geht um weniger oder mehr Flüchtlinge, die Fluchtursachen sind aus der Debatte verschwunden. Doch genau sie sind der erste Elefant im Raum.

Elefant Nummer Zwei: Wer über Flüchtlinge redet, muss auch über Geld reden

Thorsten Frei fragte sich bei „Hart aber fair“, welche Integrationskraft die Gesellschaft habe – gerade so, als sei dies eine Konstante, die ceteris paribus überhaupt nichts mit irgendwelchen Rahmenbedingungen und Budgetfragen zu tun habe. Und dabei ist die CDU doch die Partei, die stets betont, wie kompetent sie in Wirtschafts- und Finanzfragen sei. Die NachDenkSeiten hatten bereits 2015 auf den großen Fehler in Deutschlands „Wir-schaffen-das-Rhetorik“ hingewiesen. Worte allein helfen weder den Menschen, die Schutz oder schlicht ein besseres Leben in Deutschland suchen, noch der Gesellschaft. Voraussetzung für eine erfolgreiche Flüchtlingspolitik ist neben der Bekämpfung der Fluchtursachen nun einmal auch, dass man die logistischen, personellen und last but not least finanziellen Rahmenbedingungen schafft, um nicht nur eine Unterbringung, sondern auch eine möglichst aussichtsreiche Integration zu gewährleisten. Und genau hier hakt es in Deutschland gewaltig.

Die Kommunen werden mit dem Problem alleingelassen und sind damit bis an – und oft über – den Rand ihrer Leistungsfähigkeit gelangt. Wie soll Integration stattfinden, wenn es keine Kapazitäten für Sprachunterricht, Ausbildung und psychologische Betreuung gibt? Dieses Problem wird in der Debatte zwar häufig angesprochen – jedoch nur, um dann über Obergrenzen, Abschiebungen und Zurückweisungen zu reden. Warum diskutiert man nicht auch mal über Wohnungsbau, bessere Behördenausstattung, mehr Deutschkurse, die Schaffung von Kitaplätzen? Das wäre ja möglich, wenn man tatsächlich genau die Probleme angehen wollte, mit denen viele Kommunen in erster Linie nicht klarkommen.

Und auch wenn man eine harte Flüchtlingspolitik präferiert, was per se ja durchaus legitim und sicher nicht „faschistisch“ ist, so kann man dabei doch nicht davon ausgehen, dass man dies schon irgendwie schaffen wird, wenn man nur bestimmte Gesetze ändert und diversen Sicherheitsorganen neue Kompetenzen zuweist. Nehmen wir dafür das Messerattentat von Solingen als Beispiel. Der Täter, ein syrischer Flüchtling, hätte nach Ablehnung seines Asylantrags lt. geltendem Recht lange vor seiner Tat nach Bulgarien zurückgeschickt werden müssen. Das geltende Recht konnte in diesem Fall aber nicht durchgesetzt werden, da die Behörden schlichtweg überfordert und personell nicht ausreichend besetzt waren. Was nutzt das schärfste Gesetz, wenn es nicht durchgesetzt werden kann, da das Personal fehlt?

Ganz ähnlich verhält es sich auch mit den aktuell debattierten Vorschlägen der CDU, die bei der AfD so viel Anklang finden. Dauerhafte Grenzkontrollen – wer soll die eigentlich durchführen? Die Gewerkschaft der Polizei klagt bereits jetzt über Personalmangel bei der Bundespolizei. Haft für abgewiesene Flüchtlinge – in welchen Einrichtungen sollen die Ausreisepflichtigen denn untergebracht werden und wer soll sie dort bewachen und betreuen? Mehr Unterstützung für die Länder, Schaffung von Bundesausreisezentren – wer soll das alles finanzieren und woher soll das Personal kommen? All diese Forderungen sind nicht kompatibel mit der sowohl von CDU als auch AfD vertretenen Linie, keine neuen Schulden aufzunehmen und den Bundeshaushalt zurückzufahren. Punkt.

Weder diejenigen, die für eine bessere Integration eintreten, noch diejenigen, die möglichst hart die vorhandenen Gesetze exekutieren oder die Gesetze verschärften wollen, haben derzeit eine Antwort auf die Frage, wie sie dies überhaupt finanzieren wollen und woher sie das Personal dafür nehmen wollen. Auch dieser zweite Elefant im Raum wird lieber nicht angesprochen.

Wer zu den Elefanten schweigt, lenkt nicht nur von den eigentlichen Problemen, sondern auch von den Lösungen ab

Ginge es bei der Debatte um Flüchtlingspolitik, würde sie ganz anders geführt. Doch ganz offensichtlich geht es eigentlich um etwas anderes. Es ist ja richtig, dass die Themen Flüchtlinge und Migration wichtig sind und vielen Wählern auf der Seele liegen. Sie – wie in der Vergangenheit zu häufig geschehen – auszublenden und schönzureden, schadet am Ende allen Beteiligten … außer vielleicht der AfD. Aber wem hilft es, wenn man die Debatte – wie derzeit – derart oberflächlich führt und auf die Flüchtlinge selbst und nicht auf die Gründe für Fluchtbewegungen und Armutsmigration fokussiert? Die Verlierer sind so oder so die Flüchtlinge. Sie werden entweder als potenzielle Messerstecher oder als kulturelle Bereicherung geframt und damit von rechts wie links im Wahlkampf instrumentalisiert. Doch Flüchtlinge wollen meist vor allem eins: nicht fliehen müssen. Das wird vor allem im Wahlkampf gerne vergessen und da machte auch die gestrige Ausgabe von „Hart aber fair“ keine Ausnahme. Lösungsorientiert war die Debatte an keinem Punkt, stattdessen war sie – nicht einmal gute – Unterhaltung. Und damit hat die Sendung sicher ihren tieferen Zweck auch erfüllt.

Wer sich derart oberflächlich über Flüchtlingspolitik „zofft“, der muss keine unangenehmen Fragen zu unbequemen Themen stellen. Warum lädt die ARD beispielsweise ständig Politikerinnen, wie die auch gestern anwesende Frau von Storch von der AfD ein, um mit ihr über Migration und Flüchtlinge zu sprechen? Natürlich, jeder Fernsehmacher weiß, dass eine „gute“ Talkshow wie im Kasperletheater ein „Krokodil“ braucht. Wäre es für den Zuschauer und den Wähler aber nicht auch mal interessant zu erfahren, was Frau von Storch und die Vertreter anderer Parteien zu den Problemen zu sagen, die viele Menschen mindestens genauso beschäftigen wie die Flüchtlingspolitik? Wie gedenken CDU und AfD beispielsweise den Wohnungsbau anzukurbeln und die Mieten in den Ballungsräumen wieder bezahlbar zu machen? Wie will man Energie für Haushalte und die Industrie wieder bezahlbar, wie Millionen Jobs in der Industrie zukunftssicher machen? Und welche Konzepte haben die Parteien, um den Krieg in der Ukraine zu beenden? Das wäre doch mal spannend; spannender zumindest als die stetig alten, einstudierten, sinnlosen Phrasen zur Flüchtlingspolitik.

Titelbild: Screenshot ARD


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