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Titel: Der Zechpreller: 75 Millionen bezahlen Lauterbachs Klinikreform – er selbst nicht

Datum: 3. Februar 2025 um 10:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Finanzpolitik, Gesundheitspolitik, Sozialstaat
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Der Bundesgesundheitsminister will die Krankenhauslandschaft bereinigen, das Verschwinden mithin hunderter Standorte „fördern“. Die Kosten sollen die Opfer, die gesetzlich Versicherten, tragen und zur Hälfte die Bundesländer, die das Versorgungssystem in Jahrzehnten haben verkommen lassen. Das alles ist zwar verfassungswidrig, haut aber bestimmt irgendwie hin. Bis zum höchsten Richterspruch ist der Kahlschlag erledigt. Von Ralf Wurzbacher.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Ein Krankenhaus ist für alle da. Egal ob reich oder arm, in der Not wird jedem geholfen. Schließlich bezahlt Bürger ja auch dafür, über Steuern und die Krankenversicherung, je nach sozialem Status mal mehr, mal weniger. Die Gesunden stehen den Kranken bei, die Gutbetuchten denen, die weniger besitzen. Ein Hoch auf das Solidarprinzip! Aber wie ist das mit einer Krankenhausreform? Müsste die nicht auch für alle da sein? Und müssten nicht auch alle finanziell dafür einstehen?

Na klar, sollte man meinen, zumal bei einer mit so prächtigem Namen: „Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz“ (KHVVG). Von einer „besseren Versorgung“ profitieren ja wiederum alle, weshalb natürlich wiederum alle ihren Beitrag leisten müssten, als Steuerzahler und als Versicherter, jeder nach seinen Kräften. Zum Beispiel müsste Karl Lauterbach (SPD), der als Bundesgesundheitsminister recht ordentlich verdient, mehr aufbringen als die Kassiererin im Supermarkt oder der Müllmann von den Stadtwerken.

Politiker fein raus

Denkste! Lauterbach hat die besagte Reform zwar ersonnen oder doch eher ersinnen lassen – aber blechen lässt er andere dafür. Nämlich die Versicherten, über ihre Beiträge. Aber eben nicht alle Versicherten, sondern nur die Mitglieder der gesetzlichen Krankenkassen, rund 75 Millionen an der Zahl. Bei insgesamt 50 Milliarden Euro, die die Umsetzung des Gesetzes in den kommenden zehn Jahren kosten soll, wovon die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds die Hälfte, also 25 Milliarden Euro, beizusteuern hätte, sind weitere Beitragsaufschläge programmiert. Das ist bitter, denn erst zu Jahresanfang haben die Kassen praktisch flächendeckend die Preise erhöht, und zwar drastisch.

Aber warum zahlt Lauterbach nicht? Ganz einfach: Weil er privat versichert ist. Das hat er einmal frank und frei eingeräumt. Als Abgeordneter im Bundestag, selbst als Minister könnte er auch Kassenpatient sein, aber das ist er nun mal nicht – wie so viele seiner Kolleginnen und Kollegen. Der Spiegel hatte schon vor Jahren herausgefunden, dass bis zu zwei Drittel aller Parlamentarier bei den Privaten abgesichert sind. Und weshalb wird die Private Krankenversicherung (PKV), anders als die GKV, zur Finanzierung der Klinikreform nicht herangezogen? Weil sie sich qua Gesetz auf freiwilliger Basis beteiligen kann, aber nicht muss. Und wofür wird sie sich wohl entscheiden – im Interesse ihrer 8,7 Millionen Mitglieder? Eine rhetorische Frage …

Zur Not bis nach Karlsruhe

Aber irgendwie ist das Ganze dem PKV-Verband selbst nicht geheuer. Vielleicht ja aus Sorge, die himmelschreiende Ungerechtigkeit könnte irgendwem auffallen und veranlassen, die Schieflage zu korrigieren. Jedenfalls beschwert sich die Verbandsführung lauthals, nicht weil sie selbst zahlen wollte, nein, weil sie will, dass alle zahlen, jedoch nicht mit ihren Beiträgen, sondern über „eine vollständige Steuerfinanzierung“. In einer neueren Stellungnahme heißt es dazu: „Bei der Schaffung gesundheitlicher Infrastruktur einschließlich der Strukturen in der Krankenhausversorgung handelt es sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe (…), die dem Staat und in der Ordnung des deutschen Krankenhausfinanzierungssystems den Bundesländern allein obliegt.“

Damit liegt der Verband völlig richtig, so wie etliche andere Akteure des Gesundheitswesens: Klinikvertreter, Ärzte, Gewerkschaften, der Deutsche Beamtenbund (dbb) und Sozialverbände. Sie fordern unisono, die Krankenhausreform aus regulären Haushaltsmitteln zu finanzieren, wie es nicht nur gute alte Tradition ist, sondern wie es die Verfassung verlangt. Der Sozialverband VdK will notfalls bis vors höchste deutsche Gericht nach Karlsruhe ziehen, um eine Selbstverständlichkeit durchzusetzen. Nach dessen Rechtsprechung unterlägen die Sozialversicherungsbeiträge einem besonderen Schutz, befand Verbandspräsidentin Verena Bentele in der Vorwoche. „Sie sind streng zweckgebunden und dürfen nicht zur Finanzierung des allgemeinen Haushalts verwendet werden.“

Klamm, aber „kriegstüchtig“

Klagen bereitet auch der GKV-Spitzenverband vor. „In der Sozialgerichtsbarkeit gibt es eine weitüberwiegende Meinung, dass die Regierung mit dem, was sie hier fabriziert, einen Formenmissbrauch betreibt, der verfassungsrechtlich nicht nur bedenklich, sondern schlicht verfassungswidrig ist“, zitierte vor elf Tagen das Ärzteblatt Franz Knieps, den Vorsitzenden des Dachverbands der Betriebskrankenkassen (BKK). Das ahnt freilich auch Lauterbach, aber die Zeit spielt für ihn. Bis das Bundesverfassungsgericht das letzte Wort gesprochen hätte, würden wohl Jahre vergehen und längst Fakten geschaffen, die sich schwerlich rückgängig machen ließen. Es brauche einen „langen Atem“, beschied deshalb auch VdK-Chefin Bentele.

Nur wieso wandelt der Minister auf juristisch so dünnem Eis? Um sich als Privatversicherter vor persönlichen Mehrkosten zu drücken? Ganz bestimmt nicht. Es geht ums liebe Geld, nicht um sein eigenes, sondern das des Staates. Der ist notorisch klamm, bei den multiplen Krisen der zurückliegenden Jahre und dem unbedingten Willen, Deutschland „kriegstüchtig“ zu machen, demnächst noch viel mehr. Der Minister wollte seine Großreform, getrieben von Lobbyisten, aber unbedingt und um jeden Preis durchziehen, konnte aber nicht die nötigen Steuermittel dafür auftreiben beziehungsweise wollte den Bundesländern nicht die ganze Rechnung aufdrücken. Also tut der Minister das, was seit Längerem Unsitte ist, und bedient sich schamlos aus der Kasse der Sozialversicherung – zur Finanzierung von Projekten, die eigentlich die Gesamtgesellschaft betreffen.

Selbstbedienungsladen

Zum Beispiel stellt die Rentenversicherung längst nicht nur die Altersbezüge von Senioren sicher, sondern begleicht auch Ausgaben, die für die Anrechnung von Kindererziehungszeiten, Mutterschutz und Ausbildungszeiten anfallen. Der VdK hat die Schiebereien für alle Sicherungssysteme – Renten-, Kranken-, Pflege-, Arbeitslosenversicherung – in einem Gutachten durchgerechnet. Für sogenannte versicherungsfremde Leistungen gehen demnach aktuell mehr als 170 Milliarden Euro drauf, die aber nur mit rund 100 Milliarden Euro an „Bundeszuschüssen“ kompensiert werden. Bleibt eine Unterdeckung von mindestens 70 Milliarden Euro, die die Betragszahler für etwas hinblättern, das eigentlich in der Zuständigkeit von Bund, Ländern und Kommunen liegt.

Das ist doppelt folgenschwer. Würde sich die Rentenversicherung nur um die Rente kümmern, wären die Beiträge um 1,5 Prozent geringer, wie der VdK ermittelte. Mit steigenden Beiträgen steigt immer auch der Druck auf die Systeme und befeuert Diskussionen um neuerliche „Reformen“, sprich Leistungskürzungen, und den Ausbau privater Vorsorgemodelle. Oder andersherum: Ohne die Selbstbedienungsexzesse der öffentlichen Hand wären die Rentenkassen allzeit und bestens gefüllt und hätten für „Riester“ und „Rürup“ gar keine Angriffsfläche geboten.

Im Fall der Krankenhäuser ist der Skandal noch eklatanter. Hier gilt das Prinzip der dualen Finanzierung. Danach sind sämtliche Investitionskosten, also alles, was mit Baumaßnahmen und Bereitstellung medizinischer Hardware zu tun hat, von den Bundesländern zu tragen. Das gelte auch „für die Sicherstellung einer flächendeckenden stationären Versorgung“, hält das Bundesgesundheitsministerium (BMG) fest, und genau damit begründet Lauterbach seine Großreform. Die Krankenkassen übernehmen dagegen die Betriebskosten, alles, was bei der Behandlung der Patienten an Ausgaben anfällt.

System ausgeblutet

Allerdings kommen die Länder ihren Verpflichtungen seit über drei Dekaden nur unzureichend nach. Laut GKV deckten sie seit Jahren „nur etwa die Hälfte“ des Bedarfs. Hierin liegt die entscheidende Ursache für die heutige Misere der Kliniken. Die Politik hat sie systematisch ausbluten lassen, was schon in der Vergangenheit ein schleichendes Standortsterben provozierte. Mit dem Corona-Schock, der die Behandlungszahlen massiv und nachhaltig einbrechen ließ, hat die allgemeine Notlage eine noch stärkere Dynamik bekommen.

Heute stecken über 80 Prozent der Häuser in roten Zahlen, allen voran kleinere, öffentliche in ländlichen Regionen oder solche in gemeinnütziger Trägerschaft. Gerade erst gab das Deutsche Rote Kreuz (DRK) bekannt, dass sechs ihrer bundesweit 38 Hospitäler insolvent sind und vor der Schließung stehen. Von dem in Berlin-Mitte mit bisher jährlich 35.000 Patienten sagt die Gewerkschaft ver.di, dass es das erste Opfer der Lauterbach-Reform in der Bundeshauptstadt sei.

Abrissförderung

Davon wird es bald noch viele mehr geben. Tatsächlich ist eine massive Flurbereinigung das Ziel der ganzen Unternehmung, wie die NachDenkSeiten wiederholt berichtet haben (zum Beispiel hier, hier und hier). In Kürze wird es dazu bei den NDS ein Update geben. An dieser Stelle sollte es vor allem um die Finanzierung gehen. Wobei es schon eine bittere Ironie ist, wenn ausgerechnet mit dem Geld von 75 Millionen einfachen Kassenmitgliedern und potenziellen Patienten die Versorgungslandschaft zu Klump gehauen wird beziehungsweise die „Schließung eines Krankenhauses oder von Teilen eines Krankenhauses“ aus ihren Beiträgen „gefördert“ wird, wie es in der „Krankenhaustransformationsfonds-Verordnung“ (KHTFV) so schön heißt.

Die andere Hälfe des 50-Milliarden-Euro-Fonds sollen, wie gesagt, die Bundesländer zuschießen, die das ganze System in ihrem Kürzungs- und Privatisierungswahn bis zur Abrissreife vor die Wand gefahren haben. Und was, wenn sie die 25 Milliarden einmal mehr nicht zusammenkratzen? Lässt man dann alles einfach „ungefördert“ einkrachen, ganz ohne „Abriss, Rückbau, Umbau oder Neubau“? Das wäre ja lebensgefährlich! Sicher ließe dann auch Lauterbach ein paar Kröten springen.

Titelbild: Symbolbild, erstellt mit Hilfe von KI (per Grok)


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